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Jedermann war erstaunt, wie wohl ich aussah, gebräunt wie ein Seemann.
»Ich lag auch den ganzen Tag auf dem Wasser,« erklärte ich. Die Mutter ängstigte sich nachträglich und meinte, ob das nicht auch gefährlich gewesen sei, und dann schalt sie mich, daß ich so wenig geschrieben hatte.
»Was sollte ich schreiben?« entschuldigte ich mich. »Ein Tag war wie der andere, und daß es mir gut ging, haben ja meine Postkarten gemeldet; vier Stück, bedenke, jede Woche.«
»Nun, so erzähle wenigstens,« rief sie. »Irgend etwas wirst du doch erlebt haben?« Und sie begann mich auszufragen.
Da erzählte ich denn, was zu erzählen war, nur über Elske Carsten schwieg ich mich aus. Wie hätte ich das auch der Mutter beichten können? Sie hätte mich nicht verstanden, und vor ihrer reinen Seele wäre ich wie ein Sünder gewesen.
Georg wiederholte seine Vorwürfe, ich hätte ihn nur mit Karten abgespeist, und fragte nach meinem Tagebuche, das er mir zu führen anempfohlen hatte.
»Du mit deinem Tagebuch!« rief ich ärgerlich. »Das ist etwas für Backfische! Ich hab' es ehrlich versucht und ein paar Eintragungen gemacht, aber dann war's mir zuwider. Immer mich selbst beobachten und ausfragen, das halte ich nicht aus.«
Übrigens hatte ich das Tagebuch vergeblich in meinem Koffer gesucht. Ich mußte es verloren haben. Einer Eintragung wegen, die Elske betraf, war mir das freilich ärgerlich, höchst ärgerlich, im übrigen lag mir wenig an dem Verlust. Hätte man es im Hotel gefunden, so hätte man mir es nachgeschickt, wenn nicht das Zimmermädchen es sich angeeignet. Mochte es sich daran erfreuen und es mit weiteren Eintragungen füllen. Das Tagebuch eines Zimmermädchens, das wäre gewiß lustig zu lesen.
»Hast du gar nicht ein bißchen erlebt?« fragte Georg. »Warst du in Missunde? Hast du die Schanzen besucht?«
Er konnte nicht begreifen, daß mich das nicht gereizt hatte, und um ihm zu zeigen, daß ich Besseres, Wichtigeres zu tun gehabt hatte, erzählte ich ihm mein Abenteuer mit Elske Carsten.
»Das finde ich gemein!« rief er entrüstet.
»Bitte, mäßige dich,« sagte ich mit einer großen Gebärde.
»Wie würdest du es denn nennen, wenn ich dir erzählte, daß ich Tag für Tag mit einem freundlichen, dienstwilligen Mann, der noch obendrein sozial unter mir steht, in seinem Segelboot mich amüsiere und hinter seinem Rücken hingehe –«
»Erlaube,« unterbrach ich ihn. »So gehen nun solche Sachen doch nicht vor sich. Ich habe es nicht gesucht, es kam von selbst, überfiel mich, überfiel uns, denn sie war ebenso ohnmächtig dagegen wie ich. Du vergißt, daß Leidenschaft nicht rechnet noch wägt.«
»Nun, das sind deine Sachen,« sagte er. »Hast du deiner Mutter davon erzählt?«
»Natürlich nicht, welche Frage!«
»Siehst du,« triumphierte er.
Er wollte mich nicht verstehen. Ich ärgerte mich und ging verstimmt nach Hause. ›Er ist doch ein rechter Philister,‹ dachte ich. ›Ein guter Kerl, aber ein Pedant. Schon die Tagebuchmarotte und das Abklappern der sogenannten historischen Stätten. Aber das hat er von seinem Botanisieren her. Immer Staubfäden zählen, bestimmen und pressen, bis alles Lebendige heraus ist und man etwas für die Mappe hat. So ein Herbariummensch!‹
Aber recht hatte er doch, wenn ich auch tausend schöne Worte fand, mein Gewissen zu beschwichtigen. – –
»Darf ich eintreten, oder verkehrst du nicht mehr mit moralisch so tief gesunkenen Leuten?« fragte ich, als ich eine Woche darauf wieder bei Georg anklopfte.
Er lachte und sagte: »Komm nur; wenn du zu bessern bist, so ist in meiner Gesellschaft noch die meiste Aussicht dafür.«
»Du fühlst dich als Schlangenbändiger?«
»Und Teufelaustreiber!« setzte er hinzu.
»Du meinst den Rotkopf?«
»Den Rotkopf? Denkst du immer noch an den?«
»Die Haare allein! Solche Haare vergißt man im Leben nicht wieder.«
»Verrückt, sich in Haare zu verlieben!« meinte er.
»Verlieben!« rief ich. »Verlieben! Das ist es nicht. Man sieht sie eben vor sich, immer vor sich, wird sie nicht los. Wie eine Melodie, die uns im Ohre liegt und uns bis zum Wahnsinn quälen kann. So ein flammendes, geradezu sprühendes Rot! Und dann die weiße Stirn darunter. Als ob die Sonne über einem Schneefeld verblutet.«
»Saul, du rasest!« unterbrach er mich lachend. »Komm, setz' dich lieber ans Klavier und spiele etwas.«
Aber ich saß schon und raste ein paar Läufe auf und ab, während er mir Chopin aufs Pult legte. Ich spielte die A-Moll-Mazurka und dann die Cis-Moll-Polonaise. Er hörte ganz still zu und rief zum Schlusse: »So hast du noch nie gespielt!«
»Das kommt von den roten Haaren, du Philister,« knurrte ich. »Meint ihr denn, wir trügen immer eine gesalzene Begeisterung mit uns herum? Wir müssen auch einmal für frische Feuerung sorgen.«
»Neulich nach dem Hummersalat hast du ebenso schön gespielt,« sagte er trocken.
»Der war auch delikat, Mensch, danach mußte man auch schön spielen!«
Er stieß mir die Faust in den Rücken; er verstand mich aber ganz gut.
*
Zwei Tage nachher, es war an einem Sonntagmorgen, saß ich am Schreibtisch über einer Stormschen Novelle, als die Mutter mir Besuch anmeldete; es sei eine junge Dame, die sie nicht kenne. Ich bat, sie herein zu führen, und war überrascht, meine schlanke Galathee aus Borby vor mir zu sehen.
Sie war ein wenig verlegen, bat um Entschuldigung, daß sie mich störe, aber sie habe einen Fund, den sie eigentlich unterschlagen habe, persönlich in meine Hände legen und sich Verzeihung erbitten wollen, daß das erst jetzt geschehe. Sie überreichte mir ein in Papier geschlagenes Buch, das ich am Format sofort als mein vermißtes Tagebuch erkannte.
Meine fragenden Blicke veranlaßten sie, sogleich mit der Aufklärung herauszukommen. Nachdem sie damals meinen Mantel ins Hotel zurückgeschickt, habe sie am anderen Morgen das Buch auf dem Teppich ihres Zimmers gefunden, sich sogleich gesagt, daß es aus der Tasche meines Kleidungsstückes herausgefallen sei und habe neugierig, »wie wir Frauen nun einmal sind«, sich nicht enthalten können, einen Blick hineinzuwerfen. Sie habe sofort gesehen, daß es ein Tagebuch sei, und obwohl sie Verlangen gespürt, es zu lesen, habe sie sich doch sofort aufgemacht und in meinem Hotel nach mir gefragt. Da habe sie dann gehört, daß ich soeben abgereist sei. Man habe ihr meine Adresse gesagt, und sie habe es auf sich genommen, da wir in derselben Stadt wohnten, mir das Buch wieder zuzustellen. Auch sei es ihr schwer aufs Herz gefallen, daß sie damals so schnell und fast ohne Dank sich entfernt habe, und so wäre ihr die Gelegenheit nicht unwillkommen gewesen, das Versäumte bei Rückgabe des Buches nachzuholen.
So ungefähr sagte sie, mit jedem Wort freier sprechend und mit ihren großen, grauen Augen mich ohne Befangenheit, aber bescheiden und freundlich ansehend.
»Ich hätte das Buch freilich schon früher bringen sollen,« sagte sie. »Aber wir wohnten bisher weit draußen in Eimsbüttel, und ich wartete immer eine gelegene Stunde für den weiten Weg ab. Jetzt sind wir seit zwei Tagen ganz in Ihre Nachbarschaft gezogen, und da habe ich die erste freie Stunde benutzt, mein Gewissen zu erleichtern.«
Sie nannte eine Straße, die in unsere einmündete und die ich täglich zu passieren hatte. Ihr bescheidenes, aber sicheres Wesen gefiel mir. Sie trug ein schlichtes, anschmiegendes, graues Straßenkostüm, das ihre schlanke Gestalt auf das vorteilhafteste zeigte, und ein kleines Barett aus schwarzem Krimmerstoff, das freilich der Jahreszeit nicht angemessen war, ihr aber allerliebst stand. Die Elfenbeinfarbe ihres Teints erschien mir hier gebräunter, als unter den vielen gebräunten Gesichtern an der See, und ein rosiger Hauch der Wangen, vielleicht ein Zeichen innerer Erregung, machte sie sehr reizend.
Ich dankte ihr, ich hätte das Buch kaum einmal vermißt. Es täte mir leid, daß sie deswegen Mühe und nun gar Gewissensbisse gehabt hätte, und ich bedauerte nur, daß ihr keine interessantere Lektüre in die Hände gefallen war.
Sie lächelte und meinte, das, was sie sich erlaubt habe zu lesen, habe ihr schon zugesagt, sie habe nur bedauert, daß es nicht mehr gewesen sei.
Wir sprachen noch einiges über die nasse Segelfahrt und über das Leben im Bade, wobei ich nebenher erfuhr, daß sie mich bemitleidet hatte, so ganz allein in dem großen Hotel zu wohnen, und daß man mich allgemein den »Einzigen« genannt, sich aber nicht an mich herangetraut habe, weil ich stets gar so »philosophisch« einhergegangen sei.
»Bin ich das?« rief ich lachend. »Wie soll man freilich anders aussehen, als philosophisch, wenn man so ganz allein umherläuft. Man will doch gern etwas vorstellen und macht ein bedeutendes Gesicht.«
Sie erwiderte nichts darauf, sondern verabschiedete sich; sie reichte mir die Hand, eine schlanke, sehr schmale Hand, und ich begleitete sie an die Treppe.
Als ich zu meiner Stormschen Novelle zurückkehrte, ließ mich jedoch ihr hübsches Gesicht nicht ungestört, sondern tauchte immer wieder zwischen den Zeilen auf, und zuletzt schob sich ihre schlanke Anmut unvermerkt in die Geschichte hinein und lieh der Heldin ihre Gestalt und Farbe, und ich taufte sie mit deren Namen. Dieser Stormsche Mädchenname wollte mir gerade passend für sie erscheinen, obwohl sie eigentlich nichts Nordisches an sich hatte, vielmehr ein leises Fremdartiges sie umgab.
Was mochte sie zu meiner Tagebuchnotiz über Elske Carsten gesagt haben? Ob sie Elske Carsten kannte? Ob sie erraten hatte, daß diese gemeint war?
»Nun habe ich sie geküßt, meine weiße Galathee mit dem Flammenhaupt. Waren das Küsse? Ein Schauer heißester Leidenschaft war es, der über sie niederbrach. O, wie muß ich jubeln, daß ich solchen Feuers fähig bin! Wie armselig war das Lichtstümpfchen, das ich meine Liebe zu Anna nannte. Nur als Knabe, als Helenens nächtlicher Kuß mich aufschreckte, empfand ich Ähnliches. Aber da war ich duldend und so, so war es nicht, wie heute. Wie sie meine Küsse erwiderte, wie sie zitterte, wie sie in gleicher Leidenschaft brannte.
Schöner, grüner Dom, wo die blauen Gottesaugen durch deine leuchtenden Fenster auf mich niedersahen, als das Gewitter fern herübergrollte. Wie freute ich mich auf die Blitze, die herniederzucken sollten, lodernd wie das rote Feuer über ihrem weißen Gesicht.«
Wie ein einzelner, flammender Mohn zwischen kümmerlichem, bestaubtem Unkraut stand diese eine Tagebuchbemerkung zwischen den paar gleichgültigen Daten der Ankunft, des Wetters, der Mittagstafel. Was mochte sie gedacht haben, als sie so vor mir saß und ihre grauen Augen auf mir ruhten? ›Schon so alt und noch dieser Primanerüberschwang?‹
Gewiß machte sie sich innerlich über mich lustig. Ich riß die paar beschriebenen Seiten aus dem Buch, verschloß es in meinen Schreibtisch und verschwor, je wieder ein Tagebuch anzufangen.
*
Ungefähr neunzehn Jahre früher fuhr ein großer, breitschultriger Mann in den besten Jahren mit seiner kleinen Frau den Mississippi hinunter, um sich nach St. Antonio in Texas zu begeben. Es war allerlei Volk an Bord des großen Steamers, der majestätisch den breiten River von Station zu Station hinunterglitt. Größtenteils war es Landvolk, Farmer und Arbeiter, darunter manche, die ihre ganze Habe in Kisten und Bündeln mit sich führten. Zu ihnen schien eine blasse, ärmlich aussehende, junge Frauensperson zu gehören, die sich jedoch meist von der Menge absonderte und sich um ein vielleicht einjähriges Kind bemühte, das wie ein Häuflein Unglück in ihren Armen ruhte.
Jenes Ehepaar, Deutsche, hatte schon längere Zeit das kleine hilflose Wesen beobachtet, das inmitten dieser lärmenden und rücksichtslosen Schiffsgesellschaft so früh schon eine so weite Reise antreten mußte. Der Mann hatte als Militärarzt den Krieg mitgemacht, war seines Zeichens aber eigentlich Pharmazeut, und hatte somit von Berufs wegen einen schärferen Blick für allerlei Krankheiten und Schwächen, daneben aber auch ein mitleidig Herz, wie seine kleine Frau. Sie machten sich nun mit dem Kindchen zu schaffen und erfuhren, daß es von seiner großen Schwester in das Findelhaus von St. Louis gebracht werden sollte. Die Mutter sei bei der Geburt der Kleinen gestorben, der Vater sei ein armer Holzarbeiter, und Armut und Elend sei im Hause und keine Möglichkeit, dieses nachgeborene Wesen auf eine angemessene Weise zu ernähren und zu pflegen.
Voller Mitleid beugte sich der große Mann über das ängstliche Menschenkindlein und fing an, mit ihm nach Männerart zu schäkern, während die kleine Frau sich auf die Fußspitzen erhob, um doch auch etwas von dem Lächeln des kleinen verkümmerten Wesens zu erhaschen. Dieses aber, als ob es in seiner Verlassenheit das drohende Schicksal ahne, griff mit seinen Fäustchen in den blonden Bart des Mannes und krampfte sich so fest da hinein, daß sich sein Gesicht unter Schmerzen verzog und er mit den Händen zufuhr, um sich aus dieser Gefangenschaft zu befreien. Er nahm die Kleine aus dem Arm des Mädchens in die seinen und streichelte und schmeichelte, da ließ sie los und legte zutraulich ihren blonden Kopf an seine breite Brust.
»Was meinst du, Alte, wenn es sein Asyl gefunden hätte?« fragte er.
So wurde das Kindchen vor dem Findelhaus bewahrt; in St. Louis aber wurde vor dem Friedensrichter ein Adoptivvertrag unterschrieben.
Dieser Findling des Mississippi, zu einem schlanken, jungen Menschenkinde aufgewachsen, war meine grauäugige Galathee aus Borby, vor derem dunklen, ausdrucksvollen Mädchenkopf das flammende Rot von Elske Carstens Haaren allmählich erlosch.
Ziehst mit deiner stillen Kraft
Mich in deine Kreise,
Führest heft'ge Leidenschaft
Sanft in rechte Gleise.
Dämmst die trüben Fluten ein,
Daß sie klarer fließen,
Und der Sonne hellem Schein
Ihren Grund erschließen.
Alles Schöne bahnst du an,
Stärkest alles Gute,
Daß sich frei entfalten kann,
Was im Innern ruhte.
So verselte ich, und in Stunden des Zweifelns und Zagens, wenn ich sie einmal nicht gesehen hatte und mir meine Liebe als aussichtslos erschien, klagte ich:
Dunkle Weiten, nicht ein Stern,
Morgenstunde noch so fern,
Und im Herzen legt ein Flor
Deinem lieben Bild sich vor.
Schmerzlich harr' ich auf den Tag,
Da sich alles lichten mag.
Ohne Sonne, welch ein Sein!
Ohne Liebe, wie allein!
Dann aber faßte ich Mut und warb um sie. Ich sollte aber erst wie Jakob um Rahel dienen.
Die kleine Pflegemama hatte den nicht üblen Einfall, ich solle ihrer Tochter eine Zeitlang Klavierstunden geben, dabei könnten wir uns näher kennen lernen und uns vor Übereilung schützen.
Meine Schülerin war mit ganzem Eifer dabei; aber einen schlechteren Lehrer als mich hätte sie nicht finden können, denn mir war weniger um ihre Fortschritte zu tun, als um meine, die ich denn auch von Stunde zu Stunde zu machen vermeinte.
Sie hatte bereits ein wenig gespielt, und wir konnten uns mit den leichteren Liedern ohne Worte von Mendelssohn beschäftigen, die ich ihr öfter als nötig mit allem Gefühlsausdruck vorspielte.
Die kleine Mama saß dabei und strickte ihre Strümpfe, während wir, lehrend und lernend, an den Maschen unseres Liebewesens weiterhäkelten.
Der Eifer meiner hübschen Schülerin, nun aus dem Nutzen für unsere Liebe auch einen für ihre musikalische Ausbildung zu ziehen, war groß. Durfte ich daraus schließen, daß ihre Liebe der meinen nicht gleichkam, die nur mit Seufzen eine Teilung zwischen Pflicht und Neigung ertrug? Aber es war ihre Art, wie ich immer mehr erkennen sollte, alles einmal Angefangene mit Zähigkeit und Ausdauer durchzuführen. So hatte sie schon als kleines Kind, da ihre Wünsche nach Musikstunde abgewiesen worden waren, sich mit Kreide die Klaviatur auf den Tisch gezeichnet und hatte mit ihren zarten Fingern auf diesem stummen Instrument die ersten Übungen gemacht.
Bei solcher Energie und Lust wäre es ihr zu wünschen gewesen, einen weniger verliebten Lehrer gehabt zu haben. Bei mir aber taten ihre grauen Augen denselben Dienst, wie Elske Carstens rote Haare oder wie einst der Hummersalat, und Georg hatte einige Male Ursache, über die »Seele« in meinem Spiel entzückt zu sein. Ja, ich fing wieder an, zu komponieren: als Frucht dieser Liebesmonde entstand ein »Deutscher Walzer« für Klavier, den ich der Geliebten widmete und als Opus 3 veröffentlichte. Doch da war sie schon meine Braut.
Wir hatten die Weihnachtskerzen nicht verlöschen lassen wollen, ohne daß wir unseren Bund mit Kuß und Ring besiegelten. Daß ich schon vorher Logaus liebliches Rezept an meiner Galathee zu erproben versuchte, dürfte anzunehmen sein, und auch, daß solcher Versuch glückte und die Wahrheit des Sinngedichtes zu mehreren Malen glänzend dartat.
Es sollten aber Jahre vergehen, bevor wir heiraten konnten. Geschäftliche Verluste warfen den Vater meiner Braut auf die Straße und in ein langes Siechtum; Mutter und Tochter mußten sich und ihn mit ihrer Hände Arbeit ernähren; es waren nicht die geringsten Mittel zu einer Aussteuer da, und wir mußten den Wunsch auf eine eheliche Verbindung aufs ungewisse verschieben. Meine Braut wollte mir das Jawort zurückgeben, ich aber schalt: »Meinst du, ich ließe mein Honorar für die Musikstunden fahren? Wie kannst du mich für so einfältig halten!«
Sie lachte und küßte mich.
»Das sind nur kleine Abzahlungen,« sagte ich. »Die summen nicht. Warte nur, bald komme ich, den ganzen Rest einzukassieren.«
Nach vier Jahren wurde meine Rechnung honoriert. Der Geistliche, der uns traute, sprach viel von meiner Kunst, die freilich auf Harmonie beruhe, aber doch der Disharmonie nicht entbehren könne. So möchten auch bei uns gelegentliche Disharmonien nur zur höheren Ehre der Herrscherin Harmonie dienen.
Wir hielten uns umfangen und waren uns bewußt, daß unsere Neigung auf festem Grunde ruhe.
Es war eine kleine Hochzeit in engstem Kreise. Georg hielt die Tischrede.
»Da haben wir nun wieder ein Beispiel,« begann er, »ein schönes Beispiel, daß wird, was werden soll. Der liebe Bräutigam wird denken, wenn ich nicht mein Ziel so energisch verfolgt hätte, und die liebe Braut wird sagen, wenn ich nicht gewollt hätte, was dann? Ja, sie mußte eben wollen, es half nichts, und ebenso mußte er wollen und braucht sich nichts auf seine Energie zugute zu tun; die Liebe hatte sie nun einmal unter ihrem Stecken und trieb sie wie zwei Lämmlein auf ihre Weide; da sollen sie nun zusammen grasen: Viel gutes Gras, manches bittere Kräutlein, und ihre Nasen, nicht so sein, wie die der Tierlein, mit denen ich sie soeben verglich, werden nicht immer rechtzeitig unterscheiden, was gut, was schlecht schmeckt, was ihnen nährsam und dienlich und was ihnen bitter und gar schädlich ist.
Aber verlassen wir dieses Bild, sie werden solche sanfte Liebeslämmlein ja auch nicht lange bleiben, sondern sich menschlich darstellen und betragen. Da wird es denn nicht lange dauern, daß sie beide mit dem Dichter erkennen und gestehen:
Ich bin kein ausgeklügelt Buch,
Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch.
Die liebe Braut, pardon Ehefrau, kenne ich nicht so genau, um mir ein Urteil in dieser wenn auch beschränkten Öffentlichkeit über sie erlauben zu sollen; ihn aber, den jetzt so stolz dreinschauenden Jünger der Harmonie und Ehemann, kenne ich und ich weiß aus Erfahrung, daß jenes Dichterwort auf ihn zutrifft. Er, der immer für rote Haare schwärmte –«
»Nun, die roten Haare gehören auch zu den blonden,« fuhr Georg gelassen fort. »Also der Schwärmer für allerlei Blond verliebt sich plötzlich in Schwarz.«
»Bitte, dunkelblond!« unterbrach ihn meine Frau.
»Also in Pechrabendunkelblond. Ist das konsequent? Gibt das Bürgschaft für einen in sich gefestigten Charakter, dem sich ein zartes Weib in allen Stürmen des Lebens vertrauensvoll hingeben kann: Du, mein Hort, du, mein Anker!? Muß man nicht fürchten, es könne der Tag kommen, wo er zu Rot –«
»Blond!« rief ich.
»Zu Rotblond zurückkehrt und sich von dem dunklen Ehegemahl abwendet? Dem nun vorzubeugen, der jungen Frau ein Mittel an die Hand zu geben, wie sie ihn dann aufs neue an sich fesselt, habe ich hier ein Elixier mitgebracht, das ihr die besten Dienste leisten wird.«
Er zog ein Fläschchen roter Tinte hervor und stellte es mit einer Verbeugung vor meiner lachenden Eheliebsten auf den Tisch.
»Gebraucht sie dieses Elixier nicht als Färbemittel, so kann es immerhin noch Verwendung finden für seine Liebesbriefe, die er ihr sicher in Zukunft auch nicht vorenthalten wird, denn ist er auch arg schreibfaul, nicht einmal ein Tagebuch mag er ordentlich führen, so sagt uns doch eine innere Stimme, daß er sich nach und nach bessern und Tinte und Feder nicht schonen wird. Damit es auch an dieser nicht fehle, habe ich auch dafür gesorgt, und überreiche unserem jungen Ehemann diese goldene Feder zur angedeuteten Benutzung.«
Er zog eine goldene Füllfeder hervor und legte sie mit drolligem Ernst neben das Fläschchen roter Tinte.
»Und nun,« fuhr er fort, »da wir so vorgesorgt haben, wollen wir sie vertrauensvoll in die Zukunft entlassen. Der Verbleib dieser Tinte wird ein Barometer für ihre Liebe abgeben; wird sie ein Haarfärbemittel werden, wissen wir, wie es mit dem sauberen Herrn Gemahl bestellt ist. Wird sie aber in seine Liebesbriefe fließen, nun gut, er schone sie nicht, für Ersatz soll gesorgt sein. Erheben wir nun das Glas und trinken in rotem Wein das Wohl des lieben Paares. In Treue erworben, in Treue festgehalten und vom Himmel in Leid und Lust gesegnet, das walte Gott!«
Die Gläser klangen zusammen, und Georg empfing fast mehr Händedrücke für seine herzliche und schelmische Rede, als wir gerührtes Paar. Meine Mutter ging von einem zum anderen und fiel jedem bis zu Tränen bewegt um den Hals.
Und dann kam die Stunde, wo wir unser Glück ins Nest trugen. Die Mütter hatten eine bescheidene Wohnung von drei Zimmern, zwei Treppen hoch in einer stillen Seitenstraße, aufs behaglichste ausgeschmückt. Als wir nun eintraten, empfing uns die alte Aufwartefrau, die alles zum Empfang vorbereitet hatte, mit ihren Glückwünschen. Auf dem Tisch brannte die neue Lampe und beleuchtete eine Fülle unerwarteter Geschenke, die mir Schüler und Schülerinnen ins junge Ehenest gestiftet hatten.
»Wie reich wir sind!« rief mein Frauchen.
Die alte Dienerin hatte uns verlassen, wir waren ganz allein. Ganz still war es in dem kleinen Raum, unsere Herzen schlugen aneinander, und unsere Augen sahen groß und lange in das rote Licht.
Nun bist du mein! All Leid hat nun ein Ende!
Sieh! Frühling ward's und tausend Blüten sprossen.
In buntem Schmuck prangt lachendes Gelände.
Auch du, an deines Lebens erster Wende,
Wie hast so frühlingsschön du dich erschlossen.
Und mein bist du! – O, sei es ohne Zagen!
Was auch mag kommen, über alle Klüfte
Wird meine Liebe hohe Brücken schlagen,
Wird sorgsam dich auf sanftem Fittich tragen,
Wie Morgenwind der Rose süße Düfte.