Friedrich Gerstäcker
Die Colonie
Friedrich Gerstäcker

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26.

Gerichtspflege in der Colonie.

In Santa Clara, wo Alles sonst im gewohnten Gleise seinen stillen und ruhigen Gang ging, schien die ganze bestehende Ordnung auf den Kopf gestellt zu sein, als gegen Abend der junge Köhler, und zwar als Mörder des Justus Kernbeutel angeklagt, von seiner Chagra herunter gefangen eingebracht wurde. In Todesangst folgte ihm dabei seine junge, hübsche Frau mit dem Kind auf dem Arme und erzählte unter Thränen, wie die Soldaten oben bei der Verhaftung gewirthschaftet, ihr Geschirr und Fenster zerschlagen und sie selber auf die boshafteste und roheste Art gekränkt und beleidigt hätten.

Köhler selber, als er durch die Colonie geführt wurde, sah wohl todtenblaß vor innerlich kochender Wuth aus, ließ aber sonst nicht durch ein Wort, nicht durch eine Miene merken, was in ihm vorging; mußte er sich ja doch auch dem Unabänderlichen fügen, denn die Hände hatten ihm die Burschen auf dem Rücken zusammengeschnürt, und als er sich unterwegs nur ein einziges Mal an seine ihm folgende Frau wenden wollte, war er mit Kolbenstößen bedeutet worden, daß er sich mit Niemandem zu unterhalten hätte, bis er von seinem Richter verhört und vielleicht auch gleich abgeurteilt sei.

»Ehe er gehängt würde,« tröstete ihn einer der rohen Gesellen, »dürfe er seiner Frau noch einmal einen Kuß geben. – Wenn er selber einen dafür von ihr bekomme, wolle er ihm das erlauben.«

Köhler knirschte mit den Zähnen und vertröstete sich nur darauf, daß sich seine Unschuld ja gleich bei dem ersten Verhör herausstellen müsse und er dann schon Rechenschaft von Allem fordern wolle, was ihm jetzt geschehen. – Darin hatte er sich aber geirrt und ganz vergessen, daß kein neuer brasilianischer Delegado in der Colonie angestellt und dem Director gegenwärtig von dem Präsidenten auch die oberste Polizeigewalt übergeben sei.Ein Mißbrauch, der in fast allen deutschen Colonien damals herrschte. Er hatte hier also keine Behörde über sich als den Director selber, von dem er, was er recht gut wußte, nach den letzten Vorgängen keine besondere Freundlichkeit erwarten durfte.

Er wurde auch ohne Weiteres in das gegenwärtige Stadtgefängniß – ein kleines, heißes, aus rohen Balken erbautes Loch, mit schweren Gittern vor den niederm Fenster – abgeführt und trotz seiner Berufung, daß er verhört werden wolle, mit Spott und rohem Gelächter eingeschlossen und allein gelassen.

Könnern, der kurz vorher in die Stadt zurückgeritten war, hörte kaum von der Verhaftung Köhler's und dem Verdacht, der auf ihm ruhte, als er augenblicklich zu ihm eilte. Er wurde aber zurückgewiesen. Es war strenger Befehl des Direktors, keinen Menschen zu ihm zu lassen, bis die Untersuchung geschlossen sei, und daß eine Bitte von ihm bei dem Director nichts fruchten würde, wußte er vorher. Köhler's Frau war indessen zu Kaufmann Rohrland gegangen, um dessen Hülfe in Anspruch zu nehmen und vor allen Dingen gleich nach ihrem nicht weit von Santa Clara wohnenden Bruder zu schicken, daß der so lange oben auf der Chagra bei ihr wohne, bis ihr Mann seine Unschuld bewiesen habe konnte; denn sie getraute sich jetzt nicht, bei all' dem in der Nachbarschaft herumstreifenden Soldatenvolk, allein dort oben zu bleiben, und konnte doch auch ihr mühsam erarbeitetes Eigenthum nicht im Stich lassen.

Eine Voruntersuchung, ohne indessen den Angeschuldigten selber dazu zu ziehen, hatte unter der Zeit im Directionsgebäude stattgefunden, die der Director selber abhielt, obgleich er sich eigentlich heute nicht wohl fühlte. Er war, wie er ausgesagt hatte, mit dem Pferd gestürzt, als er den steilen Hang herunterritt, und hätte sich eigentlich recht beschädigen können. Glücklicher Weise lief es noch gut ab.

Die beiden Hauptzeugen gegen Köhler waren Justus' alte Haushälterin und der Wirth Buttlich Die Frau erzählte, daß der ›arme unglückliche Mann‹ an dem Tage mit dem Angeschuldigten einen Wortwechsel gehabt und dann mit ihm fort in den Wald gegangen wäre. Der Angeschuldigte sei dann erst am nächsten Abend mit der Dämmerung wieder gekommen und Justus gar nicht, weil er da schon, von Mörderhand erschlagen, im Walde gelegen hätte.

Eine Uhr habe der Ermordete bei sich gehabt, als er von Hause fortgegangen sei, denn er wäre nie ohne seine Uhr ausgegangen. Die Frau erinnerte sich genau auf die Uhr, die sie oft in Händen gehabt. Es war eine silberne vergoldete Uhr mit weißem Zifferblatt, und in den inneren Deckel hatte Justus selber die Anfangsbuchstaben seines Namens, J. K., eingravirt oder vielmehr eingekratzt gehabt, darunter ein von einem Pfeile durchstochenes Herz – wovon aber die Frau nicht wußte, auf was es sich beziehen sollte.

Geld habe Justus ebenfalls stets etwas bei sich gehabt. Sie konnte allerdings nicht angeben wie viel und was für Münzen, aber ohne Geld wäre er nie im Leben über Land gegangen, und wenn er hätte 'was dafür versetzen müssen. Ein paar Milreis seien es gewiß gewesen, wenn nicht vielleicht noch mehr.

Der Wirth Buttlich sagte aus, daß er an Justus' Haus vorbeigekommen wäre, als Köhler davor gestanden und sich mit dem Schneider heftig gezankt hätte. Es sei ihm so auffallend gewesen, daß er noch gerufen hätte: sie möchten doch nicht einen solchen Skandal machen und sich ein wenig vor den Leuten und der Nachbarschaft schämen – er erinnere sich aber nicht mehr genau der Worte, die er gebraucht hätte, oder was die Zankenden sich einander vorgeworfen. So viel wisse er außerdem, daß der Köhler den Schneider nie hätte leiden können – wenigstens so lange er jetzt in der Colonie sei – und ihm stets alles nur erdenkliche Böse nachgesagt habe. Er selber aber könne ein solches Unheil nicht bestätigen. Der Justus sei oft zu ihm gekommen, habe sich aber immer als ein nüchterner, anständiger Mann gezeigt, der nur manchmal gegen die Ungesetzlichkeiten des vorigen Regiments protestirt haben mochte. Deshalb wollten auch alle die Anhänger des früheren Directors, zu denen Köhler ebenfalls gehöre, nichts von ihm wissen. An jenem Abend besonders sei Justus' Absicht gewesen, nach Zuhbel's Chagra hinauszugehen, um dort den Antritt des neuen Herrn Directors durch einen fröhlichen Abend zu feiern. Er sei dazu in seinem Sonntagsstaat gewesen. Köhler war dort nicht eingeladen, aber doch mit ihm denselben Weg in den Wald gegangen. Es wäre auch möglich, daß sich die beiden Männer gerade über den nämlichen Gegenstand vorher gezankt hätten, denn die eine Partei hätte über die sogenannten »Director-Feste« immer ihren Spott gehabt und die andere verhöhnt.

So weit Buttlich, der außerdem noch zwei andere Zeugen brachte, die Justus und Köhler zusammen auf der Straße etwas vor Sonnenuntergang und ganz allein im Walde begegnet waren, aber nicht bestätigen konnten, daß sie irgend etwas von einem unfreundlichem Benehmen zwischen den Beiden bemerkt hätten. Sie seien freilich auch zu rasch vorgeritten, um darauf zu achten.

Das waren die letzten Menschen, die Justus Kernbeutel lebend gesehen hatten, und zwar in Begleitung Köhler's und gar nicht so weit von der Stelle entfernt, auf der man den Leichnam des Ermordeten gefunden, ja, noch dazu der Richtung entgegengehend. Was dann weiter geschehen, darüber lag das Dunkel der Nacht und konnte nur vielleicht durch die weitere Untersuchung aufgehellt werden.

Der Verhaftete selber wurde an diesem Tage nicht verhört; es sollten vorher noch mehr Beweise gegen ihn gesammelt werden, und mit Mühe und Noth erlangte Rohrland persönlich die Erlaubniß vom Director, ihm ein Bett und gute Speisen in das Gefängniß schicken zu dürfen. Vor diesem standen außerdem sechs Mann Wache mit geladenem Gewehr, um irgend einen etwaigen Befreiungsversuch der Colonisten zurückzuweisen. Niemand dachte aber an einen solchen, und Köhler hatte ein viel zu reines Gewissen, um sich durch die Flucht einer Haft zu entziehen, die ja doch nur höchstens bis zum nächsten Morgen dauern konnte. Da er seine Frau und sein Kind jetzt gut aufgehoben wußte, kümmerte er sich um das Andere wenig genug.

Desto mehr aber empörte es den besseren Theil der Colonisten, Einen aus ihrer Mitte, einen Mann, den Alle als einen braven und ehrlichen Menschen seit Jahren gekannt hatten, nur auf solch' oberflächlichen Verdacht hin wie einen Missethäter und gemeinen Verbrecher behandelt zu sehen, und selbst Rohrland, Pilger, der Bäckermeister Spenker und mehrere andere ansässige Handwerker und auch Colonisten ließen sich noch an dem nämlichen Abend beim Director melden und erboten sich, für Köhler irgend eine verlangte Bürgschaft zu stellen, daß er keiner Untersuchung ausweichen würde. Der Baron von Reitschen nahm etwas Derartiges nicht an.

Der Verhaftete, gegen den, seiner Meinung nach, ein dringender Verdacht vorlag, müsse sorgfältig von jeder Verbindung abgeschnitten werden, bis die Untersuchung beendet sei, damit er nicht von außen auf irgend eine Weise beeinflußt werden könne. Nach geschlossener Untersuchung könne ihn besuchen wer da wolle, oder er auch vielleicht gegen Bürgschaft entlassen werden.

Es war indessen Abend geworden und die Leute, die heute alle keine Ruhe zur Arbeit gehabt, sammelten sich bei Bohlos, um dort noch das Weitere besprechen und ihrer Entrüstung in gemäßigter Weise bei einem Glas Bier den natürlichen Ausfluß geben zu können. Ursache zu klagen hatten sie außerdem genug, denn schon in der kurzen Regierungszeit ihres neuen ›Herrn‹ waren eine Menge von Mißbräuchen zu Tage getreten, von denen die Colonisten unter Sarno gar keine Ahnung gehabt.

»Das wird ja wahrhaftig alle Tage besser!« rief der Schneidermeister Berthold, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug. »Jetzt stecken sie einen ehrlichen Mann ein, weil ein Lump zu Schaden gekommen ist, und wollen nicht einmal eine Caution annehmen! Ist so etwas schon dagewesen?«

»Das wäre das Wenigste,« meinte der Bäckermeister Spenker, »denn den Köhler können sie nicht lange im Loch behalten; aber der Herr Director fängt seine Wirtschaft hier auch in anderer Weise schon gut an. Wißt Ihr, daß er jetzt den neu angekommenen Colonisten nicht einmal mehr baar Geld als ihre Subsidien, sondern kleine Anweisungen auf Buttlich giebt, für die ihnen dieser nur Waaren aus seinem eigenen Laden verabfolgt? Das will denn doch bei Gott die Regierung nicht, daß die armen Leute auf solche Art geschunden werden, blos um es dem Lump, dem Buttlich, in den Hals zu jagen.«

»Lieber Meister, zu Buttlich's Nutzen geschieht das auch nicht,« lachte Rohrland, der mit am Tische saß; »ich weiß aus ganz sicherer Quelle, daß unser sehr verehrter Director ein stiller Compagnon des Buttlich'schen Geschäfts ist, da er als Director offen keinen Laden halten darf. Auf solche Weise sichert er sich dann, eben durch die Subsidiengelder, einen ganz bestimmten Absatz von wenigstens fünfhundert Milreis monatlich.«

»Und ist das etwa recht und billig?« rief Berthold.

»Davon sage ich kein Wort,« meinte Rohrland, »aber ich erzähle nichts, was ich nicht beweisen kann.«

»Aber da sollte man ihn darauf verklagen!« rief Spenker.

»Wo?« sagte Rohrland ruhig – »bei der Regierung in Rio ist keiner von uns bekannt und beim Herrn Präsidenten in Santa Catharina? Das wäre schade um das Papier, das man damit verschriebe!«

»Und hat ein Director das Recht,« sagte ein anderer Mann, der Tischler Nithal, »daß er mir einen Platz verweigert, wo ich mich niederlassen kann? Ich hab' allerdings noch nicht das baare Geld, aber ich weiß auch, daß sich die Regierung selber die größte Mühe giebt, ordentliche und tüchtige Handwerker in's Land zu bekommen und der – Herr da treibt mich wieder hinaus, weil ich nicht zu seiner Partei gehöre und in sein krummes Horn stoße.«

»Deshalb braucht Ihr nicht zu gehen, Nithal,« sagte Spenker – »ich geb' Euch einen Platz auf Credit, auf fünf Jahre, wie's die Regierung thut, und kein Teufel soll Euch von dem herunterbringen.«

»Vergelt's Euch Gott, Meister, und Ihr sollt wahrlich nicht dabei zu Schaden kommen!«

»Das weiß ich und bin nicht bange drum.«

»Und weshalb hat er die Soldaten mitgebracht?« fuhr Rohrland fort – »der Indianer wegen? Unsinn! So lange wir hier sind und wenigstens seit den letzten zehn Jahren, hat kein Mensch 'was von einer Rothhaut gehört und gesehen. Wenn sie aber an den Grenzen herumschleichen, wohin gehörten die Soldaten denn da anders, als eben an die Grenze, um uns wirklich zu schützen? So aber lagern sie unten am Flusse, mit der ganzen Colonie zwischen sich und den eingebildeten Wilden, die, wenn sie wirklich da wären, alle die Grenzcolonien abschneiden und selbst die Stadt anzünden könnten, ehe das Militär auch nur ein Wort davon erführe, viel weniger denn zu Hülfe kommen könnte.«

»Ja, das ist, Gott straf' mich! wahr,« sagte Berthold – »da unten am Fluß nutzen sie doch wahrhaftig nichts, als daß sie wie die Raben stehlen, denn seit sie da sind, kann man kein Ruder mehr fünf Minuten lang unbewacht liegen lassen, oder fort ist's, und da klage nachher einmal Jemand – was wär's dann? Die Halunken verrathen einander schon lange nicht.«

»Guten Abend mit einander,« sagte da ein Fremder, der zu ihnen in die Wirthsstube trat, seine Mütze abnahm und sich an einen andern kleinen Tisch allein setzte. Der Mann war sehr ärmlich gekleidet und sah vollkommen aschfarben und krank im Gesicht aus. Er schien auch schwach auf den Füßen und bat den Wirth um ein Glas Bier und ein Stück Schwarzbrod.

Bohlos brachte es ihm und blieb dann neben seinem Tische stehen.

»Wohl bekomm's!« sagte er – »und wo kommt Ihr denn her? Ihr seid wohl krank gewesen?«

»Danke schön,« antwortete der Mann – »nein, krank gerade nicht, aber das Klima hat mich ein bischen heruntergebracht. Wir kommen aus dem Norden.«

»Aus dem Norden? Von Rio?«

»Nein, noch weiter herunter, aus der Provinz Minas Geraes.«

»Alle Teufel! – und habt Ihr lange da oben gesteckt?«

»Zehn Jahre,« sagte der Mann und ein schwerer Seufzer hob seine Brust.

»Da seid Ihr wohl Einer von den Parcerieleuten?« fragte Berthold vom andern Tisch herüber – »kommt, setzt Euch mit zu uns herüber; was hockt Ihr da allein an einem Tisch?«

»Wenn's erlaubt ist,« sagte der Mann demüthig und nahm sein Bier und Brod und ging hinüber; »ja, Landsmann, wir sind unserer Sieben, die jetzt aus dem Parcerievertrag zurückgekommen, meine Frau und ich und zwei Kinder – drei sind mir gestorben – und mein Schwager mit seiner Familie.«

»Und ist's Euch schlecht da oben gegangen?«

»Recht schlecht,« erwiderte der Mann, noch einmal tief aufseufzend – »und wie wir's Alle ausgehalten, begreife ich eigentlich selber noch nicht. Wir waren aber freilich lauter kerngesunde Menschen, wenn ich auch jetzt ein bischen abgemagert aussehe.«

Abgemagert aussehe – Du lieber Gott, der Mann glich eher einem Skelet als einem lebendigen Menschen und schien sich doch geduldig in sein Schicksal zu ergeben! Freilich waren auch durch die lange, schwere Zeit Geist und Körper bei ihm gebrochen.

»Und haben sie Euch schlecht behandelt dort?« fragte Rohrland.

»Ih nu, schlecht behandelt gerade nicht,« sagte der Deutsche, »arbeiten mußten wir noch viel mehr wie die Sclaven, denn es war Alles Accordarbeit; nur konnten wir immer keine Abrechnung kriegen und unser Herr machte uns manchmal Vorwürfe, daß wir so viel brauchten und immer mehr in Schulden kämen. Ja, lieber Gott, leben mußten wir doch und weiter wie das bischen schlechtes Essen und die nothwendigsten Kleider bekamen wir so nichts. Und wenn sie uns nur gehalten hätten, was uns der Agent in Deutschland damals versprach und was wir auch unterschrieben haben, daß wir nämlich ein Stück Land sollten angewiesen bekommen, was wir uns selber hätten bebauen können – dann wär's gut gewesen.«

»Aber das mußten sie Euch ja doch geben, wenn's einmal ausgemacht war!« rief der Tischler.

»Ja, lieber Herr, sie gaben's auch,« lächelte der Mann verlegen, »aber nur freilich anders, wie wir's gemeint und verstanden hatten und wie's uns auch der Agent erklärte – daß das eigenes Land sein sollte. Aber hier war's anders. Ein Stück Land bekamen wir richtig angewiesen – Waldland mit großen, dicken Bäumen darauf und das mußten wir uns urbar machen und thaten's auch gern. Alle Sonntage arbeiteten wir darauf bis in die späte Nacht, bis wir's glatt wie meine Hand hatten und dann bauten wir zwei Jahre drauf, was wir brauchten. Wie aber die zwei Jahre um waren, nahm's uns der Eigenthümer weg, pflanzte Kaffeebäume drauf und wies uns ein anderes Stück Land an, wieder mit dicken Bäumen und wenn wir uns nur ein paar Säcke Bohnen, ein bischen Reis und dergleichen ziehen und nicht gar hungern wollten, so mußten wir richtig wieder an die schwere Arbeit gehen, und das ist für Jemanden, der eigentlich an ein kaltes Klima gewöhnt war, bei der Hitze da oben wahrhaftig keine Kleinigkeit!«

»Das war ja aber schändlich – und litt denn das die Regierung?«

»Ja, lieber Gott,« sagte der Mann, »es war einmal so ein vornehmer deutscher Herr, so ein Consul, glaub' ich, oben, und der wohnte bei unserem Herrn und ritt immer mit ihm spazieren, und das war ein Tractiren und eine Festlichkeit! Dem klagten wir unser Leid und fragten ihn, ob er uns nicht helfen könnte, denn es ginge uns doch gar zu schlecht und wir wären lauter ehrliche, brave Menschen, die ja nichts Unrechtes wollten, blos ihr Recht. Aber der Herr zuckte die Achseln und meinte, wir sollten nur noch eine Weile geduldig ausharren, bis wir das abgearbeitet hätten, was der Herr für uns ausgelegt habe, und dann wären wir ja wieder frei und könnten thun und lassen, was wir wollten.«

»Und habt Ihr das gethan?« fragte Rohrland.

»Ach nein, lieber Herr,« sagte der Mann wehmüthig – »wie sich's nachher herausstellte, wären wir damit im ganzen Leben nicht fertig geworden. Aber es kam wieder einmal vor ganz kurzer Zeit ein anderer Herr hin und erkundigte sich nach Allem, und dann reiste er wieder fort und kam nachher zurück und sagte uns, wir brauchten nicht mehr dort zu arbeiten, denn unser Herr hätte nicht ordentlich in seine Bücher eingeschrieben, was der Kaffee gekostet und was er verdient habe an uns, und es wäre sehr leicht möglich, daß wir unsere Schuld schon zehnmal bei ihm abgearbeitet hätten. Aber es ließe sich nichts weiter dagegen machen, denn er sei ein sehr vornehmer Herr und hätte eine Menge Verwandte in Rio – und der Brasilianer wollte uns auch noch nicht fort lassen, aber da wurden wir böse und wie er sah, daß er nichts mehr ausrichten konnte, da ließ er uns eben ziehen.«

»Und habt Ihr Euch in der ganzen langen Zeit gar nichts verdienen können?« fragte Spenker kopfschüttelnd – »zehn Jahre waret Ihr dort oben, nicht wahr?«

»Zehn Jahre und zwei Monate,« bestätigte der Mann – »aber verdienen? Du lieber Gott! Nichts als was wir auf dem Leibe tragen, und vielleicht Jeder noch ein Hemd zum Wechseln. Ja, in dem Brasilien geht das nicht so rasch.«

»Nicht so rasch?« rief Rohrland erschüttert von der einfachen, rührenden Schilderung des Mannes, »der Zuhbel, der Benkhof, der Binder, der Metweiher, der Wurzer, die sind alle nur erst zehn Jahr hier, der Bellheim erst acht, der Bastel drüben gar erst sieben, und mit nichts herübergekommen, mit nichts in der Gotteswelt als einer kleinen Lade voll Wäsche und einigen achtzig Milreis Schulden obendrein und kommt zu denen hinaus, seht, was sie für eine hübsche Chagra, Vieh, Ackergeräth, Häuser und gesunde Familien haben, und abgehen ließen sie sich in der Zeit doch auch wahrlich nichts.«

»Ja, Manchem glückt's,« seufzte der Mann – »aber die Gegend soll ja auch gut sein, und der Herr, der uns frei gemacht und uns auch freie Fahrt auf dem kleinen Schiff hierher geschafft hat, gab uns die Versicherung, daß wir hier ein Unterkommen finden und von dem Director Unterstützung bekommen würden. – Aber 's ist wieder nichts, und was wir jetzt mit uns anfangen sollen, weiß nur Gott – ich nicht!«

»Wart Ihr schon bei dem Director?« fragte Spenker rasch.

»Ja – unserer Drei. Wir baten ihn um ein Stückchen Land und ein paar Milreis Subsidiengelder, daß wir nur anfangen könnten – lieber Gott, schaffen wollen wir ja schon und können's auch. Aber er schlug es uns rund ab und meinte, wer schon zehn Jahre in Brasilien sei und noch keinen ordentlichen Rock auf dem Leibe hätte, mit dem wolle er auch nichts zu thun haben und je eher wir machten, daß wir wieder aus seiner Colonie kämen, desto besser.«

»Aus seiner Colonie?« rief Berthold in voller Entrüstung – »na, Gott straf' mich, 's wird doch alle Tage besser! Aus seiner Colonie! Aber heute geht Ihr noch nicht, Ihr Leute, und morgen auch nicht und übermorgen auch nicht und dann wollen wir doch einmal sehen, ob die Colonisten hier in der Nachbarschaft nicht so viel zusammen auftreiben können, um ein paar arme Landsleute, die zehn Jahre in der Sclaverei gewesen, wieder auf die Beine zu bringen. Heh, Landsleute!« wandte er sich, plötzlich aufstehend, an die übrigen Gäste, von denen sich nach und nach eine ziemliche Zahl im Zimmer gesammelt und an den verschiedenen Tischen vertheilt hatte – »hier sind zwei arme deutsche Familien eben aus einem schurkischen Parcerievertrag von Minas Geraes herunter gekommen – krank dabei und elend, denen der Director Subsidien verweigert und die er wieder aus der Colonie jagen will, weil sie kein Geld mitbringen. Sollten wir denn nicht hier unter uns so viel zusammenbringen können, um den armen Leuten einen vergnügten Abend zu machen und ihnen zu beweisen, daß sie wieder unter Landsleuten und nicht mehr unter Sclavenhaltern sind? Hier ist von mir ein Milreis – wer hat noch ein bischen klein Geld bei sich?«

»Hier ist auch einer – hier auch einer!« rief es von allen Seiten – »hier sind fünf,« sagte der Bäckermeister, »und hier auch,« erwiderte Rohrland, und es dauerte keine zehn Minuten, so war die Mütze mit Silbermünzen fast halb angefüllt.

»Da, nun gebt einmal Eure Mütze her,« lachte Berthold den armen Teufel an, der ganz verdutzt und seinen Sinnen kaum trauend daneben stand, indem er ihm das Geld klirrend hineinschüttelte – »so. nun lauft heim und zeigt's Eurer Frau und Eurem Schwager – denn für den ist's auch mit, und morgen reden wir weiter, wo wir ein paar Colonien für Euch herbekommen. Nur nicht ängstlich; es geht Alles in der Welt, wenn man's nur auf der rechten Seite anfaßt.«

»Ja, aber Du lieber Gott . . .« stotterte der Mann.

»Fort mit Euch!« rief aber der Schneider, der ihm die Verlegenheit ersparen wollte und schob ihn lachend zur Thür hinaus – »wenn Ihr wollt, könnt Ihr nachher wieder herkommen, aber jetzt liefert erst Eure Capitalien ab.«

»Oh, so vergelt's Ihnen Gott tausend und tausendmal!« rief der Unglückliche, aber Berthold hatte die Thür schon hinter ihm zugemacht.

Immer mehr Gäste kamen herein, so daß sich das große Zimmer ziemlich gefüllt hatte, und das Gespräch wurde immer lebhafter, gab es doch heute auch genügenden Stoff, um bei einem Glas Bier oder Wein die Tagesfragen gehörig durchzunehmen! Das junge Volk aber, das sich darüber bald ausgesprochen hatte – denn Keiner von Allen glaubte, daß Köhler länger als bis morgen früh zu sitzen haben würde – fing an zu singen. An dem einen Ecktisch bildete sich ein Quartett, und ›Aennchen von Tharau,‹ ›Wir sitzen so fröhlich beisammen‹ und eine Menge andere deutsche Lieder wurden vorgenommen.

Bohlos' Hotel war nämlich das beliebteste in Santa Clara, denn man wußte jetzt, daß Buttlich nur eine Creatur des neuen Directors war, und wollte nichts mit ihm zu thun haben.

Indessen war es neun Uhr geworden, als die Thür plötzlich aufging, einer der braunen brasilianischen Soldaten den Kopf hereinsteckte und in portugiesischer Sprache nach dem Wirth fragte. Bohlos, der gerade, eine Partie Bierkrüge in der Hand, an der Thür vorbeigehen wollte, blieb stehen, sah den Burschen an und fragte:

»Na? Was ist nu wieder los?«

»Es ist neun Uhr,« erwiderte der Soldat, der jetzt voll in's Zimmer trat.

»So?« sagte Bohlos, »bist Du Nachtwächter hier im Ort geworden?«

»Es ist neun Uhr,« wiederholte jedoch der Bursche, »und der Director hat befohlen, daß um neun Uhr alle Leute nach Hause gehen und daß nicht mehr gesungen wird.«

»Nanu?« rief Bohlos, beinahe stumm vor Staunen.

»Was ist los? Was giebt's da?« riefen eine Menge Gäste durcheinander, welche den Soldaten bemerkt hatten und Bohlos' Erstaunen sahen. »Was will er, Bodenlos? Ist er durstig?«

»Polizeistunde, bei Gott!« rief jetzt der Wirth, »und das Singen stört den Herrn Director.«

»Da soll er sich doch Baumwolle in die Ohren stecken,« lachte Berthold – »Polizeistunde, na, weiter fehlte nichts in Brumsilien.«

»Alle sollen nach Hause gehen und Singen aufhören!« schrie der Soldat über den ganzen Lärm hinaus und stieß dabei seinen Gewehrkolben heftig auf den Boden nieder, und wie er das gethan hatte, antwortete es draußen dem Signal. Die Gewehrkolben ziemlich der ganzen Mannschaft stießen draußen auf, die Thür wurde aufgerissen und die Gäste sahen zu ihrem Staunen, daß hier wirklich Ernst gemacht wurde.

»Ei, da schlag' denn doch ein Himmeldonnerwetter drein!« schrieen aber ein paar von den jungen Leuten, die sich einer solchen boshaften Willkür nicht gutwillig fügen mochten, und sprangen von ihren Sitzen auf. Die Soldaten wollten jetzt in's Zimmer dringen, aber die deutschen Burschen faßten ein paar von den braunen, verlebten Gestalten, daß diese eben nicht sanft und pfeilschnell auf ihre Kameraden zurückflogen, und es wäre jedenfalls zu einer ganz ordentlichen Schlägerei gekommen, wenn nicht Bohlos dazwischen gesprungen wäre.

»Meine Herren,« rief er auf die Gäste ein, »ich bitte Sie um Gottes willen, widersetzen Sie sich nicht den, wenigstens angeblich gesetzlich gegebenen Anordnungen des Directors, der auch zugleich Delegado ist. Sie wissen nicht, in was für Schererei wir deshalb kommen können. Thun Sie mir den Gefallen und gehen Sie heut Abend ruhig nach Haus – morgen wollen wir dann schon sehen, was sich in der Sache thun läßt.«

Es gelang ihm auch wirklich, die Ruhe wieder herzustellen, und die Gäste folgten seinen Bitten und verließen – aber alle mit bitteren Flüchen auf den Director in portugiesischer Sprache, damit es die Soldaten verstehen sollten – das Hotel. Draußen aber formirten sie sich zwei an zwei Mann und zogen jetzt Arm in Arm und laut singend und jubelnd vor des Direktors Haus. Natürlich schlossen sich ihnen noch gleich eine Menge anderer Colonisten an, und das Resultat war dann eine ganz richtige deutsche Katzenmusik, die ihrem weltlichen Oberhaupt in der Stille der Nacht gebracht wurde; dann zerstreuten sie sich lachend durch den Ort, um ihre eigenen Wohnungen aufzusuchen.

Etwa drei Viertelstunden später traten drei Soldaten in Bohlos' Hotel, gingen in die nur von einem Talglicht erhellte und sonst vollkommen leere Gaststube und verlangten eine Flasche Branntwein zu kaufen.

»Thut mir leid, meine Herren,« sagte Bohlos ruhig – »Sie haben mir im Namen des Herrn Directors selber verboten, nach neun Uhr noch etwas auszuschenken, von mir können Sie also nichts bekommen. Ich habe übrigens gesehen, daß sich das Verbot nicht auf den andern Wirth Buttlich auszudehnen scheint. Bei dem sitzen die Gäste noch fest; wenn Sie also Branntwein haben wollen, bemühen Sie sich dort hinüber.«

Indessen waren noch drei oder vier andere Soldaten nachgekommen und sprachen leise mit den übrigen. Endlich drehten sie sich, um hinauszugehen.

»Hier ist's verdammt dunkel!« rief der eine, und da er draußen ein Gepolter hörte, nahm Bohlos das Licht vom Tisch und trat hinaus auf den Hausflur. In dem Augenblick sah er, daß einer der Soldaten mit einem großen Zaunpfahl, den er von draußen mit hereingebracht hatte, gegen ihn ausholte. Er behielt eben noch Zeit, seinen rechten Arm empor zu werfen, um sich vor dem Schlag zu schützen, als dieser mit voller Wucht auf ihn niedertraf. Unwillkürlich stieß er einen Schmerzens- und Hülfeschrei aus, als die Soldaten lachend und fluchend aus der Thür sprangen und im nächsten Augenblick im Dunkel draußen verschwunden waren.

Bohlos' Frau kam jetzt aus ihrem Zimmer gestürzt und die Dienstleute eilten herbei. Bohlos aber, der noch mit dem Licht in der Hand, doch todtenbleich vor ihnen stand, sagte ruhig:

»Lauf doch einmal Einer von Euch zum Bader. Die Halunken haben mir den Arm zerbrochen« – und sank dann ohnmächtig zusammen.



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