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Anastasia

Es war Mitte März 1915 geworden. Rzeczyca ist ein kleines Städtchen nördlich vom Las Ronewka. Der Las Ronewka ist ein Wald, der zum Jagdschloss Spala gehört. Das beste Haus in Rzeczyca gehörte dem Arzt Dr. Edmund Tugendmann.

Talbot hatte den Veterinär Dr. Pilukeit mit den Quartiermachern vorausgeschickt. In Rzeczyca wurde parkiert.

»Wo ist mein Quartier?« fragte Talbot.

»Beim Pfarrer, Herr Hauptmann.«

»Lieber Doktor, ich werde in Ihr Quartier ziehen. Ziehen Sie in meines. Sie haben dann immer noch das zweitbeste.«

Der Doktor führte seine Hand an die Mütze. Was sollte er tun? Der Chef hatte ja mal wieder furchtbar recht.

Als Talbot bei dem Arzt in die Stube trat, standen alle Insassen des Hauses am Ofen und starrten ihn an.

»Guten Tag«, sagte er freundlich.

»Meine Hochachtung«, erwiderte Dr. Tugendmann und sah Talbot, ein wenig furchtsam lächelnd, über die dicke Nase hinweg durch seine Zwickergläser schief an.

»Na, Ihnen müssen die Russen ja nette Sachen von uns erzählt haben. Wir sind ganz ordentliche Menschen, Herr Doktor.«

»Nun, wir habben keine Furcht. Wir dachten nur, der Herr Dr. Pilukeit würde kommen, und habben nur ein Zimmer gerichtet.«

»Ich werde Ihnen keine Umstände machen. Ich brauche nur ein Schlafzimmer und einen Raum, in dem ich mit meinen Herren sprechen und essen kann.«

»Dann nemmen Sie dies Zimmer. Zu essen haben wir wennig!«

»Ist nicht nötig. Wir haben alles. Meine Leute machen alles zurecht.«

Inzwischen hatten sich die Bewohner des Hauses entfernt, nur ein schönes Mädchen von etwa dreiundzwanzig Jahren war am Ofen stehen geblieben.

»Ich bin übrigens der Hauptmann von Latour«, fuhr Talbot fort.

»Dr. Tugendmann«, stellte sich der Arzt vor, »und dies ist meine Tochter Anastasia, Medizinstudentin in Berlin.«

»So, Sie kennen Berlin?«

»Ja«, sagte Anastasia. »Und Sie habe ich auch in Berlin gesehen, im Militärkleid und in Zivil. Aber die Uniform war anders. Und oft haben Sie im Paulanerbräu an der Gedächtniskirche gespeist.«

»Die Welt ist ein Dorf.«

»So merkwürdig ist das nicht. Sie wohnten in der Uhlandstrasse, drei Häuser von mir. Morgens sind Sie oft zu der Stadtbahn gegangen, zum Savignyplatz.«

»Richtig.«

Wöbke trat ein: »Herr Hauptmann, da ist ein feiner Panje, der Herrn Hauptmann sprechen will.«

»Rin damit.«

Ein Herr in einem Persianerpelz und Persianermütze trat dienernd ein. »O Prewoschadilstwo, o Exzellenz, ich bin ruiniert.«

»Das ist sehr bedauerlich«, sagte Talbot und sah den Mann, der sich vor ihm wand, belustigt an.

»Alle Karpfen sind tott!«

»Das ist sehr bedauerlich«, sagte Talbot und »Aber was soll ich tun?«

»Können Sie Karpfen kaufen?«

»Warum nicht? Was ist damit?«

»Die Russen haben in den Karpfenteich geschossen. Alle sind tott.«

»Wem gehört der Teich?«

»Er gehört zum Las Potok.«

»Also zum Schloss Spala?«

»Akkurat, hohe Exzellenz.«

»Schön, dann werde ich die Karpfen holen lassen für meine Batterie. Ist das Krongut?«

»Akkurat, Euer Erlaucht.«

»Lassen Sie die Faxen; ich bin Hauptmann. Bezahlt wird in diesem Falle nichts. Ich lasse Ihnen aber die Entnahme von soundsovielen Zentnern Karpfen bestätigen, damit Sie gedeckt sind.«

»Das geht nicht.«

»Das ist mir völlig egal? – Und wenn Sie der Zar selber wären! Ihre Russen haben in Rominten auch nichts bezahlt.«

»Ich muss das Geld abliefern.«

»Raus damit, Wöbke! Der Herr will seine toten Karpfen doch nur für die eigene Tasche verkloppen.« Der Verwalter zog ab.

»Recht so, Herr Kapitan«, sagte der Doktor, »das ist ein ganz schlechter Mensch. Woher wissen Sie, dass er Geschäft für eigene Tasche machen will?«

»Das ist furchtbar schwer, Herr Doktor. Haben Sie schon einen Kronbeamten gesehen, der das nicht tut?«

»Schwerlich«, meinte Tugendmann.

*

Talbot liebte die Frauen nicht gerade übermässig, aber doch mehr als die Männer. Am Abend sassen er, seine Leutnants Bickel, Schulz, Kleinau und der »vierbeinige Doktor« Pilukeit mit der Familie des Arztes bei Tisch. Kleinau hatte empört zu Bickel und Schulz gesagt, es sei eine Zumutung sondergleichen, mit den Polacken, die noch dazu Juden seien, zu speisen. »Er wird noch verlangen, dass wir Matze essen.« Bickel sagte nichts; Schulz meinte, es wären doch gebildete Menschen. Dass nicht der gefüllte Fisch der Frau Doktor, sondern Anastasia der Grund zu dieser schnellen Vertraulichkeit mit den Wirten sein könnte, dachte keiner. Kleinau versuchte noch einen vorsichtigen Protest, als er Talbot in der Schreibstube traf. »Quatsch mit Sauce, mein lieber Kleener«, erwiderte dieser, »in Berlin rennen ooch Leute von der Jarde zu jüdischen oder sehr oberflächlich getauften Familien, heiraten die Töchter und lassen sich die Schulden bezahlen. Die hier sind wenigstens gebildete Menschen. Sehen Sie sich mal die Bücher an.«

»Schliesslich sind wir ja auch Einquartierung und nicht Gäste, Herr Hauptmann.«

»Das ist mir völlig egal, und ich ersuche um tadelloses Benehmen. Verstanden?«

Der Doktor erzählte Talbot, dass die Russen nach Rceczyca nicht hereingeschossen, aber ein Vorwerk und die Karpfenteiche des Gossudar getroffen hätten. Er brachte eine gelbe Masse an und meinte, es sei »Schwäffel aus Kanonenkugel«. Anastasia, die inzwischen ins Zimmer getreten war, meinte: »Papa, das ist doch kein Schwefel.«

»Wenn ich sagge Schwäffel, so ist's Schwäffel«, entgegnete der Vater erbost. Talbot, sehr belustigt von des Doktors Rechthaberei, sagte: »Vermutlich wird Ihre Tochter recht haben. Es wird Granatfüllung sein, – Pikrinsäure. Geben Sie, bitte, mal her.« Er brach ein Stückchen ab, nahm eine Ofengabel und hielt das Stück »Schwäffel« über den Leuchter.

»Gott über die Welt, Sie werden das ganze Haus in die Luft sprengen«, rief der Doktor.

Die Masse brannte ruhig ab, und Talbot erklärte dem Doktor, dass das Zeug nur durch eine Sprengkapsel detoniere.

Inzwischen waren die Offiziere eingetreten, und eine Magd brachte die Karpfen. –

In allen Quartieren gab es Karpfen. Von den acht Teichen hatten die Russen nur einen getroffen. Aber nach drei Wochen waren alle acht ausgefischt. Der geschäftstüchtige Verwalter hatte die Deutschen auf den Geschmack gebracht.

Die Batterie stand bei Roszkowa Wola in Stellung. Das Tauwetter hatte sich Anfang März in klirrende Kälte gewandelt. Die Russen lagen in stark befestigter Stellung, mehrere Etagen übereinadner. Es waren die besten Regimenter der russischen Garde, Preobraschenski, Ssemenowski, Jsmailowski. Die Deutschen griffen mit gewaltiger Artillerievorbereitung an. Talbots Batterie war dem österreichisch-ungarischen Oberst Horvath unterstellt.

Die Beobachtungsstelle lag in einem Schützengraben auf einer kahlen Höhe.

Der Kampf währte schon Tage. Am Abend ritt Talbot meist zu den Protzen nach Rzeczyca. Nachts blieb nur ein Offizier in der Stellung. Diese Abende verplauderte Talbot, wenn er mit dem Wachtmeister »regiert« hatte, – so nannte er seine Tätigkeit in der Schreibstube –, meist in der Familie des Arztes.

»Wie kommt es, Herr Baron«, meinte einmal Anastasia, »dass Sie so einen englischen Vornamen haben?«

»Meine Mutter ist Irin, und Sie wissen doch, dass der Dichter Schiller in der Jungfrau von New Orleans den sterbenden Talbot sagen lässt: 'Unsinn, Du siegst!' Daran haben meine Eltern gedacht, als sie mir den Namen gaben.«

»Aber das ist doch Unsinn!? ...«, sagte sie.

»Eben –, der Unsinn siegt.«

»Und Ihr Vatersname ist französisch?«

»Warum nicht?«

»Sie sind doch deutscher Offizier?«

»Ach, es gibt viele deutsche Offiziere mit französischen Namen, wie es auch französische Offiziere mit deutschen Namen gibt. In Russland gibt es auch deutsche Namen: Witte, Stürmer usw.«

»Ja, da haben Sie recht. Der Name sagt nicht viel.«

»O doch, er beweist, wie sinnlos eigentlich diese ganze Schiesserei in Europa ist. – Reden wir von anderen Dingen.«

*

In dem niedrigen Schützengraben, in dem die Beobachtung lag, kam ein Mann angelaufen. Er trug rote Hosen, blauen goldverschnürten Attila und eine kokette rote Mütze. Das Gesicht war rund und bartlos.

»Du gestattest«, stellte er sich vor, »Rittmeister Graf Hunyady. Befehl von Oberst Horvath, dass Du, Batteriekommandant, von der Elevation ein Bissl obzwicken mechtest. Die Portée ist zu weit!«

»Danke schön, Graf«, sagte Talbot. »Sagen Sie dem Herrn Oberst, dass ich gar nicht schiesse. Meine Leitung ist kaputt.«

»Ober, ober! – Ja, der verdammte deitsche Droht! – Servus!« sagte er und eilte wieder zurück.

»Wenn der Papagei mit dem Bitterwassernamen nur den Russen nicht die Beobachtung gezeigt hat«, meinte Talbot.

In der Tat schoss der Russe sehr bald mit Zwölf-Zentimeter-Schrapnells. Die Beobachter duckten sich, wenn sie sie durch die Luft sausen hörten.

»Buddelt, Kinder, buddelt!« rief Talbot, »das ist keine Kindervorstellung! Das sind schwere Steilfeuerschrappnägelchen!«

Es krachte, und eine Dreckfontäne wirbelte zehn Meter vom Graben hoch. Die Fernsprecher arbeiteten mit Beil und Pickel, so rasch sie konnten, in dem hartgefrorenen Boden.

Wieder Krachen und Zischen! Talbot fühlte einen Schlag auf dem rechten Unterarm; einen Augenblick lang hüllte eine gelbgraue Wolke ihn und die anderen Beobachter ein. Dann sah er sich um. Neben dem Fernsprechapparat sass regungslos der Kriegsfreiwillige Janke, das Heft zum Aufschreiben in der Hand. Eine Schrapnellkugel hatte ihm den Kopf durchbohrt. Es schien, als lächelte er ein wenig. Leutnant Kleinau wand sich in Schmerzen auf der Grabensohle. Und jetzt schrie der Gefreite Bulius laut um Hilfe.

»Es scheint, dass wir alle was abgekriegt haben«, murmelte Talbot. Er verband zunächst Bulius, der durch drei Kugeln an den Beinen verwundet war. Ihm selber lief etwas Blut über den Aermel hinunter, aber vorläufig spürte er keine Behinderung.

Kleinau, der mindestens sieben oder acht Kugeln bekommen hatte, war still geworden. »Nützt nischt mehr, Kleener«, sagte Talbot und drückte die toten Augen zu, die ihn anstarrten.

Dann versuchte er die Batterie anzurufen. Der Apparat versagte und war unbrauchbar geworden. So ging er dreihundert Meter im Graben rückwärts zurück, bis er den Oberst Horvath und seinen Stab traf.

»Meine Beobachtung ist beim Deibel, Herr Oberst. Könnte ich einmal nach meiner Batterie telefonieren?«

»Sie bluten ja selber, Herr Hauptmann.«

»Ist unbedeutend. Darf ich mal telefonieren?«

»Ober biette!«

Talbot telefonierte: »Leutnant Bickel an den Apparat!«

»Hier Bickel«, tönte es einen Augenblick später.

»Latour. Also, wir haben Dunst bekommen. Schicken Sie sofort zwei Ersatzfernsprecher und Schulz herauf; es genügt auch Offizierstellvertreter Korn. Dann zwei oder drei Tragbahren und Krankenträger. Vielleicht schickt die Abteilung den Leichenheinrich mit, den Arzt, meine ich.«

»Was ist denn passiert?«

»Kleinau und Janke tot. Bulius schwer verwundet.«

»Und Herr Hauptmann?«

»Nichts Besonderes. Nun mal zu! Schluss.«

Er zog den Mantel und den Rock aus. Es war tatsächlich nur ein leichter Schuss. Die Kugel stak gerade unter der Haut; er konnte sie mit der linken Hand leicht herausdrücken und das Verbandpäckchen anlegen. Der Graf half ihm dabei binden.

»Habt Ihr einen Kognak?«

»Ober, gerne.«

Talbot verabschiedete sich bald wieder und wanderte nach seiner Beobachtungsstelle zurück. Er dachte an Anastasia und empfand die Tatsache, dass er lebte, wie ein Geschenk.

Kurz vor Sonnenuntergang wurden Leutnant Kleinau und Janke nahe der Feuerstellung begraben. Der Arzt hatte Talbot verbunden und riet ihm dringend, einige Tage zu Hause zu bleiben. Bei dieser Kälte dürfe er mit einer offenen Wunde, und wenn sie noch so leicht wäre, nicht im Freien sein. Talbot brummte, er wollte sich's überlegen. Als er abends Fieber bekam, legte er sich zu Bett.

Doktor Tugendmann und Anastasia zeigten sich sehr besorgt um ihn. Als Wöbke am nächsten Morgen den Kaffee brachte, sagte er grinsend: »Das Fräulein Doktor lässt fragen, ob sie nach Herrn Hauptmann sehen dürfte?«

»Sag ihr, dass unser Leichenheinrich ... Ne, sag ihr nischt ... Sag ihr, es wäre sehr nett, wenn ... ach, scher Dich raus!«

Wöbke verschwand. Eine Weile später kam der Wachtmeister und brachte Papiere zum Unterschreiben. Als er wieder gegangen war, fiel Talbot in eine Art Halbschlaf. Er überhörte ein Klopfen an der Tür. Als er völlig wach wurde, stand Anastasia vor ihm. »Wie geht es Ihnen Herr von Latour?«

»Danke. Lila.«

»Lassen Sie mal sehen!«

»Ach, das ist nicht der Rede wert.«

»Das kann man nie wissen.« Sachverständig untersuchte sie die Wunde und verband sie neu. Sie erkundigte sich, ob er eine Tetanus-Spritze bekommen hätte, und mass die Temperatur. »37,8,« sagte sie, »das geht: etwas erhöhte Temperatur.«

»Ich sagte ja, es ist ein Schmarrn.«

»Sie könnten in ein Lazarett gehen und brauchten dann nicht in den Krieg.«

»Sonst noch was?«

»Warum sind Sie so grob?«

»Seien Sie nicht böse! Setzen Sie sich zu mir her und erzählen Sie etwas!«

Anastasia setzte sich und erzählte von Berlin und ihrem Studium. Nach einer Weile nahm Talbot ihre Hände in die seinen.

»Stascha!« sagte er.

»Ja, was denn, Herr von Latour?«

»Glauben Sie mir, Mädelchen, ich habe kein Wort von dem gehört, was Sie redeten.«

»Warum sollte ich dann erzählen?«

»Das weiss ich auch nicht.« Stascha schwieg. »Ich habe nur den Duft Ihrer Haare gespürt ...«

»Das ist das Fieber!« sagte Stascha. Aber sie lächelte listig. Talbot zog sie an sich.

Es waren glückliche Tage in Talbots Leben. Stascha konnte, ohne Verdacht zu erregen, in sein Zimmer kommen, da sie ihn pflegte. Wöbke allerdings stampfte sehr laut auf der Treppe und trat erst nach umständlichem Klopfen ein.

Nach fünf Tagen hielt Talbot es nicht mehr aus. Stascha musste einsehen, dass die Wunde abheilte. Am Abend kam der Befehl, dass die Abteilung am nächsten Morgen die Stellung verlassen und nach Lubochnia, fünfundzwanzig Kilometer westlich, marschieren sollte.

»Du bist doch ein Weib, das Verstand hat«, sagte Talbot zu Stascha, als er ihr davon Mitteilung gemacht hatte und sie schwieg. »Ich kann Dir nichts versprechen.«

»Was sollst Du versprechen bei dem Unterschied in Rasse, Lage und Glauben?«

»Glauben gilt nicht. Wir glauben beide nicht viel.«

»Aber die Rasse! Das würd ich nicht ertragen, wenn Du einmal im Zorn 'Du Jüdin' sagen würdest!«

»Das wird nie geschehen.«

Stascha zuckte die Achseln. »Ich glaube nichts und ich will nichts versprochen habben. Es ist Krieg.«

»Du hast recht, Gehirnmädel. Ich kann fallen. Und da ist ... noch anderes. Aber vergessen kann ich Dich nie.«

»Du redest Literatur, mein Golubschik!«

»Wirst Du mich vergessen?«

»Nein!«

»Du redest Literatur, mein Kind! Uebrigens ist das hier sonst Dein Zimmer?«

»Ja, warum?«

Talbot wies auf das Bücherbrett, »Bakumin, Tolstoi, Krapotkin, Plechanow, Przybyszewski, Marx, Lassalles Briefe ...« zählte er auf.

»Lessen Sie russisch?«

»So für den Hausgebrauch.«

»Ich kann Dir jetzt nicht saggen, vielleicht spetter!«

»Du brauchst gar nichts zu sagen, mein Kind, weder jetzt, noch spetter. Das ist alles ganz natürlich bei dem russischen System.«

»Du bist serr vernünftig für einen Bourgeois!«

»Keine Injurien, Mädel! Ich bin den Deibel ein Bourgeois!«

»Un aristocrate!«

»Eher. Krapotkin war ein Fürst, Tolstoi ein Graf. Der war übrigens ein Poseur.«

»A la lanterne!«

»Ca ira!« sagte Talbot und küsste sie.

Sie konnten sich nicht trennen. Talbot überliess es Bickel, die Batterie aus der Stellung zurückzuführen; er wollte sie in Rzeczyca, von wo aus sie geschlossen abrücken sollte, wieder übernehmen.

Diese letzte Nacht verschlief er nicht. Als Wöbke am andern Morgen die Stiefel mit Lärm und Poltern vor seine Tür gestellt und sich mit lauten Schritten wieder entfernt hatte, ging seine Tür und jemand huschte über den Flur.

Als Talbot die Treppe hinunterging, stand der Arzt vor ihm: »Meine Hochachtung, Herr Baron. Sie wollen uns verlassen?«

»Ich muss, Herr Doktor.«

»Ich wollte Sie etwas fraggen.«

Talbot nahm alle Kraft zusammen, um unbefangen zu erscheinen: »Bitte, Herr Doktor«, sagte er.

»Es ist, weggen meiner Tochter ...«

Talbot stand das Herz still. »Bitte ...«

»Was soll ich tun, dass sie in Deutschland zu Ende studieren kann?«

Talbot atmete auf. »ich werde mich erkundigen und Ihnen Nachricht geben.«

»Meinen besten Dank.«

»Ich danke Ihnen auch sehr für Ihre freundliche Aufnahme.«

»Abber ich bitte. Es warr mir eine Freude.«

Sie schüttelten einander die Hände. An der Türe erschien Leutnant Bickel, sein Gesicht strahlte. »Die Batterie steht abmarschbereit«, meldete er. »Herr Hauptmann wieder in Ordnung?«

»Ja, mein Goldfasan.« Und zum Doktor gewendet sagte er: »Addieu, Herr Doktor. Grüssen Sie Ihre Damen!«

Draussen stand Wöbke mit Maiglöckchen, die stallmutig mit den Hufen scharrte.

Talbot sass auf. Im oberen Stockwerk erschien ein bleiches Gesicht am Fenster. Talbot grüsste mit den Augen hinauf und winkte dem Doktor mit der Hand.

»Guten Morgen, dritte Batterie!« rief er.

»Guten Morgen, Herr Hauptmann!«

»Batterie aufgesessen! Zu einem – rechts brecht ab! Marsch!«

Der lange Zug rasselte und stampfte durch den nebligen Morgen.

»Herr Hauptmann sind sehr still?« meinte Bickel, als sie schweigend nebeneinander ritten.

»Hm, ja. Ich habe in Rzeczyca was vergessen.«

»Kann man es nicht holen?«

»Ich glaube nicht.«

»Was ist es denn, wenn ich gehorsamst fragen darf?«

»Ein Messer ohne Klinge, dem das Heft fehlt.«

»Das ist wohl ein Witz?«

»Ja, ein köstlicher Witz«, sagte Talbot. Dann sprachen sie über die letzten Ereignisse, von den Toten, vom Oberst Horvath und dem Bitterwassergrafen und lachten.

»Nun bekommen wir wohl auch das österreichische Verdienstkreuzl, Herr Hauptmann?«

»Vermutlich. Und Kleinau hat schon sein Grabkreuzl.«

Darauf erwiderte Bickel nichts, und sie ritten wieder schweigend auf dem schlammigen Wiesenweg der Batterie voraus und hörten nur das Stampfen und Schnauben der Pferde hinter ihnen.


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