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Das wurde jetzt, sowie die Sonne aufging, ein Wirthschaften im Pfarrhause, ein Scheuern und Kehren, Putzen und Backen, als wenn Hochzeit sein sollte. Selbst die Frau Pastorin, die sonst mit ihrem kranken Manne die lange Ruhe zu theilen pflegte, war mit dem Morgen thätig. Eine Guirlande von frischen Blumen und Reisern war über die Thür zur Wohnstube gekränzt und erfüllte den Flur mit feierlichem Dufte. Bei aller Vielgeschäftigkeit hatte Aennchen sich selbst nicht vernachlässigt; sie wollte nicht als Magd vor den Vetter treten, sondern glänzte schon im frischen Sonntagskleide, das durch eine große, grobe Schürze vor den Unfällen der Küche geschützt war.
Spät kam Ernst die Treppe herunter. Aennchen konnte ihn jetzt beim Tageslichte erst betrachten. Ohne besonders schön zu sein, hatte er ein ausdrucksvolles Gesicht, was bei den Leuten, unter denen Aennchen lebte, etwas Seltenes war. Sie erkannte sehr wohl diesen Adel seiner Natur; er kam ihr ganz anders vor als alle Männer, die sie kannte; und wenn sie erschrak, wie sie sein Gesicht so ernst und kalt sah, als könne er keiner Empfindung fähig sein, so war doch sein großes dunkles Auge wieder so weich und wehmuthvoll, daß es sie zu liebevoller Neugier reizte, dieses geheimnißvolle Wesen sich erschließen zu sehen.
Der Vater schlief noch und ahnte nichts von dem freudigen Ereigniß, das das ganze Haus geschmückt hatte. Die Mutter ging in die Schlafkammer, um es ihm zu melden und ihn anzukleiden. Schon an ihrem Frühaufstehen und dem »guten Ueberrock«, den sie anhatte, merkte er, daß etwas Ungewöhnliches vorgefallen sein müsse. Als ihm aber die frohe Botschaft gemeldet war, erschütterte sie ihn so, daß er in seine gewohnte »Unruhe« verfiel. So sehr hatte sich sein schwaches Gemüth der Freude entwöhnt, daß er durch sie in Sorgen versetzt wurde; es beängstigte ihn plötzlich, wie er nun bei dem durch Ernst vergrößerten Hausstande mit seinem Einkommen reichen werde. Die kluge Frau brachte ihn durch die Erzählung von der Ankunft des Sohnes von diesen Gedanken ab. Als er eingekleidet war, nahm sie ihm die weißwollene Schlafmütze ab, strich ihm mit der Hand die dünnen weißen Locken glatt und setzte ihm das schwarze Sammetkäppchen auf.
Als das greise Ehepaar in die Wohnstube trat, guckte ein munteres Köpfchen durch die Thür und frug: »Nun, Onkelchen, ist die Audienz eröffnet?«
»Kommt nur«, antwortete die Tante, und Aennchen führte den zurückgekehrten Sohn in die Arme des Vaters. Zitternd drückte der altersschwache Mann den rüstigen Jüngling an seine Brust; Freudezähren glänzten in seinen erloschenen Augen. »Der Herr sei gelobt!« sprach er betend, aber weiter war er seiner Stimme nicht mächtig; er konnte die Größe der Freude nicht ertragen und sank ermattet und zitternd in den Rollstuhl zurück. In ängstlicher Aufregung faltete er die Hände; das seufzende Aechzen stöhnte aus seiner matten Brust. Die Mutter war um den Kranken beschäftigt. Aennchen zerdrückte eine Thräne in ihrem Auge. In Ernst's Mienen, der dem Vater ohne sichtlichen Zug der Freude und Rührung entgegengetreten war, kämpfte es krampfhaft; einen Augenblick zuckten seine Mundwinkel, verhaltener Schmerz suchte durch die Gleichgültigkeit zu brechen, die seinen Geist bedeckt hatte. Aennchen bemerkte diese Bewegung und freute sich: »Er hat doch ein gutes, gutes Herz!«
Einige Minuten Ruhe hatten den Greis wieder zu sich kommen lassen. Die Tante schenkte indeß den Kaffee ein und Aennchen reichte dem Vetter den Festkuchen, der heut morgen erst ihm zu Ehren gebacken war. Behagliche trauliche Stille herrschte in dem Zimmer; nichts unterbrach die Ruhe als das Tik-Tak der großen Schwarzwälder-Uhr und dann und wann das Klappern der Tassen. Alles war seit den vier Jahren von Ernst's Abwesenheit ganz beim Alten geblieben, dieselben Möbel und Geräthe an denselben Plätzen; nicht einmal älter und abgenutzter schienen sie geworden; so alterthümlich und ehrwürdig hatten sie schon immer ausgesehen. Aber die heimische Stätte seiner Kindheit schien keine wohlthuenden Erinnerungen, keine Freude des Wiedersehens in Ernst zu erwecken. Nur finstrer waren seine Züge bei dem Empfange des gerührten Vaters geworden. Aennchen sah mit schelmisch vergnügten Blicken zu ihm hinüber, als wollte sie sagen: »Wenn du nur wüßtest, was es heute zu Mittag gibt, solltest du schon ein heiteres Gesicht machen.« Es sollte einen gebratenen Hahn und Spargel mit Schmandsauce geben, und bei dem Gedanken, wie sie die Schmandsauce zubereiten wollte, lächelte sie pfiffig in sich hinein: »da soll der Herr Vetter merken, was das zu sagen hat, wenn ich Jemandem gut bin.«
Der alte Herr hatte sich indeß soweit erholt, daß er auch seinen Thee trinken und an Ernst eine Frage thun konnte. Der Sohn antwortete entgegenkommend, und da er sah, daß der Vater sich gestärkt genug fühlte, suchte er ihn zu unterhalten. Er wußte aus seinen Studentenjahren, daß der Vater, der in derselben Universitätsstadt studirt hatte, sich jedes mal bei seiner Ankunft nach diesem und jenem Hause daselbst, wo er gewohnt hatte, und nach diesem und jenem Jugendbekannten erkundigte; so fing er jetzt von freien Stücken an, davon zu erzählen, um ihm die Mühe des Ausfragens zu ersparen.
Nachdem er mit dem Wohlgefallen des Alten ein Viertelstündchen geplaudert hatte, ging ihm der Stoff aus. Es trat eine Pause im Gespräch ein. Der Vater betrachtete seinen Sohn und fing dann auch zu reden an. »Etwas fällt mir an dir auf, lieber Ernst; die langen Haare scheinen mir für einen Geistlichen nicht recht passend. Das sieht so frei, so romantisch aus. Haben das die Herren beim Examen auch nicht übel vermerkt?«
»Das ist jetzt anders als sonst, lieber Vater«, antwortete Ernst lächelnd. »Man liebt jetzt dort oben gerade das ›Romantische‹; aber das Romantische ist jetzt nicht gerade das ›Freie‹. Die Herren dort wollen ihre Theologie und ihre theologische Weltanschauung nicht arm und trocken erscheinen lassen, sodaß die Menschheit davor zurückschreckt; sondern sie suchen sie mit dem freien Inhalt der Welt, der schönen lebendigen Form zu durchdringen; sie verschmähen auch das Interessante der persönlichen Erscheinung nicht, denn die Kraft der Anziehung ersetzt sehr oft die Schwäche der Ueberzeugung.«
Der gute alte Mann wußte nicht, wie er diese Aeußerung nehmen sollte, doch merkte er wohl die Ironie darin. »Es sind das nur Aeußerlichkeiten«, sagte er, »nur Aeußerlichkeiten! Es kommt darauf nichts an, und wenn es den Herren vom Consistorium nicht misfiel, so ist es ja gut, so ist es ja gut!«
Das Gespräch stockte von neuem. Die Mutter suchte es zu beleben; auch Aennchen mischte sich hinein und beide berichteten dem Fremdgewordenen, was während seiner Abwesenheit in den bekannten Familien der Umgegend bei Pastor Striegnitze's, beim Pastor Suppe, der noch immer ledig war, beim neuen Cantor und bei Wassermüllers sich zugetragen hatte; Ernst hörte gelassen zu, aber er that keine einzige Frage, als wollte er sich hüten, das Gespräch weiter anzuregen. Bald herrschte wieder Schweigen.
Der alte Pastor, der schon erst über »die Ansichten« seines Sohnes nicht klar geworden war, machte neue Anstalten, um das Wort zur Gewissensfrage zu nehmen. Er räusperte sich mehrere mal, setzte sich in Positur und begann: »Sage mir nun einmal, mein lieber Sohn –, es ist mir das manchmal durch den Kopf gegangen, besonders in der letzten Zeit vor deinem Examen –, man fängt jetzt oben an, sehr streng und scharf zu werden, und es ist das auch wol sehr gut, indeß wollen wir das jetzt bei Seite lassen – aber sage mir einmal, hat dir das nicht geschadet, daß du bei der neuen freisinnigen Zeitschrift in Leipzig – ›Epigonen‹ heißt sie ja wol – mitgeschrieben hast? Ich habe anfangs nicht gewußt, was das für ein Journal ist, aber nun hat mir der Herr Pastor Striegnitz erzählt, es soll doch ein sehr freies Journal sein. Er hält den theologischen Lesecirkel mit und da hat er es in der Kirchenzeitung vom Herrn Professor Hengstenberg gelesen, daß in eurem Journal Gott und Unsterblichkeit geleugnet wird. Sag mir einmal, mein lieber Sohn, ist denn das wahr? und hat es dir denn bei den Herren Examinatoren nicht geschadet? Ich habe manchmal daran gedacht, ob du auch nicht zu weit gehst. Man muß in Allem Maß und Ziel halten; man muß in nichts zu weit gehen.«
»Vater, kann man denn in der Wahrheit zu weit gehen?« frug Ernst mit mildem Tone.
»Mein lieber Sohn, du bist noch jung; die Jugend läßt sich leicht fortreißen; höre auf deinen alten Vater. Das läßt sich Alles wol recht schön sagen und denken, aber was soll denn daraus werden? Wenn die Gelehrten sich hinstellen, wie diese Lichtfreunde und Christkatholiken thun, und dem Volke seinen Glauben nehmen und Alles einreißen wollen, was soll denn daraus werden?«
»Ein Glaube, der sich nehmen läßt, ist ein schlechter Glaube. Und was daraus werden soll? Wußten die Apostel, als sie in Athen und Rom predigten, wußte Luther, als er mit Papst und Kaiser brach, was daraus werden sollte? Bekennen wir nur die Wahrheit, aus der Wahrheit kann nur das Gute werden –.« Er wollte weiter reden, aber er begegnete dem bittenden Blick seiner Mutter, die erschreckt nach der ersten Stunde des Wiedersehens die alten Gegensätze wieder hervorbrechen sah. Schnell besann sich Ernst und lenkte ein. »Aber lassen wir doch das! Meine Stellung zum Consistorium, lieber Vater, braucht dich nicht im geringsten zu beunruhigen. Ich habe mein Examen so bestanden, daß man mir die Reife nicht absprechen konnte. Ich habe das Zeugniß der Befähigung zum Predigtamte erlangt und bin hierher gekommen, um dich in deinem Amte zu unterstützen und euch das zu sein, was ihr von mir verlangt.«
»Nun, mein lieber Sohn, ich freue mich über dich; ich weiß, daß du ein guter Sohn bist. Wenn Jemand allein in der Welt steht, dann mag er wol thun, was er will. Du aber hast nicht an dich allein zu denken, du hast eine Mutter, eine gute edle Mutter – ach! und sie hat so viel Gutes an mir gethan, was ich ihr nicht vergelten kann und was du ihr für mich vergelten mußt; und auch dieses gute Kind, das liebe Aennchen, sieht auf dich als ihre einzige Stütze. Denn mit mir geht es zu Ende, bald zu Ende, und ich habe von meinem kleinen Einkommen kaum mehr ersparen können, als das Begräbniß für uns und die Aussteuer für unsere Tochter kosten wird. Mein Gott, mein Gott, wie soll das werden, wenn du nicht für sie sorgst! Wir sind so arm, wir sind so arm! Ach, mein Gott –.« So sprach der Greis, nahe daran, wieder einen Anfall seiner traurigen Gemüthsstimmung zu bekommen.
Die Mutter und Anna suchten ihn zu trösten. »Er wird ja für uns sorgen«, sagte die Mutter, »er ist ja unser guter, lieber Sohn.« Und Aennchen redete ihm zu: »Hör doch endlich auf zu sorgen, Onkelchen; dein ganzes Leben lang hast du dir so viel Sorgen gemacht, jetzt kannst du frei davon sein, Ernst übernimmt sie für dich; sei endlich glücklich!«
Der schwache Greis ermannte sich, reichte seinem Sohne und seiner Frau die Hände und sprach unter Thränen der Rührung: »Nun ja, es wird noch Alles gut werden.«
»Ja, wahrhaftig, es soll ja Alles, Alles gut sein!« brach Ernst in laute Betheurung aus, auch ihm standen die Thränen in den Augen, er schüttelte des Vaters Hand und reichte dann Aennchen und der Mutter die seinigen. Als er Anna's Hand fest drückte und ihr mit seinen feuchten Augen ins Gesicht sah, da war es ihr, als fuhr ein wonniger Krampf ihr durch Leib und Seele, laut jauchzte ihr stark empfindendes Herz auf vor Glück. »Ach, wie gut ist er!« jubelte sie unter Thränen und fiel der Tante um den Hals, ihre Rührung zu verbergen. Schnell wie ein Kind hatte sie ihre Augen auch wieder getrocknet, heiter sprang sie auf, und indem sie dem Vetter einen verschämt schelmischen Blick zuwarf, eilte sie zur Thür hinaus.
In dem Zimmer war es sehr heiß geworden. Der Herr Pastor fürchtete stets, die Wohnung könne feucht werden und konnte deshalb nicht genug Sonne in die Stube scheinen lassen. So hatte er auch heute nicht zugelassen, daß die Rouleaux vor die Fenster gezogen würden, und die heiße Junisonne hatte eine unbehaglich drückende Temperatur in dem Zimmer verbreitet. Ernst war das Blut in das Gesicht gestiegen und man sah es ihm an, wie beschwerlich ihm das Bleiben ward. Die Dreie saßen noch eine Viertelstunde zusammen, keines sprach ein Wort; die Mutter beschäftigte sich mit ihrem Strickzeug, der Sohn, wie es schien, mit sich selbst und der Vater wahrscheinlich mit Nichts. Unter dem Vorgeben, dem Kranken Ruhe zu lassen, nahm sich Ernst endlich den Muth, aufzubrechen und ging, sein glühendes Gesicht in der wohlthuend frischen Luft des Gartens abzukühlen. »Und so soll ich leben und so enden wie dieser Mann?« seufzte er vor sich hin.
So war der Empfang des wiedergefundenen Sohnes gefeiert; die langersehnte Stunde war gekommen und vorübergegangen. Alle waren gerührt, wer aber war glücklich geworden? Vater, Mutter und Aennchen hatten immer geglaubt, wenn diese Stunde nur erschienen sein wird, dann wird alle Sorge aus dem Hause verbannt sein und ein ganz neues Leben beginnen. Und wie wird es jetzt?
Drei Tage lang befand der alte Vater sich wohler und war von seiner Unruhe verschont. Die Gegenwart des Gastes hatte ihn so lange zerstreut und angeregt; mit dem vierten Tage trat aber eine neue Ermattung seiner Lebenskräfte ein und er war leidender als sonst. Es war Donnerstag und Ernst hatte noch nicht mit seiner Predigt für den nächsten Sonntag angefangen, darüber empfand er die aufgeregteste Angst. Als ihn aber Ernst dadurch tröstete, daß er in zwei Stunden ein Concept hinwarf, verfiel er in dieselbe Unruhe darüber, daß dieser ihm sagte, er lerne die Predigt nicht auswendig, sondern trage sie frei vor.
Die Mutter, die für ihren kranken Gatten so viel von der Wiederkehr des Sohnes gehofft hatte, fand sich nun in dieser Hoffnung so ganz getäuscht, und ebenso getäuscht in dem, was sie für sich selbst von ihm erwartet. Die Einsamkeit, in der ihr Gemüth sich in sich selbst zurückgezogen fühlte, hatte sie gedacht, solle er ihr beleben, er solle mit ihr den empfindsamen Naturgenuß theilen und ihr die geistige Unterhaltung gewähren, die sie nur in den wenigen Büchern der klassischen Dichter fand, die die Lieblingslektüre ihrer Jugend schon gewesen waren. Und nun ging von dem nichts in Erfüllung, sie blieb auf sich angewiesen wie bisher.
Ernst blieb Allen fremd, wie er es bei seiner Ankunft war. Es mußte sogar scheinen, als suche er die Seinigen zu vermeiden, und ehe die Mutter ihn auffordern konnte, sie zu begleiten, hatte er sich entfernt und machte einen einsamen Spaziergang. War er in der Gesellschaft seiner Vettern, so legte er sich in seinen Stuhl zurück und nahm an ihrem Gespräch, wenn es einmal zu Stande kam, keinen Theil, als sei nur sein Leibliches bei ihnen. Es mußte scheinen, daß diese Wortkargheit eine Erblichkeit der Familie sei.
Am allerunglücklichsten fühlte sich Aennchen. Ihre Gedanken an Ernst waren nicht träge Träumereien gewesen wie bei andern Mädchen, die die Liebe nur in phantastischem Sinnen hegen, sie waren in geschäftiger Thätigkeit zur Wirklichkeit geworden; jede Blume und jedes Bäumchen, das Anna gepflanzt hatte, hatte sie für ihn gepflanzt; die Ordnung und die Zierde, die sie durch ihr selbständiges Walten über das ganze Hauswesen verbreitet, für das die Tante wenig Trieb besaß, das Alles hatte den Sinn ihrer Liebe zu Ernst und der Hoffnung, das Alles für ihren gemeinsamen Besitz geschaffen zu haben. Und nun sie ihn mit dieser Liebe beschenken und ihm sagen wollte: das habe ich für dich gethan, nun war er so gleichgültig gegen sie und gegen das, worauf sie stolz war. Nicht die geringste Aufmerksamkeit erwies er ihr, und wenn er bisweilen seinen Blick auf ihr ruhen ließ, dann war er so finster, daß es nicht Liebe sein konnte, was sie daraus ersah; ja, er war gegen Alles so kalt, daß sie manchmal denken mußte, er könne wol für Nichts Liebe empfinden. Damit war ihrem Leben der Werth und der Zweck geraubt. Die häuslichen Geschäfte, die sie sonst mit so voller Lust besorgt, verrichtete sie jetzt mechanisch wie einen Zwang; ihr ganzes Leben trug sie nur, als wenn sie es müßte, und hatte keine Freude und Liebe daran. Sie sah den Weg vollendet, und das Ziel, das sie nun erblickte, war die trostlose Einöde. Was jetzt ihr Herz drückte, das war so schwer, wie sie noch nie Etwas gedrückt hatte, denn sie vermochte nicht davon zu sprechen. Bisher hatte ihr Herz nie Etwas empfunden, was sie nicht ihren Freundinnen ausgeschüttet hätte; auch ihre Hoffnung auf den Vetter und ihre Freude auf das Wiedersehen, Alles hatte sie erzählt und galt für seine ausgemachte Braut. Wie es aber jetzt gekommen war, das hätte sie keiner Freundin vertrauen können; das war der erste Kummer, den sie in ihrem Herzen verschließen mußte. Sie vermochte es nicht, ihre Gefährtinnen zu besuchen und hatte alle Lust verloren, den Polterabend bei Wassermüllers, der in acht Tagen sein sollte, mitzumachen.
Es ging das Leben in der Wagnerschen Familie seit der Rückkehr des Sohnes fort, wie es vordem gegangen war. Besuche wurden nicht gemacht und nicht empfangen. Man bereitete sich keine Freude, aber auch keinen Aerger. Jeder lebte abgeschlossen für sich hin; man war durch nichts aneinandergebunden, als durch Dach und Tisch.
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