Joseph Smith Fletcher
Der Stadtkämmerer
Joseph Smith Fletcher

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28. Kapitel.

Vergangenheit.

Aber bevor alle am Tisch Platz nahmen, erhob sich Mr. Wraythwaite und forderte Avice auf, mit ihm hinauszugehen.

»Carfax, ich weiß alles, was Sie Mr. Brereton erzählen wollen«, sagte er. »Und ich glaube, daß es Miß Harborough nicht so sehr interessieren wird, wenigstens nicht im Augenblick. Ich will mich inzwischen ein wenig mit ihr unterhalten. Vorher möchte ich aber noch erwähnen, daß Mr. Harborough bereits von allem verständigt ist, daß seine Entlassung aus dem Gefängnis bevorsteht.«

Als die beiden das Zimmer verlassen hatten, wandte sich Mr. Carfax wieder an Brereton.

»Diese beiden Herren, Mr. Stobb und Mr. Leykin, waren früher im Dienst der Polizei, haben jetzt aber eine eigene Auskunftei gegründet.«

»Also haben Sie private Nachforschungen angestellt? Etwa in Verbindung mit der Ermordung Mr. Kitelys?«

»Ich werde Ihnen alles erzählen«, fuhr Mr. Carfax fort. »Als Wraythwaite, der nebenbei bemerkt, viel für Mr. Harborough und seine Tochter tun wird, erfuhr, was in Highmarket passierte, war er sehr bestürzt. Zuerst hatte er die Absicht, sofort dorthin zu fahren und vor Gericht eine Erklärung abzugeben. Vorher aber fragte er mich um Rat, und ich sagte ihm, daß Harborough nichts passieren würde. Er könnte die Sache auf sich beruhen lassen, bis er seine eigenen Ansprüche durchgesetzt hätte. Da er nicht selbst kommen konnte, schickte er dann wenigstens das Geld. Außerdem bemühten sich Mr. Stobb, Mr. Leykin und ich um die Aufklärung der Angelegenheit.«

Mr. Carfax zog ein Notizbuch aus der Tasche und blätterte darin.

»Wraythwaite kaufte und las alle Zeitungen, die in Norcaster und Highmarket erschienen. Bei dem Bericht über die erste Verhandlung vor dem Polizeigericht fiel ihm besonders die Vernehmung der Miß Pett durch Sie auf. Er brachte mir die Zeitung, und wir lasen diesen Abschnitt aufmerksam zusammen durch. Und obwohl wir genau wußten, daß wir Harboroughs Unschuld glänzend beweisen konnten, beschlossen wir doch, das Vorleben der Miß Pett einer eingehenden Prüfung zu unterziehen.«

Brereton richtete sich plötzlich auf. Er hatte ja selbst zu Beginn der ganzen Sache Verdacht auf sie gehabt, aber dann war so viel dazwischengekommen, daß er es vergessen hatte.

»Wir engagierten Mr. Stobb und Mr. Leykin. Die Aussagen der Miß Pett machten es nicht schwer, mit den Nachforschungen zu beginnen. Sie selbst hat ja gesagt, daß sie Haushälterin bei einem Major Stilman in Woking war und vorher Stellungen in zwei Londoner Hotels inne hatte. So fuhr Mr. Stobb nach Woking und Mr. Leykin zog in London Erkundigungen ein. Ich glaube aber, daß die beiden Herren Ihnen jetzt am besten selbst die Resultate ihrer Nachforschungen mitteilen.«

Mr. Stobb glich mehr einem ehrsamen Gastwirt als einem Detektiv. Er wandte sich lächelnd an Brereton.

»Meine Aufgabe war sehr leicht. In ein paar Stunden brachte ich in Woking alles heraus, was ich wissen wollte. Dort können sich noch viele Leute gut auf Miß Pett besinnen. Die Angaben über ihren dortigen Aufenthalt stimmten vollkommen. Aber natürlich gab sie nur die allgemein bekannten Tatsachen an. Miß Pett war lange Zeit Haushälterin bei Major Stilman, einem pensionierten Infanterieoffizier, der zuletzt mehr oder weniger Invalide war. Er litt schwer unter einer Neuralgie und mußte Betäubungsmittel nehmen, um diese Schmerzen zu lindern. Das war in ganz Woking bekannt. Miß Pett besorgte die Betäubungsmittel in dortigen Apotheken. Eines Tages fand man Major Stilman tot in seinem Bett, und verschiedene Drogen lagen auf dem kleinen Tisch neben ihm. Es wurde eine Totenschau abgehalten. Nach den übereinstimmenden Aussagen mehrerer Ärzte und Apotheker kam man zu dem Urteil, daß sein Tod einem Unglücksfall zuzuschreiben sei, da er eine zu große Dosis Opium genommen hatte. Miß Pett kam damals in Woking ebensowenig in Verdacht wie jetzt in Highmarket.«

»Glauben Sie denn, daß sie an dem Tod Kitelys schuldig ist?« fragte Brereton.

»Ich habe mich noch genauer um die Sache gekümmert«, fuhr Mr. Stobb fort. »Der Major hatte nur ein kleines Vermögen, aber immerhin waren es dreitausend Pfund. Diese Summe sowie seine Möbel hatte er Miß Pett vermacht. Das Testament war zwölf Monate vor Stilmans Tod aufgesetzt worden und wurde sofort nach seinem Tode der Behörde zur Bestätigung eingereicht. Miß Pett kam in den Besitz der Erbschaft, verkaufte sofort alle Möbel und verließ die Gegend.«

Carfax nickte nachdenklich und sah dann zu Mr. Leyking hinüber.

»Nun erzählen Sie bitte, was Sie erfahren haben.«

»Was Miß Pett über ihre Anstellung in zwei Londoner Hotels angibt, entspricht vollkommen den Tatsachen«, begann Mr. Leykin. »Sie war dort tätig, ehe sie zu Major Stilman ging. An keinem der beiden Plätze konnte man ihr etwas Schlechtes nachsagen. Sie sagte Ihnen doch auch, daß sie vorher bei ihrem Vater auf einem kleinen Gut in Sussex lebte. Das stimmt auch, aber das war lange vorher. Zwischendurch war sie zehn Jahre in Indien, und zwar als Kindermädchen in der Familie eines Offiziers. Und in Indien stand sie unter der Anklage, eine Mitangestellte erdrosselt zu haben. Es handelte sich um eine Halbe, auf die sie eifersüchtig war.«

Brereton fuhr aufgeregt in die Höhe. Aber Carfax gab Leykin ein Zeichen, fortzufahren.

»Den Bericht hierüber habe ich Mr. Carfax übergeben. Er ist wert, daß man ihn liest. Ich will Ihnen den Hauptinhalt in ein paar Worten sagen. Miß Pett hatte sich offenbar in den Burschen ihres Herrn verliebt, ohne daß dieser ihre Neigung erwiderte, und wurde nun wahnsinnig eifersüchtig auf diese junge Halbe, die Kinderwärterin in derselben Familie war. Eines Abends fand man dieses Mädchen dann in der Nähe der Villa tot auf. Um ihren Hals lag eine Schlinge, und sie war erdrosselt. Ihr goldener Schmuck war verschwunden. Die Anklage gegen Miß Pett wurde erhoben, aber sie wurde schließlich freigesprochen, da sie ihr Alibi anscheinend nachweisen konnte. Unter den Zeugenaussagen war vor allem eine für mich interessant. Daraus ergab sich nämlich, daß sich Miß Pett besonders für die Würgersekte in Indien interessierte und verschiedene Bücher darüber gelesen hatte. Sie hatte auch den anderen Dienstboten erzählt, daß diese Leute ihre Opfer mit einem feinen Seidenschal erwürgen. Das junge Mädchen war nun tatsächlich mit einem Seidenschal ermordet worden, und hätte man nachweisen können, daß er sich früher im Besitz von Miß Pett befand, so wäre sie damals zum Tode verurteilt worden. Aber man sprach sie infolge Mangels an Beweisen frei. Sie verlor ihre Stellung und kehrte nach England zurück.«

»Sie glauben also alle, daß Miß Pett Kitely ermordet hat?« fragte Brereton und sah gespannt von einem zum andern. »Bitte beantworten Sie mir diese Frage.«

»Aber, mein lieber Brereton, Sie haben doch wohl selbst soviel Urteilskraft, nachdem Sie von dem Vorleben dieser Frau gehört haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat sie doch damals diese Halbe in Indien umgebracht, und sicher hat sie auch Major Stilman eines sanften Todes sterben lassen. Ebenso hat ihr Kitelys Tod nur Vorteil gebracht.«

»Was werden Sie nun tun?« fragte Brereton.

»Ich nehme diese beiden Herren nach Highmarket mit«, antwortete Carfax. »Sie sollen alles, was Sie eben gehört haben, auch der Polizei dort berichten.«

 


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