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Pferdenachschub und ein Ueberfall

Die Verbindung mit den Oesterreichern dauerte nicht lange. Talbots Batterie wurde wieder von der Stammdivision übernommen und das Quartier nach dem Dorfe Glinik verlegt. Die österreichische Division sollte ebenfalls Spala verlassen und nach Galizien verladen werden.

Der Abschied war rührend und herzlich. Am Abend vor dem Abmarsch hatte Wöbke in der Dämmerung leise Besprechungen mit dem Wachtmeister, dem Offizierstellvertreter Korn und dem Veterinär. Bald darauf verschwand er, mit einer Anzahl Flaschen beladen, im Stall des Divisionsstabes, wo ihn der Bursche des Exzellenzherrn empfing: »Ha't, gutt, dass kumst, Brudähr. Nix zu saufen, teremtete!«

»Ick ha'n Ollen jleich ne Menge jeklaut!«

»Merkt niecht, dummes Ludähr?«

»Dumme Luder merken nie was«, sagte Wöbke grinsend.

Der Bursche der österreichischen Exzellenz trat in die Türe.

»Grautingähr! do gehts hähr!« rief der Exzellenzbursche durch die Stalltür dem Diener des Majors Grautinger zu. Der hiess zwar Pospischill, aber alle Offiziersburschen aller Länder rufen und nennen einander bei den Namen ihrer Herren.

Im Pferdestall begann eine Orgie.

Am anderen Morgen, lang ehe die Batterie aufbrach, war Wöbke mit einigen ausgewählten verschwiegenen Leuten vom Batterietrupp nach Lubochnia zum Pferdelazarett unterwegs. Sechs unbrauchbar gewordene Pferde der Batterie sollten dort umgetauscht werden.

Zwar hat noch niemals irgend jemand in einem Pferdelazarett ein brauchbares Pferd für ein abgeliefertes erhalten. Erstens kommt wirklich nur das schlechteste Pferdematerial nach den Lazaretten. Und wenn geheilte, bessere darunter sind, wo sollten die Zahlmeister und Proviantlöwen ihre Privatpferde herbekommen? Wie der leitende Veterinär sich für Büchsenschinken und Rotwein erkenntlich zeigen?

Wöbke wusste das schon lange. Die Pferde, die er seinem Chef als im Lazarett eingetauscht melden wollte, hatte er ganz wo anders besorgt.

Die Oesterreicher standen indessen in aufgeregten Gruppen im Hof. Es wurde laut hin und her gesprochen und geschimpft. Das Wort »Saupreiss« fiel wiederholt.

Endlich klopfte Major Grautinger an Talbots Türe und bat um einen »Diskursch« in einer »eisserst peinlichen Angelegenheit«.

»Bitte, Herr Major, womit kann ich dienen?«

»Uns sind, ich muss es leider sagen, heut Nacht eine Anzahl Pferd g'stohln worden. Natierlich ruht der Verdacht auf alln Truppen, die hier liegen. Da aber nur Divisionsstab und Ihre Batterie hier liegen, und nicht anzunehmen ist, dass unsere Leite ihre eigenen Pferd' stehlen, so bleibt er eben auf den Ihrigen sitzen.«

»Das werde ich sofort feststellen, Herr Major!«

»Ich bitte darum.«

Talbot ging mit dem Major nach der Schreibstube und liess durch den Wachtmeister die Batterie alarmieren.

Zehn Minuten später war alles im Hofe angetreten.

»Die Batterie ist vollzählig zur Stelle, Wachtmeister?« fragte Talbot.

»Zu Befehl, Herr Hauptmann.«

Talbot stand vor der Front. »Dem österreichischen Stabe sollen heute Nacht Pferde gestohlen worden sein. Weiss einer was davon?«

Allgemeines Schweigen.

»Ich schlage vor, Herr Major, dass Sie mit mir durch die Ställe gehen, damit wir uns gemeinsam vom Sachverhalt überzeugen.«

»Bitt schön«, sagte der Major.

Der Gang durch die Ställe blieb ergebnislos und dem Major Grautinger blieb nichts übrig als sich zu entschuldigen. Talbot war die Liebenswürdigkeit selbst. »Das könnte immer mal vorkommen, Herr Major«, sagte er, »wir stecken alle nicht in unsern Leuten. Uebrigens, wieviel Pferde fehlen denn?«

»Sechs; darunter allein zwei, die Seine Exzellenz reitet.«

»Aber doch hoffentlich nicht eigene Pferde?«

»Nein; ärarische.«

»Na, dann ist es ja nicht so schlimm.«

Als am andern Tag in Glinik, im neuen Quartier, Pferdeappell stattfand, und Talbot die sechs neuen, der Meldung nach im Pferdelazarett eingetauschten Pferde sah, verzog er keine Miene. Die Mähnen und Schwänze waren vorschriftsmässig beschnitten, der Hufbrand in Ordnung, und dass Doktor Pilukeit, der Veterinär, Blässen und etwaige Schnibben von weissen Haaren mit Jodtinktur braun gefärbt hatte, war ihm nicht gemeldet worden.

»Na, Wachtmeister, die Pferde aus dem Lazarett sehen ganz gut aus«, sagte er, als der Appell vorüber war.

»Zu Befehl, Herr Hauptmann!« Die Stimme klang nicht ganz so sicher wie sonst.

»Wenn die Luder nur von jetzt an gesund bleiben«, meinte Talbot im Weitergehen.

Sie blieben es aber nicht. Es scheint, dass unrecht Gut manchmal nicht gedeiht. Sei es, dass sie eine andere Nahrung, sei es, dass sie eine bessere Behandlung gewöhnt waren: alle sechs Pferde gingen innerhalb der nächsten Monate ein.

In Schloss Spala zog bald, nachdem die Oesterreicher abmarschiert waren, ein preussischer Korpsstab ein. In den Nebengebäuden wurde eine Sanitätskompanie untergebracht, mit der die Batterie Latour schon oft im Quartier gelegen hatte. Ihr militärischer Führer war ein Rittmeister der Landwehrkavallerie, namens Bergholz. Er war in seinem bürgerlichen Beruf Regierungsbeamter, durch und durch trockener Bürokrat und so vollkommen humorlos, dass es Talbot beständig juckte, ihm einen Possen zu spielen.

Ein anderer hatte dies schon einmal für ihn getan. Als die Division noch in der Nähe von Lodz lag, hatte der Rittmeister in Ausführung eines durch Fernspruch erhaltenen Auftrages einen Gutshof für das Höhere Kavallerie-Kommando Nr. 3, dem die Division damals unterstand, belegen wollen. Auf dem Hof befand sich der Führer der leichten Munitionskolonne, Hauptmann Schreiber. Bergholz ritt auf ihn zu und sagte, ohne sich vorzustellen: »Dieses Gut ist für das

H. K. K. reserviert«. Er sprach nur die drei Buchstaben, die Schreiber vollkommen verstand; aber er antwortete: »Bedaure, das ist schon für den H. T. L. belegt.« Auch er sprach nur diese drei Buchstaben, und Bergholz verstand sie nicht, und eben das wollte er nicht verraten. »Ja, so, dann geht es allerdings nicht«, sagte er und ritt davon.

Als er die Sache zufällig einmal vorbrachte, – das geschah viel später –, lachte der Stabsarzt Dr. Jakobsohn hell auf: »Jawohl H. T. L., – H. T. L, das heisst Hauptmann Talbot Latour, das stimmt ja.« Der Rittmeister schwieg.

Die Sanitätskompanie hatte es gut in Spala. Der weite Wildpark war voll von Hirschen, Rehen und Wildschweinen. Es gab die herrlichsten Braten. Die Ricinus-Equilibristen – so nannte Talbot die Aerzte –, waren gastfreundlich und luden gerne ein. Am Morgen des Kaisergeburtstages 1915 erhielt Talbot wieder eine telefonische Einladung zum Abendessen. Das nötige Getränk, das in letzter Zeit etwas knapp geworden, werde der Rittmeister selbst noch aus Tomaszow besorgen.

Bei diesen Worten kam Talbot eine Idee, die er zunächst mit Leutnant Bickel, dann telefonisch mit Dr. Jakobsohn besprach, mit dem er auf besonders gutem Fuss stand. Dieser, ein witziger Berliner, dem der Rittmeister gleichfalls auf die Nerven ging, war sofort einverstanden. Der Batterie waren drei oder vier Ulanen als Meldereiter zugeteilt. Zwei davon und Wöbke wurden berufen, und Talbot setzte ihnen seinen Kriegsplan auseinander. Sie mussten Russenmäntel anziehen, Kosakenmützen, die vorhanden waren, aufsetzen, und die Ulanen die schwarz-weissen Fähnlein von den Lanzen entfernen. Bickel schwärzte sich das Gesicht mit gebranntem Kork, und Talbot klebte ihm einen Bart aus Putzwolle an.

Sobald rechtzeitig ausgesandte Späher die Rückkehr des Rittmeisters aus dem Städtchen meldeten, brachen sie auf, Leutnant Bickel an der Spitze.

Durch den tiefen Schnee zwischen den Tannen kam der Wagen mit der schweren Kiste von einem Trainsoldaten kutschiert; neben ihm ritt der Rittmeister, als mit lautem, echt russischem »Urreh!« Bickels Kosaken aus dem Walde brachen.

Der Rittmeister gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte, was der konnte, nach dem Schloss davon. Es war das Gescheiteste, was er tun konnte. Der Kutscher des Wagens hob beide Hände hoch und rief laut: »Ich ergebe mich in russische Kriegsgefangenschaft!«

Die Kosaken kümmerten sich jedoch nicht um ihn, sondern bemächtigten sich schweigend – nur der Leutnant fluchte lebhaft auf polnisch – der Kiste, die sie vom Wagen hoben und nicht ohne Mühe zu einem anderen schleppten, den sie unweit des Weges bereit stehen hatten. Den Mann liessen sie ungeschoren, so dass auch er etwas später mit leerem Fuhrwerk im Schloss ankam.

Die Beute war unterdessen nach Glinik gebracht, untersucht und sortiert worden, einige Flaschen wurden den Kosaken als Lohn für den erfolgreichen Ritt überlassen – da meldete sich das Telefon. Es war der Stabsarzt.

»Denken Sie nur, meine Herren«, sagte er völlig ernst, »es besteht Kosakengefahr. Unser Rittmeister ist soeben, als er von Tomaszow kam, überfallen worden ... Wie?« fragte er ins Zimmer zurück, »Wieviel waren es? – Also, mindestens zwölf«, fuhr er fort – es waren mit Bickel vier Mann gewesen – »der Rittmeister hat zwar aus seinem Revolver auf sie Feuer gegeben, musste aber der Uebermacht weichen.«

Talbot sprach sein Bedauern über den unliebsamen Zwischenfall aus und meinte, mit der Einladung für den Abend würde es nun wohl sein Bewenden haben.

»Nein, nein«, rief der Stabsarzt, »wir erwarten Sie auf jeden Fall. Seien Sie nur vorsichtig wegen der Kosaken. Und leider haben wir nun so gut wie keinen Alkohol; denn den haben die Kerls geraubt.«

»Das macht nichts«, telefonierte Talbot zurück. »Dann bringen wir Getränke mit. Wir haben noch einigen Vorrat.«

Auf einen Pritschenwagen wurde ein altes Plüschsofa gestellt, das Talbots Unterstand zierte. Darauf setzte er sich und Dr. Pilukeit; Bickel und die anderen Offiziere sassen auf der Weinkiste und auf Klappstühlen. Sie hatten Gläser mit, die sie schon unterwegs benutzten, unter tollem Lachen und unbarmherzigen Witzen; es war eine lustige Fahrt. Als sie ankamen, gab es ein grosses Erzählen. Herren vom Korpsstab und von anderen Truppenteilen waren schon da.

Bei dem herrlichen Rehbraten wurde gemutmasst, Ratschläge erteilt, Talbot sprach erneut sein Bedauern aus, ihm wurde Dank für die Abhilfe ausgesprochen. Nur eines wunderte den Rittmeister: »Es sind genau dieselben Sorten, die ich in Tomaszow besorgt habe!«

»Nun, daran ist doch nichts Wunderbares«, meinte Talbot, »die Marketenderei in Tomaszow hat keine grosse Auswahl.«

Man wurde vergnügter, und sowie da und dort am Tisch geflüstert und leise erzählt wurde, nahm die Heiterkeit zu. Endlich schlug Talbot ans Glas und hielt eine Rede, in der er die ganze Gefährlichkeit dieses Ueberfalls hervorhob, der es auf die deutschen Weinbestände abgesehen hatte, und nicht genug Bewunderung für den Mut des Rittmeisters aussprechen konnte, der sich gegen eine halbe Sotnie Kosaken, denn soviel müssten es seiner Ueberzeugung nach mindestens gewesen sein, mit dem Revolver gewehrt und sich offenbar, immer fechtend, bis hierher durchgeschlagen hatte. Zu bedauern sei allerdings, dass er den armen Burschen im Stich lassen musste, den die blutdürstigen Schufte leicht hätten massakrieren können, wenn sie es nicht eben nur auf den Alkohol abgesehen hätten. Da aber der brave Trainsoldat gerettet worden und er, Talbot, mit dem gleichen Wein hätte aufwarten können, tue auch das nichts. Und so bat er denn alle Anwesenden, auf die Kosaken ... »Pardon, auf den Rittmeister Bergholz, der uns, Gott sei Dank, erhalten geblieben, ein donnerndes Hoch auszubringen! Er lebe, Hurra! Hurra! Hurra!«

Bergholz liess alles über sich ergehen. Die endlosen Hurras und das schallende Gelächter, in das die immer zahlreicheren Eingeweihten ausbrachen, machten ihn schliesslich stutzig. Aber wie beim »H. T. L.«, stellte er auch in diesem Fall keine Frage, weder jetzt, noch später.

Als Talbot gegen morgen den Pritschenwagen erkletterte und sich auf dem roten Sofa zurechtsetzte, sagte er: »Zwölf Kerle in Steifleinen und fünf in grünem Taft ...!«

»Ach Gott, morgen gibt es Dunst – der Chef redet Shakespeare!« stöhnte Bickel.


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