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Liebe Kleine! »Wenn du dies liest« – –. Und so weiter: Schema Z aus dem Briefsteller, Abteilung: Abschiedsbrief. Wahrhaftig, ich bin im Kriege, ich wiederhole mir das wie eine Tatsache, von der man bisher wohl gesprochen, aber an die man nie mehr recht geglaubt hat. Und – um meine besondere persönliche Pointe gleich zu verraten! – ich freue mich darüber. Ich freue mich in der Tat, nicht wie all die andern, die sich und andern vormachen, daß sie sich freuen, weil sie mitmachen müssen oder meinetwegen auch mitmachen wollen. Für einen überzeugten Deterministen besteht zwischen »müssen« und »wollen« nur ein wörtlicher Unterschied.
Liebe Kleine! Man wiederholt solche Anreden, um sich eine Gehirnpause zu machen, eine Kunst, die du als Schauspielerin brillant verstehst. Du bist wirklich die gescheiteste Person, die mir über meine krummen Wege gelaufen ist. Die »gescheuteste Person« würde Ihro Durchlaucht, meine Mutter, sagen. »Gescheut« pflegt sie alle Leute zu nennen, die ihr Komplimente zu machen wissen. Aber das war es wirklich nicht, was uns zusammengebracht und mir die bewußte Hochachtung vor den herrlichen Gaben deines Geistes (»Melancholie an Laura«) eingeflößt hat. Im Gegenteil! Dein erstes Wort zu mir, dein erstaunter Ausruf: »Aber Hoheit sind ja gar nicht dumm!«, diese göttliche Grobheit war es, die mich – »auf ewig« natürlich – drunter tun wir Menschen es ja nicht – an dich attachierte. An dich »fesselte« muß man heutzutage als echter teutscher Mann sagen, wiewohl das Wort etwas allzu Gewichtiges hat. Besonders für einen, der im Begriff ist, alle Fesseln zu sprengen und sich dem kriegerischen Urzustand des Menschengeschlechts zu überliefern.
Ich tue das mit einer reinen aufrichtigen Freude. Gott ist mein Zeuge, würde ich als Kreuzritter hinzusetzen. Mein Leben bekommt damit endlich einen höheren Sinn, nach dem ich mich »seit je mit unendlicher Inbrunst« – wie ihr auf der Bühne sagt! – gesehnt habe. Ich taumle wie in einem Rausch in meine erste Schlacht. »Du, du hast etwas zu bedeuten!« spreche ich mir immer vor und kann aus Freude darüber nicht mehr schlafen.
Ihr habt ja keine Ahnung, was für ein melancholischer Beruf in unserer »Jetztzeit« – Schopenhauer verzeihe mir! – es ist, ein kleiner deutscher Fürst zu sein. Jeden Morgen, wenn man mich angezogen hatte, hab' ich immer gedacht: »Eigentlich bist du schon fertig! Du solltest dich ruhig wieder hinlegen. Es hat gar keinen Zweck, daß du zwölf Stunden auf deinen Beinen herumstehst und dich und die Welt zum besten hast.« Gewiß, ich hätte auch vordem schon wie heute Soldat spielen und in Potsdam mich mopsen können, bis ich vom Skat und vom Pokern Schwielen an die Finger bekommen hätte.
Aber daß kein Ernst dabei war, das war es eben, was mir den Spaß bisher verdorben hat und mich als simpler Rittmeister von der Paradebildfläche verschwinden ließ. Soldat sein ohne Krieg ist so langweilig wie, na! wie etwa zu stehlen am Phantom oder, was dir näher liegt, zu lieben ohne Objekt. Die Sache ist mir immer trotz Kaisermanöver so sinnlos vorgekommen wie die Knallerei mit Platzpatronen. And die Bleistiftstrategen, die auf ihren Säulen so lange schrien, bis sie heiser wurden, sind meine einzige heitere Erinnerung an die Dienstzeit 1895-1900 geblieben, über deren Bilder du dich scheckig lachen wolltest. Aber jetzt, wo es Ernst geworden ist, wo jeder, selbst die gelehrtesten Tiere, Krieger werden und uns das Wasser bis an die goldenen Gardehalskragen steigt, da ist es eine Lust, sich auf seine alte Uniform zu besinnen und zu zeigen: »Im Felde, da ist der Mann noch was wert.«
Ich kenne dein Ideal von mir und erinnere mich seiner mit wehmutsvollem Lächeln, wie Fingal unter Waffen und Wunden seiner Sängergabe, jetzt, wo mir wieder die alten Hahnensporen an den Absätzen wachsen. Du träumtest mich immer als Protektor der schönen Künste in meiner kleinen deutschen Residenz, so als eine wiederholte Auflage des wirklich seligen Karl August in Duodezformat. Du könntest dabei Mademoiselle Jagemann spielen; an Intrigen und »Kabalen« sollte es nicht mangeln, und es würde dir nur noch ein Goethe fehlen, den du hinausgraulen könntest. Ach! (wieder eine alte berühmte Gehirnpause, liebes Kind!) Abgesehen davon, daß die Nähe der neuen chemischen Fabriken die musische Luft von Ferrara, die ich um meine Residenz künstlich erzeugen könnte, stark beeinträchtigen würde, abgesehen davon, daß mein fürstliches Budget usw. Also abgesehen von allen solchen äußeren Hindernissen, spricht meinerseits noch etwas höchst, allerhöchst Persönliches gegen diesen deinen Lebenstraum. (Wappne dich mit Resignation!)
Ich komme nämlich in kein rechtes inniges Verhältnis zu den Künstlern. » Present Company always excepted« sagte der Engländer. Zunächst hab' ich wie Ihro Durchlaucht, meine Mutter, die in Gegenwart von Künstlern immer wie auf Kohlen sitzt, beständig das ängstliche Gefühl: »Werden sich die Kerle auch anständig benehmen?« oder: »Jetzt fangen sie an, unmanierlich zu werden.« Und dann werd' ich in ihrer Gesellschaft eine gewisse Peinlichkeit nicht los, daß sie mich nicht ganz für voll nehmen. Meine Feudalität geniert mich vor ihnen. Der verstorbene Herzog Georg von Meiningen, der »Theaterherzog« nannten ihn meine reichsunmittelbaren Kollegen, die, nebenbei für dich bemerkt, die wirklich ernsthafte Beschäftigung mit der Kunst allesamt für unterhalb ihres Standes halten, also besagter Herzog sagte mir einmal: »Ich hätte ganz andere Karriere machen können, wenn ich nicht das Unglück gehabt hätte, als Herzog auf die Welt zu kommen!« Der Mann hat den Nagel auf den Schädel getroffen. Ein Fürst, der sich mit Kunst befaßt, hat von vornherein das volle Mißtrauen aller professionellen in artibus gegen sich. Meine Gedichtchen beispielsweise, die dir ans Herz gewachsen sind (wenn mir galanter zumute wäre, würd' ich wieder ein entzückendes, selbstverständlich ein entzückendes Wortspiel dazu machen!). Gott ja! ich finde sie auch ganz hübsch, meine Verse, warum nicht? Aber sie herauszugeben, unter meinem Namen herauszugeben, das hieße mich selbst öffentlich als liebenswürdigen oder, was heute dasselbe ist, als nichtswürdigen Dilettanten zu brandmarken. Heutzutage verlangt man volle solide »erstklassige« Leistungen, keine Spielereien.
Und so würde es mir mit allem ergehen. Das Theater, zu dem du mich immer wie die Nixe den Ritter ins Wasser locken wolltest, machen die Juden in Berlin doch besser als ich. Beim Bildersammeln würde mich jeder bessere Grubendirektor wenn vielleicht auch nicht an Verständnis (»du siehst mich lächelnd an, Eleonore!«), so jedenfalls an Kapitalkraft ausstechen. Die Musikanten werden sich in Wien wohler fühlen als in meinem Nest, wo der Gesangverein Winter für Winter abwechselnd »Die Schöpfung« oder »Die Jahreszeiten« angröhlt oder »Elias« oder »Paulus« dran glauben läßt. Und die Dichter, die etwas können, brauchen nicht mehr Fürstendiener zu sein und zu Ehren des Geburtstages einer Prinzessin oder meiner Rückkehr vom Bade den grauen Pegasus zu besteigen, der auch lieber aus der Wiese statt aus der Hand frißt.
Kurzum – ich setze dich matt, liebes Kind, Zug für Zug, wenn du nicht dabei bist! – ich kann unmöglich jetzt mehr als Karl August auf die Fürstenmaskerade kommen. Die Rolle ist vollkommen unzeitgemäß. »Aber darum brauchst du dich doch nicht gleich Knall und Fall totschießen zu lassen!« hör' ich meine Egeria seufzen. Und der Lorbeer des Diplomaten, den Ihro Durchlaucht, meine Mutter, immer um meine Schläfen träumt, will auch deinen Augen erstrebenswerter erscheinen als der Helm und der Degen, der bald mein schlichtes Soldatengrab schmücken soll, das schöner aussehen wird als das schönste Gedicht, das ich machen könnte. Bei allem Selbstgefühl und aller persönlichen Zuneigung zu meinen Fähigkeiten! Aber um unsere heutige deutsche Politik wieder zurechtzufahren, dazu halt' ich mich für nicht bedeutend genug. Wozu ich kraft erblicher Belastung auch durchaus berechtigt bin. Hört mir auf mit Bismarck! Bismarck war – wir wollen uns nichts weiß machen, der Gothaische lügt nicht! – ein Quarterone oder doch ein Terzerone. Der Vater seiner Mutter hieß Menken. Menken, nicht mehr und nicht weniger, war simpler Kabinettsrat, und dessen Vorfahren – »nie sollst du mich befragen!« Also Bismarck war ein glückliches Kreuzungsresultat. Und er wirkte total bürgerlich auf jeden, selbst auf Napoleon und Bleichröder, die recht empfindlich gegen so etwas waren.
Aber ich als reiner unverfälschter Fürst mit allen Degenerationsmerkmalen meiner abgelebten Kaste unter den Diplomaten vom Schlage Sir Edward Greys und – ihr an eurem verjüdelten Theater würdet ein »Nebbich!« einflechten! – Iswolskis? nein, was soll Saulus unter den Propheten? Ich räume ein, ich bin nicht geradezu blödsinnig, trotzdem das Assessorexamen, das man bei uns von jedem künftigen Staatslenker verlangt, ein verfluchtes Hindernisrennen für mich sein würde. Aber das ist ja eben mein Pech, daß mir, »wie mittelmäßigen Söhnen dieser Erde« (den »Hamlet« muß man uns Deutsche weiter zitieren lassen!), ein leidlicher Verstand innewohnt. Ohne ihn könnt' ich ruhig in meinem Schloß zu Simpelsingen oder Trottelhausen den Serenissimus nebst obligatem Kindermann bis zur völligen Gehirnverkalkung spielen. – Zu solchem Popanz hat ja das liebe deutsche Volk, vor dem ich eine immer größere Hochachtung bekomme, seine vielen einst so gefürchteten kleinen Herren jetzt verurteilt. Ich mag nicht prophezeien wie Wildenbruch, das edle Reis aus Hohenzollernstamm, beim Aktschluß. Aber mir ahnt manchmal, daß meine sämtlichen hohen Berufskollegen mich nicht lange überleben werden. Ich kann meinen Affen keinen Zucker mehr geben und mich meinem Ländchen zuliebe nicht langsam selber entmündigen, bis ich zur beliebten modernen Possenfigur geworden wäre, die nur mehr »Ta! – ta!« sagen kann. Ich entrinne meinem Schicksal und der Käfigaufschrift: »Sanfter Schwachsinn«, die mein Völkchen schon für mich vorbereitet.
Ich ziehe, nein, ich stürze mich geradezu in den Krieg. Drunten unter meinem Fenster, an dem ich dies schreibe, singen die Soldaten, die ins Feld marschieren, das schönste Volkslied, das wir gefühlsseligen Barbaren heute haben:
Frankreich, o Frankreich, wie wird es dir ergehen,
wenn du die deutschen Soldaten wirst sehen.
Deutsche Musketiere schießen alle gut.
Wehe, ach wehe dir, Franzosenblut!
Und mir ist bei diesem Gesang wie einem, der die Anker rasseln und die Matrosen im Mast oben jubeln hört; »Leb' wohl, alte Welt! Ich gehöre nicht mehr in dich hinein. Ich mache den Neuen Platz, ich Absterbender. Und ich tu' es gern. Ich könnte den Krieg umarmen wie Winkelried vor Wonne darüber, daß er mir diesen glorreichen Ausweg bereitet hat!«
Liebe Kleine! Nur noch wenige Worte! Sie fangen an, mir kostbar zu werden, wie dein geliebter Ferdinand sagt. Aber ich möchte ein Postskriptum vermeiden. Mein alter verschwiegener Notar wird das Weitere veranlassen. Für deinen Lebensabend ist gesorgt, so heißt doch die Trostfloskel. Tu mir den Gefallen und nutze sie aus und werde so alt, wie es dir nur eben möglich ist! Der Furcht, mir nicht mehr zu gefallen und abgeschoben zu werden wie Madame Orsina, die mit dem Dolche Fuchtelnde, bist du enthoben durch meinen Abgang. And mein Bild wird dir zulächeln, selbst wenn du so bejahrt werden würdest, wie es gemeiniglich nur der Naiven oder der ersten Balletteuse zu blühen pflegt.
» Fare thee well!« um Seine Lordschaft, meinen Vetter und jetzigen Todfeind, zu zitieren, dem der Griechenkrieg auch sehr gelegen kam. Ich bin erlöst, erlöst wie ein Wagnerscher Held. Selbst der ewigen Furcht, mich zu diskreditieren, mit der man mir alles, sogar meine kleinen kaufmännischen Versuche, verdarb, bin ich entronnen und kann dir ohne jede Gefahr (verzeih diesen Biß in die Ferse dem Fürsten!) einen solchen langen Liebesbrief (es war doch einer?) aushändigen, Ophelia.
Ich werde den Tod nicht suchen, ich werde mich nur nicht schonen, das sagt genug bei diesem mörderischsten aller Kriege. Und frei und glücklich wie nie kann ich meinen Namen unter diesen letzten Gefühlserguß setzen. Den Namen, den ich soundso oft unter die unwichtigsten Urkunden gekritzelt habe, und den ich bald zum letztenmal nur mehr für mein Grab hergeben muß: