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Patrouillenritt in Polen

Es war nach dem Durchbruch von Brzecziny im Dezember 1914, dass der Artilleriekommandeur Generalmajor Bober, den Hauptmann von Latour in sein Quartier im Gutshaus von Wengrzynowice bestellt hatte.

Talbot ritt hinüber und meldete sich. Der General, ein kleiner Herr, mit eingefallenen lederartigen Wangen, in einer grünen Ziviljoppe, sagte: »Sie wissen, Herr Hauptmann, dass wir bei der Division nur sehr wenig und unzureichende Kavallerie haben. Die Meldungen widersprechen einander. Ich habe Seiner Exzellenz vorgeschlagen, Sie als alten Generalstäbler loszuschicken.« Er erläuterte den Auftrag näher. Talbot sollte sogleich aufbrechen.

»Es kommt mehr oder weniger auf eine Fernpatrouille heraus, weil die Eunuchen von Kavalleristen die Russen verloren haben«, sagte Talbot eine halbe Stunde später zu seinen Offizieren. »Wer will mitreiten?«

Alle wollten mit.

»Na, Bickel, dann kommen Sie. Schulz führt solange das Manipel, und die anderen sehen zu. Ich nehme drei Mann vom Batterietrupp mit, darunter selbstverständlich Wöbke. Abmarsch in zehn Minuten!«

Eine Viertelstunde später ritt der kleine Reitertrupp in der Richtung auf Rawa über die leichtverschneiten Feldwege. Als man über die deutschen Vorposten hinausgekommen war, wurde man vorsichtig. Ortschaften wurden nach Möglichkeit umritten. Die polnischen Bauern sahen die Reiter schweigend vorüberkommen. Wenn man sie fragte, sagten sie: »Die Moskali sind gestern durchgekommen. Serr viele. Serr schlechte Menschen. Alles weggenommen.« Das hörte man immer. Kamen die Russen, so hiess es: »Germanski wczystko sabrali.« – »Die Menschen haben alles weggenommen.«

Gegen Mittag passierte man das Dorf Cerwonka. Talbot wollte ein paar Eier kaufen. Die Bauern erklärten hartnäckig »Russiki wczystko sabrali«, obwohl die Hühner umherliefen und sie die Schweine aus den Hütten quiken hörten. »Wir wollen uns mit deen Affen nicht aufhalten«, sagte Talbot. »Hören Sie das Quieken, Bickel – Suum cuique?«

»Jawohl, ich höre. Die Devise auf unserem Helm.«

»Und auf dem schwarzen Adlerorden. Dazu will ich Ihnen eine Geschichte erzählen. Passen Sie mal auf! Vor ein paar Jahren war Herr Albert Fürst von Monaco bei S. M. zu Gast, und der Kaiser hat dem Spielhöllenfürsten tatsächlich den schwarzen Adlerorden verliehen. Na, das ist seine Sache. Es steht uns nicht an, Kritik zu üben. Aber man hat den Grund gefunden, – weshalb er den Orden bekam, meine ich: weil er in Monaco suum cuique, jedem das seine, wegnimmt«.

»Au!« sagte Bickel.

»Kiderlen-Wächter sagte, er sollte Zéronissimus angeredet und à la suite der Spielleute des ersten Garderegiments zu Fuss gestellt werden.«

Am Abend kam der kleine Trupp – sie waren etwa fünfzig Kilometer geritten – auf ein völlig verlassenes Gut. Im Park war ein kleiner zugefrorener Teich. Auf dem Eise stand auf drei Beinen ein Schimmel; das vierte Bein war von einer Kugel zerschmettert. Der Hauptmann sass ab, ging auf den Schimmel zu und schoss ihm aus seinem Selbstlader eine Kugel hinters Ohr. Das Tier brach zusammen.

Dann gingen sie ins Haus, das, wie fast alle polnischen Gutshäuser, nur ein Erdgeschoss hatte. Es sah wohnlich aus und war schön eingerichtet. Da und dort schien ein Stück zu fehlen.

»Das ist nur leicht überplündert«, sagte Talbot, »da wollen wir zur Nacht bleiben. Wöbke sorgt fürs Abendbrot.«

Aber für ein Abendbrot fand sich nichts im Hause. Wöbke schickte einen der Reiter in den Hof, wo er beim sinkenden Licht die Fenster zählen musste, während Wöbke den Kopf durch jedes der Reihe nach hinaussteckte. Es zeigte sich, dass er zwei Fenster ausgelassen hatte. Darauf erfolgte erneute Untersuchung von innen, die zu keinem Ergebnis führte. Nun ging Wöbke selbst in den Hof, sah sich die betreffenden Fenster an und hiess den Reiter Steine danach werfen, während er ins Haus zurückkehrte. Und jetzt hörte er, wie die Steine hinter Schränken polternd aufschlugen. Sofort wurden die Schränke weggerückt, und triumphierend entdeckten sie die Türen zweier Speisekammern, die herrliche Vorräte in Mengen enthielten.

Nun deckte Wöbke den Tisch und brachte Büchsenhummer, Stangenspargel und andere Dinge, an die eine Stunde vorher kein Mensch gedacht hatte.

Als sie am anderen Morgen abritten, schien Wöbke beträchtlich dicker geworden. Auf Befragen gestand er, dass er einen Smoking gefunden hatte, den er bei dieser Kälte unterm Waffenrock sehr gut gebrauchen könne. »Uff Seide, Herr Hauptmann!« Ein anderer Reiter hatte einen Schafpelz erobert.

Unter Gelächter ritten sie durch den Schnee.

Sie waren auf einem Hügelrücken, als Talbot plötzlich sein Pferd anhielt und durch das Fernglas sah.

»Sehen Sie mal, Bickel, da unten, so drei Kilometer vor uns, fährt eine Kolonne. Das müssen Russen sein. Die schnappen wir!«

Bickel warf den Blick empor und bat den Himmel um gnädigen Schutz bei diesem Blödsinn. Laut sagte er: »Zu Befehl, Herr Hauptmann.«

»Sie sagen das so, als ob Sie keine rechte Lust hätten ...«

»Herr Hauptmann dürfen versichert sein ...«

»Versichern Sie lieber die Leute gegen Leben, Feuer und Einbruch nach dem Krieg. – Los! Antraben!«

Mit seinen vier Begleitern ritt er, durch das Gelände gedeckt, im Bogen, um vor die Kolonne zu kommen. Im Schutz eines Wäldchens wurde der Feind nochmals beobachtet. Es waren acht Fahrzeuge und etwa ein Dutzend Reiter. Der Führer ritt voran und sah auf seine Karte.

»Das sind arme Irre, Bickel, bleiben Sie mit Wöbke hier. Ich attackiere. Wenn die Russen schiessen sollten, geben Sie Schnellfeuer; sie werden aber nicht schiessen.«

Er preschte mit den beiden anderen Reitern los. So wie die Russen sie kommen sahen, warteten sie das »Ruki werch!« – »Hände hoch!« gar nicht ab, sondern ergaben sich.

»Stabsrittmeister Kondratenko«, sagte der Führer und überreichte Talbot seinen Säbel.

»Was soll ich damit?« erwiderte Talbot, »in Anbetracht Ihrer tapferen Gegenwehr können Sie ihn behalten.«

In den wasserblauen Augen des Ukrainers war ein mattes Lächeln. »Wir irren hier schon drei Tage umher und haben weder Nahrung, noch Futter für die Pferde«, sagte er.

Darauf löste er eine Kette von seinem Hals, an der über ein Dutzend langer merkwürdig gearbeiteter Schlüssel hingen. Talbot sass ab und ging von dem Rittmeister begleitet, zu den Wagen; sie waren aus Holz mit eisernen Beschlägen und hatten rückwärts Türen, die mit Schlüsseln geöffnet wurden. Im Innern befanden sich polierte Holzkästen, die Instrumente enthielten. Talbot behielt sich die nähere Untersuchung vor. Indessen war Bickel mit dem letzten Reiter herangekommen. Er hiess ihn, die Kolonne mit zwei Mann nach Wengrzynowice führen, während er selbst mit Wöbke weiterreiten und seinen Auftrag erledigen wollte. Als er den Rittmeister fragte, wo seine Landsleute wären, zuckte dieser die Achseln als Zeichen seiner völligen Unwissenheit und wies nur mit einer weiten Handbewegung gegen Osten.

Talbot ritt mit Wöbke auf Rawa zu. Bei dem Dorfe Mala-Wiesz stiess er auf Hofgeismarer Dragoner, die zum 11. Korps gehörten, und erfuhr von ihnen, dass sie mit den Russen Fühlung hätten. Darauf kehrte er um und ritt zurück. Kurz vor Wengrzynowice erreichte er die Kolonne wieder. Er erstattete dem General seine Meldung. Als er sie abends in seinem eigenen Quartier ausschrieb, hiess es darin: »Es gelang mir, einen Kilometer südlich vom Gute Chociwek eine russische Kolonne gefangenzunehmen, die sich nach Aussage ihres Führers, Stabsrittmeister Kondratenko, verirrt hatte. Es ist eine ophthalmologische Kolonne, das heisst das russische Kriegsministerium hat die sechs bei Zeiss im Jahre 1913 gekauften augenärztlichen Spezialwagen, die für die Armeeärzte bestimmt waren, aus Gründen der Unzweckmässigkeit zu einer Kolonne zusammengestellt, aber ohne Aerzte. Keine Division wollte diese Kolonne beim Rückzug behalten. Mannschaften und Pferde waren halb verhungert, weil sie nirgends Verpflegung erhalten hatten. Frhr. v. Latour.«

Wöbke kratzt noch heute seine Pfeifen mit ausserordentlich feinen Instrumenten aus, die sicherlich nicht zu diesem Zweck bestimmt waren.


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