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In dem Hause der Frau Gräfin Baulen hatte sich indessen, und in dem kurzen Zeitraum von wenigen Wochen, außerordentlich viel verändert. Das ganze Haus war eigentlich auf den Kopf gestellt, und so still es sonst gewesen, glich es jetzt einem Bienenstock, in dem eine Menge von fremden Menschen täglich ein und aus schwärmte – wenn sie auch eben keinen Honig eintrugen.
Der sogenannte ›Gartensalon‹ unten, wie man früher das größte Zimmer genannt, war nämlich in eine Werkstätte verwandelt worden, in der sieben kleine Tische mit eben so vielen Stühlen standen, während auf jedem ein dickes, viereckiges Brett aus hartem Holz und ein kleines Messer lagen.
Fünf von diesen waren mit Arbeitern in Hemdsärmeln besetzt, die Haufen von Tabaksblättern neben sich liegen und ein Kistchen oder einen Korb dabei stehen hatten, in denen fertige und noch feuchte Cigarren aufgeschichtet lagen, und in der Stube selber, an eingeschlagenen derben Nägeln waren Seile ausgespannt, auf denen breite Deckblätter zu oberflächlichem Abtrocknen aufgehangen waren.
Die Fenster waren geöffnet, theils um die milde Luft herein, anderntheils um den dichten Tabaksqualm hinaus zu lassen, denn die fünf Cigarrenmacher rauchten die eben gewickelten und noch biegsamen Cigarren mit einer wahren Leidenschaft. Allerdings hatte ihnen das die Frau Gräfin im Anfange nicht gestatten wollen, und in den ersten Tagen war es nur Oskar und Herrn von Pulteleben erlaubt gewesen, im Hause zu rauchen. Da sich die Leute aber zu arbeiten weigerten, wenn sie nicht ihre Cigarre dabei rauchen dürften, und sogar die Bibelstelle mit dem dreschenden Ochsen und dem Maulverbinden citirten, sah sich die Frau Gräfin genöthigt, in ihrer Strenge nachzulassen. Es hatte überdies Mühe genug gekostet, Leute aufzutreiben, die im Cigarrendrehen erfahren waren, und es hing jetzt Alles davon ab, eine größere Quantität fertig zu bringen und auf den Markt zu werfen.
Die beiden jetzt leer stehenden Tische im untern Zimmer verriethen vor den übrigen eine kleine Auszeichnung. Erstlich standen Rohrstühle davor, und dann hatten die auf dem Brett liegenden Messer Perlmuttergriffe.
Hier sollten oder wollten Herr von Pulteleben und Oskar arbeiten, und in der ersten Woche waren sie auch in der That die Ersten und Letzten dabei gewesen. Dieser Eifer aber verrauchte freilich bald, und Oskar erklärte schon am Montag Morgen der zweiten Woche, daß er nicht nach Brasilien gekommen wäre, um »wie eine Sclave zu schanzen«, er hätte sich sonst gleich von vornherein schwarz anstreichen lassen.
Herr von Pulteleben hielt länger aus; er ging wenigstens ab und zu in die Fabrik, um einesteils die Arbeiter zu überwachen, anderntheils aber auch einmal ein Paar Dutzend Cigarren fertig zu bringen, die aber freilich alle noch eine solche außergewöhnliche Form hatten, daß er sie selber rauchen mußte und nur einzeln zwischen die regelrecht gefertigten der Arbeiter einschieben konnte. Mit dem Wickeln selber ging es noch so ziemlich, aber er brachte die Spitze nicht zu Stande, die sich in die verschiedensten phantastischen Formen drehte und manchmal lang und dünn auslief, oft aber mit Kleister zum Zusammenhalten gezwungen werden mußte.
Selbst in die Zimmer der Frau Gräfin waren die unnatürlichen Auswüchse der Cigarrentische gedrungen, und diese selber gab sich hier mit Helenen derselben Beschäftigung hin. Helene entwickelte vor allen Anderen einen wahrhaft eisernen Fleiß in diesem neuen und ihr wahrlich fremden Wirkungskreise. Mit der ihr in allen anderen Dingen eigenen Geschicklichkeit hatte sie rasch gelernt, nicht allein rauchbare, sondern auch gut aussehende Cigarren in regelmäßiger Form anzufertigen, und schon nach drei Wochen arbeitete sie kaum Weniger rasch, als irgend einer der angestellten Gehülfen.
Wie sich aber die Arbeit bei ihr förderte, schien auch ein anderer, besserer Geist über sie zu kommen; sie schien heiterer, glücklicher zu werden, und wenn sie sich des Gedankens vielleicht selber nicht ganz klar wurde, war es doch wohl nur ein Gefühl größerer Selbstständigkeit, das sie durchzuckte, wenn sie sich bewußt wurde, ihr Brod im Nothfall selber verdienen zu können.
Jeder wirklich edle Charakter hat dieses Gefühl, mag ihn das Schicksal in eine Stellung geworfen haben, in welche es wolle – jeder sollte es wenigstens haben, denn es ist die einzige ›Lebensversicherung‹, die uns der Zukunft darf getrost in's Auge schauen lassen.
Helene, mit einem empfänglichen Herzen für alles Schöne und Gute, das selbst durch die schlaffe, leichtsinnige Erziehung ihrer Mutter nicht in ihr getödtet werden konnte, hatte schon lange schmerzlich den Kampf empfunden, den diese gegen das Leben ankämpfte, nur um eine leere äußere Erscheinung aufrecht zu erhalten, und wenn sie sich bis dahin selber machtlos gefühlt, das zu ändern, eröffnete plötzlich diese neue Beschäftigung ihr dazu die Aussicht. Daß ihre Mutter nur durch die äußerste Notwendigkeit zu einem solchen Schritt getrieben war, sah sie recht gut ein; aber sie dankte Gott dafür, und nur manchmal beschlich sie, nach Andeutungen, die jene fallen ließ, ein eigenes dunkles Gefühl, daß von der sonst so stolzen Gräfin dieses Mittel, sich eine Stellung im Leben zu erzwingen, nicht ernstlich gemeint sei, ja, nur als augenblickliche Aushülfe betrachtet werde und einem andern, tiefer liegenden Zwecke dienen solle. Und welchem? Comtess Helene preßte die feingeschnittenen Lippen fester zusammen und ihr Auge nahm wieder jenen alten zornigen Trotz an, den die letzten Wochen fast durchaus verbannt hatten – aber sie dachte den Gedanken nie aus und arbeitete dann nur um so rüstiger weiter, um die ihr noch so nöthige Fertigkeit in ihrer neuen Beschäftigung zu erlangen.
Die Frau Gräfin selber hatte wohl auch ein paar Mal begonnen, Cigarren zu machen, aber es war stets nur bei einem leider nicht mit Erfolg gekrönten Versuche geblieben. Selbst Jeremias weigerte sich, die von ihr angefertigten Cigarren zu rauchen, weil er behauptete, er bekäme die Schwindsucht dabei und zöge sich die Seele aus dem Leibe. Das Fabrikat mußte stets wieder zu Einlagen für andere verwendet werden.
Jeremias hatte übrigens in der neuen »Fabrik« eine nicht unbedeutende Wichtigkeit erlangt, da sich sehr bald herausstellte, daß er die einzige Person im Hause sei, die wirklich etwas von Tabakblättern verstand und eingesandte Proben beurtheilen konnte. So oft man aber auch versuchte, ihn zu thätiger Mitwirkung bei der allgemeinen Leidenschaft zu veranlassen, so oft schlug er jedes solches Anerbieten auf das Entschiedenste aus, und nahm sich nur die Interessen seines Gutachtens in fertiger Waare, besonders von Oskar's Tische, der auch nur für eigenen Bedarf zu arbeiten schien.
Herr von Pulteleben war außer Helenen noch der Fleißigste der Familie, zu der er sich jetzt vollkommen zu zählen schien, und besonders veranlaßte ihn dazu wohl die schon merkliche Abnahme seines kleinen Capitals, das noch dazu nicht alles in den Ankauf von rohem Tabak und die Bezahlung der Arbeiter gesteckt war.
Die Frau Gräfin hatte, da der schon lange erwartete Wechsel angeblich noch immer nicht eingetroffen (er war in der That angekommen, aber auch augenblicklich verausgabt worden, nur um die dringendsten Gläubiger zu befriedigen), einige kleine Anlehen gemacht, um, wie sie Herrn von Pulteleben sagte, besonders Helenens Garderobe in etwas zu restauriren und dann einige andere höchst nöthige Verbesserungen in ihrer Wirthschaft zu treffen, und die Einnahme der fertigen, aber noch nicht abgelagerten Cigarren stellte sich außerdem als viel geringer heraus, als man im Anfang erwartet haben mochte.
Herr von Pulteleben begann nachzudenken. Die ersten Zweifel stiegen in ihm auf, ob er hier auf brasilianischem Boden wohl auch gleich die richtige Speculation getroffen habe, in sehr kurzer Zeit ein reicher Mann zu werden und zwar ohne fremde Hülfe, aus eigener Geistesfähigkeit und Ausdauer – denn das mitgebrachte und ebenfalls nicht selber verdiente Geld rechnete er natürlich gar nicht. Hinter dem Allen aber schwebte das Bild Helenens, deren Reize einen unwiderstehlichen Zauber auf ihn ausübten und ihn noch immer nicht recht zur Besinnung kommen ließen.
Hatte er sich gleich im ersten Augenblick von ihrer lieblichen Erscheinung gefesselt gefühlt, so festigte sich das Band, das ihn zu ihr hinzog, mit jedem Tage mehr und mehr, trotzdem ihm das schöne Mädchen nicht die geringste Ermuthigung gab, an eine gegenseitige Neigung glauben zu dürfen. Sie war stets mehr höflich und artig als freundlich gegen ihn; sie ging, so muthwillig sie auch sonst sein konnte, nie auf die Scherze ein, die Oskar oft in kindischer Ungezogenheit mit ihrem neuen Hausgast trieb, denn Oskar war nicht gewohnt, irgend eine Verbindlichkeit gegen Jemanden in der Welt anzuerkennen, selbst nicht einmal gegen seine eigene Mutter. Helene aber wußte, daß sie Alle dem Fremden Dank schuldig seien, sie, wenn auch nur für den Augenblick, aus einer Lage befreit zu haben, in die sie die unbedachte und zwecklose Verschwendung ihrer Mutter gebracht; aber sie fühlte sich dadurch gedrückt, denn Herr von Pulteleben war keine Persönlichkeit, der sie mit freudigem Herzen etwas hätte danken mögen.
Arno von Pulteleben legte aber selbst diese oft nur kalte Höflichkeit stets zu seinen eigenen Gunsten und seinen eigenen Wünschen gemäß aus, denn er besaß eine vortreffliche Meinung von sich selber, und hatte ihn der Rangesunterschied bei dem ersten Begegnen auch etwas schüchtern gemacht, so schwanden diese Bedenken immer mehr und mehr, als er erst einmal die Ueberzeugung gewann, daß die gräfliche Familie, vor der Hand wenigstens, nicht die ihrem Rang entsprechenden Mittel besaß und die Frau Gräfin selber auf das Herablassendste seine pecuniäre Hülfe in Anspruch nahm.
Die Sache hatte aber trotzdem ihren Haken; denn wenn sie mit ihrem Geschäft wirklich nicht reussirten, ehe der fabelhaft lange ausbleibende Wechsel der Frau Gräfin ankam, so konnte er in eine Lage kommen, die ihm viel zu fremd war, um sich vor der Hand auch nur selber hinein zu denken; denn was er auch immer der Gräfin von dem seiner daheim noch wartenden Vermögen erzählt haben mochte, selber hegte er keineswegs die großen Erwartungen, die er in ihr erregt hatte. Desto fester glaubte er an eine freundliche Mythe, die, in dem Kopfe der Frau Gräfin entsprungen, ein sehr bedeutendes Rittergut in Ungarn zur Basis hatte, das jetzt durch ihren Anwalt verkauft werden sollte und dessen Ertrag dann ohne Weiteres an sie übermacht werden sollte.
Die Frau Gräfin hatte ihm das eines Tages, als sie allein beisammen waren, unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgetheilt, denn Helene sollte nichts von dem Verkauf wissen, weil sie kindischer Weise noch zu sehr an dem alten Stammgut hing.
Bis diese Gelder aber ankamen, mußte mit dem noch vorhandenen und allerdings schon sehr zusammengeschmolzenen Capital gewirthschaftet werden und obgleich er selber nichts in der Welt weniger als Geschäftsmann war, konnte er sich doch nicht verhehlen, daß ihre Ausgaben mit ihren Einnahmen auch nicht in dem geringsten Verhältniß standen. Ging die Sache also noch lange so fort, so mußte die Zeit eintreten, in welcher seine Baarschaft verausgabt war – und was dann? Er beschloß deshalb, ganz ernsthaft mit der Frau Gräfin zu reden – er war ihr das ja sogar schuldig – und sie konnten da gemeinsam einen Plan entwerfen, wie – ja, er wußte eigentlich selber noch nicht recht, über was – aber das ergab sich dann ja auch schon in der Unterhaltung.
Es waren, wie schon gesagt, heute Morgen wieder frische Proben von Blättertabak eingesandt worden und während Helene allein in ihrer Stube, mit ihrer Arbeit und ihren Gedanken beschäftigt, saß, hatte die Frau Gräfin mit Jeremias den Tabak geprüft und die Sorten ausgesucht, welche sie für die Besten zur Bearbeitung hielten. Damit im Reinen, wurde Herr von Pulteleben gerufen, um zu einer abgemachten Sache seine Zustimmung und dann die schriftliche Ordre zum Anlauf zu geben, da die Frau Gräfin die etwas unangenehme Erfahrung gemacht hatte, ihre Handschrift in der Geschäftswelt nicht besonders respectirt zu sehen.
Oskar lag auf dem Sopha, rauchte eine von ihm selbst gewickelte Cigarre und pfiff in den Pausen eins von Helenens Liedern. Was kümmerten ihn die Geschäfte?
Vor dem Zimmer stand ein Tausend Cigarren, das Oskar übernommen gehabt hatte, schon gestern Abend zu dem Geistlichen zu befördern und das Geld dafür mitzubringen, und Herr von Pulteleben ärgerte sich, daß der junge Bursche nicht allein zu gar nichts zu bringen war, sondern sogar noch wie zum Hohn hier ausgestreckt auf dem Sopha lag.
»Ach, lieber Baron,« sagte die Gräfin, als er eintrat, und ohne seinen auf Oskar geschleuderten, eben nicht freundlichen Blick zu beachten – »wir haben hier den Tabak ausgesucht – sehen Sie, diese beiden Sorten – von der einen zwölf Aroben zu Einlage und drei Aroben von der andern zu Deckblatt – ich denke, das wird vorläufig genug sein, und wir können erst einmal mit der kleinen Quantität versuchen, wie sich die Cigarren machen werden. Von wem ist der Tabak, Jeremias?«
»Von Köhler's Chagra,« sagte der Angeredete, indem er sich von dem Tisch ebenfalls eine Cigarre nahm und sie abbiß – »er hat aber gesagt, er gäb' ihn für den Preis nicht anders, als um ›baar Geld lacht‹ – die landesübliche Münzsorte.«
»Ich denke, daß ihm sein Geld bei uns sicher ist,« sagte die Frau Gräfin, ärgerlich den Kopf zurückwerfend.
»Kann wohl sein,« meinte Jeremias, die abgebissene Spitze in die Ecke spuckend – »er denkt's aber nicht und ist dumm genug, das Geld lieber in der eigenen Tasche als bei fremden Leuten zu haben – mit Erlaubniß« – damit ging er an das Feuerzeug und wollte sich ohne Weiteres seine Cigarre anzünden; die Frau Gräfin schien aber nicht gesonnen, ihm alle Freiheiten zu gestatten.
»Sie wissen doch, Jeremias,« sagte sie streng, »daß ich Niemand gestatte, in meinem Zimmer zu rauchen – meinen Sohn ausgenommen,« fuhr sie fort, als sie bemerkte, wie Jeremias einen halb lächelnden Blick nach Oskar hinüberwarf – »ich dulde keine Unverschämtheit.«
»Reden wir nicht weiter davon,« sagte Jeremias, indem er die Cigarre in die Tasche schob und mit dem Fuße den neben ihm liegenden Haufen Blättertabak noch etwas lockerte – »Sie können wahrscheinlich den Tabaksgeruch nicht vertragen. Soll ich dem Köhler das Geld gleich mit hinausnehmen? denn er wollte sofort Antwort haben, weil jetzt gerade Gelegenheit ist, den Tabak nach Rio Grande zu schicken.«
»Kommen Sie nachher wieder herauf,« sagte Herr von Pulteleben, die Antwort umgehend – »ich habe augenblicklich mit der Frau Gräfin noch zu reden.«
»Hm,« sagte Jeremias, aus einer etwas engen Uhrtasche eine riesige, beinahe kugelrunde Taschenuhr herauszwängend und den silbernen Deckel derselben öffnend – »jetzt ist's in sechs Minuten Zehn; um halb Elf muß ich spätestens fort, wenn ich zu Mittag wieder da sein will. Wäre mir lieb, wenn ich bei der Gelegenheit auch meinen rückständigen Lohn bekommen könnte, um meine eigenen Rechnungen zu bezahlen« – und mit den Worten schlenderte er langsam zur Thür hinaus.
»Der Bursche wird mit jedem Tage unverschämter!« sagte die Gräfin, als er das Zimmer kaum verlassen hatte – »und wenn Du seine Uebergriffe noch länger duldest, Oskar, so habe ich nicht Lust, dem noch länger ruhig zuzusehen. Entweder er muß sich seiner untergeordneten Stellung fügen, oder das Haus verlassen.«
»Und wo willst Du einen Andern herbekommen?« sagte Oskar, ein Bein über das andere legend.
»Mein lieber Oskar,« fiel hier Herr von Pulteleben ein, »es ist nicht allein Jeremias, der sich ändern muß, wir werden Alle unsern Beruf ein wenig mehr in's Auge fassen müssen, wenn wir es wirklich zu etwas bringen wollen.«
»Puh,« sagte Oskar, den Dampf zu gleicher Zeit ausblasend – »wollen Sie einmal wieder Moral lesen? Verderben Sie uns den schönen Tag nicht.«
»Moral gar nicht,« sagte Herr von Pulteleben piquirt – »aber ein klein wenig müssen Sie doch auch zufassen, wenn nicht Alles rückwärts gehen soll. Die Cigarren z. B., die Sie schon gestern Abend an den Pfarrer Beckstein besorgen und das Geld dafür einkassiren wollten, stehen noch immer draußen, und wenn es auch nur zwanzig Milreis sind, so brauchen wir sie doch, um die laufenden Ausgaben zu decken.«
»Aber weshalb, zum Henker, schicken Sie da nicht den Jeremias?« – rief Oskar mit gerunzelter Stirn – »glauben Sie, daß ich Ihren Laufburschen machen soll?«
»Mein lieber Baron,« sagte die Frau Gräfin, »Oskar hat da wirklich Recht. Ich sehe auch nicht ein, weshalb das Jeremias nicht eben so gut besorgen kann.«
»Aber Jeremias,« meinte Herr von Pulteleben, »kann die wenigen Stunden, die er überhaupt hier ist, viel nützlicher beschäftigt werden, und Oskar hat auf Gottes Welt nichts zu thun . . .«
»Als Ihnen aufzuwarten, nicht wahr?« rief der junge Bursche, ärgerlich vom Sopha aufspringend – »es wird doch wahrhaftig alle Tage besser,« und das Zimmer verlassend, schlug er die Thür hinter sich zu, daß die Scheiben klirrten.
Herr von Pulteleben blieb mit der Frau Gräfin allein zurück, und zwar in der peinlichsten Verlegenheit, denn wenn er sich auch in seinem vollen Recht wußte und nicht das geringste Unbillige verlangt hatte, fühlte er doch, daß die Frau Gräfin selber einen andern Standpunkt einnahm, und mochte um Alles in der Welt ihr nicht feindlich entgegentreten. War sie nicht Helenens Mutter, und mußte er nicht schon Helenens wegen in allen solchen, doch eigentlich nichts bedeutenden Kleinigkeiten nachgeben? Und doch hatte er gerade heute Morgen mit der Frau Gräfin über ihre beiderseitige, sich schwieriger gestaltende Situation sprechen wollen, wenn die Frau Gräfin nur gerade nicht in diesem Augenblick so entsetzlich stolz und vornehm ausgesehen hätte.
Ob diese etwas Aehnliches vermuthete? Dann war sie jedenfalls augenblicklich im Vortheil und nicht die Frau, einen solchen unbenutzt zu lassen.
»Sie haben Oskar ganz unnöthiger Weise gereizt, lieber Freund,« sagte sie, zu ihrem Schreibtisch gehend und ein Flacon öffnend, an das sie mehrmals roch – »diese Scenen greifen meine Nerven an – Sie müssen doch bedenken, daß er noch ein ganz junger Mann ist, der nicht die reifere Erfahrung des Alters haben kann und das Leben stets von einer leichten, ich will nicht leugnen, oft zu leichten Seite betrachtet. Mit guten und freundlichen Worten ist er aber zu Allem zu leiten.«
»Frau Gräfin,« stammelte von Pulteleben verlegen, »ich will nicht abstreiten, daß ich vielleicht zu rauh gewesen bin, aber – aber die Schwierigkeit – die Ungewißheit unserer augenblicklichen Verhältnisse . . . .
»Schwierigkeit? – Ungewißheit?« sagte die Gräfin erstaunt – »ich verstehe Sie nicht.«
»Sie werden mir zugeben, daß –« fuhr Herr von Pulteleben verlegen fort und stak dann fest.
»Zugeben? Was?« fragte die Gräfin ruhig.
»Daß unser Unternehmen doch noch keineswegs gesichert ist,« setzte der junge Mann mit einer Art von verzweifeltem Entschluß hinzu – »meine Aus – unsere Ausgaben sind sehr bedeutend und die Einnahmen bis diesen Augenblick noch außerordentlich gering gewesen.«
»Und ist das meine Schuld?« fragte die Gräfin streng.
»Um Gottes willen, verstehen Sie mich nicht falsch,« bat Herr von Pulteleben in Todesangst – »ich meine ja nur, daß wir bis jetzt entsetzlich wenig für die Cigarren gelöst haben. Die viertausend Stück, welche der Wirth, Herr Bohlos, bekommen hat, wurden nicht bezahlt, weil der Mann eine Gegenrechnung brachte, die Oskar . . .«
»Ja, leider, einer seiner jugendlichen Streiche,« sagte die Gräfin seufzend, – »ich habe ihm aber auch meine Meinung darüber gesagt und es wird nicht wieder geschehen.«
»Unglücklicher Weise traf es sich auch, daß unser erster Ankauf des Tabaks so gänzlich mißlang.«
»Lieber Gott,« sagte die Dame achselzuckend, »das wissen Sie ja selber, daß man in jeder Sache erst einmal Lehrgeld bezahlen muß. Ich glaubte einen ganz ausgezeichneten Kauf zu machen, glaubte mit einem ehrlichen Mann zu thun zu haben und wurde auf das Schändlichste betrogen. Der nächste Tabak war dagegen vortrefflich, und dieser Herr Buttlich hat unsere Kundschaft für immer verloren.«
»Der Bäckermeister – wie heißt er gleich« – fuhr Herr von Pulteleben seufzend fort – »hat ebenfalls dreitausend Cigarren nicht bezahlt, weil er es von der Miethe abziehen will.«
»Das ist so gut wie baar Geld,« lächelte die Gräfin – »denn wir müßten es ihm sonst ja wieder herauszahlen.«
»Und der Kaufmann oben an der Ecke, von woher Sie Ihren Bedarf bezogen haben –«
»Aber, bester Freund,« sagte die Gräfin gereizt, »das sind ja lauter Gegenrechnungen, bei denen wir nur gewinnen, daß wir einen solchen Betrag in unserem Fabrikat bezahlen können. Werfen Sie mir vor, daß wir leben?«
»Ich? Aber ich bitte Sie, Frau Gräfin!« rief Herr von Pulteleben bestürzt – »ich erwähne diese einzelnen Posten ja nur, um Ihnen zu beweisen, daß wir schon eine ziemliche Quantität von Cigarren verarbeitet, durch ungünstige Umstände aber kein baares Geld dafür einbekommen haben. Mein an sich nicht eben übergroßes Capital schmilzt dabei mehr und mehr zusammen, und ich hielt es nur für meine Pflicht, Sie von dem Umstande in Kenntniß zu setzen, damit wir nicht plötzlich einmal in – in Verlegenheit geriethen. Ein Geschäftsmann sollte doch eigentlich auf alle Zufälligkeiten gefaßt sein.«
»Sie sind zu ängstlich,« lächelte die Gräfin, welche sich noch nie im Leben Sorge gemacht hatte, wenn sie nur die unmittelbare Gegenwart gesichert wußte – »aber ich billige vollkommen Ihre Fürsorge etwa möglicher Eventualitäten. Wir wollen auch mit aller Umsicht zu Werke gehen, und daß wir es dabei nicht an Fleiß fehlen lassen,« setzte sie mit einem Blick auf ihren heute noch nicht berührten Cigarrentisch hinzu, »werden Sie mir ebenfalls bezeugen können.«
»Oh, gewiß – deß bin ich sicher überzeugt,« stammelte Herr von Pulteleben, von der Güte der Frau Gräfin so entzückt, daß plötzlich die Idee in ihm aufstieg, den Moment zu benutzen und einen kühnen Schritt zu seinem künftigen Lebensglücke zu wagen – »Sie kennen mich ja aber jetzt auch, Frau Gräfin – Sie wissen, daß ich mit allem Eifer . . .«
»Ich weiß es,« sagte die Dame freundlich, »und die nächste Zeit wird Ihnen den Beweis bringen, wie rasch wir das jetzt vielleicht etwa Versäumte wieder eingeholt haben. Der neue Tabak ist vortrefflich, und wir werden brillante Geschäfte damit machen. – Aber da fällt mir gerade ein, daß Jeremias unten auf den Bestellzettel wartet – ich habe ihn hier schon geschrieben – bitte, unterzeichnen Sie ihn nur noch – als unser Geschäftsführer,« setzte sie lächelnd hinzu – »das Geld können Sie ja dann vielleicht dem Jeremias gleich mitgeben – der Betrag ist hier ausgefüllt. – Der alberne Bauer hat es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, nur gegen baares Geld zu verkaufen.«
»Mit Vergnügen,« stotterte Herr von Pulteleben, der in diesem Augenblick wirklich gar nicht mehr an den Tabak dachte – »aber – werden Sie mir auch nicht zürnen, wenn ich« – die Gräfin sah ihn erwartungsvoll an, und Herr von Pulteleben, welcher über und über roth geworden war, fuhr schüchtern fort: »wenn ich mit einer – mit einer recht großen Bitte vor Ihre Thür käme?«
»Mit einer Bitte?«
»Sie sind immer so sehr gütig gegen mich gewesen.«
»Und die Bitte?«
»Und Comtesse Helene ebenfalls« stammelte Herr von Pulteleben, und sein Gesicht sah in dem Augenblick aus, als ob ihm das Feuer herausschlagen wollte – »Sie – Sie können wohl denken, Frau Gräfin, daß das – daß das längere Beisammenleben mit einem so liebenswürdigen Wesen – ich muß zwar gestehen, daß ich eigentlich gar nicht daran denken dürfte, ein solches Glück zu verdienen – eigentlich ist Glück gar nicht der passende Name – Seligkeit sollte man sagen – und – und wenn ich nur hoffen dürfte, daß . . .«
Er stak wieder vollständig fest und die Gräfin hatte seine unzusammenhängenden Worte, als sie nur erst deren Sinn ahnte, auch mit keiner Silbe weiter unterbrochen. Jetzt nickte sie leise lächelnd mit dem Kopf und sagte dann freundlich:
»Mein lieber Herr von Pulteleben, ich habe fast gefürchtet, daß Ihnen das tolle Mädchen den Kopf verdrehen würde. Ueberlegen Sie sich aber die Sache wohl, denn Helene ist . . .«
»Ein Engel!« unterbrach sie der junge Mann, der seiner überströmenden Gefühle nicht länger Meister war – »ich wäre selig, wenn ich nur hoffen dürfte, daß ich ihr nicht ganz gleichgültig bin.«
Die Gräfin lächelte wieder freundlich vor sich hin und sagte dann in gütigem, aber immer noch abwehrendem Tone:
»Nun, wir wollen sehen; ich werde mit meiner Tochter sprechen – ich glaube, daß wir zu einander passen, und wenn Sie auch noch etwas jung sind . . .«
»Ich werde mit jedem Tage älter!« rief Herr von Pulteleben, der vor lauter Glückseligkeit schon gar nicht mehr wußte, was er sagte.
»Nun gut,« lachte die Gräfin jetzt herzlich – »es läßt sich ja vielleicht über die Sache reden. Ich kann Ihnen natürlich ohne meine Tochter keine bestimmte Zusicherung geben.«
»Sie heben mich in den siebenten Himmel!« rief von Pulteleben.
»Aber ich will doch sehen, was sich thun läßt,« fuhr die Gräfin fort, »und kann Ihnen wenigstens versprechen, daß ich ein gutes Wort für Sie einlegen werde. Aber unsere Geschäfte dürfen wir darüber nicht versäumen.«
»In zwei Minuten soll Jeremias abgefertigt sein,« rief der junge Mann, seinen Hut ergreifend.
Das Gestampfe ungeduldiger Pferde unter dem Fenster wurde in diesem Augenblick hörbar, und als Herr von Pulteleben, von einer plötzlichen Ahnung ergriffen, hinaussah, bemerkte er, wie sich Helene in den Sattel schwang und dann, als sie ihn am Fenster erblickte, hinaufrief: »Reiten Sie mit?«
»Wenn Sie nur einen Moment auf mich warten wollen,« rief dieser hinab und sich dann zur Gräfin wendend, sagte er bittend: »Ich bin heute nicht mehr im Stande, zu arbeiten – das Herz ist mir zu voll! Hier haben Sie meinen Schlüssel –bitte, theuerste Frau Gräfin, besorgen Sie das Nöthige,« und mit zwei Sätzen war er die Treppe hinunter und im Stalle, und wenige Minuten später bei den Geschwistern draußen, mit denen er in flüchtigem Galopp die Straße hinabsprengte.