Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.

Worin die seltsame Katastrophe des vorhergehenden Abenteuers berichtet wird, die den armen Adams in neue Unfälle verwickelt; ingleichem, wer das Frauenzimmer war, die seinem siegreichen Arme die Erhaltung ihrer Keuschheit verdankte.


Das arme Mädchen wurde immer ängstlicher in Folge von Adams Stillschweigen an dem einsamen Ort und in der finstern Nacht; sie begann in ihrem Befreier einen eben so großen Feind zu fürchten, als der gewesen war, von dem er sie errettet hatte, und da es viel zu dunkel war, als daß sie des Pfarrers Alter und den gutherzigen Ausdruck seiner Züge hätte erkennen können, so argwöhnte sie, er habe es mit ihr gemacht, wie manche äußerst brave Leute mit ihrem Vaterland, welches sie aus den Händen eines Räubers befreien, um es selbst zu berauben. Solche schlimme Gedanken flößte ihr sein Stillschweigen ein, aber ganz ohne Grund. Er stand vor dem besiegten Gegner, weißlich bei sich selbst die Einwurfe prüfend, die gegen beide im vorigen Kapitel erwähnte Methoden vorgebracht werden konnten, bald auf diese bald auf jene Seite sich neigend; denn jede derselben schien ihm so sehr in gleichem Grade rathsam und zugleich gefährlich, daß er vermuthlich seine Tage, wenigstens zwei oder drei derselben, auf dieser Stelle hätte zubringen können, ohne zu einem Entschluß gelangt zu sein. Endlich blickte er empor, und erspähte in einiger Entfernung ein Licht, auf das er sogleich zurief: » Heus tu Wanderer, heus tu!« Er vernahm mehrere Stimmen, und bemerkte, daß sich das Licht ihnen nähere. Man hörte jetzt viele Personen lachen, singen und schreien, worüber das Frauenzimmer einige Furcht bezeigte (denn ihr Mißtrauen gegen den Pfarrer selbst hatte sie nicht laut werden lassen), aber Adams sagte: »Fasse Muth, mein Kind, und vertraue derselben Vorsehung, die Dich bisher beschützt hat, und nie die Unschuld verlassen wird« – Die Menschen, die sich jetzt näherten, waren nichts anders, Leser, als ein Trupp junger Bursche, die in diesem Gebüsch sich eine Unterhaltung machten, welche sie den »Vogelschlag« nennen. Wenn Du nicht weißt, was dies ist, (was vielleicht der Fall sein dürfte, wenn Du nicht über Kensington, Islington, Hackney oder die Boraugh hinausgekommen bist,) so will ich Dir berichten, daß man ein weites Vogelnetz vor eine Laterne hält, und zugleich an den Busch klopft, denn die aus ihrer Ruhe aufgestörten Vögel fliegen sogleich auf das Licht zu, und verwickeln sich so in das Netz. Adams theilte Jenen sofort mit, was hier vorgefallen war, und bat sie, das Gesicht des Menschen auf der Erde mit der Laterne zu beleuchten, indem er fürchte, ihn tödtlich getroffen zu haben. Seine Besorgnisse wurden jedoch bald beseitigt, denn obgleich sein Gegner durch den zuletzt erhaltenen Stoß betäubt worden, war er doch schon lange wieder zur Besinnung gekommen, und hatte, da er sich von Adams frei fand, dem Gespräch zwischen diesem und dem jungen Frauenzimmer aufmerksam zugehorcht. Er wartete ungeduldig auf ihre Entfernung, damit er sich ebenfalls davon machen könne, indem er nicht länger Hoffnungen hegte, seine Begierden befriedigen zu können, die überdem durch Herrn Adams so vollständig abgekühlt waren, als es durch das junge Frauenzimmer selbst nur immer hätte geschehen können, wenn er seinen äußersten Zweck erreicht hätte. Dieser Bursche, dem es nicht an Geistesgegenwart fehlte, glaubte jetzt eine bessere Rolle als die eines Todten spielen zu können; sobald ihm daher mit der Laterne in das Gesicht geleuchtet wurde, sprang er auf Adams zu und rief: »Nein Bösewicht ich bin nicht todt, obgleich Du und diese schändliche Dirne nach allen den unmenschlichen Grausamkeiten, die ihr an mir ausgeübt, es wohl geglaubt haben mögt.« »Ihr Herren,« fuhr er fort, »zur günstigen Stunde seid ihr einem armen Reisenden zu Hülfe gekommen, der sonst von diesen beiden abscheulichen Menschen beraubt und ermordet worden wäre. Sie haben mich von der Straße ab hierher gelockt, und mich so gemißhandelt, wie Ihr seht.« –

Adams wollte antworten, als einer der jungen Bursche rief: »Hol Euch der Henker, laßt uns die Beiden vor den Richter führen.« – Das arme Mädchen zitterte und bebte, und Adams erhob seine Stimme, aber vergebens. Drei oder vier bemächtigten sich seiner, und als einer sein Gesicht mit der Laterne beleuchtete, stimmten sie sämmtlich darin überein, sie hätten in ihrem ganzen Leben keine boshaftere Physiognomie gesehen; ja eines Advokaten-Schreiber, der sich unter der Gesellschaft befand, erklärte, daß er sich deutlich erinnere, denselben Bösewicht schon auf der Bank der Angeklagten bemerkt zu haben. Da des Frauenzimmers Haar sich während des Ringens aufgelöst und verwirrt, und ihr die Nase heftig geblutet hatte, so konnte man nicht unterscheiden, ob sie schön oder häßlich war, aber man erklärte ihre Furcht für einen hinlänglichen Beweis ihrer Schuld. Man durchsuchte ihre so wie Adams Taschen nach Geld, indem der Bursche, der den Angriff auf das Mädchen gemacht, beraubt zu sein vorgab, und als man in deren Tasche einen Geldbeutel mit einigen Goldstücken fand, welche der Bursche als sein Eigenthum eidlich zu bekräftigen sich erbot, erklärte man ihr Verbrechen außer allem Zweifel. Bei Herrn Adams fand man nur einen Penny; doch der Schreiber bemerkte: »Eben dies lasse vermuthen, daß er schon lange das Handwerk treiben müsse, da er listiger Weise die ganze Beute dem Frauenzimmer zugesteckt habe,« welchem Ausspruch die Andern sofort beistimmten. Da ihnen dieser Vorfall mehr Unterhaltung versprach, als der Vogelschlag, so gaben sie diesen auf, und beschlossen einstimmig, die Verbrecher vor den Friedensrichter zu führen. Als sie vernahmen, was für ein höchst gewaltthätiger Mensch Adams sei, banden sie ihm die Hände auf den Rücken, und nachdem sie ihr Vogelnetz in einem Busch versteckt, ließen sie Einen mit der Laterne vorangehen, nahmen die beiden Gefangenen in die Mitte, und traten ihren Marsch an. Adams unterwarf sich nicht allein geduldig seinem Schicksal, sondern bemühte sich auch seine Unglücksgefährtin zu trösten und zu beruhigen.

Unterwegs belehrte der Schreiber die Andern, wie einträglich dieses Abenteuer für sie ausfallen werde, indem sie insgesammt für das Einfangen der Verbrecher zu einem verhältnißmäßigen Antheil an einer Belohnung von achtzig Pfund Sterling berechtigt seien. Dies veranlaßte einen lebhaften Streit über den Antheil, den Jeder an dem Einfangen genommen; indem der Eine die größere Summe verlangte, weil er zuerst an Adams Hand gelegt, ein Anderer, weil er zuerst mit der Laterne dem Manne auf der Erde ins Gesicht geleuchtet, wodurch, sagte er, das Ganze an den Tag gekommen sei. Der Schreiber begehrte für seinen Rath, die Gefangenen zu visitiren, und vor den Friedensrichter zu führen, vier Fünftel der ganzen Prämie, und behauptete, nach strengem Rechte gebühre ihm eigentlich das Ganze. Endlich ergaben sie sich darin, ihre respectiven Ansprüche einer ferneren Entscheidung zu überlassen, schienen aber Alle darin übereinzustimmen, der Schreiber sei allerdings wohl zu der Hälfte der Prämie berechtigt. Dann überlegten sie, welcher Antheil dem jungen Burschen zukommen möge, der während des Vorgangs nur das Vogelnetz gehalten hatte. Er selbst bemerkte sehr bescheiden, »er mache sich zwar nicht auf einen allzu beträchtlichen Antheil Rechnung, aber er hoffe, sie würden ihm doch wenigstens etwas zukommen lassen; denn sie mochten berücksichtigen, daß sie selbst ihm das Vogelnetz anvertraut, und ihn dadurch verhindert hätten, eben so eifrig wie irgend ein Anderer über die Räuber (denn so wurde das unschuldige Paar genannt) herzufallen; hätte er übrigens das Netz nicht halten müssen, so wär's von einem andern geschehen, indeß werde er sich mit dem kleinsten Antheil begnügen, und auch diesen mehr ihrer Güte als seinem Verdienst anrechnen.« Sie schlossen ihn jedoch Alle einmüthig von aller Theilnahme gänzlich aus, und der Schreiber insbesondere schwur: »wenn sie ihm auch nur einen Schilling gäben, so möchten sie mit dem übrigen thun, was sie wollten; er wenigstens wolle dann mit der Sache weiter nichts zu schaffen haben.« Der Streit ward so hitzig, und nahm Aller Aufmerksamkeit so gänzlich in Anspruch, daß ein gewandter schlauer Spitzbube an Adams Stelle Sorge getragen haben würde, den Friedensrichter in jener Nacht nicht mehr zu stören. Es hätte in der That nicht der Kunstgriffe Shepherds bedurft, um hier zu entrinnen, zumal da die Dunkelheit der Nacht dabei nicht wenig zu Statten gekommen sein würde; doch Adams verließ sich mehr auf seine Unschuld als auf die Schnelligkeit seiner Beine, und ohne an Flucht (welche leicht war) oder an Widerstand (den er unmöglich gegen sechs rüstige junge Bursche, jenen Bösewicht abgerechnet, der ihn fälschlich angeklagt, wagen konnte) zu denken, schritt er mit vollkommener Ergebung in sein Schicksal auf dem Wege einher, den sie ihn zu führen beliebten.

Unterwegs ließ er nur dann und wann Ausrufungen hören, und als er sich an den armen Joseph Andrews erinnerte, konnte er nicht umhin, sich dessen Namen entschlüpfen zu lassen, welchen kaum seine Unglücksgefährtin vernommen, als sie mit einiger Heftigkeit rief: »Wahrhaftig, diese Stimme sollte ich kennen; sind Sie nicht Herr Abraham Adams?« – »Ja, wohl mein Kind,« sagte er, »das ist mein Name; aber auch Deine Stimme glaube ich schon irgend wo gehört zu haben.« – »Ja Sir,« sprach sie, »erinnern Sie sich denn nicht mehr der armen Fanny?« – »Wie Fanny, Du bist's,« entgegnete Adams, »gewiß erinnere ich mich Deiner; was in aller Welt führte Dich denn hierher?« – »Ich hab's Ihnen schon gesagt, Sir,« versetzte sie, »ich wollte nach London; aber sie sprechen ja, meine ich so eben, den Namen von Joseph Andrews aus; bitte, was ist mit ihm?« – »Ich verließ ihn diesen Nachmittag;« erwiederte der Pfarrer, »er fährt mit der Landkutsche nach unserm Dorf, wo er Dich aufsuchen wollte.« – »Mich aufsuchen? O Sie scherzen wohl nur, Sir,« antwortete Fanny; »was sollte er denn bei mir?« – »Kannst Du das noch fragen?« – erwiederte Adams, »ich hoffe, Fanny, Du bist nicht unbeständig, wenigstens verdiente er etwas besseres um Dich.« – »Ei, Herr Adams, sagte sie, was geht mich Herr Joseph an? Ich weiß gewiß, ich habe im Leben noch kein Wort mit ihm gewechselt, außer was Dienstboten untereinander zu sagen haben.« – »Das thut mir leid zu hören,« versetzte Adams, »einer tugendhaften Liebe zu einem jungen Mann hat sich kein Mädchen zu schämen. Entweder sagst Du mir nicht die Wahrheit, oder Du meinst es mit dem guten Joseph nicht ehrlich.« – Hierauf erzählte Adams ihr, was im Wirthshause vorgefallen war, wobei sie sehr aufmerksam zuhörte, und trotz ihrer Bemühungen, sich nicht zu verrathen, manchen Seufzer entschlüpfen ließ, auch konnte sie sich einer Menge Fragen nicht enthalten, die jeden andern wie Adams, der niemals tiefer in das Herz eines Menschen schaute, als man ihm hineinzublicken gestatten wollte, von der Wärme einer Liebe überzeugt haben würde, welche sie so sorgsam zu verbergen suchte. Eigentlich verhielt sich die ganze Sache so: Das arme Mädchen hatte kaum durch die Bedienten der Equipage, welche, wie wir früher berichteten, vor jenem Wirthshaus hielt, während der arme Joseph an seinen Wunden darnieder lag, von seinem Unfall gehört, als sie die Kuh, welche zu melken sie eben beschäftiget war, stehen ließ, und nachdem sie ihre Kleider in ein Bündel gepackt und unter den Arm genommen, so wie alles Geld, das sie besaß, zu sich gesteckt, ohne Jemanden ein Wort zu sagen, sich sofort aufmachte, um einen jungen Mann aufzusuchen dem sie, trotz ihrer verschämten Zurückhaltung gegen den Pfarrer, mit unaussprechlicher, doch zugleich mit der reinsten und zartesten Liebe ergeben war. Da nun diese Verschämtheit, wie wir hoffen, das junge Mädchen allen unsern Leserinnen empfehlen, und diejenigen unserer Leser, die mit dem jüngern Theil des schöneren Geschlechts genauer bekannt sind, nicht befremden wird, so wollen wir uns nicht weiter bemühen, deren Gründe zu entwickeln.


 << zurück weiter >>