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Aphorismen


Im achtzehnten Jahrhundert hatten die Menschen eine Leidenschaft, sich gegenseitig groß und bedeutend zu finden. Im neunzehnten kann man sich nicht genug bis ins Armseligste anatomieren.


Es zieht sich jetzt durch die ganze, auch die deutsche Welt ein eigentümlicher, blasiert genußsüchtiger, witzelnd ironischer, selbstgenügsam frivoler Ton, der dem Ernsten, Gesinnungsvollen und Schwunghaften um so mehr aus dem Wege geht, als leider auch genug aus dem Schoß der Wissenschaft und Kunst heraus selbst geschieht, um eine nüchterne, ja dummdreiste Verachtung des Ernsten und Gesinnungsvollen auf den Thron zu setzen. Eine altkluge Zweckmäßigkeit, eine zigarrenrauchende gesunde Menschenverstandslogik hat sich mit der »Respektabilität« der materiellen Interessen und den faits accomplis der politischen Reaktion so eng verschwistert, daß sie einen Geist zur herrschenden Tonangabe machten, der ungefähr die Anschauungen von Rittergutsbesitzern beim ersten Glase Champagner nach verkaufter Wolle als die mittlere Durchschnittsintelligenz unsres Zeitalters hinstellt. England zeigt ein Heilmittel gegen diesen »Snobismus« – politisches Ehrgefühl.


Über einen gescheiterten Idealisten lacht ihr –! Um Phaethon, der den Donnerwagen lenken wollte und zu schwach war, die Zügel zu führen (er stürzte, wie Prudhomme, Louis Blanc, wie die bessere »Linke« der Paulskirche) weinten die Heliaden so lange, bis sie in zitternde Erlen verwandelt waren. Ihre Tränen flossen so reichlich, daß sie sich zum Bernstein verdichteten.


Das natürliche Gleichgewicht im Leben stellt sich immer wieder her – Söhne von Bedienten sind in der Regel anspruchsvoll, wenn nicht stolz.


Eine der schmerzlichsten Erfahrungen, die der Menschenfreund täglich machen kann, ist die ruhige Gewöhnung des Dienenden an den Mißbrauch der Macht.


Die Lebenshumoristen werden immer seltener. Je mehr sich Parteiung, Heuchelei, Bigotterie in der Welt ausbreitet, je mehr die erschwerten Umstände des Daseins, Konkurrenz, Bildungsanforderung die Menschen in die Enge treiben, desto ernster werden sie und desto humorloser. Wie in der Kunst durch Schulen, Systeme, Theorien, Kritiken die absolute Objektivität gelehrt wird und auf dem ästhetischen Gebiet den Humor einengt, so findet man auch im praktischen Leben weit mehr Menschen nach der Schnur, mathematische Pflichtmenschen, als gefällige Lebenskünstler. An älteren Herren und Frauen wissen wir oft nicht, was uns an ihnen so gefällig erscheint. Es ist noch der Besitz jenes Wohlwollens, jener Beweglichkeit, jenes Lebens und Lebenlassens, jenes Eingehens auf andere, jener Freude an der Natur, an den Ereignissen, den Charakteren, kurz aller jener Auffassungen des Daseins, die eben zum Humor gehören. Humor besitzen heißt, einen Thron errungen haben und diesen zum Spielplatz verwandeln können.


Vergleicht man das weite Gebiet alles Wissenswürdigen mit der Musik, so heißt Bildung nicht, jedes Instrument behandeln können, nicht einmal auf dem einen, das man vielleicht kann, jedes Tonstück vom Blatt spielen, sondern Bildung ist die Fähigkeit, den Schlüssel, die Tonart, die Zeichen zu nennen, die von einem Tonstück den näheren musikalischen Charakter angeben. Bildung besitzt derjenige, der sich einen wissenschaftlichen und sittlichen Maßstab erworben hat, jedes Wissenswerte nach seiner ureigenen, im Gegenstand selbst liegenden Berechtigung desselben fassen und würdigen zu können.


Ich habe Ahornbäume so gestutzt und zersägt gefunden, daß sie hölzernen Kandelabern glichen. Jahrelang trieben sie kaum noch einige Blätter, bis sie sich doch zuletzt wieder mit ihrem vollen grünen Schmuck bekleideten. Sie glichen Völkern, die man für überlebt erklären will.


Systemveränderungen, Glaubensmetamorphosen und ähnliche Revolutionen unseres Innern, zu denen man im Alter Jahre braucht, machen wir in der Jugend oft in wenigen Stunden durch.


Um in Deutschland mit einem guten Werk durchzudringen, muß man hintennach ein mißlungenes schreiben. Dann erst wird das vorangegangene erkannt.


Das Reiferwerden des Schriftstellers mit den Jahren liegt nicht immer in der Entfaltung neuer Fähigkeiten, sondern in seiner zunehmenden Selbstkritik, besonders aber in der Ausbildung eines feinen Vorahnungsgefühls für Mißdeutungen, denen er mit größerer Besonnenheit vorzubauen lernt.


Die Romantik der Phantasie lassen wir uns gefallen, die Romantik des Herzens nicht minder. Gefährlich ist die Romantik des Verstandes. An ihr ist die ganze deutsche Philosophie und Wissenschaft krank.


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