Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Theil.

Zweites Buch.
Berliner Genies.

(Fortsetzung.)

 

Viertes Capitel.

Doctor Horn kam an demselben Abende, an dem sein Freund dieses starkgeistige billet-doux schrieb, zeitig nach Hause. Er war seit einigen Monaten gegen seine sonstige, jahrelange Gewohnheit angestrengt fleißig. Ein großes Werk war es, woran er arbeitete und dem er jede freie Stunde schenkte. Es war ihm deshalb ganz recht, daß Ernst seit zwei Tagen ihn mied. Als er in sein geräumiges, elegantes, aber in genialster Weise unsauber und liederlich gehaltenes Studirzimmer getreten war, zündete er den Spiritus an der bereitstehenden Patentkaffeemaschine an und setzte sich im Schlafrock behaglich an das Schreibpult. Kaum hatte er zu arbeiten begonnen, als die Thüre aufgerissen wird und die lange, jugendlich gekleidete Gestalt seiner Frau hereintritt.

»Ah, mein theures Eheweib! Was macht mir das Vergnügen?« sagte der Doctor mit zugekniffenen Augen, indem er auf seinem Drehschemmel sich ihr halb zuwendete.

»Ich will Geld in die Wirthschaft, mein Herr Gemahl,« antwortete sie bestimmt. »Keinen Pfennig habe ich in Händen. Die Waschfrau kam heute, ich möchte sie bezahlen, und da mußte ich die Erniedrigung erleben, ihr sagen zu müssen, daß ich kein Geld habe.«

»Und nun wünschst du welches von mir?« frug Horn maliciös höflich.

»Ja, von dir, du Bruder Lüderian!« sagte sie auffahrend, verletzt durch seine Ruhe, und brach in Schluchzen aus. »Das hätte ich mir doch nicht träumen lassen, Kind so reicher und gebildeter Eltern, und – keinen Pfennig in Händen, und noch dazu so behandelt!«

»Armes Kind! hättest du dich nur bedenken können, als du mich heirathetest! Es war ein rechtes Unglück, daß du damals keine Zeit zum Bedenken hattest.«

»Warte, warte!« rief sie, indem ihre Bosheit das Weinen unterdrückte. »Wirst du mir Geld geben?«

»Ja, liebes Kind,« antwortete er achselzuckend, »ich muß vor dir dieselbe Erniedrigung erleben, wie du vor der Waschfrau. Ich habe keines.«

»So? Und wo hast du's gelassen? Wo sind denn meine Zinsen?«

»Deine Zinsen? Du weißt es ja, wir erwarten sie noch immer schmerzlich.«

»Wir erwarten sie? Du auch? Was steht denn hier geschrieben?« Und damit hielt sie ihm einen Brief vor die Augen. »Sieh da! Welche neue Erniedrigung! Ich habe an den Mann geschrieben, er müsse augenblicklich das Geld schicken, und er antwortete mir, daß er längst die Quittung von meiner Hand darüber habe. Du hast also meine Hand nachgemacht! Nun, Herr Doctor Lügner, wo ist denn das Geld?«

Horn war von dieser Beschämung wenig betroffen. Eine rasche Erröthung flog über sein Gesicht, mehr des Aergers als der Verlegenheit. Mit seiner unverwüstlichen stoischen Ruhe ergriff er ihre Hand und sagte, sie zutraulich zurechtweisend: »Ja, Schätzchen, siehst du, das kommt Alles von dem Mistrauen. Warum glaubst du mir nicht, was ich dir sage? Warum mußt du denn ohne mein Wissen, hinter meinem Rücken an den Schuldner schreiben? Siehst du, daraus kommt die Erniedrigung vor fremden Leuten. Gott hat es einmal so eingerichtet, daß die Frau dem Manne gehorchen soll. Mann und Frau sind ein Leib und eine Seele. Du hast einen tüchtigen Leib, aber keine Spur von Seele; ich habe wenig Körper, aber für uns beide die Seele. Und die Seele muß doch über den Leib regieren und – die Kasse führen!«

Jeanette erhitzte sich immer mehr gegenüber der Kälte ihres Mannes. Wüthend fing sie an zu keifen, ihn mit Schimpfreden zu überladen, und endlich ihm zu drohen, wenn er morgen kein Geld schaffe, werde sie ihn verklagen, da sie nicht in Gütergemeinschaft lebten, daß er Geld unterschlagen und Unterschriften gefälscht habe. Erschöpft warf sie sich dann in einen Lehnsessel, weinend und tief Athem holend.

»O, greift's dich so an?« bedauerte er sie, noch immer in ironischer Theilnahme. Dann endlich, zum ersten mal offen maliciös, lachte er sie aus: »Du kleiner Satan du!«

»Was bin ich?« fuhr sie wüthend auf.

»Nein, beruhige dich, du bist kein kleiner Satan; du bist länger als Satan selbst und kannst nach Alter und Liebenswürdigkeit Satans Großmutter sein.«

»Das sollst du büßen!« ächzte sie, und ehe er sich dessen versah, brannte eine Ohrfeige auf seiner Backe.

»Ein Kuß von Satans Großmutter!« rief er, im Augenblicke wüthend, und wollte der fliehenden nacheilen. In der Thüre traf er Jean, seinen Bedienten, den sie fast umgerannt hatte. »Hast du's gesehen?« frug er diesen, indem er, schnell gefaßt, ihn am Rockkragen packte.

»Nein, bei Gott, Herr Doctor. Ich sehe ja nie etwas,« stotterte der Lakai erschreckt.

»Aber diesmal sollst du's gesehen haben. Du bekommst zwei Thaler, wenn du die Ohrfeige gesehen hast.«

»Allerdings, Herr Doctor, ich kann nicht leugnen; gegen meine Gewohnheit, habe ich es – mit Erlaubniß – gesehen und gehört, wie gnädige Frau dem Herrn Doctor – mit Erlaubniß – eine Ohrfeige gegeben haben.«

»Gut denn! Vergiß es nicht. Du sollst's beschwören und zwei Thaler bekommen.« Damit ließ der Doctor ihn los und ging, um sich zu beruhigen, durch das Zimmer. »Zu etwas,« sagte er vor sich, »ist der Satan doch gut, – mir ein Echauffement zu bereiten, wie man steife Pferde vom Hunde beißen läßt, damit sie Sprünge machen.«

Jean legte Briefe auf das Schreibpult, die er vorhin im Begriff war abzugeben. Der Doctor entließ ihn, schloß die Thüre, um vor ferneren Teufelsstreichen bewahrt zu sein, und eröffnete hastig die Couverts. Neues Feuer trat in die erloschenen, kleinen Augen, funkelnd schossen sie über die Zeilen hin und her; die schlaffen, abgelebten Züge wurden von Aufmerksamkeit straff angespannt. »800Thr.!« rief er triumphirend aus, als er den ersten Brief fortlegte; und als er den zweiten gelesen, mit gesteigertem Enthusiasmus: »1000 Thlr. Gage für das erste Jahr, 1200 für das zweite! Und ich sage, sie werden augenblicklich 1500 geben, wenn man sie singen gehört hat!«

Der Doctor zitterte vor Aufregung am ganzen Körper; mit großen Schritten ging er durch das Zimmer auf und ab. Dann holte er plötzlich ein Medaillon aus einem verschlossenen Fache seines Schreibsecretairs, untersuchte noch einmal, ob die Thüren verschlossen seien, und bedeckte das daguerreotypirte Portrait eines Mädchenkopfes mit Küssen.

»Engel!« rief er einmal über das andere. Seine Augen kniff er vor Entzückung zu und als sein lauter Jubel sich legte, starrte er das Bild, mit gefalteten Händen in Nachdenken versunken, wie betend an.

– Der Doctor betet ein Mädchen an als seinen Engel? Unglaublich! Der Doctor verliebt? Lächerlich! So würden Ernst, Cesar und alle seine genialen Freunde ausgerufen haben, wenn sie diese Entdeckung gemacht hätten. Hätten sie aber trotz Unglaublich und Lächerlich gewußt, daß Doctor Horn girrte wie ein Täubchen und eifersüchtig war wie ein Mohr, so hätten die witzigen Herren weiter gelacht: »Wie mag das Bocksgesicht nur liebeselig aussehen? und wie mag er sich beim Schmachten anstellen? Ob er auch sagt: himmlischer Engel, ich liebe dich, weil es genial ist, und ich küsse dich, weil es mir Spaß macht?«

Daß er solche Spottreden zu erwarten hatte, wußte Horn; er hatte seine Leidenschaft so verborgen, daß Niemand eine Ahnung davon hatte – außer Cesar; nur bei verschlossenen Thüren wagte er es durch exaltirte Geberden und abgerissene Laute mit sich selbst darüber zu sprechen. Er schritt wieder im Zimmer auf und ab, um sich zu sammeln, und warf einzelne Worte vor sich hin. »Adieu,« sagte er, indem er sich im Zimmer umsah, und dann, zur Thüre sehend, aus der seine Frau entflohen war: »Adieu, Madame!« Höhnisch lachte er laut auf und sprach: »O, die süße Ohrfeige! Deine Grobheit, Jeanettchen, soll Alles gut machen, was meine Dummheit verdorben hatte. Noch vierzehn Tage und dann – am ersten October – adieu, Madame! adieu, Schulden! adieu, Correcturen! Und nun an mein Werk für Delphine, für meine Delphine!«

– Delphine, die Favorite eines Anderen? Ja, Delphine, – aber dieser Titel war eine Lüge des Doctors. In der Comödie jener Nacht war mehr Comödie, als Ernst es ahnte. Der Doctor hatte seinem Freunde einen Geniestreich gespielt; das Mädchen, das er in der Dunkelheit geküßt, war nicht Delphine. Delphine war ein unschuldiges Kind, eine glühende Jungfrau, aber doch eine Jungfrau, Horn's Rettungsengel, auf den er alle Hoffnungen für sein zukünftiges Leben setzte.

Als Louis Horn am Ende der dreißiger Jahre die Universität besuchte, lebte er der unerschütterlichen Ueberzeugung, es werde in der nächsten Zukunft der geknechtete Geist seine Fesseln abschütteln und einem Leben geschichtlicher Thaten Bahn brechen, für das sich vorzubereiten die heiligste Pflicht eines jeden großen Herzens, jedes befähigten Kopfes sei. Horn hielt sich zu gut für eine Brodwissenschaft, und mit gläubigem Eifer gab er sich dem Studium des philosophischen Journalismus hin, der in jenen Jahren sich als das erwachende Selbstbewußtsein der Nation, als der Weltgeist gerirte. Allein das Triennium und die Stipendia gingen zu Ende, ehe der gläubig erwartete Anbruch des tausendjährigen Reiches der Freiheit gekommen war. Das große Genie, das Louis werden wollte, war auch noch nicht fertig, und es blieb ihm jetzt nichts übrig, als Examina zu machen und ein ganz gewöhnlicher Schulmeister zu werden. Durch Verwendung seiner frühern Lehrer war es ihm gelungen, an ein Berliner Gymnasium zu kommen. Er, der große Geist, der die Menschheit in das Evangelium einer neuen, befreienden Religion hätte einweihen mögen, mußte jetzt den Sextanern die lateinische Grammatik eintrichtern und sich von den Vorgesetzten den Text lesen lassen. Und, was noch schlimmer war, der große Geist litt großen Hunger und hatte oft nicht so viel, um sich am Morgen Kaffee zu kochen. In der großen Stadt, in der so viel Glück ausgetheilt wurde, sollte da solch ein Mann, wie er, es zu nichts bringen! Einen modernen Gesellschaftsanzug hatte er noch und mit diesem schervenzelte er, oft mit hungrigem Magen, in allen vornehmen Häusern, in die er kommen konnte. Endlich fand er auch sein Glück, – eine Staatsrathstochter. Jeanette war fünf Jahre älter als Doctor Horn, nicht hübsch, nicht liebenswürdig, nicht geistreich, und wurde bereits unter die nicht mehr jungen Mädchen gerechnet; aber sie war das Kind reicher Eltern. Sie war seit einiger Zeit melancholisch geworden und kam dem jungen Doctor sehr unverholen entgegen. »Sie hat keine Aussicht auf eine Partie. Könntest du es wagen?« So dachte Horn, aber er hielt sich noch zu unbedeutend, um es wirklich zu wagen. Er fragt einen Collegen um Rath. »Um des Himmelswillen!« ruft dieser aus; »die willst du nehmen? Sie hat Gefahr für Ehre – nein, für ihre Ehre schon lange nicht, aber jetzt für ihre Taille.« »So?« antwortete Horn, und trug am andern Morgen beim Staatsrath um seine Tochter an. Jeanette beschwor ihre Eltern, sie könne ohne den jungen Candidaten nicht leben. An demselben Abend war Verlobung, vier Wochen darauf glänzende Hochzeit – glänzende Ausstattung, glänzendes Logis, glänzende Connexionen! Der Doctor Horn war ein gemachter Mann.

Er glaubte, nun könne ihm nichts mehr fehlen; er wollte hoch oben hinaus und dachte nur an die höchste Carrière. Dabei vernachlässigte er sein Amt, verletzte durch Uebermuth seine Vorgesetzten, und sein Herr Schwiegervater, selbst unzufrieden mit ihm, mußte froh sein, ihm eine untergeordnete Anstellung als Hülfslehrer verschaffen zu können. Er suchte neben seinem Schulamte die Licenz zum Privatdocenten zu erhalten, aber der Cultusminister gab ihm eine zweijährige Frist, um von seiner »Gesinnungstüchtigkeit« Zeugniß abzulegen. Der gescheite Doctor verstand den Wink und – offerirte sich der Redaction der allgemeinen preußischen Zeitung.

Horn war eine von den abstracten Naturen, die Alles aus Princip thun und auf Principe zurückführen müssen. Der Drang seines Geistes, immer radical zu sein, war auch in der Inconsequenz consequent und bildete die Gesinnungslosigkeit zum System aus. Der Geist ist ja der Zweck von Allem; das Genie ist der Geist und Doctor Horn das Genie; ergo: Ich, Doctor Horn, bin der Zweck von Allem. Er sah sich an als den Einzigen und die Welt als sein Eigenthum.

Dabei besaß der philosophische Kopf nicht die Lebensklugheit, seine Lage sich nach Möglichkeit günstig zu begründen. Er war ja der freie Geist und bedurfte, um glücklich zu sein, nichts mehr, als glücklich sein zu wollen. Was konnte die peinlichste Lage ihm anhaben! Er tauchte nur nieder in das Reich des freien Geistes und war von der ganzen Welt unberührt. Sein Familienleben hatte er beabsichtigt auf vollkommene Gleichgültigkeit zu begründen. Jeanette war nicht ohne anerkennenswerthe, gemüthliche Eigenschaften; er aber verstand es nicht, dieselben zu würdigen, und sein eheliches Verhältniß kam hinaus auf gegenseitigen Haß und täglich wachsenden Skandal.

In seinen Amtsgeschäften war er träge und ließ die Correcturen sich häufen, bis er sie am Ende nicht bewältigen konnte; gegen seine Vorgesetzten versäumte er, durch geringe Nachgiebigkeit sich schwere Unannehmlichkeiten zu ersparen, – wie konnte er die zwei Hundert Thaler seines Gehaltes auch der Anstrengung seines Genies würdig halten! Das Geld war ihm wenig werth; er warf es leichtsinnig fort und mochte sich nicht damit abgeben, die Pfennige zu zählen. Wenn es fehlte, borgte er, anstatt für den Augenblick sich einzuschränken, auf hohe Wucherzinsen, sodaß es später nur um so mehr mangeln mußte, – wie konnte ein freier Geist von den materiellen Schranken sich geniren lassen!

So war er in durch und durch zerrüttete Verhältnisse hineingerathen. Seine Schulden standen in keinem Verhältniß gegen sein und seiner Frau Vermögen; kaum vermochte er sich seiner Gläubiger noch zu wehren. Seine Amtsstellung wurde ihm durch alle Chikanen unerträglich, die, verdienter und unverdienter Weise, neidische Collegen und verletzte Vorgesetzte ihm bereiten konnten.

Trotzdem behauptete der freie Geist, frei zu sein von allen Unbequemlichkeiten der Welt und lachte des Drückenden seiner Lage. Oft und immer öfter aber wandelte ihn doch der Gedanke an, als sei seine Logik keine Logik der Vernunft, sondern des Wahnsinnes und als müsse er doch noch einmal aus dieser frevelhaften Selbsttäuschung erwachen. Dann suchte er nur um so wahnsinniger in seinen Wahnsinn sich hineinzuversenken: der Wahnsinn selbst schien ihm kein größeres Unglück als die Vernunft, nur das Erwachen aus demselben dünkte ihm entsetzlich. Um diese Mahnungen der Aufrichtigkeit los zu werden, stürzte er sich in die Genüsse der Betäubung und Ausschweifung. Aber auch hieraus starrte ihn die verabscheute Wirklichkeit an; seine zusammenbrechende Gesundheit erinnerte ihn gerade nach solchen Zerstreuungen an das Widernatürliche seiner systematischen Tollheit.

In solcher Gemüthsverfassung trafen ihn die Briefe seines jüngeren Universitätsfreundes Ernst. Es wurde ihm klar: trotz seines Schmerzes und gerade durch ihn war der Schwärmer, wie er ihn nannte, doch glücklicher als er; und auch er selbst war damals, als er dachte wie dieser, glücklicher denn jetzt. Horn dachte es sich als einen Genuß der Jugenderinnerung, ihn zu besuchen, und mit dem prächtigen Menschen einen Tag idyllischen Landlebens zu feiern. Deshalb begleitete er seine Frau. Aber die Freude wurde ihm gestört. Das zerbrochene Rad kürzte den Besuch um die Hälfte ab. Der Verdruß seiner Frau über diesen Unfall brachte ihn wieder in seine satyrische Bitterkeit und raubte ihm vollends die gemüthvolle Stimmung. Das Wiedersehen selbst und der Blick in das Leben der Pastorfamilie endlich regten ganz andere Gefühle in ihm auf, als das vorübergehende Interesse eines darüber erhabenen Beobachters. Der Eindruck der Reinheit und des Friedens, den das stille, fromme Haus auf ihn machte, erweckte in ihm wehmuthsvoll von neuem den Schmerz über sein zerrissenes Dasein. Aennchen kam ihm neben seiner Frau vor wie ein Engel beseligenden Friedens. Er redete Ernst zu, sich in seinen Verhältnissen zu gefallen; aber er konnte die Offenherzigkeit nicht über sich bringen, es in dem Tone zu thun, in dem er es dachte. Im Grunde seiner Seele wurde es ihm an diesem Tage unvergeßlich klar, daß das Leben, in das er gerathen war, ein verfehltes sei, daß er sich, um das Glück seines Herzens, die Talente seines Geistes zu retten, aus ihm herausreißen müsse. Er wollte diese heiligste Pflicht gegen sich selbst erfüllen, und er kannte einen Engel, ebenso rein wie Aennchen, der ihn erretten sollte. Delphine sollte sein Rettungsengel sein.

Delphine war dem Doctor Horn durch den Gesang in der Kirche aufgefallen. Er machte beim Cantor ihre Bekanntschaft und erweckte die Aufmerksamkeit auf ihr hervorstechendes Talent. Als Kunstenthusiasten und Virtuosen im Flügelspiel führte er sich in ihrem Hause ein. Er fand sie in jener weltverachtenden, himmelersehnenden Gemüthsstimmung, in der der Tod ihrer Mutter sie verlassen und in der sie keinen Wunsch hegte, als für das Kloster oder das Grab. Das blasse Mädchen, mit den strengen Zügen und dem düsteren Blicke, war ihm interessant und er machte es sich zur Aufgabe, sie zu erziehen.

Sie wollte damals keine andere als geistliche Musik singen. Der geistreiche Kunstfreund überredete sie, mit ihm Mozart's Opern zu studiren. Eine höhere, ungeahnte Welt der Töne und des Gefühls erschloß er ihr, und als er einst seinen Unterricht endete und gehen wollte, faßte sie seine beiden Hände und mit Augen, in denen der Genius des großen Meisters glänzte, sagte sie zu ihm: »Wie gut Sie sind!« – Als sie nun dieser classischen Kunst die Thore ihres Herzens geöffnet hatte, machte er ihr klar, daß es irdische Lust und irdisches Leid ohne alle überschwengliche Heiligkeit sei, nur verklärt durch die Poesie der weltlichen Kunst, die sie in ihr Seelenleben aufgenommen habe. Sie erschrak darüber; aber nun ließ sich der Zauber nicht mehr bannen; sie mußte ihre himmelnde Lebensverachtung besiegt dem modernen heidnischen Musengotte zu Füßen legen. Jetzt vollendete er seine Erziehung und weihte die Schwärmerin ein in die phantastischen Ideen seiner weltlichen Philosophie, in das Evangelium von der befreiten Menschennatur, von der Emancipation des Geistes und des Fleisches.

Da er ihr schon so tief in ihr Herz geschaut, konnte sie keinen Rückhalt haben, es ihm ganz offen darzulegen und an seiner Brust eine Stütze zu finden. Als er wieder einmal viel und tief gesprochen, und sie ihn mit den großen, nachdenkenden Augen aufmerksam angestaunt hatte, ergriff er beim Fortgehen ihre Hand und sagte gerührt: »Delphine!« Da fiel sie weinend ihm um den Hals und barg, laut schluchzend ihr stolzes, süßes Köpfchen an seiner Brust. Sie küßte und liebkoste ihn nicht; sie wollte ihr schweres, krankes Herz nur Ruhe finden lassen an diesem starken Geiste. Er legte seine Hand an ihre heiße Stirn und richtete das geknickte Köpfchen empor. Rein und glänzend standen die Thränen ihr in den Augen; er drückte schwermüthig einen Kuß auf ihren Mund; sie nahm ihn willenlos hin; nur neue, reichere Thränen beantworteten ihn, und eine laue Schmerzensperle tropfte auf seine Lippe und brannte eine siedende Gluth bis tief hinunter in sein Herz. Von dem Augenblicke an quoll neues, frisches Leben ihm aus dem Herzen durch Leib und Seele.

Der starke Geist hatte die Weiber und die Liebe verachtet und geschmäht, ohne ein liebenswerthes Weib gekannt zu haben. Die Verbindung mit seiner Staatsrathstochter und die Bekanntschaften, die er in Cesar's Gesellschaft machte, konnten ihm allerdings keine Verehrung vor den Frauen einflößen. Als er nun aber zum ersten male in seinem Leben ein Mädchen kennen lernte, das wirklich mädchenhaft war, und durch den Reiz getroffen wurde, der in dem zarten, zurückhaltenden Umgange mit dem jungfräulichen Weibe liegt, da war der renommirendcWeiberfeind in leidenschaftlicher Liebe gefangen. Mochte er dieses Gefühl vor seinem kritischen Geiste rechtfertigen können oder nicht: er fühlte sich glücklich dabei. Er hatte ein Interesse, ein starkes Interesse für ein Wesen auf der Welt und darum auch für sich wieder gewonnen. Er hatte wieder Lust an seinem Dasein und sparte sein Leben; er schonte seinen Körper und ermannte seinen Geist zu schaffender Arbeit. Alle beseligende Kraft der ersten Liebe belebte von neuem den ruinirten Mann.

»Nun denn, es sei!« so sagte er zu sich, als er nach dem Besuche bei Ernst in Hansdorf allein in der Kutsche nach Berlin reiste: »ich breche mit dieser Welt und schaffe mir eine neue. Nicht: Gott helfe mir, ich kann nicht anders; sondern: hol's der Teufel, ich will's einmal.« – Momentan einen Gedanken zu erfassen und ihn eigensinnig bis zur letzten Consequenz zu verfolgen, hielt der esprit fort für genial. Er hatte diese capriciöse Thatkraft bewiesen, als er, um vorwärts zu kommen, sich verheirathete und seine Freiheit verkaufte; mit wie viel mehr Recht nicht jetzt, wo er sie wiedergewinnen und aus den falschen Verhältnissen sich herausreißen wollte! Delphine mit ihrer Stimme war eine jährliche Rente von zwei bis drei tausend Thalern; er wollte diese Rente einlösen. Er wollte sie entführen, auf das Theater bringen, heirathen, mit ihr und durch sie sich ein neues, freies Leben schaffen im Geiste und in der Schönheit. Wie glänzend winkte ihm die Zukunft entgegen, eine selbstständige Stellung durch ihre Gage, ungehemmte Wirksamkeit durch die Presse, Reformirung des Theaters, reiche Honorare und ein Weib von Delphinens Geist und Schönheit, bewundert, vergöttert von aller Welt, und nur ihm, dem beneideten, gehörend!

Sein Werk: »der Mensch und die Schönheit«, sollte ihm die Mittel zu der befreienden That, zur Flucht und Entführung Delphinens schaffen. Er hatte bereits mit einem Verleger den Contract abgeschlossen, wonach er bis zum ersten October das vollendete Manuscript einreichen und das Honorar von fünf hundert Thalern dafür erhalten sollte. Mit der angestrengtesten Thätigkeit war er Tag und Nacht beschäftigt, versäumte selbst Hippel und Theater, um möglichst bald sein Werk zu vollenden. Es war ihm dabei nur recht, wenn die Zerrüttung seiner Verhältnisse sich bis zur Unerträglichkeit steigerte, denn um so mehr wurde er zur Anstrengung und zum Bruche gedrängt. »Je toller, desto besser«, dachte er; »wenn ich's nicht mehr ertragen kann, bleibt mir nur der Durchbruch übrig!«

Nur noch die Antwort der Theaterdirectionen auf seine Anfrage um Engagement, und die Vollendung seines Werkes und Einziehung des Honorars hatte er erwarten wollen, um Delphinen mit der Reife seiner Pläne zu überraschen. Daß sie ihn schwärmerisch liebte, daran glaubte er nicht zweifeln zu können; daß die Bühne der Boden für ihre Talente sei, davon hatte er sie überzeugt; seine Entschlossenheit und die Lockungen der Zukunft sollten ihr den Muth der letzten Entscheidung geben. Da kam Ernst Wagner nach Berlin. Horn, der Delphine bewachte, wie ein Einäugiger seinen Augapfel, wurde plötzlich durch seine Nähe eifersüchtig auf die Verehrung, die er ihr selbst gegen seinen Freund eingeflößt hatte. Trotzdem, daß sie das Versprechen von ihm verlangte, Ernst zu ihr zu führen, und gerade deshalb wollte er ihre Bekanntschaft hindern. Seine Eifersucht steigerte sich zur Furcht, als er das Interesse beider für einander merkte. Als aber Ernst ihm ihre Coketterie im Theater und seine Leidenschaft offen entdeckte, erfaßte ihn entsetzliche Angst; um Alles in der Welt durften die beiden einander nicht näher treten. Hämische Rachlust der Eifersucht und das Bedürfniß, pikante Abenteuer zu erleben, brachten ihn auf den Einfall zu einem noch nie dagewesenen Geniestreiche. In der thatenlosen Zeit, damit doch irgend Etwas geschehe, mußte das Genie seine Kraft in solchen tollen Capricen versuchen, und, wie dem Reinen Alles rein, so ist dem Genialen Alles genial. Louis hatte seinen Freund zu einer genialen »Emancipirten« geführt, die er vor seinem Eintritt in das Zimmer von der Comödie unterrichtete und der es ein Vergnügen machte, darin die pikante Rolle eines weiblichen Don Juan gegen den unschuldigen Theologen zu spielen.

Während Ernst seine Phantasie und seine Vernunft abquälte an dem vermeintlichen Widerspruche in dem Charakter des seltenen Mädchens, und endlich mit der Abfassung des Briefes zu dem Entschlusse kam, gedankenlos dem Abenteuer sich hinzugeben, war Louis der Vollendung seines Werkes nahe. Den vierten Theil eines ganzen Tageslaufes saß er noch vom Abend ab arbeitsam an seinem Pulte. Schon seit Stunden war Alles um ihn her lautlos; ein paar mal unterbrach er sich und trat an den Tisch, Kaffee zu trinken; sonst ließ sich nur das Kritzeln der Feder im Zimmer vernehmen, das von der fast ausgebrannten Lampe nur noch düster beleuchtet wurde. Es war das Schicksal eines Menschen, das durch diese Federzüge vollendet werden sollte. Es hatte bereits zwei Uhr geschlagen; da machte er einen Strich unter das Geschriebene, warf Sand darüber, legte die Bogen zusammen und schlug triumphirend mit der Hand darauf: »Punctum!« Das Buch war vollendet. Obgleich todtmüde, betrachtete er noch eine lange Weile mit stummer Wonne die zusammengelegten Bogen. Dann küßte er noch einmal das Medaillon-Portrait und sank vor Erschöpfung fiebernd auf sein Lager.

Am andern Morgen muß er Unterricht in der Anstalt geben. Mit dem Gedanken, oft werde er den verhaßten Weg nicht mehr machen, begibt er sich dorthin. Anstatt den Schülern die Hefte corrigirt zurückzugeben, nimmt er dieselben auf dem Katheder vor und sieht sie durch, während die Jugend unthätig sich selbst überlassen ist. Durch ihren Lärm aufmerksam gemacht, tritt der Director in das Schulzimmer; die Nachlässigkeit des Lehrers bemerkend, thut er diesem die Demüthigung an, ihn vor der ganzen Classe zur Rede zu stellen und ihn nach dem Schluß der Stunde auf sein Zimmer zu bescheiden. Der große Mann, Doctor Horn, muß neue, heftige Vorwürfe anhören über seine Unthätigkeit und seinen Umgang und die Drohung, daß er der Absetzung entgegensehe.

»Ersparen Sie sich Ihren Zorn,« erwidert er endlich mit höhnischer Ruhe. »Sie werden mir schwerlich den Abschied geben, Herr Director, da ich heute mit der Absicht hierher gegangen bin, meinen Abschied selbst zu nehmen. Ich bitte Sie hiermit um meine Entlassung.«

So war ein Schritt zum Bruche gethan. Aus der Schule ging Horn zu seinem Banquier. Herr Werther war ein Fashionabel, mit Horn intim befreundet, Theilnehmer an allen geistreichen Cirkeln, wohlhabender Hausbesitzer und dabei Negociant, wo sich etwas verdienen ließ, mit einem Worte: ein salonfähiger Wucherer, ein christlicher Jude. Seine Wohnung war elegant eingerichtet; in einem als Empfangssalon möblirten Zimmer stand abstechender Weise ein Comptoir, rings von einer Barrière umgeben, an dem Herr Werther seine Geschäftsbesuche empfing.

»Sie wollen mich bezahlen?« frug er den Doctor, nachdem er ihm aufs wärmste die Hand gedrückt hatte.

»Nein, Pardon. Sie wissen zum Dritten! Ich muß ferner achtzig Thaler bei Ihnen aufnehmen, ebenfalls bis zum dritten October.«

Freund Werther machte Schwierigkeiten; endlich zahlte er achtzig aus, wofür Horn hundert als empfangen quittiren mußte. »Aber, bester Doctor, halten Sie Wort. Wenn Sie mich am dritten October nicht bezahlen, bei Gott, ich laufe Gefahr, Bankerott zu machen, und dann haben Sie es nicht mit mir zu thun, sondern mit den Gerichten!«

Horn steckte erfreut das Geld ein und dachte: Ich habe es lieber mit den Gerichten zu thun, als mit so guten Freunden wie du; aber am dritten October werde ich es, weiß Gott, mit keinem von euch zu thun haben. –

Zu Hause angekommen, schrieb Horn ein Billet. Es hieß:

»Madame Jeanette!

Von den für Sie in Empfang genommenen Zinsen erhalten Sie hiermit vierzig Thaler in die Wirthschaft. Zugleich zeige ich Ihnen an, daß ich heute, auf Grund der gestrigen Mishandlung in Gegenwart meines Bedienten, den Proceß wegen Scheidung unserer Ehe eingeleitet habe.

Nicht mehr der Ihrige
Louis Horn.«

Horn hatte immer mit Sorgfalt in Jeanette's Bemühen, der Welt ihren Zwist zu verbergen, eingestimmt, und zwar, um sich bei den Berliner Wucherern Credit auf das Vermögen seiner Frau zu erhalten. Er schickte ihr jetzt, im Begriffe sich scheiden zu lassen, von dem aufgeborgten Gelde, damit sie den unterschlagenen Geldbrief als keinen Grund gegen ihn in dem Scheidungsprocesse angeben könne, und er somit möglichst rein und mit möglichst wenigen Kosten aus demselben hervorgehe.

»Die Schiffe des Cortez sind abgebrannt. Nun geht's nicht mehr zurück; jetzt nur noch vorwärts, vorwärts!« sagte er, sich die Hände reibend, als er den Absagebrief geschrieben, und lachte laut auf: »Adieu, Madame!«

Er machte jetzt feinste Toilette. Der Bart wurde gestrichen, das Haupthaar geölt und die kahle Platte sorgfältig überkämmt. Ueber die sauberste Wäsche wurde der violette Reitfrack geworfen, die Manschetten hervorgezogen, die Cravatte zurecht gerückt und Jean konnte nicht reinlich genug jedes Federchen abbürsten. Den Hut von der modernsten Façon auf dem Kopfe, frische, gelbe Handschuhe an den Fingern, das biegsame Polkastöckchen in der Hand, machte der Doctor sich auf den Weg. Er warf sich gewaltig in die Brust und konnte nicht zierlich genug einherschreiten. Sein nachdenklicher, finsterer Blick contrastirte dabei seltsam mit der dandymäßigen Eleganz. Es mußte ihm etwas Schweres auf dem Herzen liegen: er ging, Delphine, die ihm so lange schon ihre Liebe geschenkt, um ihre Hand zu bitten. Es konnte ihm ihre Beistimmung gar nicht fehlen; aber dennoch war ihm das Herz beklommen: jetzt sollte der längst sorgfältig gehegte Entschluß zur entscheidenden That werden. Es war nur ein kurzer Sprung über einen Graben; aber in dem Momente, wo er von dem einen Rande abgestoßen und den andern nicht betreten, erfaßte ihn doch ein leiser Schwindel. Nichts konnte ihm Peinlicheres begegnen, als daß er Delphine heute nicht sprechen konnte, da, wie Juste abweisend sagte, der Onkel zu Hause sei. Er mußte nun einen ganzen Tag diesen Schwindel ertragen. In wilder Aufregung von der überstandenen Arbeit und der Spannung auf das Kommende, suchte er Gesellschaft auf. Er fand Cesar und Andere. Er soupirte so köstlich der Speisezettel es zuließ, trank maßlos Burgunder und verspielte die Hälfte der vierzig Thaler, die er in den Händen behalten hatte.

Indeß erhielt Ernst das Rendezvous, um das er Delphine in seinem Briefe gebeten.

*


 << zurück weiter >>