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Ferner erzählt man, daß einst ein König zahlloses Geld aufgehäuft und viele Dinge allerlei Art, wie sie nur von Gott in der Welt erschaffen waren, gesammelt hatte. Um nun in seinen Mußestunden seine Seele an all dem unermeßlichen Gut, das er aufgehäuft hatte, zu weiden, erbaute er sich ein hohes, in den Himmel ragendes Schloß, wie es sich für Könige schickt und geziemt, und fügte ihm zwei starke Thore ein, mit deren Hut er die Diener und Truppen und Thorwächter betraute. Eines Tages befahl er dem Koch ihm ein Mahl von den feinsten Gerichten zu bereiten und versammelte seine Angehörigen, sein Gefolge, seine Gefährten und Diener, daß sie mit ihm speisten und von seiner Huld beglückt würden. Wie er nun auf dem Thron seines Königreiches und seiner Herrschaft dasaß und sich auf sein Kissen stützte, redete er zu seiner Seele und sprach: »O Seele, du hast dir alles Gut der Welt aufgehäuft, und nun gieb dich ihm hin und laß dir diese Schätze gut schmecken, in langem Leben und reichem Glück.«
Vierhundertunddreiundsechzigste Nacht.
Kaum aber hatte der König sein Selbstgespräch beendet, da kam draußen vor dem Schloß ein Mann in zerlumpten 8 Kleidern herangeschritten, der auf seinem Nacken einen Bettelsack trug, als wollte er um Speise betteln, und klopfte mit dem Thorring des Schlosses so laut und entsetzlich, daß das Schloß wie bei einem Erdbeben erbebte und der Thron wankte. Erschrocken sprangen die Diener ans Thor und schrieen dem Pocher die Worte zu: »Wehe dir, was ist das für ein rohes Betragen? Warte, bis der König gegessen hat, dann wollen wir dir von den übriggebliebenen Speisen geben.« Er entgegnete jedoch den Dienern: »Sagt euerm Herrn, er soll zu mir herauskommen und mit mir reden, denn ich habe eine dringende Sache und ein wichtiges Geschäft mit ihm zu erledigen.« Da sagten sie: »Hinweg, du Schwachkopf, wer bist du, daß wir unserm Herrn melden sollten, er solle zu dir herauskommen?« Er erwiderte ihnen: »Teilt es ihm mit.« Da begaben sie sich wieder zum König und teilten es ihm mit; und der König fragte sie: »Habt ihr ihn nicht fortgejagt und das Schwert wieder ihn gezogen und ihn fortgetrieben?« Da klopfte er plötzlich noch lauter an die Thür als das erste Mal, und nun stürzten sich die Diener mit Stöcken und Waffen auf ihn, um ihn zu schlagen, er aber schrie sie an und rief: »Bleibt auf euerm Platz, denn ich bin der Engel des Todes.« Da wurden ihre Herzen mit Entsetzen erfüllt, ihr Verstand entschwand ihnen, ihr Geist verstörte sich, ihre Schultern zitterten und ihre Glieder versagten den Dienst. Der König aber sagte zu ihnen: »Sagt ihm, er soll einen Stellvertreter für mich und einen Ersatzmann an meiner Statt nehmen.« Doch der Engel des Todes erwiderte: »Ich nehme keinen Stellvertreter an und bin nur um deinetwillen gekommen, daß ich dich von dem Gut trenne, das du gesammelt, und von den Schätzen, die du aufgehäuft und aufgespeichert hast.« Als der König dies vernahm, seufzte er und weinte und sprach: »Gott verfluche das Gut, das mich betrogen und geschädigt hat und mich an der Anbetung meines Herrn verhinderte! Ich dachte, es sollte mir nützen, und nun hat es mir Kummer und 9 Unheil gebracht, und da muß ich nun mit leeren Händen von ihm hinausziehen und muß es meinen Feinden überlassen.« Und da geschah es, daß Gott dem Gut Sprache verlieh, und daß es sprach: »Weshalb verfluchst du mich? Verfluch' dich selber, denn Gott, der Erhabene, hat mich wie dich aus Staub erschaffen und hat mich in deine Hände gelegt, daß du dir durch mich Zehrung für das Jenseits bereitetest und mich zu Almosen für die Armen, die Elenden und Kranken verwendetest und Hospize, Moscheen, Brücken und Aquädukte erbautest, damit ich dir im Jenseits beistände. Du aber scharrtest mich zusammen und speichertest mich in deinen Schatzkammern auf und verwendetest mich für deine eigenen Gelüste; auch sagtest du mir nicht den schuldigen Dank sondern warst undankbar gegen mich. Darum mußt du mich nun deinen Feinden hinterlassen, und nichts als Bedauern verblieb dir und Reue. Was also ist meine Schuld, daß du mich schmähst?« Hierauf nahm der Engel des Todes seine Seele, während er auf seinem Throne saß, und bevor er noch von seinem Mahl gegessen hatte, stürzte er tot von seinem Thron zu Boden. Denn es spricht Gott, der Erhabene: Während sie sich noch dessen, was ihnen geworden, freueten, da nahmen wir sie plötzlich hinfort; und, siehe, da waren sie voll Verzweiflung.Sure 6, 44.