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Dreizehntes Kapitel

Eine Dissertation über vornehme Leute und gemeine Leute; ferner, wie Mistreß Slipslop nicht in der heitersten Gemüthsstimmung sich entfernte, und Herrn Adams nebst dessen Gesellschaft in großer Bedrängniß zurückließ.


Ohne Zweifel werden es viele Leser höchst seltsam finden, daß Mistreß Slipslop, die mehrere Jahre mit Fanny in demselben Hause gelebt hatte, nach einer kurzen Abwesenheit ihrer gänzlich vergessen haben sollte; aber die Wahrheit zu gestehen, sie erinnerte sich ihrer noch sehr wohl. Da wir nun ungern möchten, daß irgend etwas in dieser unserer Geschichte unnatürlich erscheinen könnte, so wollen wir uns bemühen, die Gründe ihres Benehmens zu entwickeln, und hoffen, selbst den wißbegierigsten Leser genügend überzeugen zu können, daß Mistreß Slipslop hierin nicht im mindesten ihrem gewöhnlichen Benehmen untreu wurde, ja daß sie gar nicht anders handeln konnte, wenn sie sich nicht selbst erniedrigen und gerechtem Tadel sich aussetzen wollte.

Kund und zu wissen sei denn, daß das Menschengeschlecht in zwei Abtheilungen zerfällt, nämlich in die der vornehmen und in die der gemeinen Leute. So wenig ich unter den ersteren durchgängig Menschen meinen kann oder will, die an Körper oder auch an Geist und Fähigkeiten von der Natur bevorzugt sind, so wenig kann und will ich auch von den letztern das Gegentheil behaupten; nein, vornehme Leute sind nichts anders als Leute von Ton, gemeine die von Unton. – Nun hat aber das Wörtchen Ton durch langen Gebrauch seine ursprüngliche Bedeutung so verloren, daß wir jetzt einen ganz andern Begriff damit verbinden, denn ich müßte mich sehr irren, oder wir verstehen unter Leuten von Ton im allgemeinen diejenigen, die durch Geburt und Fähigkeiten den übrigen Menschen überlegen sind. In der Wirklichkeit hingegen bezeichnete man ursprünglich als eine Person von Ton nur eine solche, die sich nach der neuesten Mode kleidete, und das Wort bedeutet in der That noch heutigen Tages durchaus nichts mehr. Da nun die Welt einmal in Leute von vornehmem und gemeinem Ton getheilt wurde, so ist eine heftige Fehde zwischen ihnen ausgebrochen, und um den Verdacht eines verrätherischen Einverständnisses zu meiden, dürfen die von der einen Partei nicht öffentlich mit denen von der andern sich einlassen, wenn sie auch oft im Geheim in recht gutem Vernehmen stehen mögen. Es läßt sich schwer behaupten, welche Partei in dieser Fehde den Sieg behauptet; denn während die Leute von Ton gewisse Orte, wie Höfe, Assembleen, Opern, Bälle ec. zu ihrer ausschließlichen Nutznießung sich vorbehielten, blieben die Leute von Unton in fortwährendem Besitze der Jahrmärkte, Kirchweihen, blauen Montage, des königl. Bärengartens ec. Zwei Arten von Versammlungen besuchen jedoch Beide einmüthiglich in Gemeinschaft, nämlich die Kirche und das Schauspielhaus; doch auch hier halten sie sich auf eine merkwürdige Weise von einander geschieden; denn wie die Leute von Ton sich in der Kirche über die Köpfe der Leute von Unton erheben, so erniedrigen sie sich dagegen im Schauspielhause in demselben Grade unter deren Füße. Noch habe ich Niemanden gefunden, der mir über den Grund hiervon genügende Auskunft hätte geben können; doch so viel ist bestimmt, daß beide Klassen, weit entfernt, einander in der christlichen Sprache als Brüder anzusehen, sich kaum als Geschöpfe derselben Gattung anzuerkennen scheinen. Dies beweisen offenbar die Ausdrücke: »Lumpenvolk, Gesindel, Kreaturen, Pack, Pöbel, Lumpen«, und mehrere andere, welche der Mistreß Slipslop bei ihrer Gebieterin so oft zu Ohren gekommen waren, daß sie zuletzt selbst ein Recht zu haben glaubte, sich ihrer zu bedienen; und hierin mochte sie auch nicht irren; denn beide Parteien, besonders jene Individuen derselben, die einander am nächsten stehen, nämlich die Gemeinsten unter den Vornehmen, und die Vornehmsten unter den Gemeinen wechseln oft ihre Rollen je nach Ort und Zeit; denn diejenigen, die an einem Ort Leute von Ton sind, werden oft an einem andern als Leute von Unton betrachtet, und was die Zeit betrifft, so dürfte es nicht unangemessen sein, sich die Grade der Abhängigkeit, wie eine Art von Leiter vorzustellen, als zum Beispiel: Früh bei Tagesanbruch steht in großen Häusern der Jokei oder ein anderer Bursche auf, und fällt mit Bürsten bewaffnet über die Kleider und Schuhe Johannes des Bedienten her, welcher, sobald er selbst angekleidet ist, dasselbe Geschäft bei Herrn Secondhand, dem Kammerdiener des Squire, verrichtet, ein wenig später wartet denn der Kammerdiener diesen wieder eben so auf, der nun, so bald er sich in Staat geworfen, Mylords Befehle entgegenzunehmen eilt; und kaum ist es geschehen, so findet sich Mylord selbst bei der Toilette des königlichen Günstlings ein, welcher seinerseits, nachdem die Stunde der Audienz vorüber ist, dem Monarchen selbst seine Kour zu machen sich anschickt. Auf dieser ganzen Rangleiter ist vielleicht keine einzige Stufe weiter von der andern entfernt, als die zweite von der ersten, so daß ein Philosoph dabei nichts der Erwägung würdig finden dürfte, als ob Jemand lieber früh Morgens um sechs, oder Nachmittags um zwei Uhr ein großer Mann sein möchte; gleichwohl sind gewiß kaum zwei von jenen Allen, die nicht die geringste Vertraulichkeit mit einem niedriger Stehenden für eine Herablassung, und wäre es gar um eine Stufe tiefer, für eine Herabwürdigung halten würden.

Ich hoffe, der Leser wird diese lange Abschweifung entschuldigen, die mir nöthig schien, den erhabenen Charakter der Mistreß Slipslop gegen den Vorwurf einer albernen Aufführung zu vertheidigen, der ihr etwa von gemeinen Leuten, welche nie vornehme gesehen, gemacht werden könnte; doch wir, die wir letztere kennen, müssen täglich die Erfahrung gemacht haben, daß sehr vornehme Personen an einem Ort uns zu kennen und mit uns sehr vertraut zu sein scheinen, an dem andern wenig oder gar nicht; – heute und nicht morgen; – was alles auf eine andere Weise, wie ich's versucht habe, schwer zu erklären sein dürfte; und so viel möchte ich fast behaupten, wenn die Götter, wie Einige meinen, das Menschengeschlecht nur geschaffen haben, um über dasselbe zu lachen, so ist mir in unserm ganzen Benehmen nichts bekannt, das diesem Zwecke unserer Schöpfung vollkommener entspräche.

Doch zurück zu unserer Geschichte. Adams, der von allem diesem so wenig wußte, wie die Katze, die in einer Ecke der Stube saß, glaubte wirklich, der Mistreß Slipslop Gedächtniß sei viel schlechter, als es in der That war, und folgte ihr in das nächste Zimmer, indem er ihr mit lauter Stimme nachrief: »Mistreß Slipslop, da ist eine alte Bekannte von Ihnen; sehen Sie nur, was sie für ein hübsches Mädchen geworden ist, seitdem sie der Lady Borby Dienste verlassen hat.« – »Es ist mir, als reflectirte ich etwas von ihr,« antwortete Jene mit hoher Würde, »aber ich kann mich unmöglich auf jede Dienstmagd in unserm Hause besinnen.« – Hierauf befriedigte sie die Neugierde des Herrn Adams, indem sie ihm erzählte, sie habe bei ihrer Ankunft in dem letzten Wirthshause eine für sie bereit stehende Chaise gefunden; ihre Lady werde binnen kurzem auf dem Lande erwartet, sie müsse daher in möglichster Eile reisen, und habe aus Commensuration mit Josephs lahmem Bein ihn mit einsitzen lassen, vor der schrecklichen Virulenz des Sturms aber hier in der Schenke absteigen müssen. Sie setzte Herrn Adams auch in Kenntniß, daß er sein Pferd zurückgelassen habe, und bezeigte einige Verwunderung, ihn theils so weit von seinem Wege ab, theils in Gesellschaft mit einer Dirne zu finden, die am Ende auch nicht viel mehr werth sein möge, als sie sein sollte.

Kaum war Adams an sein Pferd erinnert worden, als er es sofort in Folge dieses Ausfalls gegen Fanny wieder vergaß. Er sagte, es gebe, glaube er, auf der ganzen Welt kein sittsameres Mädchen, und, fügte er mit den Fingern schnippend hinzu, »ich wünschte von Herzen, ja von Herzen wünsche ich, Alle, die sich besser dünken, wären eben so gut.« – Hierauf berichtete er, welches Ereigniß ihn mit dem jungen Mädchen zusammengebracht, als er aber den Umstand erwähnte, wie er den Angriff auf ihre jungfräuliche Ehre abgewehrt, äußerte die Sliplop, er scheine ihr mehr für den Wehr- als Lehrstand geeignet zu sein; es zieme einem Geistlichen wenig, gewaltsame Hände an irgend Jemanden zu legen; lieber hätte er beten sollen, daß der Himmel ihr Kräfte zur Gegenwehr verleihen möge. Adams sagte, er sei weit entfernt, sich dessen, was er gethan, zu schämen, worauf sie erwiederte: Mangel an Scham sei nicht das Currikuristische eines Geistlichen. Dieses Zwiegespräch würde wahrscheinlich immer hitziger geworden sein, wenn nicht Joseph noch zur rechten Zeit in das Zimmer getreten wäre, um sich der Mistreß Slipslop Erlaubniß auszubitten, ihr Fanny vorstellen zu dürfen; doch sie weigerte sich durchaus, eine solche Landstreicherin vor sich zu lassen, und versicherte: sie würde lieber ins Feuer gegangen sein, als ihn in die Chaise zu sich genommen zu haben, hätte sie nur einen Augenblick respiziren können, daß unverschämte Dirnen ihm unterwegs aufpaßten, indem sie noch hinzufügte, Herr Adams spiele hierbei eine so erbauliche Rolle, daß sie hoffe, ihn noch als Bischof zu sehen. Der Pfarrer machte ihr hierauf seinen besten Bückling, und erwiederte: »Meinen schönsten Dank für diesen ehrwürdigen Titel, den ich auf jede ehrliche Weise zu verdienen suchen werde.« – »Nun das nenne ich eine ehrliche Weise,« entgegnete sie mit einem höhnischen Lächeln, »junge Leute zusammen zu bringen!« – Bei diesen Worten maß Adams zwei oder dreimal mit großen Schritten das Zimmer, als der Kutscher eintrat, und Mistreß Slipslop meldete, der Sturm sei vorüber, und der Mond scheine sehr hell. Sie ließ jetzt Josephen rufen, der zu seiner Fanny zurückgekehrt war, und lud ihn ein, mit ihr weiter zu fahren; als er sich jedoch bestimmt weigerte, Fanny zurückzulassen, gerieth die Zofe in die heftigste Wuth. Sie sagte: sie wolle ihrer gnädigen Frau schon berichten, was hier für schöne Dinge vorgingen, und hoffe, binnen kurzem das Dorf von solchem Gesindel gereinigt zu sehen. Sie schloß ihre lange mit Hohn- und Schmähworten reichlich ausgestattete Rede mit einigen Bemerkungen über die Geistlichkeit, die wir nicht wiederholen mögen, als sie aber Joseph unbeweglich fand, warf sie sich in die Chaise mit einem Blick auf Fanny, nicht unähnlich jenem, womit Cleopatra auf dem Theater die Octavia darniederzuschmettern sucht. Die Wahrheit zu sagen, Fanny's Gegenwart war der Slipslop äußerst zuwider gewesen; von dem ersten Augenblick an, da sie mit Joseph im Wirthshause zusammentraf, hatte sie ihre Hoffnung auf etwas gestellt, das in einer Schenke so gut wäre zu veranstalten gewesen, wie in einem Palast, und es ist in der That wahrscheinlich, daß Herr Adams in dieser verhängnißvollen Nacht nicht Fanny allein vor einem gewaltsamen Angriff auf die weibliche Tugend gerettet hatte.

Als die wüthende Slipslop in der Chaise abgefahren war, setzten sich Adams, Joseph und Fanny um das Feuer vor das Kamin, wo sie viel munteres unschuldiges Geschwätz trieben; doch da dieses möglicher Weise nicht sehr unterhaltend für den Leser sein möchte, so wollen wir dem Morgen entgegen eilen, und nur bemerken, daß niemand von den Dreien diese Nacht zu Bette ging. Adams, als er drei Pfeifchen geraucht, nickte behaglich in einem Großvaterstuhl, und ließ dem Liebespärchen, welches die Augen zu gut zu gebrauchen wußte, um sie schließen zu mögen, volle Freiheit, einige Stunden lang eines Glücks theilhaftig zu werden, von dem keiner unserer Leser, falls er nie geliebt hat, sich einen noch so entfernten Begriff machen könnte; und hätten wir, es zu schildern, so viel Zungen als Homer sich wünschte, – ein Glück, das andererseits alle wahre Liebende ohne den mindesten Beistand von uns sich auf das lebhafteste vergegenwärtigen werden.

Es genüge daher hier zu sagen, daß Fanny nach tausend Bitten endlich ihr ganzes Herz Josephen ergab, und fast ohnmächtig ihm in die Arme sinkend, mit einem Seufzer, unendlich sanfter und auch süßer als ein Lüftchen aus Arabien an seinen zu den ihrigen dicht sich drängenden Lippen flüsterte: »O Joseph! Du hast mein Herz gewonnen; ich will für immer Dir angehören.« – Joseph dankte ihr auf den Knieen, umarmte sie mit einer Inbrunst, welche sie jetzt fast erwiederte, sprang dann in einem Rausche des Entzückens auf, und weckte den Pfarrer, ihn flehentlich bittend: er möge sogleich ihre Hände zusammenfügen. Adams schalt ihn hierüber tüchtig aus, und sagte, er werde nie gegen die kirchlichen Formen verstoßen; es fehle an einer Dispensation, auch wolle er ihnen nicht rathen, um eine solche anzuhalten; die Kirche habe eine Form vorgeschrieben, nämlich das öffentliche Aufgebot, worin alle guten Christen sich billig fügen sollten, und deren Verletzung er das viele Elend zuschreibe, welches vornehme Leute in Heirathsangelegenheiten verfolgen. »Welche,« schloß er, »auf eine andere Weise, als Gottes Wort zuläßt, verbunden werden, solche sind nicht durch Gott verbunden, noch ist ihre Ehe eine rechtmäßige.« Fanny stimmte dem Pfarrer bei, und sagte zu Joseph mit tiefem Erröthen: sie werde nie in so etwas willigen, und müsse sich wundern, daß er auf solche Gedanken komme. Hierüber wurde sie von Adams höchlich gelobt, und Joseph mußte sich auf das dritte Aufgebot vertrösten lassen, doch versprach ihm Fanny in des Pfarrers Gegenwart, gleich bei ihrer Ankunft im Dorf sich zum Erstenmale aufbieten zu lassen. Die Sonne stand schon einige Stunden am Himmel, als Joseph, der sein Bein außerordentlich gestärkt fühlte, vorschlug, ihre Reise fortzusetzen; auch waren sie schon bereit dazu, als ein kleiner Umstand sie noch zurückhielt. Dies war nichts weiter als die Rechnung, die sich auf sieben Schilling belief, keine große Summe, wenn wir erwägen, wie viel Bier Herr Adams zu sich genommen hatte, auch ward nicht der mindeste Einwurf gegen die Billigkeit der Rechnung vorgebracht, desto mehr aber gegen die Wahrscheinlichkeit, sie zu bezahlen; denn der Bursche, welcher Fanny ihrer Börse beraubte, hatte unglücklicherweise deren Rückgabe vergessen, die Vermögensangelegenheiten ergaben sich nun wie folgt:

 

Herr Adams u. Comp. debent 0 Pfd. 7 Schill. 0 Pence.
    ___________________________
In Herrn Adams Tasche   0 Pfd. 0 Schill. 6½ Pence.
In Herrn Josephs Tasche   0 Pfd. 0 Schill. 0 Pence.
In Fanny's Tasche   0 Pfd. 0 Schill. 0 Pence.
    ___________________________
Verbleiben passiva  0 Pfd. 6 Schill. 5½ Pence.

 

Sie standen schweigend einige Minuten einander gegenüber, sich gegenseitig anstarrend, bis Adams auf den Zehen hinausschlüpfte, und die Wirthin fragte, ob ein Geistlicher in der Nähe wohne? Sie antwortete bejahend. – »Ist er reich?« fragte er weiter, was ebenfalls bejaht wurde. Mit den Fingern schnippend und voll Entzücken kehrte Adams nun zu seinen Reisegefährten mit dem Ausruf: »Heureka, heureka!« zurück, was er, da sie es nicht verstanden, ihnen denn so dollmetschte, sie möchten außer Sorgen sein, denn er habe einen Collegen in der Nähe, der die Rechnung bezahlen werde; er wolle gleich zu ihm, und werde bald wieder zurück sein.


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