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Drittes Buch.


Erstes Kapitel.

Einleitende Bemerkungen zum Lobe der Biographie.


Trotz des Vorzugs, den man gewöhnlich der Autorität jener Romanschreiber gewähren mag, welche ihre Werke »Geschichte von England, von Frankreich, von Spanien« ec., benennen, ist es doch ausgemacht, daß Wahrheit nur in den Schriften Derer zu finden ist, die das Leben großer Männer schildern, und gewöhnlich Biographen genannt werden; so wie man jene erstern eigentlich Topographen oder Chorographen nennen sollte, Worte, die den Unterschied zwischen ihnen genauer bezeichnen würden; indem die letztern besonders sich damit beschäftigen, Länder und Städte zu beschreiben, was ihnen mit Hülfe geographischer Karten meist ziemlich gelingt, so daß man sich allenfalls darauf verlassen kann; doch in Beziehung auf die Handlungen und Charaktere der Menschen sind ihre Schriften nicht ganz so zuverlässig, wofür er keiner andern Beweise bedarf, als jener ewigen Widersprüche zwischen zwei Topographen, welche uns die Geschichte desselben Landes mittheilen, zum Beispiel zwischen Lord Clarendon und Herrn Whitlock, zwischen Echart und Razin, und nach vielen andern. Da jeder derselben die Thatsachen in ein anderes Licht stellt, so glaubt der Leser, was er eben Lust hat; und in der That betrachten die scharfsinnigsten und mißtrauischsten Leser das Ganze mit Recht nur als einen Roman, worin der Verfasser sich einer glücklichen und fruchtbaren Einbildungskraft hingegeben hat. So sehr nun auch diese Schriftsteller in der Erzählung der Thatsachen von einander abweichen, indem manche den Sieg der einen, manche der andern Parthei zuschreiben, und einige denselben Menschen als einen Bösewicht schildern, dessen Charakter andere nicht genug zu preisen wissen, so sind sie doch alle über den Schauplatz einverstanden, wo die Thatsachen sich ereignet haben sollen, und wo die Person lebte, die hier aufs tiefste herabgesetzt, dort bis in den Himmel erhoben wird. Mit uns Biographen verhält es sich aber anders; die Thatsachen, die wir mittheilen, sind zuverlässig, wenn wir uns auch oft über Zeit und Ort, wann und wo sie sich ereignet haben, irren mögen. Es ist vielleicht immerhin einer kritischen Prüfung werth, ob der Schäfer Chrysostomus, welcher, wie Cervantes uns berichtet, aus Liebe zu der schönen Marcella, die ihm nicht gewogen war, starb, je in Spanien lebte; wird aber irgend Jemand zweifeln, daß ein solcher alberner Bursche wirklich einst lebte? Giebt's wohl auf der ganzen Erde einen solchen Skeptiker, daß Cardenios Wahnsinn, Ferdinands Treulosigkeit, Anselmos unverschämte Neugier, Camilla's Schwäche, Lothario's schwankende Freundschaft ihm als Mährchen erscheinen sollten, wenn auch der ehrliche Geschichtsschreiber in Beziehung auf die Zeit und den Ort, wo diese verschiedenen Personen gelebt haben mögen, seine Leser im Irrthum befangen zu lassen für gut findet. Das bekannteste Beispiel dieser Art findet sich in der wahren Geschichte des Gil Blas, in welcher der unnachahmliche Biograph sich offenbar in dem Vaterlande jenes Doctor Sanegrado geirrt hat, der seine Patienten zu behandeln pflegte, wie ein Weinschenk seine Fässer, indem er ihnen das Blut abzapfte, und sie dafür mit Wasser füllte. Weiß nicht Jeder, der im geringsten mit der Geschichte der Arzneikunde vertraut ist, daß Spanien nicht das Land war, worin dieser Doctor lebte? Eben so irrt sich derselbe Schriftsteller in dem Vaterland seines Erzbischofs und jener hochgebildeten Person, deren Verstand zu erhaben war, um an irgend etwas, als an Trauerspielen Geschmack zu finden, und in vielen andern. Aehnliche Mißgriffe lassen sich in Scarrons Schriften, den Mährchen der tausend und einer Nacht, der Geschichte Marianens und dem Paysan Parvenu nachweisen, und vielleicht bei einigen andern Schriftstellern dieser Classe, die ich nicht gelesen habe, oder deren ich mich jetzt nicht gleich entsinne; denn ich möchte um Alles nicht in den Verdacht gerathen, als begriffe ich darunter auch jene staunenerregenden Genies, die Verfasser unvergeßlicher Romane, oder die neueren Novellen- und Atalantis-Dichter, welche, ohne irgend die Natur oder die Geschichte zu Rathe zu ziehen, Personen schildern, die nie vorhanden waren, noch es je sein werden, und Begebenheiten, die sich möglicher Weise zu keiner Zeit zutragen konnten oder können; deren Helden von ihrer eigenen Schöpfung sind, und deren Gehirn das Chaos ist, woraus sie allen ihren Stoff sammeln. Nicht daß Schriftsteller dieser Art keine Ehre verdienten, ist in so weit gefehlt, daß ihnen vielleicht die höchste zusteht; denn was kann edler sein, als ein Muster von der wunderbaren Ausdehnung des menschlichen Genies aufzustellen? Man könnte auf sie anwenden, was Balzac vom Aristoteles sagt, sie seien von einer zweiten Natur (denn sie stehen außer Verbindung mit der ersten, vermöge welcher ein Schriftsteller aus einer niedrigern Klasse, der nicht für sich allein stehen kann, sich wie mit einer Krücke unterstützen muß); aber Die, von denen ich jetzt rede, scheinen sich des Besitzes jener Stelzen zu erfreuen, welche, wie der treffliche Voltaire uns in seinen Briefen sagt, den Genius sich schnell aber in unregelmäßigen Schritt bewegen lassen; – und zwar in der That weit aus den Augen des Lesers

Ueber die Grenzen hinaus der alten Nacht und des Chaos.

Doch um zur ersten Klasse zurückzukehren, die sich damit begnügt, der Natur nachzuahmen, statt aus dem verworrenen Stoff im eigenen Gehirn Originale zu schaffen; so frage ich, ist nicht ein Buch, wie das, worin die Thaten des berühmten Don Quixote berichtet werden, des Namens einer Geschichte viel würdiger, als selbst das Mariana's? Denn während sich der letztere auf einen bestimmten Zeitraum und eine besondere Nation beschränkt, ist ersteres die Geschichte der Welt im Allgemeinen, wenigstens jenes Theils derselben, der durch Gesetze, Künste und Wissenschaften aufgeklärt ist, und zwar von dem ersten Beginn dieser Aufklärung bis auf den heutigen Tag; ja in die Zukunft hinaus, so lange jene Zustände in dieser Art bestehen werden.

Ich gehe jetzt zu der Anwendung meiner Bemerkungen auf das vor uns liegende Werk über; denn ich habe dieselben in der That besonders in der Absicht entwickelt, gewissen Auslegungen zu begegnen, welche die Gutmüthigkeit mancher Menschen, denen immer daran gelegen ist, daß die Tugenden ihrer Freunde gepriesen werden, bei dieser oder jener Stelle sich erlauben möchten. Ich zweifle nicht, daß mehrere meiner Leser den Rechtsgelehrten in der Landkutsche erkennen werden, sobald sie nur seine Stimmen hörten. Eben so will ich darauf wetten, daß der Witzbold und die spröde Dame, so wie meine übrigen Personen einigen Lesern nicht unbekannt sind. Um daher derartigen boshaften Deutungen vorzubeugen, erkläre ich ein für allemal, daß ich nicht den einzelnen Menschen, sondern Charaktere im Allgemeinen, nicht ein Individuum, sondern eine Gattung schildere. Vielleicht fragt man hier: Sind denn aber Ihre Charaktere nicht aus dem Leben genommen? Hierauf erwiedere ich bejahend; ich könnte, glaube ich, selbst nachweisen, daß ich nicht viel mehr geschildert habe, als was ich wirklich gesehen. Der Rechtsgelehrte lebt nicht allein jetzt noch, sondern er existirte seit viertausend Jahren, und der Himmel wird ihn, hoffe ich, noch einmal so lange erhalten. Er beschränkte sich allerdings nicht immer auf denselben Stand, dieselbe Religion, oder dasselbe Vaterland; aber als das erste niedrige selbstsüchtige Geschöpf auf der menschlichen Bühne erschien, das sich selbst zum Mittelpunkt der ganzen Schöpfung machen, sich keine Mühe geben, in keine Gefahr sich wagen, kein Geld herausrücken wollte, wenn es darauf ankam, ein Mitgeschöpf zu unterstützen oder zu erhalten – zu derselben Zeit wurde auch unser Rechtsfreund geboren, und so lange ein derartiger Mensch, wie der eben geschilderte, noch auf Erden ist, so lange wird auch er auf ihr bestehen; es heißt, ihm daher nur wenig Ehre erweisen, wenn man wähnt, er bemühe sich, irgend einen unbedeutenden Burschen nachzuahmen, weil er diesen etwa in einem einzelnen Zuge gleicht, oder demselben Stande angehört. Nein, sein Auftreten in der Welt ist auf viele allgemeinere und edlere Zwecke berechnet; nicht nur einen einzigen armseligen Wicht dem kleinen und unbedeutenden Kreise seiner Bekannten preiszugeben, sondern um Tausenden in ihrem Kämmerlein den Spiegel vorzuhalten, damit sie ihre Mißgestalt anschauen, sie zu bessern suchen, und so, indem sie geheime Beschämung erdulden, der öffentlichen Beschimpfung sich entziehen mögen. Dies unterscheidet den Satiriker von dem Pasquillanten, und zieht die Grenzlinie zwischen ihnen; denn der erstere bessert im Geheimen den Fehler zum besten des Fehlenden, einem liebenden Vater gleich; der letztere stellt die Person öffentlich an den Pranger, Andern zum Beispiel, gleich einem Scharfrichter.

Ueberdem sind noch manche kleine Umstände zu erwägen. Die Aehnlichkeit der Gesichtszüge leidet eben so wenig hierunter, als die eines Portraits wegen der Draperie, die in Folge der Mode zu verschiedenen Zeiten eine andere sein kann. So glaube ich, können wir kühnlich sagen, Mistreß Towwouse sei gleichzeitig oder von gleichem Alter mit unserm Rechtsgelehrten; und obgleich sie auf der Seelenwanderung durch so viele Zeiten dem Wechsel der Dinge gemäß einem Wirthshause vorgestanden haben kann, so will ich doch nicht Anstand nehmen, zu behaupten, daß sie auch schon in dem Wandel der Zeiten auf einem Königsthrone gesessen hat. Mit einem Wort, wo ein heftiges störrisches Gemüth, Geiz, Gefühllosigkeit für Menschenelend mit einem gewissen Grad von Heuchelei verbunden sich in einem weiblichen Charakter vereinigt haben, da war Mistreß Towwouse dieses Weib; und wo gute Anlagen des Herzens, durch Mangel an Geist und Verstand darnieder gehalten, sich in einem Mann zeigten, da war dieser kein anderer, als ihr demüthiger Ehegenosse.

Ich will meine Leser nicht länger aufhalten, als um sie noch vor einem entgegengesetzten Mißgriff zu warnen; denn wie wir in den meisten unsrer einzelnen Charakteren nicht Individuen, sondern Alle, die zu einer Gattung gehören, preiszugeben beabsichtigen, so ist's hingegen in unsern allgemeinen Beschreibungen nicht auf einzelne Ausnahmen abgesehen; in unserer Schilderung vornehmer Leute zum Beispiel darf nicht die Absicht unterstellt werden, als seien auch Jene mit eingeschlossen, die ihrem hohen Range Ehre machen, ohne deßhalb andern, welche das Glück um vieles tiefer gestellt hat, durch das Gefühl ihrer Ueberlegenheit zu drücken. Unter diesen könnte ich einen Pair nennen, der gleich begünstigt von der Natur wie von dem Glück, nicht allein die edelsten Ehrenzeichen äußerlich, sondern auch das echteste Gepräge der Würde in seinem mit Hoheit geschmückten, mit Kenntnissen bereicherten, durch Genie verschönerten Innern trägt. Diesen Mann sah ich wie einen freien Menschen ohne Standesvorurtheile mit Andern, die dessen würdig waren, aber doch in der Gesellschaft tief unter ihm standen, vertraulich und ohne Hochmuth umgehen, und den Gönner und Beschützer mit dem Freund vereinigen. Ich könnte ferner ein Mitglied des Unterhauses nennen, das seine überlegenen Talente höher über die Menge stellt, als sein Fürst selbst es zu thun vermöchte; einen Mann, dessen Benehmen gegen Die, denen er sich gefällig zeigte, die erwiesene Gefälligkeit selbst am Werthe übertrifft, und dessen Leutseligkeit so groß ist, daß, könnte er sich einer gewissen angebornen Hoheit entäußern, der geringste seiner Bekannten oft vergessen dürfte, wer in dem Palast, wo man so gastlich aufgenommen wird, der Herr und Gebieter sei. Dies sind Gemälde, die, denke ich, erkannt werden müssen; ich erkläre, daß sie nach dem Leben gezeichnet wurden, und es nicht zu überbieten beabsichtigen. Unter den vornehmen Leuten also, die ich früher schilderte, meine ich gewisse armselige Wichte, welche – eine Schmach der Ahnen, deren Würden und Schätze sie erben (oder vielleicht eine größere Schmach ihrer Mütter, ohne die solch' eine Entartung kaum glaublich ist) – die Unverschämtheit haben, diejenigen verächtlich zu behandeln, die dem Gründer ihres eigenen Glanzes wenigstens gleich stehen. Mich dünkt kein Anblick unserer Entrüstung würdiger, als der eines Elenden, der nicht nur ein Schandfleck auf dem Wappenschild eines edlen Geschlechts, sondern auch ein Schimpf für die Menschheit überhaupt ist, und dabei seine Verachtung Männer empfinden läßt, die dem Menschengeschlecht eine Ehre und dem Glück ein Vorwurf sind.

Und nun, Leser, magst Du, diese Winke berücksichtigend, wenn es Dir sonst zusagt, den fernern Verfolg dieser unserer wahrhaften Geschichte vernehmen.


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