Friedrich Gerstäcker
Die Colonie
Friedrich Gerstäcker

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20.

Bux & Comp.

Könnern und Günther waren zusammen Arm in Arm in der Richtung nach Bohlos' Hotel, wo sie jetzt wohnten, zurückgegangen, und Jeremias folgte ihnen in einiger Entfernung mit dem leeren Karren. Er hatte das erhaltene Silber in seine Hosentasche gesteckt und fühlte von Zeit zu Zeit danach, sah sich auch wohl manchmal in der Straße um, ob ihm das Gewicht nicht etwa die Tasche zerrissen hätte und er jetzt, zum Besten der Colonisten, Milreis auf den Weg streue. Unterwegs aber, als er sich ziemlich allein sah, blieb er stehen, hob seine Tasche etwas mit der rechten Hand und sagte leise vor sich hin:

»Verwünscht schwer geworden heute – kann's wahrhaftig nicht mehr länger so am Beine herumtragen und muß wieder einmal damit auf die ›Bank‹ gehen – und kann ich abkommen? Hm! Bei meinem jungen Herrn Grafen die Pferde abreiben, denn die werden wieder schön abgehetzt nach Hause gekommen sein – aber das kann warten – thu' ich hernach beim Füttern – bei Bodenlos sollte ich heute Flasche spülen – das hat auch bis morgen Zeit – beim Baron die Pfeifen rein machen – er mag heute noch einmal aus einer alten rauchen – und beim Tischler Bitter – Donnerwetter, der hat heute Kindtaufe und dem sollt' ich den Kuchen vom Bäcker holen, das hab' ich doch in den Boden hinein vergessen! Na, jetzt ist's doch zu spät und er wird sich ihn nun wohl selber geholt haben, der Kindtaufsvater – man kann ja auch nicht an Alles denken, und heute ist's überhaupt zugegangen wie in Sodom und Gomorrha. Also abgemacht – zuerst geh' ich auf die Bank und deponire meine Capitalien – dann müssen vor allen Dingen die Pferde besorgt werden, und nachher – ach was, nachher ist Feierabend und morgen noch ein Tag!« – und damit hakte er sein Tragband wieder ein und zog den Karren pfeifend die Straße hinauf und der Stelle zu, wo er ihn gewöhnlich unterstellte – in einem von Bohlos' Schuppen.–

Oben vor seinem Hause stand Justus Kernbeutel, und zwar heute, mitten in der Woche, in seinem Sonntagsstaat, einem blauen Frack mit gelben Knöpfen, einem Paar großcarrirter Hosen, gelber Piquéweste, einer hellblauen seidenen Halsbinde, und einen zwar etwas abgetragenen, aber doch wieder sorgfältig abgebürsteten Hut auf, ein kleines spanisches Rohr mit einem großen geschliffenen Glasstein als Knopf unter dem Arm, und jedenfalls gerade im Begriff, irgend einen wichtigen Besuch zu machen – denn zu einem Spaziergang brauchte er sich nicht so anzuziehen.

Die Straße herauf kam ein junger Mann im Schritt angeritten; er war in die gewöhnliche Tracht der dortigen brasilianischen Farmer gekleidet, mit breitrandigem Strohhut auf, und gerade als sich Justus zum Gehen wandte, rief er ihn an: »He – holla – halt, Freund!«

Justus drehte sich um und wartete auf ihn, und als er herankam, sagte er weiter nichts als: »Und?«

»Ihr wollt ausgehen?« fragte der junge Mann – »da komme ich gerade zur rechten Zeit. Ist mein Rock fertig?«

»Morgen,« sagte Justus in größter Gemüthsruhe – »nur noch die Knöpfe anzusetzen.«

»Ei zum Henker, Mann, das hättet Ihr dann aber auch noch vorher thun können! Ich brauche den Rock heut Abend und werde nun schon drei Wochen immer von Tag zu Tag darauf vertröstet. Wenn Ihr nicht arbeiten wollt, so sagt's doch lieber gleich heraus und habt die Leute nicht zum Narren.«

»Hoho,« rief Justus, »nur nicht so vornehm, Herr Köhler – hier in Brasilien thut Jeder, was ihn freut, und ein Künstler läßt sich nun einmal gar keine Vorschriften machen.«

»Ach was, Künstler,« rief Köhler ärgerlich, »wenn die Schneider auch noch Künstler werden, nachher hört's auf!«

»Ich verbitte mir alles Schimpfen!« rief Justus und wurde ganz roth im Gesicht.

»Holla, zankt Euch nur nicht,« lachte ein Vorübergehender, der Wirth Buttlich; »Ihr Deutschen sollt ja einig sein, wißt Ihr denn das nicht? Ist ja eine ganz alte Geschichte –« und vergnügt vor sich hinpfeifend, schlenderte er in eine Nebenstraße hinein.

»Zanken,« brummte Justus vor sich hin, »wer zankt sich denn? Ich will ja gern meine Kunden befriedigen, wenn sie nur höflich sind. Das ist das Wenigste, was ein Künstler außer der Bezahlung verlangen kann.«

»Und wann soll ich den Rock haben?«

»Morgen früh bestimmt, auf Ehre!« rief Justus; »mehr kann ich nicht sagen, das ist mein höchster Schwur.«

»Und um wie viel Uhr kann ich herunterschicken?«

»So früh Sie wollen, und wenn's um neun Uhr ist.«

»Gut; aber was ist denn das, Kernbeutel, seid Ihr irgendwo zu Gevatter gebeten, daß Ihr Euch so furchtbar herausgedonnert habt? Ihr glänzt ja ordentlich wie ein neuer Knopf.«

»Hm,« schmunzelte Justus, an seinen carrirten Beinen hinuntersehend, »heute ist Thé dansant und Concert bei Zuhbel, zur Feier des neuen Directors – wenigstens dazu, daß wir den alten los sind, und da muß man sich doch anständig anziehen.«

»Hm, da hättet Ihr auch etwas Besseres feiern können,« meinte der junge Mann. »Der alte Director war ein Ehrenmann, und ich will zu Gott hoffen, daß der neue eben so gut einschlägt, glaub's aber nicht. Wenn Ihr übrigens nach Zuhbels hinaufgeht, so haben wir, wenigstens ein kurzes Stück, einen Weg, denn ich will nach Barthel's Chagra hinüber.«

»Da reiten Sie aber doch näher die Straße, die hier hinüberführt.«

»Es ist dort eine Colonie ausgemessen, die ich mir einmal ansehen wollte,« sagte Köhler – »der Bach läuft durch, und vielleicht ließe sich dort eine Mühle anlegen.« – Und die beiden Männer, Justus neben dem Pferde her, hielten zusammen die Straße hinauf, bis sie ein Stück im Walde waren; dann bog Köhler links ab an dem Hange hin, und Justus Kernbeutel setzte seinen Weg allein fort.

Es ging hier eine kurze Strecke ziemlich steil hinauf, und Justus, der nicht wünschte, sich in Schweiß zu bringen, stieg sehr langsam bergan. Die Sonne war noch eine halbe Stunde hoch, und er konnte, ohne sich zu übereilen, Zuhbel's Chagra recht gut vor oder wenigstens mit Dunkelwerden erreichen.

Als er die Höhe des Weges gewonnen hatte, an der rechts ein steiler, aus rauhen Blöcken bestehender Felshang emporragte, drehte er sich um, theils um auszuruhen, theils um einen Blick auf die sich hier weit ausdehnende Scenerie zu werfen, die am Horizont sogar durch das Meer begrenzt wurde. Das Städtchen selber konnte er von hier oben aus nicht sehen, da es hinter dem dichten Gebüsche und Unterholze versteckt lag.

Justus war übrigens, wie man danach vielleicht hätte glauben können, keineswegs ein großer Verehrer von Naturschönheiten, und wenn er einen großen Berg hinaufstieg, fluchte er gewöhnlich leise vor sich hin, bis er oben war; aber er versäumte nie, auf allen den Punkten gewissenhaft anzuhalten, von wo aus er das Meer sehen konnte, und auch nicht etwa, weil er es liebte – Gott bewahre – nein, nur um sich zu freuen, daß er nicht mehr darauf war und festen Boden unter seinen Füßen hatte.

Auf der ganzen Seereise war er nämlich, von dem Augenblicke an, wo er sich in Bremerhaven eingeschifft, bis zu dem Moment, wo er in die Mündung des Santa Clara mehr wie ein Sack, als wie ein lebendiger Passagier hineingerudert worden, so seekrank gewesen, daß ihm noch bis auf den heutigen Tag übel wurde, wenn er nur Theer roch und dadurch wieder lebhaft an seinen Aufenthalt an Bord erinnert wurde. Sah er aber so recht von Weitem aus die endlose blaue Fläche, oder konnte er gar die weißen Kämme überstürzender Wellen erkennen, dann erfaßte ein eigenes inneres Wohlbehagen seine Seele, er rieb sich die Hände, stampfte mit den Füßen, schnalzte mit der Zunge und machte oft die wunderlichsten und außergewöhnlichsten Capriolen, um sein unbändiges Vergnügen auszudrücken.

Heute fühlte er sich dazu in ganz besonders günstiger Stimmung – war es die Aussicht auf den vergnügten Abend, war es der neue Anzug, den er trug und den er in Ermangelung eines Modejournals in Santa Clara einem Theil der Bevölkerung vorzuführen dachte; war es vielleicht die frische, kühle Abendluft, die hier draußen wehte, oder auch die Wirkung einiger Gläser Cognac, die er vorher zu sich genommen, kurz, er blieb stehen, nahm den Hut ab, machte dem einige Meilen entfernten Meere eine sehr formelle, ehrerbietige Verbeugung und sagte:

»Ich empfehle mich Ihnen ganz gehorsamst, sehr verehrtes Brechmittel, Salzwasserpfütze verfluchte, die einen herumschlenkert, daß man am Ende gar nicht einmal mehr weiß, wo Einem der Kopf oder wo die Füße sitzen! Hier, hier komm her, wenn Du dazu Courage hast – hier auf dem Felsen schaukele mich einmal, wenn Du kannst und wirf mich herüber und hinüber, wie einen schlechten Groschen – ääh!« setzte er hinzu, eine Grimasse gegen das Meer ziehend – »so viel für Dich und all' das dumme Gesindel, das sich auf Dir jetzt herumschütteln läßt, um nach Brumsilien zu kommen – hei, wie die Kerle torkeln und wie hundeschlecht ihnen ist – wie sie würgen und ächzen – wenn ich sie nur sehen und meine Freude an ihnen haben könnte! – Hurrah für festen Boden – hurrah hoch für soliden Steingrund!« – und seinen Hut in die Luft werfend, machte er selber einen Sprung und schlug dabei mehrere mal die Füße zusammen.

»Na, Gott straf mich,« sagte da plötzlich eine Stimme dicht an seiner Seite, »wenn das nicht über den grünen Klee geht!«

Erschreckt fuhr Justus herum, denn er hatte vorher keinen Menschen bemerkt und ein unheimliches Grausen lief ihm über den Rücken, als er auch jetzt noch Niemanden neben sich sah, denn der Weg war vollkommen leer.

»Bux!« – der Gedanke schoß ihm plötzlich durch's Hirn, als er laut den Namen rief – »das ist kein Anderer, als der verfluchte Bux – wo nur der Himmelhund steckt?«

Ein lautes, ordentlich wieherndes Gelächter antwortete ihm von einem der Felsen unweit der Straße und als er hinaufsah, saß der Bauchredner da oben, schnitt' aber jetzt schon wieder ein so finsteres Gesicht, daß Justus ordentlich unsicher wurde, ob nun nicht eben Jemand neben ihm durch den Bauch gelacht und es nur so geschallt hätte, als ob der Ton von da oben käme.

»Was, zum Teufel, machst Du denn da auf der Kanzel oben?« rief er ihm erstaunt zu.

»Gerade das Entgegengesetzte von dem, was Du thust,« sagte Bux mürrisch – »ich gucke 'nunter und Du 'rauf. Aber komm her, ich habe was mit Dir zu reden.«

»Ja, komm her, das ist leicht gesagt,« meinte Justus, »aber wie kann ich hinauf? Komm Du hierher, das ist bequemer.«

»Wenn Du nicht willst, läßt Du's bleiben,« brummte der mit der Silbertresse – »so behalt' ich's für mich.«

»Hm,« sagte Justus, neugierig werdend – »ich zerreiße mir die neuen Hosen und will noch in Gesellschaft.«

Bux antwortete ihm nicht und pfiff gleichzeitig in's Blaue hinein und Justus, der jetzt eine Stelle entdeckt zu haben glaubte, an der er ziemlich bequem aufwärts steigen konnte, kletterte mit einigen Schwierigkeiten, denn seine »Strupfen« genirten ihn, über das rauhe Gestein empor, wobei er besonders ängstlich den Dornen auszuweichen hatte. Als er übrigens unterwegs einmal nach oben sah, war Bux verschwunden und erst als er den Stein selber erreichte, auf dem er gesessen, entdeckte er den Bauchredner hinter den Felsen dort, wo er von dem Wege aus gar nicht gesehen werden konnte. Er hatte sich auf ein kleines Fleckchen Grasboden geworfen und schien die Ankunft seines neuen Freundes ruhig zu erwarten.

»Was, zum Henker, machst Du denn hier?« sagte Justus, als er den Platz endlich erreicht hatte und sich dabei das linke Knie rieb, das er sich gegen einen Felsen gestoßen. »Das ist ja ein ganz verfluchter Weg hier herauf.«

»Ich überlege mir eben,« sagte Bux ruhig, »ob ich mich am liebsten hängen oder ersäufen soll, denn so viel Geld habe ich nicht mehr, um mir eine Ladung Pulver und eine Kugel zu kaufen und zum Hängen kann man Bast nehmen. Aber ich glaube, das Ersäufen sagt meiner Natur besser zu.«

»Und um Dich zu ersäufen, bist Du hier oben auf den Berg geklettert,« lachte Justus, »wo nicht einmal so viel Wasser ist, um sich die Finger naß zu machen zum Banknotenzählen? Das ist nicht so übel.«

Bux antwortete nicht; er lehnte sich mit dem Rücken an den Felsen, hielt sein linkes Knie mit beiden Händen umspannt und schaute finster vor sich nieder.

Justus sah ihn eine Weile an, dann fragte er: »Was war denn das, was Du mir sagen wolltest?«

»Jetzt' sitz' ich drin,« brütete Bux weiter, ohne die Frage zu beantworten – »mit den Vorstellungen ist es nichts mehr. Gestern Abend waren drei Personen drin, von denen zwei nicht einmal bezahlt hatten und ich brauche zwölf, um nur Beleuchtung und Miethe zu bezahlen. Die gottverfluchten Schufte wollen mich zwingen, daß ich die Kinder nicht soll tanzen lassen, und wozu hab' ich denn da die blutigen Rangen. – Verhungern will ich aber nicht – Gott straf mich!« rief er, sein Knie loslassend und seine Faust in die andere Hand schlagend – »und wenn sie mich dazu treiben . . .«

Seine Augen blickten stier und wild und in den schmutzigen, gemeinen Zügen glühte ordentlich Haß und tückische Bosheit.

»Ei, zum Wetter,« sagte Justus, der immer noch solidere Ansichten vom Leben hatte – »wenn's mit der »Kunst« nicht geht, dann versuch's einmal eine Weile mit der Arbeit – verding' Dich bei einem Bauer und . . .«

»Daß ich mich schinde und Plage für ein paar Milreis, nicht wahr, nur um der Heulliese, meiner Frau, und den Rangen die Bäuche zu füllen? Verdammt, wenn ich's thue – da versuch' ich noch wenigstens erst, ob nicht auf andere Weise 'was zu machen ist – he, Schneider!« sagte er plötzlich und sah zu Justus mit einem scharfen, forschenden und doch mißtrauischen Blick auf – »bist Du ein Kerl, auf den man sich verlassen kann?«

»Nanu?« sagte Justus und sah erstaunt zu ihm nieder.

»Ich meine,« fuhr Bux fort, »ob Du das Herz auf dem rechten Fleck hast, wenn es einmal gilt. Du bist auch arm wie eine Kirchenmaus, wenn Du auch jetzt die paar bunten Lappen um Dich herumhängen hast; die Schulden fressen Dich bald auf und eh' das Jahr um ist, jagen sie Dich so zum Platz hinaus – halt's Maul, ich weiß Alles und mir brauchst Du nichts weis zu machen, aber – wenn Du Dir nun mit einem Griff helfen und Alles wieder in's Reine bringen könntest?«

»Donnerwetter!« sagte Justus und seine Augen wurden immer größer – »was hast Du nur? Weißt Du einen Fleck, wo ein Haufen Gold liegt – aber warum hast Du ihn Dir da nicht schon lange selbst geholt?«

»Weil Einer allein nichts ausrichten kann,« knurrte Bux »und mit meiner Vettel von Weib nichts anzufangen ist. Doch ich will nicht länger hinterm Busche halten, denn Du verräthst mich nicht, so viel weiß ich – dächtest Du daran, bei Höll' und Teufel, ich risse Dir das Herz lebendig aus dem Leibe!«

»Aber was hast Du nur?« rief Justus wirklich erschreckt.

»Hör' zu,« sagte Bux, sich selbst auf diesem abgelegenen Platz scheu umsehend, ob sie Niemand höre – »Du weißt, daß der neue Direktor angekommen ist.«

»Jedes Kind weiß das,« brummte Justus – »wir feiern's heute.«

»Du weißt aber nicht, daß er einen Haufen Geld mitgebracht hat,« fuhr Bux fort, »um eine Menge Leute abzulohnen, welche der frühere Direktor angestellt hatte.«

»Und was hilft uns das?«

»Von Buttlich weiß ich's,« fuhr Bux fort, ohne sich stören zu lassen – »und ich selber habe gesehen, wie der schwere Koffer hinaufgetragen wurde. Buttlich hat mir aber ebenfalls erzählt, daß nächster Tage eine große Gesellschaft oder ein Ball bei der Frau Gräfin ist – dahin geht der Direktor jedenfalls und das Haus ist oben leer – Justus, hast Du Courage?«

»Ne,« sagte dieser, ganz entschieden mit dem Kopf schüttelnd – »zu so 'was nicht – hol's der Teufel, das klingt im Anfang ganz gut, aber nachher wird's auf einmal faul und dann sitzt man drin. Ne, Bux, das wollen wir doch lieber nicht machen.«

»Memme!« knirschte der Bursche zwischen den Zähnen durch – »habe mir's bald gedacht, daß Du zu nichts zu gebrauchen bist.«

»Und wenn sie uns erwischen?«

»Wenn wir's so dumm machen, verdienen wir's nicht besser!«

»Ne,« sagte Justus noch einmal nach einer kleinen Pause, in welcher er die Sache hin und her erwogen hatte – »ich verdiene gern einen Thaler Geld und – bin auch nicht übereigen, wie; aber auf die Art – nachher in Eisen nach Rio hinausgeschafft werden und dort in das Loch, wo man erst am gelben Fieber stirbt, ehe man gehangen wird – Gott soll mich bewahren, da – ernähr' ich mich lieber von meiner Kunst, wenn's auch ein Hundeleben ist'«

»Esel!« grinste da Bux plötzlich vor sich hin – »Du bist doch, Gott straf' mich, zu dumm, daß Du glaubst, ich dächte an so 'was. Sitzt der Kerl auf – hahahaha!«

Justus sah ihn erstaunt an.

»Also war's nur Spaß?« fragte er verdutzt.

»Na, Du glaubst wohl, ich wär' ein Einbrecher im Ernst?« lachte Bux – »ne, Justus, für dumm hab' ich Dich immer gehalten, aber für so dumm doch wahrhaftig nicht.«

»Du machtest aber so ein ernsthaftes Gesicht dabei.«

Bux war aufgestanden und sah über den Felsen hin nach dem Weg hinüber. Sein scharfes Ohr hatte einen Schritt auf dem harten Boden gehört, und es dauerte auch nicht lange, bis ein Mann den Weg kam, der anscheinend die Richtung nach Zuhbel's Chagra einschlug.

»Kommt Jemand?« fragte Justus.

»Ist das nicht der Lump, der Jeremias?« fragte Bux, der nur eben mit seinen Augen über den Stein hinausschaute – Justus nahm seinen Hut ab und sah ebenfalls vorsichtig hinüber.

»Ja wohl,« flüsterte er, »das ist die rothköpfige Canaille, seine Perrücke leuchtet ja wie Feuer durch den Wald. Wo will denn der noch heut Abend hin? zu Zuhbels doch wahrhaftig nicht, denn der würf' ihn den Augenblick aus dem Hause.«

»Und wie er sich immer umguckt,« flüsterte Bux zurück, »genau so, als ob er ein bös Gewissen hätte.

Es war in der That Jeremias, der, seinen Hut in der Hand, den Weg von der Colonie heraufgekommen war und jetzt auf derselben Höhe stehen blieb, auf welcher Justus gehalten, um nach der See zurück zu schauen. Auch Jeremias sah sich ein paar Mal um, aber es schien, als ob die Scenerie seine Aufmerksamkeit nicht fesseln könnte, denn er drehte den Kopf bald der Richtung zu, von welcher er gekommen, bald der entgegengesetzten, gerade als ob er Jemanden erwarte und nicht wisse, von welcher Seite er kommen würde.«

»Was zum Teufel hat der? Auf wen wartet er denn?« flüsterte Bux, als Justus seinen Arm ergriff, drückte und ihn durch ein Zeichen warnte, vorsichtig zu sein. Bux sah ihn erstaunt an. Jeremias, der nicht daran dachte, daß da oben zwischen den Steinen irgend ein menschliches Wesen sitzen könne, schritt vorsichtig weiter und bog endlich, kurz vorher, ehe ihn die Wendung der Straße den Nachblickenden verborgen haben würde, in eben dieselbe Felswand ein, in der die Beiden standen.

Er mochte jetzt ungefähr hundert Schritt von ihnen entfernt sein, als Justus sich zu Bux überbog und flüsterte:

»Bux, ich setze meinen Hals zum Pfand, daß der Schuft jetzt nach dem heimlichen Versteck kriecht, wo er sein Geld vergraben hat. Wenn wir das ausfinden könnten, da wäre ein Fang zu machen, und dem Halunken gönnt' ich's.«

»Glaubst Du wirklich?« zischelte Bux zurück und stieg auf einen der nächsten Steine, um den kleinen Burschen nicht aus den Augen zu verlieren. Es war jetzt auch gar keine Gefahr mehr, daß sie gesehen würden, denn Jeremias drehte ihnen den Rücken zu.

»Gewiß,« sagte Justus – »was sollte er denn sonst hier oben zwischen den Steinen herum zu kriechen haben, und daß er das Geld irgendwo vergräbt, weiß ich ganz gewiß.«

»Komm,« winkte Bux, als Jeremias jetzt gerade hinter dem Rücken der nächsten Abdachung verschwunden war – »zwischen den Blöcken hier kann er uns nicht sehen, und vielleicht bekommen wir ihn da drüben wieder in Sicht« – und ohne eine weitere Antwort seines Kameraden abzuwarten, sprang er von seinem Stein herunter, und glitt wie eine Schlange zwischen den Felsstücken hin der Richtung zu, in der Jener verschwunden war. Justus konnte ihm in seinen engen Kleidern und besonders mit den Stegen an den Hosen, welche ihn im Steigen hinderten, kaum folgen. Bux erwies sich übrigens als ein vortrefflicher Spürhund, denn sein Terrain mit einer wahren Meisterschaft benutzend und jeden Fels, jeden Baum zur Deckung benützend, pirschte er sich rasch und vollkommen geräuschlos weiter vor und sah sich nur manchmal unwillig nach Justus um, wenn dieser achtlos auf einen dürren, knackenden Zweig trat oder an einen lockern Stein mit dem Fuße stieß – Dinge, die er verschiedene Mal möglich machte.

Jetzt hatte er den scharfen Kamm, welcher aber hier nicht so steil ablief und einen Blick über die nächste enge Schlucht gestattete, erreicht und entdeckte auch Jeremias schon an der andern Seite derselben, an der er in die Höhe kletterte. Die Schlucht lag übrigens vollständig vom Wege ab und tief und sicher versteckt mitten im Walde.

Bux mußte hier abwarten, bis Jeremias wieder aus Sicht war und Justus kam indessen auch heran.

»Ist er da?«

Bux deutete nur einfach mit dem Arm über die Schlucht, wo die lichten Kleider des Deutschen, der langsam an dem Hang hinstieg, deutlich hinter den Büschen sichtbar waren, wohl einmal einen Augenblick verschwanden, aber doch immer wieder zum Vorschein kamen.

»Wenn er noch lange macht,« flüsterte Justus, »geht die Sonne unter, nachher wird's Nacht.«

Bux hob nur warnend die Hand, daß er schweigen solle, denn Jeremias war stehen geblieben und bückte sich dort. Die beiden Männer schauten ihm mit der gespanntesten Erwartung zu, aber Keiner von ihnen sprach ein Wort weiter, denn das da drüben mußte der Platz sein. Was Jeremias eigentlich machte, konnten sie freilich nicht erkennen, aber während ihm Justus mit großer Aufmerksamkeit zuschaute, merkte sich Bux genau die verschiedenen Büsche, einen einzeln stehenden Baum, eine junge Palme und einen Felsblock, an dem wie ein Teller groß ein Moosfleck wucherte.

Jeremias hatte sich etwa zehn Minuten an der Stelle aufgehalten; jetzt richtete er sich wieder empor und schien erst vorsichtig umzuschauen, ob er kein lebendiges Wesen erkennen könne. Aber Todtenstille herrschte im Walde, über welchem nur ein einzelner Raubvogel kreiste und dann und wann seinen eigenthümlich schrillen Ruf ertönen ließ. Der kleine Bursche mußte sich auch für vollkommen sicher halten, denn er stieg jetzt auf einem andern Weg, als er gekommen, und vorsichtig von Stein zu Stein tretend, gerade in die Schlucht hinab und der Richtung nach genau auf die Stelle zu, wo die Beiden auf der Lauer lagen. Erwarten durften sie ihn hier aber keinesfalls, und Bux, wieder hinter die nächsten Steine zurückgleitend, ergriff Justus' Arm und zog ihn noch etwas weiter den Hang hinauf hinter ein Dickicht von Lorbeerbäumen, wo er sich niederkauerte und seinem Begleiter ein Zeichen gab, das Nämliche zu thun.

In dieser Stellung blieben sie etwa eine Viertelstunde, und erst als die Sonne den obern Rücken der westlichen Gebirge berührte, hob sich Bux wieder in die Höhe und schritt auf seinen alten Stand zurück, um zu erforschen, ob sich noch etwas von Jeremias erkennen ließ. Dieser mußte sich aber jedenfalls – und für ihn auch der bequemste Weg – die Schlucht hinunter gewandt haben, deren Mündung wahrscheinlich unten wieder auf den Weg oder doch wenigstens in dessen Nähe führte. Es war nicht das Geringste mehr von ihm zu erkennen. Trotzdem zögerte Bux, hier gerade die Schlucht hinab zu steigen, wo sie sich jedenfalls ganz offen zeigen mußten und zog es vor, einen kleinen Umweg zu machen. Dort begünstigte sie außerdem das Terrain ganz besonders, da sich, ein kleines Stück weiter oben, eine Terrasse über die Schlucht hinüberzog und dadurch einen dünnen Wasserfall bildete, mit dem sich der Bergbach den Hang hinunterwarf. Sie erreichten, außerdem fast überall durch Gebüsch gedeckt, die andere Seite der Schlucht dadurch viel früher und konnten nun ohne weiteres Zögern ihrem Ziel entgegenrücken, denn so lange hatte sich Jeremias hier keinesfalls aufgehalten. Außerdem durften sie nicht mehr viel Zeit verlieren, denn schon rötheten sich die Wolken im Westen.

Bux versäumte auch in der That nicht viel Zeit. Seine Ortskenntniß ließ nichts zu wünschen übrig. Bald hatte er den einzeln stehenden Baum und die junge Palme gefunden; dicht darüber stand der Stein mit dem Moosfleck und hier war die Stelle, wo Jeremias, zu welchem Zweck auch immer, gehalten hatte. Hier aber war auch der Grund so steinig, daß er unter keinen Umständen gegraben haben konnte.

»Zum Henker auch!« brummte Justus, der sich überall umsah, »hier kann es doch nicht sein; Du mußt Dich im Platz versehen haben; ich glaube, es war weiter oben.«

»Dann such' Du weiter oben,« brummte Bux – »wenn ich mir einmal einen Ort gemerkt habe, find' ich ihn auch wieder, und hier war's. Hat er aber hier etwas versteckt, so ist's nicht vergraben, sondern liegt unter einem Stein, und dem wollen wir verdammt bald auf die Sprünge kommen. Paß Du nur ein bischen auf, daß wir nicht etwa überrascht werden – wir sind freilich unser Zwei, aber – besser ist besser« – und ungesäumt hob er einige der nächsten Steine auf, ohne jedoch das Geringste zu entdecken – unter denen konnte nichts verborgen sein.

»Teufel noch einmal!« brummte er endlich und richtete sich wieder auf – »wenn hier wirklich 'was liegt, ist es verflucht schlau weggesteckt, und weiß der Henker, wie er's gemacht hat, denn den großen Felsblock da hat er doch wahrhaftig nicht heben können. Das brächten zwölf Menschen nicht zuwege.«

»Sieh 'mal hier,« sagte Justus, der etwas mehr seitwärts stand – »da ist eine Spalte in dem Fels, aber so eng, daß man nicht einmal den Finger dazwischen bringen kann.«

Bux ging zu dem bezeichneten Platz, hatte ihn aber kaum ein paar Secunden betrachtet, als er sich zu der Platte niederbog und daran probirte.

»Bei Gott, die bewegt sich!« flüsterte er – »und siehst Du, hier oben ist auch etwas von dem Stein abgestoßen, als ob Jemand mit einem eisernen Instrument daran gewesen wäre.«

»Wenn man nur ein Messer dazwischen brächte.«

Bux hatte sein Taschenmesser schon heraus, und ohne die Klinge zu öffnen, drückte er es ganz hinein und schob daran, bis sich der Stein etwas ablöste und er die Finger dazwischen bringen konnte.

»Schieb Deinen Stock hinein, daß es mich nicht fängt.«

Justus gehorchte, und im nächsten Augenblick hob sich die Platte oben los und zeigte einen ganz eigenthümlich geformten hohlen Raum im Innern, der aber nur mit lockerm Gestein angefüllt schien. Es dämmerte außerdem schon, und sie konnten kaum noch auf zehn Minuten Tageslicht rechnen.

»Halte die Platte – so – daß ich dahinter greife!« rief Bux – »aber laß sie nicht fallen.« Justus hielt sie mit zitternden Händen fest, und Bux, der keine Rücksicht auf seine Kleider zu nehmen brauchte zwängte sich jetzt von der Seite hinein und warf die Steine drin zurück. Plötzlich stieß er einen leisen Jubelruf aus: »Ich hab's!«

»Was?« rief Justus – »was ist's?«

»Zieh die Platte nur noch ein klein wenig zu Dir – so – noch ein bischen – so, jetzt geht's – ein Sack – ein Sack mit Geld – hurrah, das war geglückt!« und aus dem Gestein zerrte er einen klingenden Leinwandsack heraus und hob ihn mit Mühe aus der Spalte mit einem Arm zu Tage.

»Jemine!« rief Justus und ließ die Platte los, die wieder in ihre alte Lage zurücksank und so vortrefflich paßte, daß man nur mit großer Aufmerksamkeit den Platz entdecken konnte.

»Esel!« schimpfte Bux – »kannst Du denn den Stein nicht einmal halten, bis man Dir's sagt? Wenn nun noch mehr drin stäke – Du bist doch zu gar nichts zu gebrauchen.«

»Na, wie viel Säcke soll er denn haben?« lachte Justus – »Junge, Junge, in dem Beutel stecken doch wenigstens ihre dreihundert Milreis, wenn auch nicht ein einziges Goldstück dazwischen wäre. Aber was machen wir jetzt damit?«

»Wir theilen,« brummte Bux, der indessen mit einiger Mühe die Schnur gelöst hatte, in den Sack griff, eine Handvoll Münzen herausnahm und in seine Westentasche steckte.

»Du, laß mich doch auch einmal kosten,« sagte Justus – »schmeckst Du prächtig!«

»Komm hier fort!« sagte Bux, den Sack wieder zubindend – »hol's der Henker, der Teufel könnte doch noch sein Spiel haben – dort drüben im Dickicht sind wir sicher.«

»Wenn wir nachher nur wieder zum Wege hinunter finden,« meinte Justus ängstlich.

»Narr, der Mond geht ja in einer Stunde auf,« brummte der Bauchredner – »und hab' keine Angst – ich führe Dich sicher.« –

Jeremias, der einmal durch Zufall diesen wunderlichen Stein gefunden und – weil er keinem Menschen sein mühsam erspartes Geld anvertrauen wollte – zu seinem Depositorium benutzt hatte, war indessen wieder auf die andere Seite der Schlucht hinübergestiegen und wollte derselben eben thalabwärts folgen, um zu dem Wege und in die Stadt zurückzukehren. Da entdeckte er an einer Stelle im Sand die Spuren eines Stiefels, welche ziemlich frisch zu sein schienen und er erschrak heftig darüber. War er etwa von Jemandem bei seiner letzten Arbeit beobachtet? War sein Versteck entdeckt worden? Doch das konnte ja nicht sein. Die Fährten hier hatte jedenfalls einer der Kolonisten eingedrückt, der sich auf der Jagd in der Gegend herumgetrieben, und bei dem jetzt trockenen Wetter konnten sie eben so gut mehrere Tage alt sein – was brauchte er sich deshalb den Kopf zu zerbrechen. Außerdem brach auch die Nacht schon an und er stieg rasch den Hang hinab, um die Colonie noch vor völliger Dunkelheit zu erreichen. Nichtsdestoweniger fühlte er sich heut Abend nicht recht behaglich – es drängte ihn sogar ein paar Mal, wieder umzukehren und sich selber zu überzeugen, ob Alles sicher sei – wie aber konnte er glauben, daß irgend ein Mensch der Welt – noch dazu in der Dunkelheit – die Stelle auffinden sollte.

»Und ich wollte doch, ich hätte dem Director das Geld mit nach Rio gegeben,« brummte er endlich leise vor sich hin – »zum Kukuk, ich habe den Platz gefunden und ein Anderer könnte auch einmal darüber stolpern – und noch dazu jetzt, wo das nichtsnutzige Soldatenvolk überall herumschnüffelt und spionirt – daß die braunen Bestien alle der Teufel hole!«

Er hatte den Weg jetzt erreicht und schlenderte langsam eine Strecke darauf hin. Die Sonne war unter und es dämmerte schon stark. Er blieb wieder stehen.

»Ist mir doch ganz curios heut zu Muthe,« murmelte er; indem er sich nach den Bergen umsah, »und ich gäb' was drum, wenn ich noch eine Weile da oben geblieben wäre – es wurde nur gar zu spät – und in den alten Felsblöcken kann man Nachts Hals und Beine brechen.«

Er horchte erschreckt empor – war es ihm doch fast, als ob er in der Richtung nach seinem versteckten Schatz hin einen Ruf gehört hätte – es war Alles todtenstill – die Grillen zirpten ihr Abendlied, und von der See herüber konnte man das dumpfe Rollen der Brandung hören – weiter keinen Laut.

»'s ist doch merkwürdig,« dachte Jeremias, »was mir heute nur Alles in den Gliedern liegt und in den Ohren klingt, nur, weil ich da oben die Spur von einem Schuh im Sande gefunden habe! Als ob es nicht Menschen genug gäbe, die da herumstreifen könnten – und außerdem hat's in drei Tagen nicht einmal geregnet. Aber wie Blei liegt's mir trotzdem in den Gliedern, und ich möchte die ganze Nacht hier sitzen, um nur morgen früh mit Tagesanbruch gleich wieder an der Stelle zu sein. – Dann nehm ich's aber mit – keine Sonne soll je wieder auf den Stein scheinen mit meinem Geld darunter, so viel weiß ich, denn die Angst will ich nicht noch einmal ausstehen. – Und was hindert mich denn, daß ich's jetzt noch hole? – aber mit dem Gelde mitten in der Nacht den Weg allein gehen und alle die Soldaten um das Nest herum . . .?!«

Jeremias war vollkommen mit sich im Unklaren – er wollte etwas thun und wußte nicht was. Wie machte er's am gescheidtesten?

Gerade, wo er stand, war ein Baum quer über den Weg gefallen, von einem vorbeipassirenden Kärrner wahrscheinlich durchgehauen und eben nur nothdürftig genug mit dem Stammende aus dem Weg gehoben, daß die Räder durchpassiren konnten – wer die Passage breiter haben wollte, konnte sich selber helfen. Auf den Stamm setzte sich Jeremias, seinen Hut neben sich legend und kratzte sich unter der rothen Perrücke in lauter Zweifel und Ungewißheit den Kopf; es war indessen vollständig dunkel und Nacht geworden.

Endlich schien er zu einem Entschluß gekommen. »Zum Schwerebrett!« brummte er, »jetzt ist's Nacht geworden – jetzt kriecht Niemand mehr da oben herum – und ich auch nicht – und morgen, eine Stunde vor Tag, steh' ich auf und sprenge die Bank – hol' mich Dieser und Jener, wenn ich's nicht thue!«

Damit nahm er seine Perrücke ab, trocknete sich mit einem baumwollenen Taschentuch den Schweiß darunter, zog sie wieder fest, drückte sich den Hut darüber und wollte eben aufstehen und in die Stadt zurückkehren, als er rasche und schwere Schritte auf den Steinen hörte.

»Holla, wer ist das?« fuhr er erschreckt empor. Aber die Schritte kamen rasch näher – es war Jemand, der aus Leibeskräften lief, und im nächsten Moment sah er eine dunkle Gestalt auf sich zuspringen, und zwar genau der Richtung folgend, welche die Straße selber nahm.

Das eine Ende des Baumes lag aber noch dort hinüber, da der umgestürzte Stamm am dünnen Ende durchgehauen war und der Bauer mit seinem Wagen lieber einen kleinen Bogen gemacht hatte. Der Laufende schien den Stamm gar nicht gesehen zu haben, bis er dicht davor war – er wollte einhalten, konnte aber nicht mehr, that einen Fehltritt und schlug der Länge nach über das Holz weg. In demselben Augenblick klirrte etwas wie Geld auf dem Boden, wie ein Sack mit Silber, und Jeremias, zu dessen Füßen das Alles vorging, sprang in die Höhe und rief überrascht aus: »Holla! – wen haben wir denn da?«

Der Gestürzte mußte keineswegs die unmittelbare Nähe eines andern Menschen geahnt haben; kaum aber hörte er die Stimme neben sich, so stieß er einen Angstschrei aus, so hell und gellend, daß Jeremias selbst davor zurückschreckte, raffte sich aber auch in demselben Moment empor und war mit einem Satze seitwärts im Dickicht verschwunden, wo er in wilder Flucht durch Dornen und Geröll hindurchbrach.

»Na ja,« sagte Jeremias und sah verblüfft hinter ihm drein – »was hat denn der ausgefressen und wer war's eigentlich? – Kam mir beinahe so vor, als ob's der Lump, der Bux – alle Teufel!« unterbrach er sich selber und sprang der Stelle zu, auf der er das klirrende Geräusch gehört. Er brauchte auch nicht lange zu suchen, denn mitten im Weg lag ein dunkler Gegenstand, während es ihm durch alle Nerven zuckte, als er nur seine Hand darauf legte.

Es war ein Sack mit Geld – genau so ein Sack, wie er ihn unter dem Stein verborgen gehabt, und als er mit vor Aufregung zitternden Fingern darüber hingriff, konnte er nicht länger im Zweifel sein, daß er sein Eigenthum in Händen halte.

Was war geschehen – wie hing das Alles zusammen? Die Gedanken jagten sich ihm wirr im Kopf, und die Furcht überkam ihn jetzt, daß der blos erschreckte Räuber vielleicht noch mit Genossen zurückkehren und ihn überfallen könne.

In die Stadt! war jetzt sein einziger Gedanke – zu Menschen, zwischen menschliche Wohnungen, und den wiedergefundenen Beutel fest unter den Arm drückend, lief er, wie der Verbrecher vor ihm gelaufen war, den Weg entlang, als ob ihn selber sein böses Gewissen treibe.

Selbst unterwegs aber überkam ihn die Angst, daß der Flüchtige schon umgedreht sein könne und hinter irgend einem Busche auf ihn lauere und er brauchte jetzt die wunderlichsten Mittel, sich dagegen sicher zu stellen. Wenn Jener nämlich glauben mußte, daß er nicht allein sei, wagte er sicher nicht vorzubrechen und Jeremias fing jetzt an zu rufen: »Hier ist er – da hinter dem Busche! – Spring da herum, daß er nicht wieder durchbricht! – Halt ihn! – Warte, Canaille, dieses Mal entgehst Du uns nicht!« Und dabei lief er so rasch ihn seine Füße trugen, bis er, endlich bei Justus' Haus angekommen, vor Erschöpfung und ausgestandener Todesangst fast in die Kniee brach.

Hier begegneten ihm aber Menschen. Zwei Soldaten gingen plaudernd die Straße hinauf – ein Reiter kam die Querstraße herein. In den Häusern war Licht und in den Zimmern konnte er die Leute sitzen sehen. Vor der einen Thür saßen sogar noch ein paar junge Burschen und sangen, und Mädchen gingen über die Straße, um Wasser zu holen. – Er war in Sicherheit.



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