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Nachdem Goethe, mit Erlaubnis zu sagen, gestorben war, hatten sich seine Sklaven so an die Süßigkeit der Knechtschaft gewöhnt, daß sie ohne neue Tyrannei nicht leben konnten. Sie wollten ein sichtbares Oberhaupt der Literatur, und waren nur besorgt, welchen Namen sie auf den verlassenen Thron einsetzen sollten. Die Stimmen trennten sich, man wandte sich zuerst an Unland. Uhland bereitete sich aber damals vor, die heilige Sache der Freiheit zu verfechten, und erklärte in seiner einsilbigen Manier, man solle keine Narrenspossen mit ihm treiben. So blieb man denn beim Hofrat Tieck stehen. Dieser Name schien die Parteien zu vereinigen und zugleich alles auszudrücken, was die Mehrzahl auf dem Herzen hatte. Die kritische Schule widersprach nicht; denn sie hatte ihn immer gepflegt, sie hatte im Grunde seine erste Periode nur in die Sprache von Görres und Jean Paul übersetzt; Tieck hatte ihr als unfreiwilliges Gegengewicht gegen Goethe gedient; wie oft hatte sie ihn aufgefordert, ein Mann zu werden, die Larve abzunehmen und den Thron von Weimar zu stürzen! Tieck wankte damals einen Augenblick; doch der alte Zug war zu stark, er antichambrierte wieder bei der Unsterblichkeit, las ihr vor, und verkleinerte sich so sehr, daß er sich als Merkzeichen dabei in die Bücher hätte legen mögen, wenn er sein Pensum gemacht hatte. Die Enthusiasten Norddeutschlands lockten, die Ironie und Shakespeare entwickelten sich. Die kritische Schule bleibt bei Tiecks erster Periode, die Vergötterung bei der zweiten stehen; so ließen sie sich vereinigen und die Herrschaft Tieck erreichte etwas, was der Herrschaft Goethe nie möglich gewesen war.
Die Berlinischen Cliquen hatten die ganze Verschwörung und Schilderhebung eingeleitet. Ihre erste Sorge war jetzt, den Hofrat Tieck hervorzuheben, ihn der Menge zugänglicher und repräsentabler zu machen, als dies in Dresden geschehen konnte. Sie reklamierten des neuen Königs Berlinischen Ursprung; sie schilderten seine Jugend, wie schön er gewesen wäre, und daß man nie frischere Äpfel gesehen hätte, als des gewesenen Jünglings Haupt gewesen. Sie ließen den gestiefelten Kater mit Veränderungen drucken, überreichten ihn dem Preußischen Kronprinzen und suchten den erhabenen Fürstensohn für die neue Herrschaft zu gewinnen. Die Intrige prallte ab: Tieck erhielt keinen Ruf. Jetzt schoß man aus eigenen Mitteln zusammen, man wollte dem Meister ein Haus bauen, ein Haus mit akustischen Vorrichtungen für die Vorlesungen, ein Haus mit einem obern Stockwerk für Frau von Finkenstein, die langweilige Emilie aus den schwatzhaften Entremets des Phantasus, ein Haus für die gemeinschaftlichen Familienübersetzungen des Shakespeare, ein Haus mit kleinen Nebenkabinetts, um Besuche, die beim Hofrat sind, zu belauschen und zu persiflieren und mit sonstigen Vorrichtungen, um den sich Empfehlenden ungesehen einen Esel zu bohren, kurz ein Haus, wie Tieck es braucht. Fähnrich Pistol, Willibald Alexis, wurde ausgesandt in alle deutsche Lande, eine Kollekte zu sammeln für diesen erbaulichen Erbauungszweck. Weiter sind diese Dinge noch nicht bekannt geworden: nur so viel sieht man, daß Tieck es sich schon ganz bequem macht in seiner neuen Lage, daß er auf seine Beförderung Wechsel ausstellt, daß er planlose Novellen schreibt und die Menschen angreift, welche nicht nach Dresden kommen, um ihn vorlesen zu hören, oder, sich schnöde geweigert haben, in Alexis' Kollektenbüchse etwas hineinzutun.
Als sich vor einem Jahre das Gerücht verbreitete, Tieck wollte gegen die junge Literatur novellistische Ausfälle machen, fand es wenig Glauben, weil ein solches Unternehmen für des Hofrats alte Tage wunderlich klang, und man den in den Löwenstand geadelten Fuchs für zu gescheit hielt, Leuten in den Weg zu treten, die sich nicht um ihn bekümmern. Das Gerücht und der Widerspruch bewährten sich nur halb. Die beiden Novellen (dies jährliche Pensum, welches der liebenswürdige Taugenichts mit Widerwillen herunterhaspelt, und auch nur so, daß ihn die Weiber überlisten, zu schreiben oder ihm zur Strafe sonst etwas entziehen) erschienen und alle Welt sah sich mit Erstaunen an: die demütige Gemeinde, weil das Vehikel der Polemik eine sehr kecke Kritik erforderte, wenn man es loben sollte; die Exoterischen, weil der Hofrat doch nicht hatte widerstehen können, seine Notdurft zu verrichten; beide aber, weil Tieck nur schüchtern aufzutreten wagte, mehr verschwiegen zu haben schien, als er sagte, und endlich von seinem Gegenstande so wirrsame Kennzeichen gab, daß er in der Tat verriet, er wüßte nicht wie und wann? Und kenne das gar nicht, worauf hier alles ankam. Nodier wird mit Balzac verbunden; Balzac gegen Victor Hugo gehalten, zu geschweigen, welche Stellung in der öffentlichen Meinung Goethe übertragen wird. Man sieht, daß Tieck von seinem Eckhause am Dresdener Markt nur zwei Himmelsgegenden kannte; das übrige war ihm verborgen geblieben.
Tieck ist sein Lebenlang ein Mensch gewesen, der am Einseitigen und Zufälligen eine große Freude gehabt hat. Fortwährend in der Literatur eine untergeordnete Rolle spielend, ist er um seine kleinen Sympathien herumgeschlichen, hat mit der äußern Schale kokettiert, mit der Form, welche angegriffen zu sehen die Kleinen mehr erbittert, als wenn es den Inhalt gegolten hätte. Seine angeborne Lustigkeit und eine Art von verständigem Instinkt, der ihm bald das Lächerliche an allen Dingen, auch da, wo er selbst lächerliche Blößen gegeben hätte, offenbarte, verhinderte ihn, wie ein milzbrandiger und wurmdoktorlicher Narr aufzutreten: er überwand sich, ironisierte sich selbst und konnte dabei existieren; denn die Menschen haben noch immer eine müßige Stunde, wo sie sich in poetische Faselei mit zartgesponnenen Knöpfen kleiden, eine Viertelstunde Illusion, für welche Tieck ein Jahr über schreiben kann. Tieck war ein vernünftiger Mann, der sich schämte, wenn er von Narren falsch zitiert wurde; er konnte selbst denen, die sich außerhalb der Welt setzten, die Welt unter die Nase reiben; denn dies ist ja seine Ironie, der Zwiespalt der Pole, die Poesie des Gegensatzes. Allein die Weiber haben ihn doch heruntergebracht. Tieck, der von Natur am ersten bereit ist, zu lachen, wenn man ihm mit Süßigkeiten unter die Augen tritt und dabei eine merkwürdige Physiognomie annimmt; Tieck, der sich selbst und seine Umgebung verspottete, wurde zuletzt doch von seiner Umgebung überwunden: seine Diener beherrschen, seine Schüler bemeistern ihn. Es konnte nicht anders kommen. Das ewige Vorlesen, die Dresdner Durchzüge und das unaufhörliche Klappern der Strickstrumpfnadeln um ihn her haben ihn ruiniert. Er ging nur mit Weibern um: er mußte ihnen die Arme leihen, wenn sie Zwirn wickelten: er wurde in die wichtigen Conseils wegen neuer Moden und Kleider gerufen: er mußte Taillen einhäkeln: da war keine Rettung mehr. Die Weiber schnitten ihm die Federn, sie legten ihm das Papier zurecht, sie zwangen ihn durch tausend kleine Mittel, seine Pensa zu schreiben. Wenn ihm die heftigen Gestikulationen beim Vorlesen die Brille von der Nase schlugen, so nahm die verständige Emilie die ihrige von der ihrigen, und setzte sie ihm auf. Wenn einer der Zuhörer laut wisperte oder in ein unwillkürliches Niesen geriet, so durfte Tieck nur einen Seitenblick werfen, und Emilie machte sich auf und flüsterte dem Ruhestörer zu: »der Herr Hofrat hat das nicht gern!« O Emilie! Tieck verzwitterte immer mehr. Seine alte Lustigkeit ging in klatschhafte Medisance über. Seine Besucher, die es an einer Phrase fehlen ließen, wurden aufgezogen: die Weiber hatten bemerkt, daß der eine schielt, der andre stammelt, der dritte kein reines Schnupftuch hatte. »Welche Sätze! Welche Dummheit!« hieß es, wenn die armen Töplitzer Durchreisenden ihre Anbetung verrichtet hatten; und Tieck lachte und spottete immer mit. Die Medisance ist das geheime Gift an allen neuern Erzeugnissen Tiecks; alle seine Figuren sind hinter dem Rücken belauscht; es sind Menschen, die nur da sind, um sich untereinander und durcheinander lächerlich zu machen. Alle Dinge scheinen ihm nur zu existieren, um eine Viertelstunde während eines konventionellen Besuchs über sie einige vornehme Phrasen zu wechseln. Ein maliziöses de haut en bas fährt oberflächlich über ernste Fragen. Man sieht nach der Uhr, man rückt mit dem Stuhl, um nur von ihnen loszukommen. Was sich nicht in die Viertelstunde hineinzwängen läßt, wird ledern. Dies ist euer Tieck: Kommen und Gehen; Jungenhaftigkeit in dem alten Sünder: Medisance!
Tieck gibt sich die Miene, als wolle er aus der ledernen Zeit, aus diesen Fragen um Wahrheit und Freiheit, die ihn ennuyieren, etwas retten, etwas, das wie Poesie klingt, nämlich die Romantik, und etwas, was in der Tat Poesie ist, nämlich Goethe. Daß wir es nur gestehen, Tieck hatte vortreffliche Anlagen für das Lustspiel; denn er kopierte das Gemeine meisterhaft: seine alten Sachen sind voll von niederländischer Treue im Wiedergeben der nackten Natürlichkeit der niedern Stände; allein ein positiver Dichter, schaffend und zusammenfügend, ist er nie gewesen. Seine lyrischen Gedichte sind wässerige Reime, nur Themata für die wahre Poesie, Ausdrücke, welche die Gedichte selber wünschen lassen, daß sie Gedichte wären. Kritisch und auflösend sind auch Tiecks Märchen, es sind künstliche Beispiele zur Theorie des Wunderbaren, ihre Gestalten sind verkörperte Elemente dessen, was der Kunstrichter im Märchen verlangt und gern sehen mag. Tiecks Leistungen gingen vom Enthusiasmus des Interesses aus, er wünscht immer, daß es so wäre, wie er sagt, aber es ist nicht so. Also was vermißt Tieck in unserer Zeit? Die blaue Blume? Die Überschwänglichkeit, die Faselei? Den Nihilismus des Genusses? Das gemachte Zusammenstoppeln poetischer Begriffe und Staffagen, die künstlichen Ausmalungen von Blumen und Blüten, von Düften und Lüften, die märchenhaften Albernheiten im Nonpareil; diese schiebt er Goethe unter, der ein Mann in seiner Art war, aber ein Mann durch und durch, reell, sicher, taktfest, Feind der blauen Blume? Goethe, der schon seinen Werther im Abendrot liegen läßt, auch redend von Blumen und Blüten, aber ein halber Linné, damit endend, daß er die verschiedenen Gattungen der Gräser mit bewunderndem Auge prüft? Nein, Tieck korrumpiert Goethe, er falschmünzt ihn zum Romantiker; Goethe hat auch diesen enthusiastischen Bedienten nie recht leiden können.
Tieck hat keinen Begriff von der Gährung in der modernen Literatur. Er sieht nur vereinzelte Elemente und weiß sie nicht zu binden. Er wirft Menzeln, dem er alles zu verdanken hat, der ihn großmütig auch jetzt noch geschont hat, vor, daß er (ein guter Kopf, wie er ihn sehr vornehm nennt!) der Opposition gegen Goethe Wort und Gedanken geliehen habe. Rechnet er Menzel zur neuen Gährung der Literatur? Oder verfährt er nur gegen die kritische Schule? Wohin gehören ihm Freiheit, Liberalismus, Wahrheit? Sind sie die Feinde der Poesie? Nimmt Menzel jene in Schutz, um auch gegen diese zu verfahren? Spricht sich in den neuesten Tendenzen nichts aus, was die Freiheit liebt und doch auch der Kunst ihr Recht lassen will? Haben diese Neuern Lust, die Ungerechtigkeit gegen Goethe, die Anlage falscher Maßstäbe, die Klassifikationen und die Vermischung der Zeiten fortzusetzen? Von alledem weiß Tieck nichts: er sieht nur, daß man keine Märchen vom Prinzen Hirsekorn und der Fee Mandelblüte mit großem Lärm aufnimmt, daß man von den Leuten verlangt, rechtschaffen zu sein und nicht den Speichel fremder Menschen zu lecken, daß man von Liebe zum Volk, von der Begeisterung für Freiheit, von dem heiligen Berufe für die gute Sache spricht: und dies alles nennt er – überschwänglich? kopflos? verbrecherisch? Nein, er nennt es ledern, es ennuyiert ihn, es macht ihm Kopfschmerzen.
Tieck hat keinen Beruf, über Gegenwart und Zukunft im Leben und in der Literatur mitzusprechen. Er kennt die Alten, er fließt über in widerwärtige Ausdrücke, wenn von Calderon, Shakespeare, Ariost und anderen Heroen, die für sich selbst sprechen können, die Rede ist; aber die Zeitgenossen sind ihm unverständlich. Wer dem Liberalismus eine so lederne Tendenz unterlegen kann, daß er Gottsched Altäre bauen könnte, beweist, daß er in seinen alten Anschauungskreis unrettbar gebannt ist. Wir wissen wohl, daß es mit dem Liberalismus Dinge zu sprechen gibt, daß die Kunst sich mit dem Tiersparti noch zu verständigen hat, daß sogar ein Kampf entweder bevorsteht oder im Geheimen stillschweigend schon geführt wird zwischen dem Patriotischen und dem Schönen; doch ist es Kampf unter uns, eine Debatte, deren Ausdrücke nur wir verstehen; was hat Tieck hierein zu reden? Er verunreinigt alles, was er hier in den Mund nähme; jede Partei würde ihn abweisen; denn er hat nicht einmal die Elemente, die ersten Grade der Weihe, die ihn befähigen, sich dem großen Bunde der neuen Zeit anzuschließen. Wir wollen Schönheit; aber die Schönheit des Erhabenen. Wir wollen Kunst; aber die, welche sich aus großen Ideen entwickelt. Wir wollen neue poetische Position, aber weder die blaue Blume, noch die Ironie, noch die Manie für die alte Literaturgeschichte. Die neue Lyrik – was hat schon Tieck mit ihr zu schaffen? Roman und Drama werden folgen: wir warten nur die Zeit ab. Tieck möge hingehen und Vorlesungen halten! Liest er sich eine Brille ab: Emilie wird ihm schon eine neue aufsetzen! Auch um Homer und Ossian soll er ohne Sorge sein; die werden sich schon durchschlagen! Auch Goethe wird nicht abhanden kommen. Für alle diese Dinge ist weise gesorgt. Tieck ist ein vernünftiger Mann: er sieht dies alles ein, und die Weiber in seinem Hause werden eine Zeitlang von seiner bösen Laune gefoltert werden. Dann aber wird Tieck, leichtsinnig, wie immer, mit den Fingern schnellen, Gott einen guten Mann sein lassen, und hingehen, um seine novellistischen Friedriche, Heinriche, Eduarde, Wilhelme auszuführen, und sein Jahrespensum zu vollenden, ohne je wieder in einen Kreis zu kommen, der gar nicht für ihn gezogen ist.