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So lange die Colonie Santa Clara stand, hatte noch keine solche Aufregung geherrscht, wie in diesen Tagen, und es fehlte wahrlich nicht viel, so wäre eine wirkliche Revolution ausgebrochen. Nur die älteren Leute hielten das junge Volk noch zurück, daß sie nicht das Directionshaus stürmten und Herrn von Reitschen selber ›zu allen Teufeln‹ jagten.
Herr von Reitschen mochte auch etwas Aehnliches fürchten, denn die Stimmung gegen ihn konnte ihm nicht verborgen bleiben, und er hatte zwölf Mann seines sogenannten Indianerschutzes unten in sein eigenes Haus gelegt, wo sie mit geladenen Gewehren Wache halten mußten. Die Uebrigen waren theils vor das Gefängniß, theils in das »Auswandererhaus« postirt worden, und die armen Parcerie-Arbeiter hätten am Flußufer lagern müssen, wäre ihnen nicht durch Bohlos eins seiner Hintergebäude angewiesen worden.
Bohlos' Arm war übrigens durch den Schlag dicht über dem Handgelenk wirklich gebrochen, und auf eine Klage seiner Frau bei dem Director erwiderte dieser:
Bohlos sei ein widerspenstiger Gesell und in seinem Hause gestern sogar offene Widersetzlichkeit gegen die Militärgewalt vorgefallen, was übrigens noch weiter geahndet werden würde. Diesen Fall nun betreffend, der unwahrscheinlich genug klinge, daß der Wirth nämlich von einem Polizeisoldaten solle ohne weitere Veranlassung überfallen und ihm der Arm zerschlagen sein, so möge er den betreffenden Soldaten bringen und die Sache werde dann weiter untersucht werden.Authentisch.
Natürlich war das unmöglich, denn auf dem dunkeln Hausflur, zwischen den braunen, schmutzigen Gesichtern, alle in ähnlicher Uniform, die sich selbst am Tage auffallend glichen, wäre es ganz unmöglich für Bohlos gewesen, den Thäter mit Bestimmtheit bezeichnen zu können – und vielleicht wußte das auch der Director, denn es geschah weiter nichts in der Sache. Wohl aber wurde Bohlos drei Tage später davon in Kenntniß gesetzt, daß er »wegen Widersetzlichkeit gegen die Behörden« fünfzig Milreis Strafe zu zahlen habe und ihm bei einem Wiederholungsfalle die Schankgerechtigkeit entzogen werde.
Und Köhler kam nicht frei. Erst am fünften Tage, als das Gesicht des Directors nicht mehr so deutlich die Spuren der erlittenen Mißhandlung zeigte, wurde er zum ersten Mal zu seinem Verhör geführt und – als er nicht bekennen wollte – wieder in seine Zelle zurückgebracht.
Könnern war indessen abwesend und nach irgend einer andern Colonie geritten, Niemand wußte wohin. Als er aber nach acht Tagen zurückkehrte, saß Köhler noch immer, und er beschloß jetzt, den Direktor selber aufzusuchen. Der Erfolg war indessen, wie er sich hätte voraus denken können, kein günstiger, denn daß ihm der Direktor nicht freundlich gesinnt sei, da dieser ihn als Sarno's Freund kannte, läßt sich denken. Außerdem war er Zeuge oben auf Köhler's Chagra gewesen, wie er jene Mißhandlung erlitten, und mit aller Höflichkeit und einigen nichtssagenden Redensarten wurde der junge Mann abgespeist, daß er das Directionsgebäude empört verließ.
Was jetzt thun? Er war fest entschlossen, die Sache zum Aeußersten zu treiben und beschloß nun, Günther aufzusuchen und dessen Rath einzuholen. Günther stak aber irgendwo im Walde bei seinen Vermessungen, Niemand konnte ihm genau die Stelle angeben, wo er ihn möglicher Weise treffen würde, und es dauerte drei Tage, bis er ihn endlich in seinem aufgeschlagenen Lager fand.
Hier erzählte er Günther mit kurzen Worten die Vorgänge in Santa Clara, und dieser saß dabei, nickte mit dem Kopf und lächelte nur still vor sich hin.
»Ich hab' mir's gedacht, daß es etwa so kommen würde,« sagte er endlich, »und der Herr Baron scheint seiner Protection alle Ehre zu machen; aber ich denke, sein Spiel soll nicht ewig dauern. Haben Sie guten Muth, Könnern, dem armen Teufel, dem Köhler, können sie doch nichts anhaben, denn das darf er nicht wagen, und er läßt es auch nicht zum Aeußersten kommen; und wenn es jetzt für unsern jungen Freund auch schlimm genug ist, von dem allerliebsten Frauchen so lange getrennt zu sein, kann er sich doch darauf verlassen, daß er glänzende Genugthuung erhält. Also Ihr habt den Herrn Director droben auf verbotenen Wegen erwischt? Was gäb' ich nicht drum, wenn ich dabei gewesen wäre und das später einmal der Frau Präsidentin hätte ausführlich erzählen können! Aber die alte Geschichte – wenn's Brei regnet, fehlt mir jedesmal der Löffel – so 'was Gutes kommt an mich nicht!«
»Und können Sie mit hinunter?«
»Ja,« sagte Günther nach einigem Zögern – »das heißt heute nicht mehr, aber morgen Abend oder spätestens übermorgen früh habe ich meine Arbeiten hier oben so weit beendet, daß ich das Uebrige an jeder andern Stelle fertig machen kann – mein neuer Hülfsarbeiter hat mich aber auch wacker unterstützt.«
»Und haben Sie sich leicht in die Arbeit gefunden, lieber Graf?«
»Vortrefflich!« lachte der junge Mann – »und außerdem hatte ich nie im Leben wirklich geglaubt, daß ich noch je einmal zu etwas nützlich sein könnte, während ich sogar jetzt das volle Vertrauen des von der Regierung angestellten Beamten besitze.«
»Du findest gewiß noch solche Freude an dieser Beschäftigung,« sagte Günther, »daß Du wacker dabei aushältst und gar noch ebenfalls brasilianischer Beamter wirst.«
»Möglich, aber nicht wahrscheinlich,« sagte Felix achselzuckend; »jedenfalls hat es mir hier geholfen, eine Quantität Zeit todtzuschlagen, und das ist noch immer ein unberechenbarer Gewinn, den ich selber gar nicht hoch genug anzuschlagen weiß.
»Du bist unverbesserlich!« lachte Günther – »und nun wieder an die Arbeit, denn wenn ich bis morgen fertig werden will, haben wir Beide noch genug zu thun.«
Die Arbeit wurde in der That in der angegebenen Zeit beendet, aber doch zu spät, um noch an dem nämlichen Abend an den Abmarsch denken zu können, den sie auf den andern Morgen bis Tagesanbruch festsetzten.
»Und haben Sie nichts wieder von dem alten Mann und seiner Tochter gehört?« fragte Günther den Freund, als er mit ihm zusammen einen Waldweg nach Santa Clara hinüberritt – Felix war gerade ein Stück zurückgeblieben.
»Nichts – gar nichts,« sagte Könnern leise – »ich habe sie sogar gesucht – ich bin fünf Tage nach ihnen in der Nachbarschaft umhergeritten, und die ersten zwei ihrer Spur gefolgt. Dann war diese urplötzlich verschwunden. Kein Mensch konnte mir weitere Nachricht von den Verschollenen geben, und der Gedanke ist mir jetzt furchtbar, daß ihnen, allein und hülflos wie sie waren, ein Unglück zugestoßen sein könne. Meine arme Elise!«
»Spurlos verschwunden?« sagte Günther, ungläubig mit dem Kopf schüttelnd – »wie wäre das hier in der Colonie möglich?«
»Und warum nicht? Sobald sie die Hauptstraße verlassen und sich nach rechts oder links in den Wald ziehen, wo überall noch einzeln zerstreute Hütten liegen, wer soll ihnen da folgen? Und ehe ich sie aufzufinden vermöchte, können sie verdorben sein.«
»Und von dem Mörder des Schneiders hat man ebenfalls keine Spur? Gar keinen Verdacht?«
»Keinen – der liederliche Gesell hatte zu wenig Geld bei sich, als daß das könnte einen Menschen zum Morde gereizt haben, und, kleine Häkeleien ausgenommen, hat er sich auch Niemanden in der Colonie so zum Feinde gemacht, daß man glauben könne, der Mord sei irgendwie aus Rache verübt. Es bleibt räthselhaft.«
»Der Director kann doch unmöglich Köhler für schuldig halten?«
»Sicher nicht,« sagte Könnern, »aber eine bessere Gelegenheit fände er im Leben nicht, sich an dem zu rächen, der ihn einmal mißhandelt hat, und daß er sie eben benutzt, liegt in seiner Natur.«
»Gut, dann wollen wir einmal sehen, was wir gegen ihn ausrichten können. Die erste Warnung vor dem Mann, der hierher als Direktor gesetzt ist, hat der Minister des Innern schon von mir aus Santa Catharina bekommen; jetzt ist nichts weiter nöthig, als in Santa Clara die genauen Daten der letzten Vorfälle zu sammeln, und dann gehe ich selber mit der nächsten Gelegenheit nach Rio ab, um das Weitere zu betreiben.«
»Sie wollen wirklich fort – und dann nach Deutschland?«
»Dann nach Deutschland, nach meinem Thüringen!« rief Günther, und spornte fast unwillkürlich sein Pferd zu schärferem Trab, als ob ihn schon der Gedanke seinem Ziel rascher entgegenführe.
»Und Sie kommen vorher nicht noch einmal hierher zurück?«
»Hierher? Gewiß nicht! Ich habe das wilde, unstäte Leben recht von Herzen satt bekommen und muß doch jetzt auch wieder einmal fühlen lernen, wie einem wirklichen Menschen zu Muthe ist. Sechs Jahre, Könnern – sechs Jahre lebe ich jetzt hier, mit dem Bewußtsein, daß Alles, was mir lieb und theuer auf der Welt ist, da drüben treu und geduldig, aber mit immer wachsender Sehnsucht meiner harrt. Jetzt ist's genug! Der Brief, der mich drüben anmeldet, ist schon damals von Santa Catharina abgegangen; jetzt habe ich weiter nichts in Rio zu thun, als meine Berechnungen vorzulegen und mein Geld einzukassiren – wobei ich aber dafür sorgen werde, daß Sarno Gerechtigkeit widerfährt, und dann mit dem nächsten Dampfer heim – heim – es giebt ja gar kein schöneres Wort in unserer reichen deutschen Sprache – heim!«
Könnern war schweigend neben ihm hergeritten, und die heiße Sehnsucht, welche den Freund zurück in die Heimath trieb, fand in seinem Herzen keinen Wiederklang. Für ihn war die Heimath todt und leer, denn all' sein Hoffen, all' sein Lieben deckten die düsteren Schatten des brasilianischen Urwaldes – vielleicht schon mit Todesnacht – arme Elise!
Noch an demselben Nachmittag erreichten sie die Colonie, in der sich in den Tagen nichts verändert hatte, das ausgenommen, daß die Erbitterung gegen den Direktor fast noch mit jedem Tage gestiegen war. Herr von Reitschen verkehrte jetzt auch nur noch mit dem Baron und der Gräfin; die gewöhnlichen Kolonisten durften seine Stube gar nicht mehr betreten und wurden stets auf dem Vorsaal abgefertigt, wo sie mit abgezogenem Hut warten mußten, bis der Herr Direktor einmal einen Augenblick zu ihnen heraustrat.
Günther von Schwartzau ließ sich übrigens, als er alles das erfuhr, gar nicht bei ihm melden und sandte ihm nur ein paar Zeilen, worin er ihm anzeigte, daß er seine Arbeiten in der Colonie beendet habe und mit der ersten Gelegenheit nach Rio Janeiro gehen würde. Wünsche der Herr Baron ihn zu sprechen, so sei er Morgens bis zehn Uhr in Bohlos' Hotel zu finden.
Natürlich kam Herr von Reitschen, über eine solche Zumuthung empört, nicht, arbeitete aber dafür sehr fleißig an verschiedenen Depeschen, die allen möglichen ungünstigen Berichten in Rio entgegenwirken sollten. Wußte er doch recht gut, daß er an Herrn von Schwartzau keinen Fürsprecher finden würde.
Könnern hatte den Mittag wieder einen vergeblichen Versuch gemacht, bei dem Gefangenen vorgelassen zu werden, und saß eben in seiner Stube, mit einiger Korrespondenz beschäftigt, die Günther mit nach Rio nehmen wollte, als es an die Thür klopfte. Er rief: »Herein!« und im nächsten Augenblick steckte Jeremias sein dickes, gutmüthiges Gesicht, aber mit einem besondern Grad von Vorsicht, in die Thür.
»Heda, Jeremias!« rief Könnern, der den kleinen komischen Burschen gern leiden mochte, noch dazu da er wußte, wie treu er früher an Sarno gehangen – »läßt Du Dich denn auch einmal wieder sehen?«
»Wieder sehen?« sagte Jeremias, nachdem er sich überzeugt hatte, daß Könnern allein im Zimmer sei – »Sie haben mich wohl erwartet und ich laufe mir seit beinahe einer Woche im ganzen Nest die Beine ab und suche den Herrn Könnern in allen Winkeln und Ecken.«
»Mich – und weshalb? – Ich war im Walde draußen.«
»Na ja, das hab' ich mir etwa gedacht, aber – wollen Sie mir einen Gefallen thun?«
»Wenn ich kann, recht gern, doch jetzt bin ich beschäftigt.«
»Wie lange?«
»Ist es so wichtig?«
»Ja.«
»Nun denn, heraus damit!«
»Hier nicht. Sie müssen einen Spaziergang mit mir machen.«
»Was hast Du denn nur, Du thust ja so geheimnißvoll?«
»Es ist auch ein Geheimniß,« sagte Jeremias, sich leise und scheu umsehend, »das ich zwischen den papiernen Wänden hier nicht auskramen möchte, denn man weiß nicht, wer dahinter steckt.«
»Und wie lange wird es mich aufhalten?«
»Eine gute Stunde – vielleicht zwei – vielleicht eine Woche.«
»Alle Teufel!« lachte Könnern, »Dein Geheimniß scheint dehnbar zu sein; doch dann laß mich erst diesen Brief schließen und siegeln, nachher habe ich eine Stunde Zeit für Dich – vorausgesetzt aber, daß es wirklich wichtig ist.«
Jeremias antwortete gar nicht; er setzte sich ruhig auf einen Stuhl, seinen Hut zwischen den Knieen und wartete dort geduldig, bis Könnern seine Korrespondenz völlig beendet und seine Schreibmaterialien weggeschlossen hatte. Dann erst, als er seinen eigenen Hut nahm und nun sagte: »So komm!« stand er auf, öffnete dem jungen Mann die Thür und folgte ihm die Treppe hinunter.
»Und wohin wollen wir?« fragte Könnern, unten angelangt, und sah zu seinem Erstaunen, daß ihm Jeremias schon sein Pferd gesattelt und angebunden hatte – »ist es so weit?«
»Nein,« meinte Jeremias; »aber Sie können's sich doch eben so gut bequem machen. Nur den Berg hinauf steigen Sie ab, und ich erzähle Ihnen dann die ganze Geschichte.«
Könnern wurde wirklich neugierig; Jeremias hielt sich aber hinter seinem Pferd, bis sie den Fuß des Hügelrückens erreichten, über den der Weg nach Zuhbel's Chagra führte. Dort sprang er vor, hielt Zügel und Steigbügel, bis der Reiter abgestiegen war, nahm dann das Pferd am Zügel und begann nun, ohne die geringste Vorbereitung, Könnern, zu dem er ein so großes Vertrauen hegte, seine eigenen Geldverhältnisse zu erzählen und ihm den Platz zu beschreiben, wo er den Sack versteckt gehalten. Dann kam er auf den Abend, an dem er das vom Director Sarno erhaltene Geld dort einheimsen wollte, und zuletzt zu seinem Abenteuer, wie ihm der Dieb seines eigenen Geldes den gestohlenen Sack, freilich unfreiwillig, vor die Füße geworfen habe und dann in wilder Flucht in den Wald gesprungen sei. – Sie hatten indeß dieselbe Stelle erreicht, und Jeremias konnte dem jungen Mann genau den Fleck zeigen, wo der Verbrecher gestürzt und in den Busch hineingebrochen war.
»Ja, mein guter Jeremias,« sagte Könnern endlich, »das ist eine ganz interessante und höchst wunderbare Geschichte, aber – nimm mir's nicht übel – was geht mich das eigentlich an?«
»Das will ich Ihnen gleich sagen,« erwiderte der kleine Bursche, nicht im Mindesten dadurch gekränkt. »Sie wissen doch, daß sie den Köhler, als des Mordes verdächtig, eingesperrt haben? – ich weiß aber jetzt, wer der wirkliche Mörder ist.«
»Du – Du kennst ihn?« rief Könnern rasch und erstaunt.
»Ahem!« nickte Jeremias entschieden mit dem Kopf – »Bux.«
»Bux? – Wer ist Bux?«
»Sie kennen Buxen nicht? – den Bauchredner, den Lump?«
»Und wo ist er jetzt?«
»Pfutsch!« sagte Jeremias mit einer entsprechenden Handbewegung.
»Und woher glaubst Du das?«
Jeremias holte, ohne zu antworten, aus seiner Tasche ein altes Klappmesser und zeigte es Könnern.
»Sehen Sie,« sagte er, »das hat der Lump bei der Arbeit verloren und im Stich gelassen. Es war mir auch gleich so, wie er an mir vorübersprang, als ob ich die Canaille kennte. In der Stadt hab' ich mich indessen vorsichtig erkundigt, wem das Messer gehört, und der Buttlich kannt' es und wollt' es mir abnehmen. – So, und jetzt steigen wir zu meinem Versteck hinauf, in dem das Messer eingeklemmt war, und dort zeig' ich Ihnen die ganze Bescherung, auch den Platz, wo der Mann erschlagen ist.«
»Und weshalb sollte der den Schneider ermordet haben?«
»Die Sache ist einfach genug,« sagte Jeremias, der mit ziemlich richtiger Combination der That folgte. »Die beiden Lumpen, denn der Justus war nicht um ein Haar besser, haben mir, Gott weiß wie, nachgespürt, oder auch vielleicht hier oben irgendwo gerade etwas ausgeheckt, als ich vorbeikam. Nachher sind sie mir nachgekrochen und haben mein Versteck gefunden; dann hat der Bux den Schneider auf den Kopf geklopft, um den ganzen Sack für sich allein behalten zu können. Mit dem bösen Gewissen aber und dem Mord auf der Seele bekam er die Angst, sah nicht auf den Weg, stürzte und glaubte nun im ersten Schrecken, als er eine Stimme neben sich hörte, er solle des Mordes wegen abgefaßt werden, weshalb er, wie vom Teufel gehetzt, in die Büsche fuhr.«
»Bux? – Bux? – Ich kann mich auf den Menschen gar nicht besinnen.«
»Aber ich bitte Sie,« sagte Jeremias – »der Lüdrian, der immer einen Tressenstreifen um die Mütze trug.«
»Der?« rief Könnern, rasch auffahrend – »den hab' ich neulich auf meinem Ritt in die Colonien getroffen. – Es war ihm etwas geschehen, ich glaube, sein Lastthier, ein Esel oder Maulthier, war mit ihm gestürzt, und er mußte dort bei einem Bauer liegen bleiben.«
»Dann kriegen wir ihn auch,« sagte Jeremias bestimmt.
»Aber weshalb, um Gottes willen, hast Du den Verdacht, der fast an Gewißheit grenzt, nicht schon lange ausgesprochen?« rief Könnern vorwurfsvoll – »und der arme Köhler sitzt die ganze Zeit!«
»So?« sagte Jeremias, »und wenn ich etwas gegen den Buttlich oder einen von den Consorten hätte merken lassen, dann wär' der Bux wohl noch unter der Hand gewarnt worden, nur um den Köhler noch ein bischen länger unter dem Daumen zu halten? Und dann, soll ich's denen wohl auch auf die Nase binden, daß ich so viel Geld hätte, um es verstecken zu müssen? – Ueber jeden Milreis würden sie mir Rechenschaft abverlangt haben, und meines eigenen Lebens wäre ich von da an keinen Augenblick mehr sicher gewesen. Nein, lieber nicht, und ich hätt's auch jetzt noch nicht, und selbst Ihnen nicht gesagt, wenn nicht – der Köhler heute krank geworden wäre. Der arme Teufel hält die Hitze in dem Loch aber nicht mehr lange aus und wenn dem 'was passirte – das möcht' ich nicht auf dem Gewissen haben – da noch lieber die Angst, bestohlen zu werden. Fassen sie den Bux, so kommt's nachher mit meinem Geld auch heraus, das ist sicher, denn gestehen muß er und wird er, weshalb er den Justus todtgeschlagen. Nachher freue ich mich aber nur auf das dumme Gesicht von ihm, wenn er erfährt, wo er sein Geld die Nacht hingeworfen hat und daß ich beinahe eben so erschreckt gewesen wäre, als er selber.«
»Dann wollen wir augenblicklich hinunter und die Anzeige machen,« rief Könnern rasch.
»Nein,« sagte Jeremias ruhig, »wir wollen gerade das Gegentheil thun und augenblicklich hinaufsteigen und meinen Versteck betrachten, damit Sie sich erst von Allem überzeugen und nachher noch lange keine Anzeige machen, bis wir den Bux fest haben. Wissen Sie ungefähr, wo er steckt, so wird das auch nicht so schwer halten, und wenn wir dem Herrn Director dann die Beweise unter die Nase reiben, muß er den Gefangenen herausgeben, oder – wir stecken ihm das Haus über dem Kopf an und räuchern ihn zum Tempel hinaus. Gott straf' mich, es wird überhaupt Zeit, daß die Wirthschaft einmal ein Ende nimmt!«
Könnern mußte sich, er mochte wollen oder nicht, dem kleinen Burschen fügen, der sein Pferd in das Dickicht führte und dort anband und dann mit ihm in die Schlucht hinaufstieg, damit er mit dem Terrain genau bekannt würde. Dabei erzählte er ihm eine Menge Einzelheiten aus Bux' Leben, wie er seine Familie mißhandelte und sich überhaupt die kurze Zeit in der Colonie benommen hatte, und kehrte dann Nachmittags mit dem jungen Mann nach Santa Clara zurück, wo dieser ohne Säumen die beiden Freunde aufsuchte, um mit ihnen das Nöthige zu berathen.
Herr von Schwartzau billigte auch ganz Jeremias' Vorschlag: vor allen Dingen sich der Person des wahrscheinlichen Mörders zu versichern, ehe man gegen den Director ein Wort von dem Verdacht äußerte. Es schien allerdings kaum möglich, daß dieser, nur um einem Gefühl der Rache zu folgen, dem wirklichen Verbrecher Gelegenheit zur Flucht verschaffen würde, aber – sicher blieb sicher und er hatte nachher keine Ausrede mehr.
Graf Rottack erbot sich augenblicklich, Könnern zu begleiten, brachte das doch einmal eine Abwechselung in sein monotones Leben, wie er meinte, und die jungen Leute beschlossen, keinem Menschen ein Wort von ihrer Expedition zu sagen. Daß Jeremias schwieg, wußten sie außerdem, und je geheimer das Ganze betrieben wurde, auf desto sicherern Erfolg konnten sie rechnen.
An dem nämlichen Tage hatten fast sämmtliche Einwohner Santa Claras auf Günther's Veranlassung eine Adresse an die Regierung in Rio aufgesetzt und unterzeichnet, in der sie mit einfachen, aber klaren Worten die gegenwärtigen Verhältnisse und deren Rechtszustand schilderten und um Abhülfe baten. Sie sagten außerdem darin, »sie wollten die Regierung nicht drängen, ihren jetzigen Director wieder abzurufen, obgleich es keinen verhaßteren Menschen in der Colonie gäbe, aber das könnten sie verlangen, daß wenigstens ein ehrlicher Mann als Delegado ihnen zugetheilt würde und die Polizeigewalt nicht länger in einer Hand mit der Obrigkeit sei. Die Colonisten wären sonst verrathen und verkauft und hätten keinen Platz in der Welt, wo sie Recht und Gerechtigkeit bekommen könnten, als das abgelegene und schwer zu erreichende Rio de Janeiro«.
Der eigentliche Postdampfer, der zwischen den Colonien und Rio, angeblich regelmäßig, lief, wäre allerdings schon wieder seit zwei Tagen fällig gewesen, aber es herrschte unter den Dampfern aller jener Linien an der brasilianischen Küste eine solche consequente Unregelmäßigkeit, daß man nie mit Sicherheit darauf rechnen konnte; ja es war schon vorgekommen, daß der eine vierzehn Tage über seine Zeit ausblieb und der andere dann dicht hinter ihm her oder gar mit ihm zu einer Zeit eintraf.
Günther wollte sich also dem nicht aussetzen und nahm Passage auf einem nach Rio bestimmten Schooner, demselben, der die Parcerie-Colonisten hierher gebracht und indessen eine Ladung Bohnen, Maniokmehl und etwas geräuchertes Fleisch eingenommen. Er hatte die ganze Nacht gearbeitet und seine Karte über die Vermessung der Colonie beendet und copirt, da er die Copie dem Director zurücklassen mußte, schickte ihm dieselbe am nächsten Morgen in's Haus und nahm dann von den Freunden Abschied, die ihn bis zur Landung hinunter begleiteten. Beide junge Leute versprachen ihm auch fest, ihn in der Heimath aufzusuchen, sobald sie selber wieder Fuß auf deutschen Boden setzen würden, und eine halbe Stunde später sprengten Graf Rottack und Könnern auf der Straße hinaus, die an der Meierei vorüber in den Wald führte.