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Sie sprachen auf der Fahrt kein Wort. Mit dem Augenblick, als sie in der Taxe saßen, begann für sie eine Art Dienst, eine strenge unerbittliche Wirklichkeit. Das freundliche Lächeln Holtens war abgeschnitten. Steegen empfand es dankbar.
Sie gingen die Treppe des Bürohauses hinauf. Holten öffnete die Tür des Wartezimmers. »Entschuldigen Sie mich bitte einige Minuten. Und wenn Ihr Besuch bei mir Sie reuen sollte, so gehen Sie ruhig wieder davon, Herr Steegen. Ich werde Sie mit keiner Silbe an dieses Zusammentreffen erinnern. Nehmen Sie Platz. Es kann zehn Minuten dauern.«
Was nun? dachte Steegen. Das Fenster ging auf einen dunklen Hof. Die Bürozeit war bereits vorüber. Das Haus lag wie ausgestorben. Nur von fern, zwei Zimmer weiter, klapperte ununterbrochen eine Schreibmaschine. Holten wird telefonieren, vielleicht die Polizei benachrichtigen. Jeden Augenblick konnte Sabine kommen. Wer sagte ihm, daß sie nicht bereits hier war und die Unterhaltung aus dem Nebenzimmer anhören würde? Er zwang sich, nicht über das nachzudenken, was er Holten zu sagen hatte. Nur die Wahrheit wollte er sagen, die ganze Wahrheit!
Holten trat ein. »Ich bitte!« sagte er ernst. Es war ein ungewöhnlich geschmackvoll eingerichtetes Arbeitszimmer, mehr ein Gesellschaftsraum. Nur daß die Bibliothek vorwiegend aus juristischen Büchern bestand. Aber auf einem großen runden Tisch in der Ecke lagen sogar einige Kunstmappen.
»Bitte, nehmen Sie Platz, Herr von Scheeven!« Dieser Name war ohne Schärfe, nur wie eine längst gewohnte Anrede ausgesprochen, aber er wirkte auf Steegen derart, das er einen Schritt zurücktrat.
»Sie wissen meinen Namen!«
»Ich weiß auch noch manches andere, Herr von Scheeven. Übrigens können Sie immer noch gehen, falls Sie es für richtiger befinden sollten, und Sie sind dann für mich wiederum Herr Steegen.«
»Nein«, sagte Steegen und setzte sich. »Ich will Ihnen alles erzählen, was ich weiß.«
»Es wird mich interessieren. Hier stehen Zigaretten.« Der Rechtsanwalt drehte sich halb nach seinem Schreibtisch um, nahm ein Blatt Papier vor und begann mit einem Bleistift Figuren hinzukritzeln. Steegen schlug die Beine übereinander, bildete mit den Händen ein Dach und saß eine Weile schweigend da. Dann begann er.
»Wie Sie also bereits wissen, heiße ich Rolf von Scheeven. Mein Vater besaß einige Güter, beteiligte sich aber auch gern an Industrie-Unternehmungen. Ich wuchs auf dem Lande auf, studierte zunächst ein wenig Landwirtschaft und wurde dann Offizier.«
»Bei den 26. Husaren!«
»Ja. Die Pferdegeschichte machte mir großen Spaß, das andre weniger. Ich hätte bald meinen Abschied genommen, wenn nicht der Krieg ausgebrochen wäre. Es ging mir übrigens im Felde gut. Kaum vier Monate Schützengraben, sonst Stabsstellen, Munitionsstaffeln oder Pferdedepots. Während des Krieges wurde mein Vater eine bedeutende Persönlichkeit. Sein Name spielte eine Rolle bei der Durchführung des Hindenburgprogramms. Er war einer der großen Scharfmacher und verdiente viel Geld. Kurz vor Kriegsende starb er plötzlich. Ich nahm dann später meinen Abschied. Damals war ich sehr wohlhabend und hätte es während der Inflation noch mehr werden können, wenn ich aufgepaßt hätte. Aber ich paßte nicht auf. Ich hielt es nicht für möglich, daß so viel Geld eines Tages plötzlich zu Ende sein könnte. Die Rentenmark habe ich sogar noch einigermaßen überstanden. Dann aber ging es mit Riesenschritten bergab. Mein Vater hatte da einige nicht ganz ungefährliche Geschäftsfreunde, die Lenninghaus', Sie wissen.«
»Ich weiß.«
»Kurzum, eines Tages war es so ziemlich zu Ende. Eine Zeitlang hätte ich mir noch ein Gut kaufen können, dann hörte auch das auf. Ich nahm das alles nicht so furchtbar ernst. In dieser Zeit lernte ich Dorette Blankenhorn kennen. Es war in einem Münchner Hotel.«
»Soll ich es Ihnen nennen?«
»Es ist nicht nötig. Ich weiß, daß Sie das herausbekommen haben. Eines Morgens fiel mir ein besonders scheußlicher Kerl beim Frühstück auf. Ich erkundigte mich nach ihm. Er bewohnte eins der größten Zimmer und hatte außerdem ein Zimmer vorbestellt für eine Dame, die am Mittag aus Berchtesgaden kommen sollte. Ich nahm mir vor, am nächsten Morgen aufzupassen, aber ich sah die beiden schon am Abend vor mir die Treppe hinaufgehen. Damals war Dorette – verzeihen Sie, wenn ich Frau Abercron einfach so nenne – zweiundzwanzig Jahre und unverheiratet. Übrigens gefiel sie mir nicht. Meine Neugierde war befriedigt, und ich hätte mich nicht mehr um diese beiden Menschen gekümmert, wenn ich nicht zwei Tage darauf Dorette im Hotelvestibül hätte sitzen sehen. Ihr Gesicht hatte einen unbeschreiblichen Ausdruck. Man konnte eine ganze Geschichte aus diesem Gesicht herauslesen. Ein schutzloses junges Mädchen aus gutem Hause, arm, schön, verlassen, und mit dem Wissen darum, welche Waffe und welche Gefahr ihre Schönheit für sie bedeutete. Ich dachte mir, als ich sie so sitzen sah – und das war auch das Richtige –, daß sie unerträglich engen Verhältnissen entflohen war und die Bekanntschaft dieses unsympathischen Herrn Blankenhorn benutzt hatte, um überhaupt erst einmal herauszukommen, mochte daraus werden, was wollte.«
»Sie wissen, Herr von Scheeven, aus welchen Verhältnissen Frau Abercron stammt?«
»Ich weiß es. Blankenhorn hatte sie als eine Art Haustochter alias Kindermädchen bei einer norddeutschen Familie entdeckt, die in Berchtesgaden zur Kur weilte. Ihr Vater war ein reicher Kaufmann gewesen, bis er Bankrott machte und sich erschoß. Dorette hatte Schauspielerin werden wollen. Sie war an Geld und Bewegungsfreiheit gewöhnt und hatte dann plötzlich die erste beste Stellung annehmen müssen. Ich nehme an, daß sie sie außerordentlich schlecht ausgefüllt hat.«
»Darauf können wir uns wohl verlassen.«
»Wie es gekommen ist, weiß ich im einzelnen nicht. Dorette war unerbittlich gewesen. Blankenhorn hatte ihr die Ehe versprechen müssen. Selbst dieser arge Sünder konnte sich Dorettes Willen nicht entziehen.«
»Willen?« fragte der Rechtsanwalt. »Wirklich Willen?«
»Ich weiß in der Tat nicht, ob Dorette je etwas gewollt hat. Dorette war da und lächelte. Vielleicht hat sie im Grunde nie etwas gewollt. Immer geschah etwas um sie herum, und unter den Möglichkeiten wählte sie dann nur die eine heraus. Ich habe sogar den Eindruck, daß sie stets ein wenig verzweifelt über das war, was um sie geschah. Jedenfalls sah ich sie mit einem unbeschreiblichen Ausdruck in dem Hotelvestibül sitzen und auf Blankenhorn warten. Ihr Anblick erschütterte mich. Von diesem Augenblick an wußte ich, daß sie in meinem Leben die ausschlaggebende Rolle spielen würde.
Unbekümmert darum, daß dieser schreckliche Mann in jeder Sekunde die Treppe hinunterkommen konnte, sprach ich sie an. Sie erschrak, ich warnte sie vor einer Gefahr, in der sie sich befände. Sie hörte mir zu. Wir sprachen eine Viertelstunde miteinander. Ich wollte es geradezu erzwingen, daß Blankenhorn hinzukam und uns zusammensah. Es hätte eine Auseinandersetzung gegeben, in der Dorette sich für mich entschieden hätte.
Aber merkwürdigerweise bekam ich Herrn Blankenhorn nicht mehr zu Gesicht. Dorette verfügte über eine große Kunst der Regie. Jeden Tag sprach ich ganze Viertelstunden mit ihr. Wir trafen uns manchmal in der Stadt. Ich beschwor sie, Blankenhorn zu verlassen und ganz zu mir zu kommen.«
»Sie wollten sie heiraten?«
»Natürlich wollte ich sie heiraten! Damals glaubte ich noch, viel Geld zu haben. Oder eigentlich glaubte ich das nicht mehr, aber ich wollte es nicht sehen, daß ich bereits ruiniert war. Ich glaubte, daß ein Wunder geschehen würde, ein plötzliches Hochschnellen der Kurse, das mich rettete. Wir verabredeten die Flucht. Ich zog in ein andres Hotel. Am Abend wollten wir uns auf dem Bahnhof treffen und abfahren. An diesem Tage erst machte ich mir meine Lage klar. Ich saß in dem Hotelzimmer und rechnete. Das Ergebnis war niederschmetternd. Ich irrte verzweifelt durch die Straßen. Nicht weil ich jetzt arm war, sondern Dorettes wegen. In dieser Stimmung schrieb ich ihr einen Brief, in dem ich ihr alles anheimstellte. Der Liftboy ihres Hotels mußte ihn ihr in einem unbewachten Augenblick in die Hand spielen. Ich weiß noch jedes Wort, das ich ihr geschrieben habe. Ich malte ihr ein Leben in bescheidenen Grenzen aus und schwur, sie auf Händen tragen zu wollen. Ich konnte eine Stelle als Gutsverwalter oder Gestütsdirektor annehmen. Meine Verbindungen würden mir zustatten kommen. Das alles setzte ich ihr auseinander.
»Am Abend zu der verabredeten Stunde wartete ich auf dem Bahnhof. Immer hoffte ich noch, daß sie trotzdem kommen würde. Ich nahm sogar eine Fahrkarte für sie, um auf alle Fälle gewappnet zu sein. Sie kam nicht. Und sehen Sie, das habe ich ihr hoch angerechnet, daß sie einfach nicht kam. Sie wollte aus der Misere heraus und schloß keine Kompromisse mit ihrem Herzen.«
»Hm«, machte der Rechtsanwalt. »Sind Sie so überzeugt davon, daß Frau Dorette ein Herz hat?«
Steegen sah ihn fassungslos an. »Ein Herz? Natürlich hat sie ein Herz! Nur das Leben hat ihr keine Gelegenheit gegeben, ihm zu folgen. Immer mußte sie va banque spielen.«
»Herr von Scheeven«, fragte van Holten ernst, »glauben Sie, daß Frau Abercron Sie liebt?«
Steegen zögerte eine Weile, dann nickte er mit dem Kopf. »Ja«, sagte er. »Und wenn ich Geld gehabt hätte, wäre alles anders gekommen.«
»Sind Sie nie auf den Gedanken gekommen, daß Frau Abercron jemand anders liebt?«
Er überdachte, was er in der nächsten Stunde berichten würde. Da kam dieser Punkt, der in Dunkelheit lag. War es möglich, daß sie einen andern liebte? Ja, es war möglich! Es war da etwas, was er nicht überschauen konnte. »Ich werde Ihnen diese Frage durch meine Erzählung beantworten.«
Holten nickte. Steegen fuhr fort:
»Reste meines Vermögens waren auch jetzt immer noch zu retten. Ich aber ließ es laufen, wie es wollte. Es war mir eine Wollust, arm zu sein. Ich nahm eine Inspektorstelle an, die ich ohne Schwierigkeiten bekam. Damals legte ich meinen Namen ab. Er hätte mich gehindert. Eines Tages las ich ein Inserat, in dem die Majoratsverwaltung von Swantemühl einen erfahrenen Inspektor suchte. Mir fiel ein, daß Swantemühl diesem Herrn Blankenhorn gehörte. Ich meldete mich und wurde zur Vorstellung befohlen. Auf der Station holte mich der Milchwagen ab. Auf dem Wege begegnete mir Dorette in einem Selbstfahrer.
Ich erkannte sie von weitem. Wir fuhren dicht aneinander vorüber. Der Milchfahrer grüßte, ich mit. Sie dankte. Hatte sie mich erkannt? Gab sie mir in dem Gruß ein Zeichen? Ich kann es Ihnen noch heut nicht beantworten. Eigentlich hatte ich erwartet, daß sie mich erschrocken anstarren würde, aber ich konnte keinerlei Bewegung bei ihr bemerken. Ich hatte mich in dem dazwischenliegenden Jahr verändert, oder, wenn Sie wollen, geschickt verkleidet. Obwohl ich andrerseits wieder gegen die Folgen meiner Verarmung ankämpfte. Ich hatte stets einige elegante Anzüge in meinem Koffer. Aber ich trug sie nur, wenn ich weit fort von meiner Arbeitsstelle war. Ich führte sogar ständig eine kleine Bibliothek mit mir herum. Ich liebte es, auf meinem Urlaub in den Foyers der besten Hotels zu sitzen, nicht aus Hochstapelei, sondern einfach, weil das meine Lebenssphäre war, in die ich von Zeit zu Zeit zurücktauchen mußte. Aber im übrigen war ich ein einfacher Gutsinspektor, ein außergewöhnlich brauchbarer übrigens. Ich konnte Haltung und Manieren meines neuen Standes waschecht kopieren. Ich stand vor Herrn Blankenhorn in halb militärischer Haltung. Wenn er mir eine Zigarre gab, dankte ich nicht mit einer Verbeugung, sondern durch ein Zusammenreißen meiner Knochen. Das machte mir Spaß, bis ich bemerkte, wie es allmählich in mich hineinkroch. Diese Haltung entsprach ja in der Tat dem Stande, in den ich mich hineinbegeben hatte. Ich durfte mich ja gar nicht mehr anders benehmen. Ich hielt vor mir selbst ängstlich die Fiktion aufrecht, daß das Ganze eine Vermummung war. Aber sie war es nicht. Sie ist es auch heute nicht mehr. Bitte, was unterscheidet mich von einem gewöhnlichen Stallmeister? Heute ist es eine Verkleidung, wenn ich im Smoking Herrn Abercrons Gesellschaft besuche.«
»Sie wollten von Ihrem Aufenthalt in Swantemühl erzählen!« unterbrach der Rechtsanwalt ihn sachlich.
»Es gehört dazu. Durch diese Swantemühler Stelle bin ich geworden, was ich heute bin. Noch immer hätte ich damals einen Vermögensrest retten können. Ich hatte einfach kein Interesse dafür. Alle meine Gedanken kreisten um Dorette. Es soll Ihnen zeigen, wie besessen ich von dieser Frau bin.«
Er hielt einen Augenblick inne, ein wenig erschrocken über die Formulierung, die der Augenblick ihm eingab. »Bin oder war?« fragte Holten. Steegen sah ihn verwirrt an. »Ich weiß nicht, ich kann es Ihnen nicht sagen«, sagte er. »Ich erzähle weiter.«
»Noch eine Frage: Sind Sie sicher, daß Blankenhorn Sie nicht von Anfang an durchschaut hat? Auch in Ihrer sozialen Stellung?«
»Nein, darüber bin ich mir keineswegs sicher. Manchmal hatte ich den Eindruck, daß er mich gerade meiner Herkunft wegen besonders erniedrigen wollte. Er war fast noch schlimmer, als ich vermutet hatte. Übrigens bin ich mir nie darüber ganz klar geworden, wie weit seine Bösartigkeit ging und wie weit er vielleicht nur beschränkt war. Er kannte es vielleicht nicht anders, als daß man vor dem Familienoberhaupt zu ›parieren‹ hatte. Alles mußte vor ihm ›parieren‹. Sogar seine Mutter, von den Töchtern ganz zu schweigen. Die Mädels freuten sich auf einen Ball in der nahen Garnison. Im letzten Augenblick zog er die Erlaubnis, ihn zu besuchen, zurück. Karla wollte sich in Musik ausbilden. Ein Lehrer kam jede Woche heraus. Plötzlich wurde das Klavier verkauft. Es wurde auf einen Bretterwagen geladen und in die Stadt geschafft. Drei Tage lang ging das Mädel mit verweinten Augen herum. Sabine wollte Bildhauerin werden. Damals tauchte Professor Stüwe in Swantemühl auf.«
»Verzeihen Sie die Unterbrechung: Haben Sie damals schon etwas davon bemerkt, daß sich Professor Stüwe für Frau Blankenhorn interessierte?«
»Nicht das Geringste, obwohl ich die Augen in dieser Beziehung offen hatte. Stüwe interessierte sich ausgesprochen für Karla. Das junge Mädchen klammerte sich an diese Möglichkeit, aus der Hölle von Swantemühl herauszukommen. Ich glaube auch, daß eine von Blankenhorns Teufeleien dahintersteckte, wenn Stüwe plötzlich fortblieb. Das richtete sich wohl weniger gegen Karla als gegen Sabine, deren Talent Stüwe entdeckt hatte. Damals sollte Sabine nach Berlin, um sich bei Stüwe ausbilden zu lassen. Wir hatten bereits einen Etat dafür aufgestellt. Plötzlich kam Blankenhorn dann mit seiner hohen Lebensversicherung, deren Kosten das Geld für Sabines Aufenthalt in Berlin verschlangen. Später hörte ich dann, daß er diese Lebensversicherung sofort verpfändet haben soll.«
»In der Höhe des Rückkaufwertes?«
»Nein, fast in der Höhe der Versicherungssumme. Er fand irgendeinen Geldgeber dafür, der wieder einen bestimmten Anteil der Ernte für die Prämienzahlungen sicherstellen ließ. Aber das kam erst nach seinem Tode heraus. Im ersten Augenblick glaubte die Familie, durch diese Versicherung in den Besitz einer größeren Summe zu kommen. Ich allein wußte, daß die Versicherung auf Dorette ausgestellt war.«
Holten sah ihn ernst an. »Sie allein wußten das? Und Frau Blankenhorn natürlich auch!«
»Auch Frau Blankenhorn. Vor einigen Tagen sagte mir Dorette allerdings, daß ihr Mann ihr kurze Zeit vor der Katastrophe von der Verpfändung Mitteilung gemacht hätte.«
»Glauben Sie das?«
»Ich – ich weiß nicht!«
»Bitte, fahren Sie fort!«
»Sabine konnte also nicht nach Berlin. Die Erörterung darüber wurde kurz abgeschnitten. Herr Stüwe ließ sich nicht mehr blicken. Ich fragte Dorette nach dem Grund. Sie wußte nichts. Wahrscheinlich hatte Herr Blankenhorn ihm kurzerhand das Haus verboten.«
»Sind Sie nie auf den Gedanken gekommen, daß Herr Blankenhorn an der Seite seiner Frau einen Verzweiflungskampf kämpfte? Vielleicht erreichte er erst durch diese Heirat den Grad von Bösartigkeit, den Sie an ihm gekannt haben.«
Steegen senkte den Kopf. Das war derselbe Gedanke, den schon einmal Abercron und Stüwe geäußert hatten.
»Nehmen Sie an«, fuhr van Holten fort, »daß Blankenhorn den Argwohn engerer Beziehungen zwischen dem Bildhauer und seiner Frau hatte. Er sah sich von einem Netz umsponnen. Dieser Professor hatte vielleicht mit seiner Frau geheime Zusammenkünfte. Gleichzeitig verlobte er sich mit Karla und suchte Sabine zur Schülerin zu gewinnen. Blankenhorn wurde mißtrauisch. Vielleicht gehörte er zu jenen merkwürdigen Naturen, die bei aller Brutalität nach außen hin an inneren Minderwertigkeitskomplexen leiden. Er litt vielleicht unter sich selbst, unter seiner robusten Art. Er fühlte sich den Methoden einer geistigeren Diplomatie unterlegen. – Haben Sie sich nie solche Gedanken gemacht?«
»Nein!«
»Es ist mir nämlich aufgefallen, daß alle Menschen, die Blankenhorn gekannt haben, ihn mit den immer gleichen Begründungen ablehnten. Das macht mißtrauisch. Die Wahrheit ist nicht in Schwarz und Weiß eingeteilt. Es gibt da gewöhnlich Übergänge. Wenn ein Mensch sich so allgemein scheußlich benimmt, wie es Herrn Blankenhorn nachgesagt wird, so nehme ich an, daß da irgendein unbekannter Grund vorlag, der diesen Menschen gerade zu diesem Benehmen veranlaßte.«
»Der Grund wäre in diesem Fall die Ehe mit dieser Frau! Herr Blankenhorn fühlte sich von Intrigen umgeben. Wahrscheinlich hatte Frau Dorette ihm vor der Hochzeit die Meinung beigebracht, daß sie ihn liebt, und wenige Wochen nach der Hochzeit konnte er sich vielleicht von dem Gegenteil überzeugen. Das sind natürlich Vermutungen!«
Steegen sah ihn erstaunt an. War das nicht wieder genau das gleiche, was Abercron in jener Nacht bei Horcher zu ihm gesagt hatte? Mußte sich wirklich jetzt alles wiederholen? Blankenhorn – Abercron! Wieder stellte sich das Gesicht ein, das er niemals ganz los wurde: die aufsteigende Mündung eines Jagdgewehrs, das sich langsam gegen eine Stirn richtete. Und er selbst war es, der zielte und dessen Finger sich am Abzug krümmte.
»Seine Frau hatte ihm den Glauben beigebracht, daß sie ihn liebe«, fuhr der Rechtsanwalt fort, »und nun war alles ganz anders. Er hatte das Gefühl, betrogen zu werden, und wußte nicht, von wem. Oder vielleicht wußte er auch, von wem. Aber wo er zupackte, zerrann es ihm unter den Händen. Diese Frau blies bunte Seifenblasen in die Luft und spielte mit ihnen. Er schlug danach und traf die leere Luft. Stüwe mußte verschwinden, und der nächste, der verschwunden wäre, wären vielleicht Sie gewesen. Aber da kam die Katastrophe dazwischen. Hat Blankenhorn Sie gemein behandelt? Nun gut, aber wie haben Sie ihn behandelt? Wissen Sie so genau, daß er nichts von Ihrer früheren Verbindung mit seiner Frau wußte? Ob er Sie beide nicht in verfänglichen Situationen beobachtet hat? Vielleicht hat er Ihnen und seiner Frau gegenüber einen ungewöhnlichen Langmut an den Tag gelegt. Vielleicht hat er sich als vornehmer Mensch gegen bloße Verdächte gesträubt und abgewartet, daß er einen sicheren Beweis in die Hand bekam. Vielleicht waren die Gemeinheiten, die er in der Tat gegen Sie und andre begangen zu haben scheint, nur ein geringer Ausgleich für die Qualen, die er unter der ständigen Gegenwart dieser Frau litt. Wissen Sie, ob er nicht um ihre Liebe gerungen hat? Mit den Mitteln freilich, die ihm zu Gebote standen! – Aber verzeihen Sie, Sie wollten erzählen.«