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Worin der Hausherr seine Lebensgeschichte erzählt.
»Sir, ich bin von guter Herkunft; meine Erziehung war dieser gemäß, und auf der öffentlichen Schule, die ich besuchte, brachte ich's so weit, daß ich das Lateinische vollkommen, und das Griechische so ziemlich inne hatte. In meinem sechszehnten Jahre ward ich durch meines Vaters Tod mein eigener Herr. Er hinterließ mir ein nicht allzu beträchtliches Vermögen, über das ich jedoch nach seiner Bestimmung erst nach zurückgelegtem fünfundzwanzigsten Jahre verfügen sollte, denn er behauptete stets, dies sei noch immer früh genug, um Jemanden die Leitung seiner Angelegenheiten gänzlich zu überlassen. Da er indeß diesen seinen Willen im Testament so dunkel ausgedrückt hatte, daß die Rechtskundigen mir riethen, gegen meine Vormünder aufzutreten, so zeigte ich, wie ich nicht leugnen kann, so wenig Achtung für die mir übrigens wohlbekannten Gesinnungen meines verstorbenen Vaters, daß ich ihrem Rath folgte, und den Prozeß bald gewann, denn die Testamentsvollzieher stellten mir ihrerseits keinen hartnäckigen Widerstand entgegen.« –
»Um Verzeihung, Sir,« unterbrach ihn hier Adams, »darf ich so frei sein, nach Ihrem Namen zu fragen?« – Jener erwiederte, er heiße Wilson und fuhr dann fort: »Nach dem Tode meines Vaters blieb ich nur noch kurze Zeit auf der Schule; denn ich konnte es kaum erwarten, mich in das Treiben der Welt zu werfen, in der ich durch Talente, Kenntnisse und Verstandsreife mich geeignet glaubte, eine Rolle spielen zu können. Diesem frühen Eintritt in das Leben ohne einen Führer schreibe ich nun alle meine spätern Unglücksfälle zu; denn außer den augenscheinlich damit verbundenen Nachtheilen giebt es einen, den man nicht so allgemein beachtet hat. Der erste Eindruck nämlich, dem wir auf die Menschen machen, ist äußerst schwer zu vertilgen; welches Unglück also, unsern Ruf zu einer Zeit zu gründen, da wir noch nicht erwägen können, wie viel für die Zukunft davon abhängt, und wie verderblich unüberlegte Handlungen auf unser ganzes späteres Leben einwirken können.
»Noch nicht ganz siebzehn Jahr alt, verließ ich die Schule, und ging mit nicht mehr als sechs Guineen in der Tasche nach London. – Eine in meinen Augen damals beträchtliche Summe, die ich freilich später so bald ausgegeben zu haben erstaunt war.«
»Mein Ehrgeiz strebte nach nichts mehr, als den Ruf eines Mannes von feinem Ton zu erlangen, und die ersten Erfordernisse dazu waren meiner Einsicht nach bei einem Schneider, einem Perrückenmacher und einigen andern Handwerksleuten zu erlangen, die sich mit der Ausstattung des menschlichen Körpers beschäftigen. Trotz der Ebbe in meinem Geldbeutel fand ich leichter bei ihnen Credit, als ich erwartet hatte, und war bald meinen Wünschen gemäß ausstaffirt. Ich muß gestehen, daß mich jene Bereitwilligkeit damals angenehm überraschte, doch seitdem habe ich mich überzeugt, daß es unter vielen Handelsleuten in den modischen Bezirken der Hauptstadt gebräuchlich ist, so viel als möglich an den Mann zu bringen, so hoch als möglich anzuschreiben, und sobald als möglich in das Schuldgefängniß bringen zu lassen.
»Hierauf dachte ich an die übrigen Eigenschaften, die ich mir nöthig glaubte, nämlich Tanzen, Fechten, Reiten und Musik, doch da deren Erwerbung Geld und Zeit erforderte, so tröstete ich mich, was das Tanzen betraf, damit, daß ich in meiner frühern Jugend ein wenig davon gelernt hatte, und in einer Minute mich anständig genug zu bewegen wußte; das Fechten zu lernen hielt ich für überflüssig, da ich glaubte, ein freundliches und höfliches Benehmen werde mich vor der Gefahr eines Zweikampfes schützen; vom Reiten hoffte ich, es würde nicht verlangt werden, und in der Musik sei leicht Ruf eines Kunstverständigen zu erwerben, denn ich hatte einige meiner Mitschüler, die weder singen noch ein Instrument spielen konnten, über Opern sich Urtheile anmaßen hören. – In Gesellschaften Zutritt zu suchen, schien mir ein anderes Erforderniß zu sein; dazu glaubte ich durch den häufigen Besuch öffentlicher Versammlungsorte zu gelangen. Ich zeigte mich daher fortwährend überall, und lernte wirklich auf diese Weise die modischen Phrasen, und die Namen und Gesichter der Herren und Damen, die am meisten im Ruf des guten Tons standen, so ziemlich kennen. Nichts schien mir jetzt mehr zu fehlen, als eine Liebesintrigue, die ich denn auch unverzüglich einzuleiten beschloß – das Gerede davon nämlich, und es glückte mir damit wirklich so, daß ich in sehr kurzer Zeit ein halbes Dutzend Intriguen dieser Art mit den schönsten Damen in der Stadt hatte.«
Bei diesen Worten holte Adams einen tiefen Seufzer, und rief: »Gerechter Himmel? Was für verderbte Zeiten!« – »Nicht so verderbt, als Sie glauben,« fuhr der Erzähler fort, denn ich versichere Sie, ich könnte nicht das Gegentheil beweisen, wenn man behaupten wollte, jene Damen seien alle Vestalinnen gewesen. Der Ruf, eine Liebes-Intrigue mit ihnen zu haben, war Alles, was ich suchte und wozu ich gelangte, und vielleicht täuschte ich mich auch darin, denn sehr wahrscheinlich wußten die Personen, denen ich die angeblich erhaltenen Liebesbriefe zeigte, so gut wie ich, daß sie nicht echt seien, und ich sie an mich selbst geschrieben habe.« – »Briefe an sich selbst zu schreiben!« – rief Adams, vor sich hin starrend. – »O Sir,« erwiederte jener, »dies ist ein eigenthümlicher Fehler unserer Zeiten. Die Hälfte unserer neuesten Schauspiele bieten jedesmal einen solchen Charakter dar. Es ist unglaublich, welche Mühe ich mir gegeben, welche abgeschmackte Mittel ich angewendet habe, um den guten Ruf vornehmer Damen zu verletzen. Sprach ein Anderer von irgend einer mit Begeisterung, so war ich gleich mit einem »Die da! – nun wir werden sie bald bei H – s haben,« bei der Hand. Antwortete denn Jener, er habe sie für tugendhaft gehalten, so entgegnete ich: »Ja, Du wirst jede für tugendhaft halten, bis sie auf der Straße feil ist, aber Ihr und ich, Jack und Tom (wobei ich mich an Andere in der Gesellschaft wendete), Ihr und ich, wir wissen's wohl ein Bischen besser.« – Dann zog ich wohl ein Papier aus der Tasche, vielleicht eine Schneiderrechnung, und küßte es mit dem Ausruf: »Beim Himmel, einst liebte ich sie zärtlich!« –
»Fahren Sie fort, wenn ich bitten darf, aber schwören Sie nicht mehr,« – sagte Adams.
»Sir,« fuhr der Erzähler fort, »ich bitte um Entschuldigung. Gut, Sir, diese Lebensweise setzte ich drei Jahre lang fort.« – »Welche Lebensweise?« unterbrach ihn Adams; »ich erinnere mich nicht, daß Sie etwas davon erwähnt haben.« – »Ihre Bemerkung ist richtig,« erwiederte Jener lächelnd, »ich hätte vielmehr sagen sollen: Diese Art und Weise, nichts zu thun. Es fällt mir dabei ein, daß ich einige Zeit darauf die Beschäftigungen eines Tages aufgeschrieben habe, was, so viel ich weiß, ebenso gut für jeden der übrigen gelten kann. Ich will versuchen, es Ihnen zu wiederholen. Des Morgens stand ich auf, nahm einen dicken Stock, warf mich in meinen grünen Flaus, und wanderte, das Haar in Papillotten geschlagen, (Adams seufzte) bis etwa zehn Uhr in der Stadt umher; dann in die Versteigerung, sagte der Lady A –, sie habe sich nicht gewaschen; lachte ausgelassen über etwas, das der Kapitän B – sagte, das ich aber nicht verstehen konnte, flüsterte dem Lord C – einige Worte zu; verbeugte mich gegen den Herzog von D – und wollte mich schon gelüsten lassen, auf eine Schnupftabaksdose mitzubieten, that es aber doch nicht, aus Besorgniß, sie möchte mir zugeschlagen werden.
»Von 2 - 4 kleidete ich mich an.« (Adams seufzte.)
»Von 4 - 6 gespeist.« (Adams seufzte.)
»Von 6 - 8 Kaffeehaus.«
»Von 8 - 9 Schauspiel zu Drurylane.«
»Von 9 - 10 Lincolns-Inn-Fields.«
»Von 10 - 12 Assemblee.« (Adams seufzte überlaut). »Nirgends begab sich etwas, das der Erwähnung werth wäre.«
Hier rief Adams mit einiger Heftigkeit: »Sir, ein solches Leben ist unter dem des Thiers, ja kaum über dem der Pflanze, und ich begreife nicht, was einen Menschen von Ihrem gesunden Verstande dazu verleiten konnte.« – »Was uns zu mehr Thorheiten verleitet, als Sie glauben,« antwortete Jener – »Eitelkeit; denn so ein verächtliches Geschöpf ich damals war, – und ich versichere Sie, Sie selbst können einen solchen Elenden nicht tiefer verachten, als ich jetzt, – so war ich doch damals der Gegenstand meiner eigenen Bewunderung, und hätte auf einen Mann in Ihrem gegenwärtigen Aufzuge (verzeihen Sie mir) mit Hochmuth herabgesehen, wäre auch alle Ihre Gelehrsamkeit, und die trefflichen Eigenschaften, die ich an Ihnen wahrnehme, in ihm vereinigt gewesen.« – Adams verbeugte sich und bat ihn fortzufahren.
»Nachdem ich zwei Jahre diese Lebensweise fortgesetzt, begab sich etwas, das mich nöthigte, eine Aenderung zu treffen. Eines Tages, als ich in St. James Kaffeehause mir mit dem Ruf einer vornehmen jungen Dame einige kleine Freiheiten erlaubte, fand ein anwesender Gardeoffizier es für gut, mich Lügen zu strafen. Ich antwortete, ich könne mich irren; meine Absicht aber sei, weiter nichts als die Wahrheit zu sagen. Hierauf erwiederte er mir durch ein verächtliches Lächeln, aber von dieser Zeit an bemerkte ich eine auffallende Kälte in dem Benehmen aller meiner Bekannten gegen mich; keiner redete mich an, und kaum daß einer meinen Gruß erwiederte. Die Gesellschaft, mit der ich zu speisen pflegte, nahm mir meinen Platz, und binnen acht Tagen fand ich mich in St. James so verlassen, als sei ich in einer Wüste gewesen. Ein ältlicher Herr, mit großem Hut und langem Degen, sagte mir endlich, er fühle Mitleiden mit meiner zarten Jugend, und er wolle mir daher rathen, der Welt zu zeigen, daß ich kein solcher Schuft sei, als man meine. Anfangs verstand ich ihn nicht, er erklärte sich aber deutlicher, und sagte mir zuletzt, wenn ich an den Capitän eine Ausforderung schreiben wolle, so werde er aus reiner Christenliebe damit zu ihm gehen.« – »Das nenne ich mir Christenliebe!« rief Adams. – »Ich erbat mir,« fuhr Jener fort, »bis zum nächsten Tage Bedenkzeit, und kehrte in meine Wohnung zurück, um die Folgen von beiden Seiten reiflich zu erwägen. Einerseits sah ich, daß ich Gefahr liefe, entweder mein Leben zu verlieren, oder einem Manne, gegen den ich nicht den mindesten Groll hegte, das Seinige zu nehmen, und die Vortheile, die sich mir von der andern Seite darboten, konnten dagegen gar nicht in Betrachtung kommen. Ich beschloß daher, das Stadtviertel, worin ich wohnte, zu verlassen, und miethete mich in der Nähe des Temple ein. Hier machte ich binnen kurzem neue Bekanntschaften, die von dem, was mir begegnet war, nichts wußten. Diese Herren waren freilich nicht zu sehr nach meinem Geschmack; denn die Stutzer des Temple sind kaum der andern Schatten, sind die Affectation der Affectation, und deßhalb ist ihre Eitelkeit wo möglich noch lächerlicher, als jene. Hier fand ich Lebemänner, die mit Lords zechten, welche sie nie gekannt, mit Damen Liebes-Intriguen hatten, welche sie nie gesehen hatten. Covent-Garden war jetzt der höchste Schauplatz meines Ehrgeizes, wo ich in den Logen der Schauspielhäuser mir ein Ansehen gab, Apfelsinenverkäuferinnen den Hof machte, und auch als Theaterrezensent mich versuchte. Dieser Laufbahn wurde bald von einem Wundarzt Einhalt gethan, der mich von der Nothwendigkeit überzeugte, mich vier Wochen lang auf mein Zimmer zu beschränken. Da ich während dieser Zeit Muße zum Nachdenken hatte, so beschloß ich, allen fernern Umgang mit Stutzern und lustigen Brüdern jeder Art aufzugeben, und wo möglich jede Gelegenheit zu vermeiden, die noch einmal einen solchen Hausarrest über mich verhängen könne.« »Ich denke,« fiel Adams ein, »der Rath, einen Monat der Einsamkeit und dem Nachdenken zu widmen, war sehr heilsam; doch hätte ich ihn ehe aus dem Munde eines Geistlichen, als aus dem eines Wundarztes erwartet.« – Der Erzählende lächelte über Adams Unschuld und Sitteneinfalt, fuhr aber, ohne bei einem so widerwärtigen Gegenstande länger zu verweilen, also fort: »Kaum war ich vollkommen wieder hergestellt, als ich fand, daß meine Leidenschaft für das weibliche Geschlecht, die ich, wie bisher geschehen war, zu befriedigen mich scheute, mir wenig Ruhe ließ; ich beschloß daher, eine Maitresse zu halten; auch währte es nicht lange, so fiel meine Wahl auf ein junges Mädchen, das schon früher mit zwei Herren in diesem Verhältniß gelebt hatte, und mir von einer berüchtigten Kupplerin empfohlen worden war. Ich nahm das Mädchen zu mir, und setzte ihr für die Zeit, die sie bei mir bleiben würde, etwas Bestimmtes aus, das ihr vielleicht nicht immer pünktlich ausgezahlt worden wäre, doch überhob sie mich einer solchen Verlegenheit, denn noch vor dem ersten vierteljährigen Termin fand ich sie in meiner eigenen Wohnung in zu vertrautem Verkehr mit einem jungen Burschen, der, obgleich in der Uniform eines Offiziers, eigentlich ein Ladendiener aus der City war. Statt sich wegen ihrer Unbeständigkeit zu entschuldigen, stieß sie ein halbes Dutzend Schwüre aus, schnippte mir mit den Fingern unter der Nase, und betheuerte, sie sei zu gut, um mit dem besten Manne in ganz England allein vorlieb zu nehmen. Hierauf trennten wir uns, und dieselbe Kupplerin führte dem Mädchen bald einen andern Gespons zu. Die Trennung von ihr war mir nicht so unangenehm, als, wie ich nach ein paar Tagen fand, die Folgen ihrer Bekanntschaft mir sein mußten, denn ich war genöthigt, meinem Wundarzt einen zweiten Besuch abzustatten, und einige Wochen abermals zu büßen. In dieser Zeit machte ich die Bekanntschaft eines schönen jungen Mädchens, der Tochter eines Mannes, welcher, nachdem er vierzig Jahre gedient und allen Feldzügen unter dem Herzog von Marlborough beigewohnt, als Lieutenant mit halbem Solde gestorben war, und seine Wittwe mit diesem einzigen Kinde in der hülflosesten Lage zurückgelassen hatte. Sie erhielten von der Regierung nur eine kleine Pension, und hiervon, so wie von dem Wenigen, was die Tochter mit weiblichen Handarbeiten, worin sie sehr geschickt war, verdienen konnte, mußten sie leben. Als ich das Mädchen kennen lernte, bewarb sich ein junger Mann um ihre Hand, der bei einem Leinwandhändler in der Lehre war, und ein kleines Vermögen hatte, das jedoch genügte, um selbst einen Handel anzufangen. Die Mutter war, und das mit Recht, mit dieser Ehebewerbung sehr zufrieden, doch ich wußte ihr bald Einhalt zu thun. Ich setzte den Freier in seiner Geliebten Augen so sehr herab, wußte Schmeicheleien, Versprechungen und Geschenke so gut anzubringen, daß ich, um hierbei nicht länger zu verweilen, als nöthig ist, das arme Mädchen bewog, ihre Mutter zu verlassen; mit einem Wort, ich entführte und verführte sie.« – (Hier sprang Adams auf, lief ein paarmal im Zimmer auf und ab, und setzte sich dann wieder.) – »Der Eindruck, den dieser Theil meiner Geschichte auf Sie macht,« fuhr Jener fort, »ist nichts gegen das, was ich selbst dabei empfinde; nie, das betheuere ich Ihnen, werde ich glauben, hinlänglich dafür gebüßt zu haben; sind Sie aber jetzt schon mit Abscheu erfüllt, was werden Sie erst sagen, wenn Sie die unseeligen Folgen dieser grausamen schändlichen Handlung vernehmen? Erlauben Sie mir daher lieber, hier abzubrechen.« – »Auf keine Weise,« rief Adams, »fahren Sie fort, ich bitte; und gebe der Himmel, daß Sie hierüber, wie über manches andere, das Sie mitgetheilt haben, aufrichtige Reue empfinden mögen.« – »Ich war nun,« nahm Jener wieder das Wort, »so glücklich, als der Besitz eines schönen jungen Mädchens, das eine gute Erziehung erhalten, und viele liebenswürdige Eigenschaften hat, mich machen konnte. Mehrere Monate lebten wir auf das zärtlichste zusammen, ohne eines andern Umgangs zu bedürfen, aber immer konnte dies nicht so bleiben, und obgleich ich sie noch sehr liebte, so fühlte ich doch allmälig Verlangen nach Zerstreuung durch andere Gesellschaft, bis ich das arme Mädchen erst auf Stunden, und zuletzt auf ganze Tage allein ließ. Sie zeigte hierüber einige Bekümmerniß, und klagte über das einsame Leben, das sie führe. Um sie zu zerstreuen, machte ich sie mit einigen andern jungen Mädchen bekannt, die ebenfalls außer der Ehe mit meinen Freunden lebten, und mit denen sie nur Karten zu spielen pflegte, und Schauspiele und andere öffentliche Vergnügungsorte besuchte. Sie hatte noch nicht lange diesem Umgange sich hingegeben, als ich in ihrem Betragen eine sichtliche Veränderung wahrnahm; mehr und mehr schwanden ihre Sittsamkeit und Unschuld, bis ihr sonst so gutes Herz völlig verderbt wurde. Sie gefiel sich in der Gesellschaft unsittlicher Männer, nahm ein hochfahrendes Wesen an, fühlte sich nie behaglich zu Hause, außer wenn sie in meiner Wohnung ihre Bekannten bei sich sah. Sie wurde eben so habsüchtig als verschwenderisch, dabei leichtfertig in ihren Reden, und bewilligte ich ihr nicht gleich Alles, was sie verlangte, so waren Schwüre, Thränen und Ohnmächten die unmittelbaren Folgen. Da die erste Gluth der Leidenschaft längst bei mir verraucht war, so entfremdete dies Benehmen ihr bald mein Herz; der Gedanke, daß sie nicht meine Frau sei, war mir jetzt sehr angenehm, und zog den nach sich, mich von ihr zu trennen. Kaum hatte ich mir dieses merken lassen, als sie Sorge trug, mir die Mühe, sie fortzuschicken, zu ersparen, und sich freiwillig entfernte, nachdem sie zuvor mein Schreibpult erbrochen, und alles Geld, was sie darin finden konnte, im Betrage von etwa zweihundert Pfund mitgenommen. In der ersten Hitze meines Zorns beschloß ich, sie mit der ganzen Strenge der Gesetze verfolgen zu lassen; da sie sich aber zu ihrem Glück während dieser meiner Aufregung vor mir verborgen zu halten wußte, so kühlte meine Wuth sich ab, und nachdem ich erwogen, daß ich ihr durch den Raub ihrer Unschuld und Seelenruhe ein Uebel zugefügt hatte, wofür kein Ersatz in meiner Macht stand; und da ich zugleich erfuhr, daß ihre arme alte Mutter vor Gram über ihre Entartung gestorben sei, und ich mich daher als ihren Mörder betrachtete« – (»Und das konnten Sie auch,« murmelte Adams seufzend,) – »so pries ich den Allmächtigen, daß er diese Art und Weise gewählt, mich zu züchtigen, und ergab mich gelassen in den Verlust; ja ich konnte wünschen, daß ich nie wieder etwas von dem armen Geschöpf gehört hätte, das mit der Zeit in die tiefste Verworfenheit versank, und nachdem sie einige Jahre eine gemeine Buhldirne gewesen, endlich ihr elendes Leben in Newgate beschloß.« – Hier stieß er einen tiefen Seufzer aus, der in Adams Brust ein lautes Echo fand, und Beide blickten schweigend einander einige Minuten an. Endlich fuhr der Hausherr fort: »Ich war dem Mädchen, solange es bei mir war, beständig treu geblieben, doch kaum hatte sie mich verlassen, als ich noch mehr Zeichen ihrer Untreue, als nur den Verlust meines Geldes, wahrnahm. Mit einem Wort, ich mußte mich zum Drittenmal an den Wundarzt wenden, aus dessen Händen ich Diesesmal nicht so schnell entkam.«
»Von nun an verschwor ich allen fernern Verkehr mit dem weiblichen Geschlecht, klagte laut, der Genuß wiege hier die Schmerzen nicht auf, und schmähte die schönen Geschöpfe so derb und bitter, als sei ich ein zweiter Juvenal gewesen. Alle öffentlichen Buhldirnen flößten mir den unglaublichsten Abscheu ein; ihre Personen erschienen mir wie Marmorpaläste, in deren Innern die Pest und der Tod wüthen, und ihre Reize regten eben so wenig mein Verlangen nach ihnen auf, als der silberne Ueberzug nach der Pille, oder der vergoldete Deckel nach dem Sarge. Obgleich ich aber nicht mehr der Liebe Sclave war, konnte ich mir doch kaum verhehlen, daß ich noch immer ihr Unterthan sei. Mein Weiberhaß verminderte sich täglich; und ich stehe nicht dafür, ob die Zeit mich nicht wieder irgend einer gemeinen Dirne zugeführt hätte, wäre ich nicht durch die Leidenschaft für die reizende Sophira dagegen gesichert worden, die mein Herz bald ganz einnahm. Sophira war die Gattin eines Mannes von Welt und von Ton, der, ich gestehe es, in jeder Beziehung ihrer Zärtlichkeit werth schien, aber, wie die Rede ging, sich derselben nicht rühmen konnte, denn sie war in der That eine vollendete Kokette.« – »Um Verzeihung Sir,« fiel hier Adams ein, »was ist das, eine Kokette? Ich habe dies Wort in französischen Schriften gefunden, konnte mir aber nie einen deutlichen Begriff von dessen Bedeutung machen. Es ist wohl dasselbe wie une sotte, oder was wir eine Närrin nennen?« – »Sir,« erwiederte Jener, »vielleicht irren Sie sich hierin nicht sehr; da es aber eine eigene Art von Narrheit ist, so will ich versuchen, sie Ihnen zu beschreiben. Sollte allen Wesen in der Ordnung der Schöpfung eine Stelle nach ihrer Nützlichkeit angewiesen werden, so kenne ich wenig Thiere, denen eine Kokette nicht nachstehen müßte, auch kann dies Geschöpf in der That kaum auf etwas mehr als Instinkt Anspruch machen; denn scheint es auch bisweilen von der Leidenschaft beseelt, so sinken doch die meisten seiner Handlungen selbst unter dieses niedrige Motiv hinab, zum Beispiel, in allerlei abgeschmackten Stellungen und Geberden, die wir an den lächerlichsten Vögeln und Thieren nicht sehen, und die den Zuschauer fest glauben lassen könnten, das alberne Ding lege es darauf an, sich verächtlich zu machen. Das eigentliche Charakteristische desselben ist Affectation, und zwar eine solche, die nur dem Antriebe der Laune folgt; denn nicht allein Schönheit, Verstand, Witz, Gutmüthigkeit, Freundlichkeit und Gesundheit affektirt dieses Geschöpf bisweilen, sondern auch Häßlichkeit, Thorheit, Bosheit, Unverstand, Unfreundlichkeit und Krankheit. Sein Leben ist eine einzige fortgesetzte Lüge, und um es zu beurtheilen hat man keine andere Regel, als daß es nie ist, was es scheint. Wäre es einer Kokette möglich zu lieben (was nicht der Fall ist, denn mit dieser Leidenschaft würde die Koketterie sofort aufhören), so müßte die Liebe wie Gleichgültigkeit, wenn nicht gar wie Haß, gegen den geliebten Gegenstand erscheinen; man kann daher überzeugt sein, wenn sie Versicherungen der Liebe gegen Jemanden vorbringt, daß dieser ihr zum wenigsten gleichgültig ist. So verhielt sich's denn auch mit meiner Sophira, die mich kaum unter der Zahl ihrer Bewunderer sah, als sie mich, wie man es zu nennen pflegt, aufmunterte; das heißt, sie sah mich oft an, und wenn unsere Blicke sich begegneten, zog sie die ihrigen schnell zurück, als fühle sie sich überrascht und beschämt. Diese Künste verfehlten den beabsichtigten Zweck nicht, und da ich ihr eifriger den Hof machte, als ihre übrigen Anbeter, so kam sie auch ihrerseits mir mehr als ihnen entgegen. Sie affektirte das leise Flüstern, das Lispeln, das Seufzen, das Schmachten, das Lächeln, und so viele andere Zeichen der Leidenschaft, wodurch täglich Tausende getäuscht werden. Spielte ich Whist mit ihr, so sah sie mich starr an, vernachlässigte darüber das Spiel, und rief dann mit affektirtem Lachen: Mein Himmel, wo muß ich nur die Gedanken gehabt haben. Doch, um nicht länger hierbei zu verweilen, nachdem ich, wie ich glaubte, die ganze Schule der Galanterie durchgemacht hatte, und in meiner Geliebten die heftigste Leidenschaft entflammt zu haben vermeinte, suchte ich Gelegenheit, mit ihr zu einer Erklärung zu kommen. Sie vermied es so viel als möglich, doch ich ließ nicht ab, bis sie mir Rede stehen mußte. Ich will nicht alle einzelnen Umstände dieser Zusammenkunft erwähnen, genug, als sie sich nicht länger stellen konnte, als mißverstehe sie mich, affektirte sie erst das größte Erstaunen, und dann den heftigsten Zorn. Sie begriffe nicht, sagte sie, welchen Anlaß mir ihr Betragen gegeben haben könne, sie so unerhört zu beleidigen, und schrie, indem sie sich, sobald es nur anging, von mir losriß, den Folgen ihrer Rache zu entrinnen bleibe mir nichts übrig, als sie niemals wieder zu sehen, oder wenigstens zu sprechen. Ich begnügte mich nicht mit dieser Abfertigung, und verfolgte sie noch einige Zeit, bis ich mich endlich überzeugte, der Besitzer ihrer Person sei nur ihr Mann, der Besitzer ihres Herzens aber weder er noch irgend ein Anderer. Von diesem Irrwisch lockte mich nach einiger Zeit eine Bürgersfrau ab, die zwar weder jung noch schön, aber immer noch angenehm genug war, um auf mein verliebtes Temperament Eindruck zu machen. Ich überzeugte sie bald, daß ihre Andeutungen auf keinen kalten unfruchtbaren Boden gefallen seien, sondern vielmehr ihr einen eifrigen und leidenschaftlichen Verehrer erworben hätten. Sie ihrerseits gab mir denn auch wenig Ursache zu klagen, und erwiederte die Wärme, die sie erregt hatte, mit gleicher Gluth. Ich hatte nicht mehr mit einer Kokette zu thun, sondern mit einer Frau, die zu klug war, um die edle Leidenschaft der Liebe dem lächerlichen Hange zur Eitelkeit unterzuordnen. Wir waren bald mit einander einverstanden, und da die Genüsse, die wir suchten, in gegenseitiger Befriedigung lagen, so fanden wir sie bald, und erfreuten uns ihrer. Anfangs fühlte ich mich sehr glücklich in dem Besitz dieser neuen Geliebten, deren Zärtlichkeit einen schwächern Magen bald hätte überladen mögen; bei mir war dies jedoch nicht so leicht möglich; sie entflammte im Gegentheil meine Leidenschaft dadurch höher, als Tugend oder Schönheit es vermocht hätten. Mein Glück konnte jedoch nicht lange ungestört bleiben; die Besorgnisse, die wir vor der Eifersucht ihres Mannes hegten, machten uns sehr unruhig.« – »Der arme Mann! Ich bedaure ihn von Herzen!« rief Adams. – »Er verdiente in der That bedauert zu werden,« fuhr Jener fort, »denn er liebte seine Frau mit vieler Zärtlichkeit, und ich versichere Sie, es ist mir eine große Beruhigung, daß ich nicht der Erste war, mit dem sie ihm untreu wurde. Unsere Besorgnisse zeigten sich bald als nur zu begründet; denn nicht allein entdeckte er unsern Verkehr, sondern wußte sich auch Zeugen zu verschaffen, um mich gerichtlich belangen zu können. Ich mußte ihm dreitausend Pfund zur Buße erlegen, deren Zahlung mein Vermögen bedeutend in Anspruch nahm, und was schlimmer war, seiner Frau, von der er sich scheiden ließ, mußte ich mich jetzt auch noch annehmen. Ich führte mit ihr ein trostloses Leben, denn nicht allein war meine Leidenschaft schon sehr abgekühlt, sondern sie plagte mich auch noch mit der heftigsten Eifersucht. Endlich befreite mich ihr Tod von einer Last, deren mich auf eine andere Weise zu entledigen ich mich aus der Rücksicht nicht entschließen konnte, weil ich mir bewußt war, an ihrem Unglück Schuld zu sein.«
»Ich sagte nun der Liebe Lebewohl, und nahm mir vor, andere weniger gefährliche und kostspielige Vergnügungen aufzusuchen. Ich ließ mich mit einem Schwarm lustiger Gesellen ein, die den ganzen Tag schliefen und die ganze Nacht zechten; und von denen man eher sagen konnte, sie seien die Tagediebe der Zeit, als daß sie in ihr lebten. Ihre beste Unterhaltung war nichts als Lärmen, Singen, Jubeln, Trinken, Rauchen, Zanken, Schwören. – Das waren unsere gesellschaftlichen Freuden, die aber doch noch den ernstern Beschäftigungen vorzuziehen waren, welche darin bestanden, daß wir uns entweder die langweiligsten Alltagsgeschichten erzählten, oder uns über nichts bedeutende Dinge so heftig entzweiten, daß nur eine Wette uns wieder zur Ruhe bringen konnte. Sobald ich diese Lebensweise reiflicher erwogen hatte, gab ich sie auf und ward Mitglied eines Klubbs, der von talentvollen jungen Männern besucht wurde. Die Flasche diente hier nur zur Belehrung des Gesprächs, welches die tiefsinnigsten philosophischen Untersuchungen betraf. Diese Herren waren nämlich auf einer Jagd nach Wahrheit begriffen, welche sie alle Vorurtheile der Erziehung bei Seite setzen, und nur von dem untrüglichen Führer der menschlichen Vernunft sich leiten ließen. Dieser erhabene Führer zeigte ihnen bald, wie falsch jener eben so alte als einfache Satz sei, daß ein göttliches Wesen im Weltall existire, und war ihnen behülflich, dafür eine gewisse Rechtsregel aufzustellen, der man nur anhängen dürfe, um zur reinsten Sittlichkeit zu gelangen. Diese Gesellschaft fand ich bald so angenehm, als meine vorige mir verächtlich und zuwider geworden war. Ich begann jetzt, mich für ein Wesen höherer Ordnung als je zuvor zu halten, und fand um so mehr Gefallen an der erwähnten Rechtsregel, als meine eigene Natur nichts dagegen Widerstrebendes darbot. Tief verachtete ich Jeden, der einer andern Anregung zur Tugend, als der angestammten Schönheit und Würde derselben bedurfte; und ich hegte von meinen jetzigen Freunden eine so hohe Meinung, hielt sie für so vollkommen sittliche Menschen, daß ich Ihnen mein Gut und Leben anvertraut haben würde. Während ich noch in diesen entzückenden Träumen schwelgte, fanden kurz hinter einander einige Ereignisse Statt, die mich anfangs nicht wenig in Erstaunen setzten. Einer unserer großen Philosophen oder Rechtsregelmänner zog sich nämlich von uns zurück, und nahm die Frau eines seiner vertrautesten Freunde mit; ein Zweiter machte sich davon, und vergaß in der Eile einen wackern Mann zu vertreten, der für ihn Bürgschaft geleistet hatte; ein Dritter endlich, dem ich ohne Handschrift Geld geborgt hatte, leugnete mir, als ich es wieder verlangte, die ganze Schuld unter den Augen ab. Diese mit unserer goldenen Regel so sehr in Widerspruch stehenden Handlungen flößten mir gegen deren Unfehlbarkeit Mißtrauen ein; als ich aber meine Gedanken einem andern Mitgliede des Klubbs offenbarte, bemerkte er: »An sich sei nichts unbedingt gut oder böse, und daß Handlungen ob so oder so benannt würden, werde nur durch die Umstände bedingt, unter deren Einfluß der Handelnde stehe; möglicher Weise könne der Mann, der mit dem Weibe seines Freundes entlaufen, ein Mensch mit den tugendhaftesten Gesinnungen sein, den aber die Heftigkeit seiner Leidenschaft überwältigt habe; in andern Beziehungen möge er ein sehr würdiges Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft sein; wen die Schönheit irgend eines Frauenzimmers in seiner Gemüthsruhe störe, dem gebe die Natur das Recht, sich nach bestem Vermögen zu helfen.« Als ich dies und noch manches andere hatte anhören müssen, fühlte ich solchen Abscheu, daß ich sogleich den Klubb verließ und nie wieder dahin zurückkehrte. Die Einsamkeit, auf die ich jetzt verwiesen wurde, sagte mir so wenig zu, daß ich nun häufig das Schauspiel besuchte, was in der That immer meine Hauptunterhaltung gewesen war; und an den meisten Abenden verweilte ich zwei bis drei Stunden hinter den Coulissen, wo ich mehrere Dichter kennen lernte, mit denen ich, so wie mit einigen von den Schauspielern, dann in irgend einem Gasthause speiste. Hier bestand die Unterhaltung gewöhnlich darin, daß die Dichter ihre Werke vorlasen, und die Schauspieler ihre Rollen declamirten; bei welchen Gelegenheiten immer, wie ich bemerkte, der Gönner, der die Zeche bezahlte, sich am meisten zu gefallen schien; aber obgleich man ihm ins Gesicht schmeichelte, wurde er um so mehr verspottet, sobald er den Rücken gewendet hatte. Dies gab mir Stoff zu einigen Bemerkungen, die aber kaum der Mittheilung werth sein dürften.« – »Sir,« fiel Adams ein, »ich möchte doch sehr darum bitten.« – »Nun denn,« fuhr Jener fort, »zuförderst überzeugte ich mich, daß die allgemein wiederholte Beobachtung, schöne Geister und witzige Köpfe seien am meisten zur Eitelkeit geneigt, nicht wahr ist. Die Menschen sind eben so eitel auf Reichthum, Stärke, Schönheit, Rang ec.; aber diese Vorzüge legen sich selbst vor den Augen der Welt dar, wo hingegen der arme Schöngeist sein Machwerk erst zum Besten geben muß, um seine Ansprüche zu rechtfertigen; und auf seine Bereitwilligkeit dieses zu thun, gründet sich jene allgemein angenommene Meinung, der ich vorhin erwähnte; aber opfert der Schöngeist, der sein Gedicht oder sein Schauspiel vorzulesen begierig ist, der Eitelkeit wohl mehr als sehr große Summen auf die Ausstattung seines Hauses oder auf den Schmuck seines Körpers, wer viel Zeit und Mühe auf seinen Anzug verwendet, oder wer sich für Selbstverleugnung, für Arbeit oder gar für Verworfenheit mit einem Titel oder mit einem Ordensband bezahlt glaubt? Meine zweite Bemerkung war, daß die Eitelkeit die schlimmste aller Leidenschaften, und mehr als jede andere geeignet ist, die Reinheit der Seele zu beflecken; denn da Selbstsucht viel allgemeiner ist, als wir oft zugeben mögen, so ist es natürlich, daß wir diejenigen hassen und beneiden, welche zwischen uns und dem von uns gewünschten Gute stehen. In der Wollust und dem Ehrgeiz haben wir der Nebenbuhler wenige, auch der Geizige findet nicht so sehr viele Menschen, die ihn an der Verfolgung seiner Zwecke hindern; der Eitle aber verlangt überall den Vorrang, und was nur an einem Andern trefflich oder lobenswerth ist, macht diesen zum Gegenstand seiner Abneigung.« – Hier begann Adams, in seinen Taschen zu suchen, und rief dann: »O weh, ich habe sie nicht mehr bei mir.« – Als ihn sein Wirth fragte, was er suche, erwiederte der Pfarrer, es sei eine Predigt gegen die Eitelkeit, die er für sein Meisterwerk halte. »Es ist doch fatal,« fuhr er fort, »daß ich diese Predigt nicht immer bei mir trage. Hätte ich nur ein paar Stunden darnach zu gehen, so wollte ich sie gern holen, um sie Ihnen vorzulesen.« – Jener erwiederte, es thue nicht Noth, indem er schon längst von dieser Leidenschaft geheilt sei. – »Eben deshalb möchte ich sie Ihnen gern vorlesen,« sagte Adams, »denn ich bin überzeugt, Sie würden sie bewundern; auch ich habe nie eine Leidenschaft mehr gehaßt, als die alberne Eitelkeit.« – Der Hausherr lächelte und fuhr fort: »Von dieser Gesellschaft gerieth ich leicht in die der Spieler, wo mir weiter nichts Besonderes begegnete, als daß mit dieser Herren Hülfe in kurzem mein Vermögen gänzlich dahinschwand. Meine Erfahrungen wurden dadurch freilich sehr erweitert, ich lernte Mangel und Armuth kennen nebst ihrem gräßlichen Gefolge von Mahnbriefen, Advokaten und Gerichtsdienern, die mir Tag und Nacht keine Ruhe ließen. Meine Kleider wurden schäbigt; kein Mensch gab mir Kredit mehr, meine Freunde und Bekannte zogen sich zurück. In dieser Lage fuhr mir der seltsamste Einfall, den man sich nur denken kann, in den Kopf, nämlich der, ein Schauspiel zu schreiben; denn an Muße dazu fehlte mir's nicht, indem die Furcht vor den Gerichtsdienern mich auf meine Stube bannte; und da ich immer ein wenig Neigung und etwas Talent dazu in mir gefühlt hatte, so setzte ich mich frisch ans Werk, und schrieb in Zeit von einigen Monaten ein Stück in fünf Akten, das auf der Bühne angenommen wurde. Ich erinnerte mich, daß ich früher von andern Dichtern Billets zu ihren Benefizstücken lange vor der Aufführung derselben genommen hatte, und zögerte nicht, einem meiner dermaligen Lage so zusagenden Beispiel gemäß, mich mit einer beträchtlichen Anzahl derselben zu versehen. Glücklich in der That würde es um die Dichtkunst bestellt sein, wenn diese Billets beim Bäcker, Bierschenken und Lichtzieher als baares Geld angenommen würden, aber ach! kein Schneider will sich damit für Steifleinwand, Zwirn und Nähseide, kein Gerichtsdiener statt des Willkommen abfertigen lassen, und so sind sie denn im Grunde nichts anderes als ein Freipaß zum Betteln, ein auf milde christliche Herzen ausgestellter Beglaubigungsschein, daß Ueberbringer fünf Schillinge bedarf. Jetzt empfand ich, was schlimmer als Armuth, oder vielmehr was die schlimmste Folge der Armuth ist – ich meine Abhängigkeit von den Großen, und das Schmachten in ihren Vorzimmern. Manchen Vormittag habe ich dort stundenlang in der Kälte gewartet, und endlich, wenn die elendesten Wichte in Sammt und Seide, wenn Kuppler und Lustigmacher von Ton vorgelassen wurden, auf die Meldung meines Namens bisweilen zur Antwort erhalten, Mylord könne mich diesen Morgen nicht sprechen; eine genügende Zusicherung, daß ich nie wieder Eintritt in diesem Hause finden würde. Bisweilen wurde ich endlich doch vorgelassen, und der herablassende Große hielt es für schicklich, sich zu entschuldigen, indem er mir sagte, er sei gebunden.« – »Gebunden!« wiederholte Adams; »bitte, was heißt das?« – »Sir,« erwiderte Jener, »das Honorar, welches die Buchhändler den Schriftstellern für die besten Werke zahlten, war so gering, daß gewisse Herren von Rang und Vermögen, die zugleich Gönner des Witzes und der Gelehrsamkeit waren, es vor einigen Jahren für gut fanden, das Talent durch freiwillige Subscriptionen aufzumuntern. So erhielten Prior, Rowe, Pope und einige andere ausgezeichnete Köpfe vom Publiko bedeutende Summen für ihre Leistungen. Dies schien eine so leichte Methode, zu Gelde zu kommen, daß viele der erbärmlichsten Scribler keck genug waren, mit ihren Werken denselben Weg einzuschlagen, mit ihren Werken denselben Weg einzuschlagen; ja manche hatten sogar die Unverschämtheit, Subscriptionen auf Werke zu sammeln, die noch gar nicht geschrieben waren, und die sie auch nie zu schreiben beabsichtigten. Da die Subscriptionen auf diese Art ins Unendliche zunahmen, und eine Art von Abgabe für das Publikum wurden, so erfanden einige kluge Köpfe, da es nicht so gar leicht ist, gute Schriftsteller von schlechten zu unterscheiden, oder zu wissen, wer der Aufmunterung würdig ist oder nicht, folgende Methode, um allen Subscriptionen auszuweichen: sie nahmen eine kleine Summe unter der Bedingung, falls einer von ihnen sich zu einer Subskription verleiten lasse, eine beträchtlichere Summe dafür zurückzuzahlen, was viele wirklich thaten, noch mehrere aber gaben vor, es gethan zu haben, um ferner nicht mehr behelligt zu werden. Dasselbe ist mit den Theaterbillets geschehen, die dem Publiko nicht weniger zur Last fielen; und das heißt denn, sich gegen das Subscribiren gebunden haben.« – »Der Ausdruck ist, wenn man diese Verhältnisse kennt, deutlich genug, und noch dazu etwas bildlich,« bemerkte Adams; »denn ein reicher Mann, der sich auf diese Weise in Beziehung auf die Aufmunterung des Verdienstes gebunden hält, wie Sie es nennen, verdiente wirklich, gebunden und geknebelt zu werden.« – »Sie mögen Recht haben, Sir,« erwiederte der Hausherr, »doch zurück zu meiner Geschichte. Bisweilen erhielt ich eine Guinee von einem Großen, aber dann geschah es mit der Miene, womit man dem niedrigsten Bettler Allmosen zu reichen pflegt; und überdies hatte ich so viel Zeit mit dem Warten in den Vorzimmern verloren, daß ich bei wohlangewandtem redlichem Fleiß indeß hätte mehr verdienen können, und noch dazu durch die Behauptung meines Selbstgefühls mit mir zufriedener gewesen sein würde. Nachdem ich ungefähr zwei Monate auf diese unangenehmen Bemühungen verwendet, nach fortdauernden Kränkungen und Demüthigungen, einzig noch durch die Hoffnung der reichen Erndte, die ich von der Aufführung meines Stücks mir versprach, aufrecht erhalten, erfuhr ich von dem Regisseur, als ich mich bei ihm erkundigte, wann die erste Vorstellung meines Schauspiels stattfinden solle, er habe Befehl von den Direktoren erhalten, mir es zurückzugeben, denn es könne jenen Winter nicht mehr benutzt werden; wollte ich es aber im nächsten Jahr wieder einreichen, so würden sie es nochmals prüfen lassen. Ich riß ihm das Manuscript wüthend aus der Hand, und kehrte nach Hause zurück, wo ich mich in einem Anfall von Verzweiflung aufs Bett warf.« – »Auf die Kniee hätten Sie sich lieber werfen sollen,« sagte Adams, »denn es ist sündlich, sich der Verzweiflung hinzugeben.« – »Als ich mich wieder etwas beruhigt hatte,« fuhr Jener fort, »erwog ich gelassener, was ich nun beginnen solle, in einer Lage, da es mir an Freunden, an Geld, an Kredit und an Ruf in jedem Fache fehlte. In Allem, was sich mir darbot, sah ich keine andere Möglichkeit, mir die nothwendigsten Lebensmittel zu verschaffen, als mich in ein Dachstübchen in der Nähe des Temple zurückzuziehen, und dort für die Advokaten Akten abzuschreiben, wozu es mir bei meiner schönen Handschrift nicht an Fähigkeit fehlte. Diesen Vorsatz hielt ich fest, und schritt sogleich zu dessen Ausführung. Ich kannte einen Sachwalter, der früher in meinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt gewesen war, und an diesen wendete ich mich; aber statt mir Arbeit zu geben, lachte er mir ins Gesicht, und sagte, er fürchte, ich würde seine gerichtlichen Verhandlungen in Komödien umschaffen, und sie bei erster Gelegenheit auf die Bühne bringen. Ich will Sie nicht mit den Antworten ähnlicher Art, die ich von Andern erhielt, aufhalten, aber ich fand, daß Plato selbst den Dichtern nicht mehr zuwider war, als diese Geschäftsmänner. Wagte ich mich einmal in ein Kaffeehaus, was nur an Sonntagen geschah, so flüsterte man sich mit einem spöttischen Seitenblick auf mich zu: »Das ist der Dichter Wilson!« denn ich weiß nicht, ob Sie dieselbe Bemerkung gemacht haben, es liegt in der menschlichen Natur eine Bösartigkeit, welche, wenn wir sie in unserer Jugend nicht ausgerottet, haben, oder die gute Lebensart nicht wenigstens einen Firniß darüber gezogen hat, ihre Freude darin sucht, Andere unbehaglich oder mit sich selbst unzufrieden zu machen. Diese Unart zeigt sich zur Genüge in allen Gesellschaften, außer in denen, wo Leute von Ton sie zu verbergen wissen, besonders aber unter der Jugend von beiden Geschlechtern, welcher Geburt und Vermögen noch den Eintritt in die feineren Zirkel untersagen; ich meine die unterste Klasse des niedern Adels, und die höhere des Kaufmannsstandes, die in der That der am schlechtesten erzogene Theil des Menschengeschlechtes sind. Während ich nun in diesem traurigen Zustande lebte, kaum so viel mit Arbeit versehen, um mich vor dem Verhungern zu schützen, und durch den Ruf als Dichter mein Schicksal noch verschlimmert sehend, machte ich zufällig Bekanntschaft mit einem Buchhändler, der mir sagte, es sei ewig Schade, daß ein Mann von meinen Kenntnissen und Talenten sich auf eine solche Weise sein Brot verdienen solle; er fühle Mitleiden mit mir, und wenn ich mit ihm in Verbindung treten wolle, könne er mir versprechen, besser für mich zu sorgen. Er wußte wohl, daß ein Mensch in meiner Lage keine Wahl hatte; ich nahm daher seinen Vorschlag mit allen Bedingungen, welche keineswegs die vortheilhaftesten waren, an, und legte mich mit allem Eifer aufs Uebersetzen. Ich hatte nicht länger Ursache über Mangel an Arbeit zu klagen, denn es wurde mir deren so viel aufgebürdet, daß ich mich binnen einem halben Jahre fast blind schrieb, und noch überdieß durch das sitzende Leben, wobei außer dem rechten Arm kein Glied am Leibe beschäftigt war, mir eine Krankheit zuzog, die mich auf lange Zeit zum Schreiben unfähig machte. Da hierdurch unglücklicher Weise der Druck eines Werks verzögert ward, und meine letzte Arbeit keinen bedeutenden Absatz gefunden hatte, so wollte der Buchhändler sich nicht weiter mit mir einlassen, und verleumdete mich noch überdies bei seinen Collegen als einen nachlässigen trägen Menschen. Ich hatte indeß, da ich äußerst sparsam gelebt, einige Guineen zurückgelegt, für die ich ein Lotterieloos kaufte, entschlossen, mich einmal blindlings Fortunen in die Arme zu werfen, und zu versuchen, ob sie mir vielleicht für den Schaden, den sie mir am Spieltisch gethan, Ersatz leisten wolle. Dieser Ankauf nahm so ziemlich meinen letzten Penny in Anspruch; aber als sei ich noch nicht elend genug, wußte sich ein Gerichtsdiener in Weiberkleidern, den der Buchhändler zu mir gewiesen hatte, auf meine Stube zu schleichen, wo er mir im Namen meines Schneiders fünfunddreißig Pfund abforderte und mich, da ich keinen Bürgen stellen konnte, mit in sein Haus schleppte und in ein Kämmerchen im obern Stock einsperrte. Mir fehlte nun Gesundheit (denn ich war noch nicht ganz von meiner Krankheit wiederhergestellt), und eben so entbehrte ich der Freiheit, des Geldes und der Freunde, so daß ich bereits allen Hoffnungen, ja selbst dem Wunsch zu leben entsagte.« – »Aber das konnte doch nicht lange währen,« fiel Adams ein, »denn ohne Zweifel ließ der Schneider Sie los, sobald er von der wirklichen Lage Ihrer Angelegenheiten unterrichtet wurde, und sich überzeugt hatte, daß Ihre Umstände Ihnen nicht gestatteten, ihn zu bezahlen.« – »O Sir,« antwortete jener, »das wußte er, bevor er mich verhaften ließ; ja er wußte, daß nichts als diese Lage mich abhalten konnte, meine Schulden abzutragen; denn er hatte seit vielen Jahren für mich gearbeitet, bedeutende Summen von mir verdient, und in meinen bessern Tagen immer pünktlich sein Geld erhalten; aber als ich ihn daran erinnerte, mit der Versicherung, falls er jetzt mich in meinem Erwerb nicht störe, solle er alles Geld haben, was ich mit dem größten Fleiß und unausgesetzter Arbeit zu erringen vermöge, indem ich mir nur das zu meinem Lebensunterhalt durchaus Nothwendige vorbehalten wolle, antwortete er, seine Geduld sei zu Ende, ich hätte ihn lange genug hingehalten, er brauche sein Geld, die Sache sei einmal den Advocaten übergeben, und wenn ich nicht sofort zahle oder Sicherheit stelle, könne er keine Rücksicht nehmen, und ich müsse im Gefängniß bleiben.« – »Nun,« rief Adams, und fuhr vom Stuhle auf, »er wird Rücksicht und Gnade für sich selbst erwarten, wenn es zu spät ist! Wie kann solch ein Mensch das Vaterunser beten, wo es in der fünften Bitte ausdrücklich heißt: Vergieb uns unsere Schuld! welches meines Erachtens in der ursprünglichen und buchstäblichen Bedeutung, und nicht allein als Fehler oder Vergehungen, wie es mitunter übersetzt wird, zu verstehen ist. So sicher wir Andern ihre Schulden nicht vergeben, wenn sie unfähig sind, sie zu bezahlen, so sicher werden wir selbst auf keine Nachsicht rechnen können wenn, wir uns dereinst in demselben Fall befinden.« – Er schwieg, und der Erzähler fuhr fort: »Während ich so meiner Freiheit verlustig geworden war, wußte mich ein ehemaliger Bekannter aufzufinden, dem ich von meinem Lotterieloos gesagt hatte, und mit freudiger Miene mir herzlich die Hand schüttelnd, wünschte er mir Glück, »denn,« sagte er, »auf Ihr Loos ist ein Gewinn von dreitausend Pfund gefallen.« – Adams schnippte hier mit den Fingern vor Entzücken, womit es aber nicht lange Bestand hatte, denn Jener nahm also wieder das Wort: »Ach Sir, dies war nur eine Neckerei Fortunens, um mich desto tiefer zu stürzen, denn ich hatte zwei Tage vorher dieses Loos einem Verwandten überlassen, der sich geweigert, mir einen Schilling zu leihen, wofür ich mir Brot kaufen lassen wollte. Kaum hörte mein Freund von diesem unglücklichen Handel, so fuhr er heftig auf mich los, und machte mir die bittersten Vorwürfe über Alles, was ich mir in meinem Leben hatte zu Schulden kommen lassen. Er sagte, ich sei einer von Denen, die das Glück nicht retten könne, wenn es auch wolle; für mich sei jetzt alle Hoffnung verloren, und ich dürfe selbst von meinen Freunden kein Mitleid mehr erwarten, indem es die äußerste Schwäche verrathen würde, das Unglück eines Menschen noch länger zu bedauern, der blindlings in sein eigenes Verderben stürze. Hierauf malte er mir mit so lebhaften Farben, als er konnte, das Glück, dessen ich mich jetzt erfreuen würde, hätte ich nicht thörichter und unverantwortlicher Weise mein Loos aus der Hand gegeben. Ich berief mich auf das dringende Gebot der Nothwendigkeit, aber er ließ diese Entschuldigung unbeachtet, und drang abermals mit Scheltworten auf mich ein, bis ich's nicht länger aushalten konnte, und ihm die Thüre wies. Der Gerichtsschreiber führte mich bald darauf aus seinem Hause in ein Schuldgefängniß, wo ich, da ich nicht Geld genug hatte, mir ein eigenes Zimmer zu miethen, mit einer Menge Elender zusammengebracht wurde, denen es so wie mir an allem fehlte, was zum Leben gehört, sogar an frischer Luft, die selbst dem Vieh nicht entzogen wird. In dieser schrecklichen Lage wendete ich mich schriftlich an mehrere meiner alten Bekannten, und darunter an solche, denen ich früher ohne sonderliche Erwartung und Aussicht der Wiederbezahlung Geld geliehen hatte, und nahm ihre Hülfe in Anspruch, aber vergebens. Eine Entschuldigung statt einer kalten Weigerung war die höflichste Antwort, die ich erhielt. So schmachtete ich in einem Elende, – welches zu schrecklich ist, als daß es sich schildern ließe, und das in einem Lande, welches auf Humanität und, was noch mehr ist, auf christlichen Sinn Anspruch macht, denn doch wohl für ein wenig Unbesonnenheit und Leichtsinn eine zu harte Strafe scheint, – als ein Fremder, der mich im Gefängniß erfragt hatte, mir ein Billet folgenden Inhalts einhändigte:
»Sir.
Mein Vater, dem Sie Ihr Loos in der letzten Lotterie verkauften, starb an demselben Tage, an welchem ein Gewinn darauf fiel, wie Sie wohl gehört haben werden, und hinterließ mich als einzige Erbin seines ganzen Vermögens. Ich nehme so großen Antheil an Ihrer gegenwärtigen Lage und dem Schmerz, den Sie fühlen müssen, daß Sie zum Verkauf dessen gezwungen waren, was ihr Glück wieder hätte begründen können, daß ich Sie bitte, die Einlage anzunehmen.
Ihre ergebene Dienerin, Harriet Hearty.«
»Was meinen Sie wohl, worin die Einlage bestand?« – »Nun, doch wohl nicht unter einer Guinee, will ich hoffen,« rief Adams. – »Sir, es war eine Banknote von zweihundert Pfund.« – »Zweihundert Pfund!« rief Adams außer sich. – »Nicht weniger,« fuhr Jener fort, »doch freute die Summe selbst mich nicht halb so sehr, als der liebe Name der edlen Uebersenderin, die nicht nur das beste sondern auch das schönste Mädchen war, das ich je gesehen, und für die ich lange eine Leidenschaft gehegt hatte, die ich ihr nie zu offenbaren wagte. Tausendmal küßte ich ihren Namen, und Thränen des Dankes und der Zärtlichkeit traten mir in die Augen. Ich wiederholte – doch ich will Sie mit der Schilderung dieser Entzückungen nicht aufhalten; – ich erkaufte mir sofort meine Freiheit, und, nachdem ich alle meine Schulden bezahlt, machte ich mich mit noch etwas über fünfzig Pfund in der Tasche auf den Weg, um meiner edlen Befreierin meinen Dank abzustatten. Sie war auf das Land verreist, ein Umstand, der mich bei reiflicher Ueberlegung erfreute, weil ich dadurch Gelegenheit fand, in anständigerer Kleidung vor ihr zu erscheinen. Sobald sie am nächsten Tage zurückgekehrt war, warf ich mich ihr zu Füßen, und brachte ihr die heißesten Danksagungen dar, die sie indeß mit ungeheuchelter Seelengröße zurückwies, indem sie mir sagte, ich könne mich nicht dankbarer bezeigen, als wenn ich eines Umstandes ferner nicht erwähnte, ja womöglich nicht einmal daran dächte, der so unangenehme Erinnerungen in mir erwecken müsse. »Was ich gethan habe,« fügte sie hinzu, »ist in meinen Augen eine Kleinigkeit, und vielleicht bei weitem weniger, als mir zu thun geziemt hätte. Sollten Sie etwa ein Geschäft anfangen wollen, wozu eine größere Summe Ihnen nützlich sein könnte, so würde ich in Beziehung auf Sicherheit und Zinsen mich nicht allzustrenge finden lassen.« – Ich bemühte mich, allen Dank auszusprechen, den mein Herz bei diesem Uebermaaß von Huld und Güte empfand, obschon vielleicht gerade dieses mir gefährlicher werden konnte, als alle mein bisher erduldetes Elend, ja schon jetzt mich mehr darniederbeugte als Krankheit, Mangel und Verlust meiner Freiheit es vermocht hatten; denn, Sir, diese Beweise der Huld und Güte, die in einem guten Herzen die zärtlichste Freundschaft für ein Wesen vom nämlichen Geschlecht oder auch für Häßlichkeit und Alter im andern Geschlecht hätten erregen müssen, wurden mir von einer jungen Schönen, deren Vorzüge ich längst bewundert, für die mich die heftigste Leidenschaft erfaßt hatte, obwohl mit einer Hoffnungslosigkeit verbunden, welche mich darnach streben ließ, sie zu beherrschen und zu verbergen, statt sie zu nähren oder ihr zu gestehen. Denken Sie sich diese Huld und Güte mit der ausgezeichnetsten Schönheit vereinigt, und dies bezauberische Lächeln – O Herr Adams, in diesem Augenblick verlor ich mich selbst, vergaß alle äußern Verhältnisse, bedachte nicht, auf welche Weise ich ihre Güte zu lohnen im Begriff stehe, indem ich von ihr, die so viel mir gegeben hatte, ihr Alles verlange, und sanft faßte ich ihre Hand, die ich mit dem innigsten Gefühl an meine Lippen drückte. Als ich meine schwimmenden Augen erhob, sah ich sie tief erröthend vor mir stehen; sie schien ihre Hand der meinigen entziehen zu wollen, und doch that sie es nicht. Beide zitterten wir; sie senkte ihre Blicke zu Boden, die meinigen wendete ich nicht von ihr ab. Gütiger Himmel, welche Gefühle durchdrangen mein Inneres in diesem Augenblick! Liebe, Verlangen, Bewunderung, Dankbarkeit und jede zarte Leidenschaft, sie alle auf einen reizenden Gegenstand gerichtet! Besonnenheit und Ehrfurcht erlagen endlich der mächtigern Liebe, ich entzog leise meine Hand der ihrigen und wollte in meiner blinden Leidenschaft sie in die Arme schließen, aber sie faßte sich, entzog sich mir, und fragte, wie es schien, mit einigem Unwillen, ob sie ein solches Benehmen von mir wohl habe erwarten dürfen. Jetzt sank ich vor ihr nieder, und sagte, wenn ich sie beleidigt hätte, möge mein Leben selbst dafür büßen, das ich für sie zu opfern gern bereit sei. Ja, fügte ich hinzu, die Leiden, die ich mir selbst auferlege, sollen der Strafe, die sie mir bereiten mögen, zuvorkommen. Ich bekenne meine Schuld. Ich verabscheue den Gedanken, daß ich Ihr Glück dem meinigen aufgeopfert zu sehen wünschte. Glauben Sie mir, bitter bereue ich meinen Undank; aber glauben Sie mir auch, nur meine Liebe, meine grenzenlose Liebe zu Ihnen konnte mich so hinreißen. Schon seit lange erfüllten Sie mein Herz, und die Güte, die Sie mir bewiesen, hat, ohne daß Sie es ahnen konnten, einen schon vorher verlorenen Unglücklichen ganz um Sinne und Vernunft gebracht. Niedrigen Eigennutzes und selbstsüchtiger Absichten zeihen sie mich nicht, und bevor ich für immer von Ihnen scheide, was gleich zu thun mein Entschluß ist, betheure ich Ihnen, daß mich das Glück zu keiner Höhe hätte erheben können, zu der ich Sie nicht gern emporgezogen haben würde. O treuloses Schicksal« – »Schmähen Sie nicht,« unterbrach sie mich mit der süßesten Stimme, »schmähen Sie nicht das Schicksal, da es mich so glücklich gemacht hat, und wenn es auch Ihr Glück in meine Macht gelegt, so habe ich Ihnen ja schon gesagt, daß Sie nichts, was die Vernunft gewähren kann, von mir verlangen mögen, was ich Ihnen nicht gern bewillige.« – »Ach,« erwiederte ich, »Sie verkennen mich, wenn Sie, wie es scheint, glauben, mein Glück stehe jetzt noch in der Macht Fortunens. Sie haben schon zu viel für mich gethan; bleibt mir noch ein Wunsch, so ist es der, daß der Himmel mir irgend eine Gelegenheit darbiete, den kleinsten Zuwachs Ihres Glücks mit meinem Leben zu erkaufen. Für mich giebt es kein Glück mehr, als wenn ich weiß, daß das Ihrige gesichert ist; will Fortuna es vollständig machen, so sei ihr alles Unrecht verziehen, das sie mir je zugefügt hat.« – »Das können Sie ihr immerhin verzeihen,« antwortete sie lächelnd, »denn Ihr Glück muß durch das meinige bedingt werden. Schon lange sind Sie mir nicht gleichgültig gewesen, ja, ich muß es gestehen,« fuhr sie erröthend fort, »längst war Ihre Leidenschaft zu mir trotz aller Ihrer Bemühungen, sie zu verbergen, – was, wie ich glaube, Ihr ernster Wille war, – mir kein Geheimniß; und wenn Alles, was Sie vernünftigerweise von mir verlangen können, nicht genügen will – so lassen Sie die Vernunft aus dem Spiele – und ich glaube, Sie könnten dennoch nicht fordern, was ich verweigern würde.« – Sie sprach diese Worte mit einer himmlischen ihre edlen Züge verklärenden Huld aus. Ich sprang auf, mein Blut, das mir im Herzen gestockt hatte, stürmte wild und fieberhaft durch alle meine Adern. Einen Augenblick stand ich schweigend; dann flog ich auf sie zu, schloß die nicht länger Widerstrebende in meine Arme und flüsterte ihr zärtlich zu: Sie selbst wolle ich jetzt von ihr verlangen. – O Sir, kann ich ihren Blick beschreiben? Mehrere Minuten blieb sie stumm und fast ohne Bewegung; und als sie endlich sich wieder ein wenig faßte, bestand sie darauf, daß ich mich entfernen möge, und zwar auf eine Weise, die mir sogleich Gehorsam abdrang; doch können Sie sich denken, daß ich bald wiederkam – aber, Verzeihung, ich fürchte, mit der Schilderung dieser Zusammenkunft Sie schon zu lange aufgehalten zu haben.« – »Bewahre!« sagte Adams, und leckte sich die Lippen, »ich hörte es gern noch einmal.« – »Wohl, Sir,« fuhr Jener fort, »mich so kurz als möglich zu fassen, nach acht Tagen etwa willigte sie ein, mich zum Glücklichsten aller Sterblichen zu machen. Bald darauf fand die Vermählung Statt, und als ich späterhin (daß es nicht so geschwind dazu kam, können Sie versichert sein) meiner Gattin Vermögensverhältnisse untersuchte, fand ich, daß sie sechstausend Pfund besaß, die meist in Waaren angelegt waren, da ihr Vater ein Weinhändler gewesen war, und sie schien zu wünschen, daß ich, wenn es mir zusage, das Geschäft fortführen möge. Ich willigte und zwar zu unbedachtsam sogleich ein, denn unbewandert in den Kunstgriffen dieses Handels, und bemüht, meine Kunden auf das redlichste und aufrichtigste zu bedienen, fand ich bald, daß unser Vermögen sowohl als mein Geschäft allmälig in Abnahme geriethen. Meine Weine nämlich, die ich immer unverfälscht und so rein verkaufte, als ich sie erhielt, wurden allgemein als zu theuer verschrieen, da ich sie nicht so wohlfeil ablassen konnte, wie Andere, die bei geringerem Preise doppelt so viel gewannen. Ich sah bald ein, daß wir auf diesem Wege unsere Umstände nicht verbessern konnten; auch wollten mir die häufigen Besuche und die Vertraulichkeit vieler meiner ehemaligen Bekannten, die, als es mir wohl ging, sich zu mir gedrängt, im Unglücke aber mich verlassen und verleugnet hatten, nicht zusagen, kurz, ich hatte mich zur Genüge überzeugt, daß die Vergnügungen der großen Welt größtentheils Thorheit, die Geschäfte, die man darin macht, meist Betrug, beide aber nichts anders als Eitelkeit sind; indem die Lebemänner aus Wetteifer im Geldverschwenden, und die Geschäftsmänner aus Wetteifer im Geldverdienen einander gegenseitig zu Grunde richten. Mein ganzes Glück ward jetzt durch mein Weib begründet, das ich mit unaussprechlicher Zärtlichkeit, die vollkommene Erwiederung fand, liebte; und mein einziges Streben war, für unsere mit jedem Jahr zunehmende Familie zu sorgen, denn meine Frau war schon mit ihrem zweiten Kind schwanger; ich erforschte daher ihre Gesinnung, ob sie geneigt sei, sich zu einem stillen Leben zurückzuziehen, wozu sie auch, nachdem sie meine Gründe angehört, und sich von meiner Vorliebe dafür überzeugt, gern einwilligte. Wir setzten nun unser kleines, bis auf weniger als dreitausend Pfund zusammengeschmolzenes Vermögen in baares Geld um, kauften für einen Theil desselben diese kleine Besitzung, und zogen uns kurz nach der Niederkunft meiner Gattin aus einer Welt voll wilden Treibens, voll Haß, Neid und Undank hierher zurück, um ganz der Ruhe, der Zufriedenheit und der Liebe zu leben. Hier wohnen wir nun seit fast zwanzig Jahren, fast ganz auf unsere eigene Gesellschaft beschränkt, indem die meisten Nachbarn uns für Sonderlinge halten, der Squire im Dorf mich für einen Narren ausschreit, weil ich nicht mit ihm auf die Jagd gehen mag, der Pfarrer für einen Presbyterianer, weil ich nicht mit ihm zu zechen mich geneigt zeige.« – »Sir,« sagte Adams, »das Glück hat Ihnen meines Bedenkens in dieser lieben Einsiedelei alle seine Schulden abgetragen.« – »Auch bin ich,« erwiederte der Hausherr, »mit innigem Dank gegen die Vorsehung für alle Segnungen erfüllt, die mir hier geworden sind. Ich habe das beste Weib, und drei hübsche Kinder, denen ich mit aller Zärtlichkeit eines liebenden Vaterherzens anhänge. Doch kein Glück ist auf Erden ungetrübt; nach den drei ersten Jahren meines hiesigen Aufenthalts verlor ich meinen ältesten Sohn« – hier seufzte er bitterlich. – »Sir,« sprach Adams, »wir müssen uns Gottes Willen unterwerfen, und den Tod als ein Geschick betrachten, das uns alle erwartet.« – »O wohl weiß und fühle ich das,« versetzte Jener, »und wäre der arme Knabe gestorben, so hätte ich mich geduldig in mein Schicksal ergeben, aber ach Sir! er wurde mir von schändlichem Zigeunergesindel vor der Thüre fortgestohlen, und alle meine Nachforschungen nach ihm sind fruchtlos geblieben. – Das arme Kind! es hatte die holdesten Gesichtszüge – ganz seiner Mutter Ebenbild;« wobei ihm unwillkürlich einige Thränen entfielen, wie auch Herrn Adams geschah, der stets in solchen Fällen bereit war, mit seinen Freunden zu sympathisiren. – »So wäre ich denn,« sagte der Hausherr, »mit meiner Geschichte zu Ende, Sir; entschuldigen Sie, wenn ich zu umständlich gewesen bin, und lassen Sie uns jetzt, wenn's beliebt, noch eine Flasche trinken,« auf welchen Vorschlag der Pfarrer mit Dank einging.