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Shelley

Percy Bysshe Shelley

Vor dem Posthause in Pisa stand im Jahre 1820 ein schöner, langaufgeschossener, aber kränklich aussehender Englishman und fragte, ob nichts für ihn poste restante angekommen wäre?

Wie heißen Sie? fragte der Postoffiziant.

Shelley!

In dem Augenblick erhielt der Engländer einen fürchterlichen Schlag auf den Kopf, nachdem er kaum gehört hatte, daß ein hinter ihm stehender Landsmann ausrief: Was, Sie sind der Gottesleugner? Der Elende entlief. Shelley war besinnungslos niedergesunken. Als er sich erholte, lechzte seine gekränkte Ehre nach Rache. Er hört, der Fremde sei nach Genua abgereist. Er eilt ihm nach; er will für die gemeine Mißhandlung Genugtuung haben. Er findet ihn nicht: er ist außer sich über den Schuft, bis er hört, daß er nach Lissabon gereist war. Es war ein englischer Lieutenant in portugiesischen Diensten. Was sollte Shelley tun? Leidend, hinfällig, sah er dem Tode, der ihn später in den Fluten des mittelländischen Meeres ereilte, längst schon mit gebrochenen Augen ins Angesicht. Er ertrug und verwand seinen Schmerz. Der Mann von Geist hat gegen die Brutalität keine andere Waffe, als Stillschweigen, Mitleid, Verachtung.

Und diese Anekdote kann uns auch schnell vergegenwärtigen, wer Percy Bysshe Shelley war, wenigstens wofür er in der öffentlichen Meinung galt. Er galt für einen Gottesleugner, für einen Gegner des Christentums. Seine Braut wurde ihm entrissen, als ihn dieser Ruf zu verfolgen anfing, sein Vater, ein außerordentlich reiches Glied der englischen Aristokratie, verstieß ihn und ließ ihn darben, hungern sogar; die Kinder einer Ehe, welche er schloß, weil sein Herz einer Anknüpfung bedurfte, und welche Scheidung trennen mußte, wurden durch Beschluß des Lordkanzlers von England aus seiner Nähe genommen; er floh, verfolgt von den Verwünschungen der Prüderie und der Trägheit der Masse, nach Italien, ein brutaler Lieutenant wollte ihm den Hirnschädel einschlagen; er hatte die ganze Welt gegen sich, die ganze Kritik, die Kirche, den Staat, die Gesellschaft, den Vater und die erste Geliebte gegen sich, er hatte nichts als eine zweite Gattin, die einen Geist besaß wie George Sand und selbst köstliche Dichtungen gibt, nichts, als einige spärlich gesäte Verehrer, zwei oder drei Freunde, unter ihnen aber einen, der ihn anbetete, Lord Byron.

Wenn irgend das Leben eines modernen Dichters – denn das war Shelley und der genialste! – die Stellung des originellen Gedankens und der schöpferischen Phantasie, unserem schroffen, egoistischen und an Vorurteilen haftenden Zeitalter gegenüber, vergegenwärtigen kann; so ist es das Leben Shelleys. Er war ein Sohn der Zeit, wie keiner, und seine Mutter, gerade unser materielles leichtsinniges Jahrhundert, stieß ihn von sich, wenn er sich auf sie berief, sich nach ihrem Namen nannte und die Male zeigte, an welchen er erkannt sein wollte. Er trug, wie keiner, den Fluch der Epoche, die nur von Gährungen und halben Ahnungen bezeichnet wird, den Fluch des Mißverständnisses und einer dem Neide und der Intrige gar leicht möglichen Entstellung seiner edelsten Träume und Absichten. Er konnte sich nicht verteidigen. Denn was läßt sich der Menge Vernunft predigen, der Menge, die nur nach Stichwörtern hört, die von stereotypen Ausdrücken nicht läßt, die nur schwarz oder weiß sehen will und von den Farben des Regenbogens der Ideen nichts versteht! Shelley galt als Atheist, als Gegner des Christentums, als ein Ungeheuer; welche Waffe er hatte? Konnte er rufen: Von allem, was ihr sagt, bin ich das Gegenteil; nur die Freiheit meiner Dialektik, in der ich erst meine Überzeugung und die Feuerprobe bestehen lasse, nur mein Genius ist es, der euch beleidigt, den ihr nicht enträtseln könnt! Er konnte es nicht. Er konnte nicht sagen: Ich, Shelley, bin ein armer leidender Mann, der nach Klarheit und Offenbarung ringt; ich bin empfindsam, wie die Sinnpflanze; ich bin Idealist in einem Grade, wie es Plato nicht war; ich sehe Gott in jedem, was Leben verrät; ich finde in der Natur die ewig geöffnete Pforte des Himmels; ich bin ein schwaches Rohr, das vom Zugwind seiner Zweifel hin und hergeweht wird; schmachte nach Liebe, Hingebung; ich opfre all mein Vermögen Armen und Hilfeflehenden; ich schreibe nicht des Ruhmes wegen, sondern um mir genugzutun; ach und ich will aufhören, da ich nirgends in euren kalten Gemütern ein Echo finde; ich bin der Unglücklichen Unglücklichster, dämmre dem Tode entgegen und werde von Visionen geängstigt, die mich zum Schlafwandler machen, zum Schrecken meiner Umgebung; ich sah mich selbst, einen Doppelgänger; ich werde vom Sturm auf dem Meere verschlungen werden und schrecklich sterben, wie ich freudenlos gelebt habe!

So konnte Shelley selbst nicht sprechen. So spricht nur der, der ihn näher kannte, so spricht sein Leben, sein Tod. Erst die Grabschrift konnte ihn, wie an der Pyramide des Cästius in Rom zu lesen ist, ein treues Herz, cor corduum, eine liebe, gute, treue Haut, nennen. Byron nannte ihn so. Das atheistische Ungeheuer, vor welchem sich die Basen und Reviews Englands kreuzigten, war ein schwaches, liebes Kind, das sich in Augenblicken der Gefahr zur mutigsten Elastizität emporschnellen konnte; sonst aber sanft und gut wie ein Frauenzimmer war, abergläubisch sogar, religiöser jedenfalls als die Bischöfe von Oxford und Exeter. Im Leben konnte das niemand von ihm beweisen. Erst sein Tod und die unverfälschten Tatsachen, die der Gedächtnisrede seiner Freunde zum Grunde lagen, konnten ihn rechtfertigen.

Shelley war mit Byron in derselben Lage; allein diese Lage wirkte auf ihn anders, als auf Byron. Byron nahm Rache an seinen Gegnern, er schwang seine satirische Geißel über die, die ihm mißwollten. Konnte er nicht ganz England durch seine Verse in den Belagerungszustand der Poesie versetzen, so nahm er Repressalien an Italien, an den Frauen, an Menschen, die ihn nicht verstanden, die nur sein Geld, seine Hunde und seine aristokratischen Manieren zu schätzen und zu fürchten wußten. Er hatte Stoff, woran er seinen Ärger austoben konnte. Allein Shelley, dem man nicht so sehr die Unsittlichkeit, als die senkrechte Gottesleugnung vorwarf, mußte denselben Ärger in sich selbst verwinden. Er tobte sich nicht in den Leidenschaften aus. Er ertrug die Mißgunst der Welt und lebte, je mehr sie ihn von sich stieß, desto mehr in sich hinein. Sein Weib verstand ihn; sie war auf der Höhe seiner Ideen; ein seltnes Glück beim Dichterunglück. Er hatte Frieden in den Kreisen, die ihm die nächsten waren. Das gab ihm den Mut, so viele üble Nachrede zu ertragen und seinem ätherischen Genius treu zu bleiben. Shelley hatte eine Seele wie Ariel.

Wie Ariel war auch seine Poesie. Luftig und ätherisch flattert sie, wie die Libelle über dem Bache. Seine Gedanken zitterten, wie die Flamme des Lichtes zittert. Er war, wie die Lerche, immer im Steigen begriffen, wenn er sang. Er wußte die Poesie an das, was uns begegnete und im Wege liegt, wie die falsche moderne Richtung ist, nicht anzuknüpfen, sondern er mußte Grundlagen für seine Anschauungen haben, die dem Reiche der Gedanken und der Reflexionen angehörten. Nachdenken entzündete seine dichterische Begeisterung. Die Anschauung lieh ihr erst die Worte, deren sie sich bediente. Alles, was er sang, ging von einer hohen Idee aus; die Form erst schöpfte er aus der Natur, die ihn umgab. Er wußte der Natur aber alles zu entlehnen und abzulocken, was sie Poetisches nur enthält. Er kannte das Wesen der Blumen und Steine, er löste von allem, was er sah, ein Bild für seine Dichtungen ab. Die schönsten Gleichnisse strömten ihm in üppiger Fülle zu. Er konnte in Bildern ebenso lieblich wie großartig sein. Schwollen die Anschauungen, hoben sich die Gedanken, so ward er in seinen Formen gigantisch. Er brauchte Bilder, wie Äschylus, dem er in der Tragödie nachstrebte. Es ist, als sähe man das heiße Afrika eines Hannibal über das Eis der Alpen ziehen. Oft erhoben sich seine Formen so hoch, daß man ihm nicht folgen konnte, sondern wie einen Luftball ihn allmählich aus dem Auge verlor. Ich weiß nicht Englisch genug, um meiner Charakteristik der Shelley'schen Poesie Vollständigkeit zu geben. Aber ich ahne ihre zarte Mischung von Sentimentalität und Metaphysik und glaube allerdings gewiß zu sein, daß sie der äußeren plastischen Gestaltung ermangelte und in den zu erhabenen Stellen mit den obern Luftschichten der Atmosphäre zuweilen eine gleiche Wirkung hat, nämlich die, daß man erfriert. Indessen rühmt Byron das Talent seines Freundes für das Drama und sagt: die Cenci Shelleys sind das beste Trauerspiel, welches die neuere Zeit hervorgebracht hat und Shakespeare nicht unwürdig.

Die Cenci betreffend, so leitet sie Shelley mit tiefen Bemerkungen über den dramatischen Charakter, über Moralität der Poesie und ähnliche Fragen ein. Der Gegenstand ist bekannt. Ein römischer Patrizier, Cenci, ein Wüstling, der sich vor seinen eignen Kindern nicht sicher glaubt, wirft in verbrecherischer Leidenschaft sein Auge auf seine eigne Tochter und reizt diese durch die ihr angetane Schmach, den Vater ermorden zu lassen. Die Tat wurde entdeckt und sie mit ihren Mitschuldigen zum Tode geführt. Beatrice Cenci ist der Mittelpunkt der Tragödie, die füglich nach ihr hätte benannt werden können. Ihr Unglück, ihre Verzweiflung, ihre Rache und Verschlagenheit, mit der sie sich gegen die Anschuldigung des Mordes zu rechtfertigen sucht, sind meisterhaft geschildert. Wenn das Trauerspiel im allgemeinen zur Lektüre geeigneter ist, als zur Darstellung, so liegt dies in der negativen Charakteristik der übrigen Personen. Sie entwickeln wenig drastische Leidenschaft, sie sind fein gezeichnet, sie entsprechen menschlichen Neigungen und Eigentümlichkeiten, allein sie bewegen sich in keiner schlagenden und raschen Tätigkeit, sie haben nicht einmal sichre Zwecke, die sie erreichen wollen. Der Vater, Graf Cenci, ist gleichfalls mit origineller Wahrheit hingestellt, und auch wirksamer, als die übrigen, Beatrice ausgenommen. Die Sünde im Bunde mit der Frechheit hat der Dichter in krassen aber naturgetreuen und die Schranken haltenden Situationen gezeichnet, Lästerung und Bigotterie liegen auf einer vom Weinrausch lallenden Zunge. Ein Schauspieler, der diesen Charakter richtig wiederzugeben wüßte, müßte die satanische Originalität mancher Menschen gründlich studiert haben. – Zu den Vorzügen des Trauerspiels gehört die natürliche Sprache desselben. Shelley vermied absichtlich die lyrischen Üppigkeiten, welche heutigen Tages grade bei talentvollen Dichtern das Drama so unwirksam machen. Er wußte, daß die Größe Shakespeares nicht in seinen verblümten, oft schwülstigen Redensarten, sondern in der Sorglosigkeit, so oft sie ihn beschleicht, in der Familiarität des Ausdrucks liegt. Nichts weckt die Sympathie mehr, als wenn sich die Gestalten des Dichters ihm ganz analog, ganz ebenbürtig bewegen, wenn sie die Sprache aller reden und nicht etwa eine Staats- und Sonntagssprache, die nur das Zeichen des Ungeschickes zur Poesie ist.


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