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Die Untersuchung durch die Douane geschah in Linz mit Milde und Zuvorkommenheit. »Was haben Sie dort?« Bücher!... Himmel, das schien die Szene zu verändern. Vor Büchern hat dieser Riesenstaat mit seinen kolossalen ungarischen Grenadieren eine wahre Gespensterfurcht. Als ich aber hinzufügte: Lauter Komödien! klärte sich die Miene des Douaniers freundlich auf. Vor Theaterstücken haben sie dort keine Furcht. Zwar lassen Metternich und Sedlnitzky kein einziges Shakespeare'sches Stück aufführen, in welchem ein zweideutiger König oder schlechter Minister vorkommt, aber was man so gewöhnlich in Österreich Komödien nennt, ein bißchen Bauernfeld, etwas Grillparzer, ein wenig Raimund und viel Nestroy, das läßt man zu und der Koffer wanderte durch eine Barriere von zwanzig Mauthsoldaten, die die Straße versperrten, ungefährdet, um in Wien noch einmal, aber strenger, untersucht zu werden. Das ist alles in der Ordnung und in Frankreich noch viel schlimmer. Der Staatszweck muß seine Quellen haben.
Also ein Gewitter und noch mehr, ein Wolkenbruch und zuletzt sogar eine Feuersbrunst. Das war eine merkwürdige Einfahrt in Wien. Eine Vorstadt unter Wasser und eine andere vom Blitz entzündet. Ich wurde als Dramatiker begrüßt mit Sturm, Regen und Donnerschlag. Aber auch die Zensur repräsentierte sich in den Feuerlöschanstalten, die rasselnd an dem bescheidnen Fiaker vorüberfuhren. So hatt' ich ja alles gleich bei der Hand. Und wenn ich noch hinzufüge, daß mir die schönen neuen Häuser des Josephstädter Glacis und die seit Frankfurt ganz aus dem Auge verlornen grünen Bäume, die hier schon wieder in ganzem Frühlingsschmuck prangten, nach der stürmischen Fahrt entgegen lachten, so hatt' ich auch die freundliche Seite Wiens und fuhr erwartungsvoll und heiter angeregt durch das dunkle Kärntnertor.
Im ersten Augenblick verlor ich in der »Stadt Frankfurt,« die ich bezog, fast die Sinne. Ein Wolkenbruch, eine Überschwemmung, eine Feuersbrunst, die engen Straßen, der Fiakerlärm, Fiakerprellerei, das Theater an der Wien vor einer Stunde an Pokorny verkauft, Graf Czernin eben gestorben, kurz der Boden wankte unter meinen Füßen und da ich keinen Menschen und keine Idee hatte, an die ich mich halten konnte, so hielt ich mich an einen Theaterzettel und sammelte mich erst im Burgtheater, wo sie »Bürgerlich und Romantisch« spielten. Hier war mein Asyl, hier konnt' ich mich sammeln, hier war eine Art Heimat. Die Rißler tanzte im Kärntnertheater, Nestroy führte vor baldigem Toresschluß an der Wieden eine neue Posse auf, es war mir aber Gewissenssache, zuerst das Burgtheater zu besuchen. Wir weltlichen Leute haben auch unsre Religion.
Über den Volkscharakter der Wiener ist viel geschrieben worden. Es ist nicht gut als Fremder darüber ein Urteil abgeben. Der Fremde kommt so sehr nur mit dem Teile einer Bevölkerung in Verbindung, der von ihm Vorteile zu ziehen hofft, daß es ihm leicht geschehen kann, wie den italienischen Reisenden, die Italiens Bewohner nur nach den Gastwirten und Postillionen beurteilen. Eine traditionelle Phrase ist die Gutmütigkeit der Wiener. Ich glaube aber, die Wiener von heute lächeln selbst über diese Tradition. Sie wissen sehr gut, daß sie nicht mehr die alten Wiener sind, die wir in Vaudevilles und Wiener Possen auf der Bühne gesehen haben, die guten alten Schildbürger, die uns Bäuerle in seinen jungen Tagen anziehend geschildert hat. Steht ein Humorist wie Castelli nicht jetzt einsam in Wien? Die Zeiten haben sich verändert und mit ihnen die Menschen.
Ich glaube, dem im Herzensgrunde guten und braven Wiener hat das Bewußtsein der Großstädtigkeit geschadet. Der Stolz, daß es nur ein Wien gäbe, ist ihm etwas zu Kopf gestiegen. Der Berliner ist nicht heimisch in seiner Vaterstadt, er fühlt sich unsicher in dem Glauben an seine heimischen Vortrefflichkeiten, das Fremde imponiert ihm. Der Wiener dagegen glaubt alles in höchster Vollkommenheit zu besitzen und dadurch wird er z. B. auf Reisen nörgelnd, mäkelnd, er vergleicht alles mit seiner heimischen Art und bekommt davon auch zu Hause einen Schein von Prüderie und Süffisance, der nicht eben wohltuend ist. Die jüngere Generation hat sich vollends unter andern Bedingungen entwickelt als die alte. Die Ansprüche an die Existenz haben sich gesteigert, die Vergnügungen sind raffiniert geworden, die Verlegenheit, allen Ausschweifungen des Luxus und der Mode nachzukommen, verbittert den Humor und macht die Stimmung nach einer ausgelassenen Lustigkeit am Morgen drauf verdrießlich. Die Wiener empfinden selbst, daß eine Veränderung mit ihnen vorgegangen ist und die ältere Generation ist betrübt darüber. Wieviel schöne, wohltuende Beispiele der alten Art hab' ich noch angetroffen! Herzige, liebe Menschen voll Teilnahme und Güte. Aber sie sind goldne Ausnahmen von der allgemeinen Regel.
Forscht man den Gründen dieser Änderung genauer nach, so liegen sie offen am Tage. Die Kunst des Daseins ist schwieriger geworden. Das Geld hat einen geringeren Wert als sonst. Man braucht mehr zum Ausgeben und die Einnahmen sind die alten geblieben. Die Vergnügungen waren früher harmloser, wohlfeiler. Jetzt, wo alles auf Salons auf Bälle, Maskeraden berechnet ist, wo die Anschlagzettel an den Straßenecken zu den kunterbuntesten Freuden einladen, jetzt hat der Prater aufgehört, das Asyl der Wiener Erholung zu sein. Ich sah am ersten Mai die Bevölkerung zum Prater hinausziehen. Das ganze Vergnügen, schien mir, war in der Toilette aufgegangen. Wer kann in solchen Ballkleidern, die selbst die untersten Klassen trugen, auf dem grünen Rasen springen und tanzen! Die alte Zaubermacht des Praters mit seiner neckischen Ausgelassenheit ist vorüber.
Wie kann das aber auch anders sein, wenn man sieht, wo es jetzt den Menschen nur wohl ist? In Berlin erlebt man dasselbe. Wo sind dort die idyllischen Vergnügungen auf den Dörfern hin, seitdem Colosseum, Tivoli, Elysium, Kroll entstanden? In Wien ist es ebenso. Im ungeheuern Odeonsaale den Dampf von tausend »Millykerzen« einatmen, den Staub der Tänzer hinunterschlucken und in der Nacht mit dem stolzen Gefühle scheiden: »Ich war auch da!« das ist die Quintessenz aller dieser auf massenhaften und daher langweiligen Besuch berechneten Zerstreuungen. Welche Stimmung im Gemüt nach solchen »chinesischen Zaubernächten,« »venetianischen Maskenfesten« u.s.w. zurückbleibt, ist eine moralisch und physisch bewiesene Tatsache. Kein Wunder, wenn darüber ein ganzes Volk blasiert wird.
In Verbindung mit dieser Wut nach exzentrischen Vergnügungen kann sich auch die Bühne einen großen Teil der Schuld beimessen, zur Verwilderung des Volkscharakters beigetragen zu haben. Die Zweideutigkeit und die Selbstironisierung haben besonders in den Nestroy'schen Stücken einen Einfluß auf die unteren Klassen geübt, der ihnen zwei der kostbarsten Kleinode des Volkscharakters raubte, sittliche Grundanschauung aller Dinge und gläubiges Vertrauen gegen Menschen. Das ist entsetzlich, wie Nestroy, dieser an sich höchst talentvolle Darsteller, in seinem Spiel fast noch mehr als in seinen Produktionen dem sittlichen Grundgefühle und der gläubigen Naivität des Volkes Hohn spricht. Man denke sich die bis zum Giebel gefüllten Theater, besetzt von Handwerkern und ihren Frauen und Töchtern und sehe diese Gestikulationen, diese Mienen, höre diese Späße, dieses Anwitzeln jeder überlieferten edlen Empfindung, diese zweideutigen Randglossen zu den Motiven von Tugend und Edelmut... es überlief mich kalt, ein ganzes Volk so wiehern, Weiber lachen, Kinder klatschen zu sehen, wenn die Equivoque gezündet hat oder Nestroy, die Achsel zuckend, die Liebesversicherungen einer Frau, die Zärtlichkeiten eines Gatten mit einem satanischen »O Je!« oder dergleichen begleitet. Da steht nichts mehr fest, keine Liebe, keine Freundschaft, keine großmütige Hingebung. Die schamlosen gesungenen Couplets (die rechten Cancans, die bei den Franzosen aus der errötenden Sprache in den stummen Tanz verbannt wurden) sagen es ja deutlich, daß »alles einen Haken hat,« daß Eigennutz die Triebfeder jeder Handlung ist. Es ist das fürchterlich, eine ganze Bevölkerung solchen blasierten Anschauungen überliefert zu sehen. Aus jedem etwas dunkeln Satze dieser Komiker grübelt sich der Zuschauer Zweideutiges heraus und will er's nicht gleich finden, so blinzeln diese unwürdigen Musenpriester mit den Augen und das Gewieher bricht los, man hat den Witz verstanden. Ein Teil der Presse beschützt diese Verwilderung, ein anderer bekämpft sie. Aber merkwürdig, wenn z. B. Saphir, der viel Wahres und Schönes gegen diese Entartung geschrieben hat, sich wiederholt dagegen ergehen will, so streicht ihm die Zensur seine Angriffe spaltenlang. Man sagt ihm, er verteidige die Sitte nur aus persönlicher Ranküne gegen dies oder jenes Theater. Geht nun die Zensur irgend etwas von den Motiven eines Schriftstellers an? Im Gegenteil! Alles Lob solchen »persönlichen Rankünen,« deren Ergebnisse der Sitte und der moralischen Gesundheit eines Volkes zugute kommen.
Schon die römische Imperatorenzeit lehrte uns, daß unfreie Zustände die Moralität der Völker vergiften. Der erlaubte politische und religiöse Freimut eines Volkes adelt dessen Moral. Die unterdrückte freie Bewegung der Vernunft erzeugt die Zügellosigkeit in den Sitten. Die Wiener Theaterzensur ist gegen die Vorstädte milder als gegen die Theater der Hauptstadt. Im Burgtheater darf kein Stück gegeben werden, daß die königliche Würde von einer menschlichen Seite darstellt, Heinrich IV. von Shakespeare ist verboten, kurz eine Willkür, die man gottlos nennen müßte, wenn sie nicht vielleicht die Frucht einer traurigen aristokratischen und altspanischen Etikette wäre, legt dort auf die schönsten Blüten der Poesie eine vermessene Hand; aber Ehre, Liebe, Freundschaft, Sitte und Zucht, Kindererziehung, die ewigen Güter des Daseins dürfen in den Vorstadttheatern verspottet werden. Es stimmt dies vortrefflich zu einer Politik, die aus sybaritischer Genußsucht (Friedrich von Gentzens Lebensprinzip!) das außerordentlich bequeme Prinzip der Stabilität gemacht hat.
Carl ist nun in die engen Räume des Leopoldstädter Theaters gebannt und nach der Richtung, die die Truppe des geistreichen Inpressarios genommen hat, mit Fug und Recht. Nestroy muß nicht zum Volk sprechen. Er mag eine kleine Versammlung täglich anlocken, aber in dem alten großen Hause gab Wien mit seinen Zweideutigkeiten zu harangieren, das wurde nachgerade ein sittliches Verbrechen. Als Schauspieler machte Nestroy einen großen Eindruck auf mich. Möglich, daß öfteres Sehen ihn würde verwischt haben. Die Gestalt des Sans-Quartier in den Sieben, Vierzehn, oder wie viel? Mädchen in Uniform ist des größten Mimen würdig. Wie schade, daß in diesem geistreichen Darsteller kein gefühlvolles Herz schlägt! Karikatur ist seine Kunst. Gott und der Menschheit einen Esel bohren, das ist seine Lust. Er persifliert alles und wenn nichts mehr zünden will, sich selbst. Seine Stücke, die fast alle nach dem Französischen bearbeitet sind, wimmeln von einem witzig sein sollenden Kauderwelsch, das sich die Friseure, die Barbiere, die Schneider Wiens schon als Umgangssprache angewöhnt haben. Er gibt zwei Akte hindurch eine Art Erfindung, eine Art Handlung, im dritten, wenn die Lösung schwieriger wird oder die Zensur, wie in »Unverhofft« einen baren Unsinn vorgeschrieben hat, dreht er sich um und fängt, sich, sein Stück und das Publikum verspottend, an zu singen: Kladeradatsch usw. und parodiert in sogenannten Quodlibets Himmel und Erde nach der Maxime: »Es ist alles Wind! Juchhe!«