Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band IX
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Die Tochter des nazarenischen Königs und der Moslem.

Ferner erzählt Sîdī Ibrāhîm el-Chawwâs – Gottes Barmherzigkeit komme auf ihn! –folgende Geschichte: »Einstmals trieb mich meine Seele an ins Land der Ungläubigen auszuziehen und ließ sich nicht diesen Gedanken austreiben, wiewohl ich hart wieder sie ankämpfte; und so zog ich denn aus und durchwanderte alle seine Teile, beschützt von der göttlichen Gnade und beschirmt von der Huld des Himmels, so daß jeder Nazarener, den ich antraf, den Blick von mir abwendete und mir aus dem Wege ging, bis ich in eine große Stadt gelangte, an deren Thor ich einen Trupp schwarzer Sklaven in Rüstungen und in der Hand eiserne Keulen tragend antraf. Als mich dieselben erblickten, erhoben sie sich auf ihre Füße und fragten mich: »Bist du ein Arzt?« Ich erwiderte: »Jawohl.« Da sagten sie: »Entsprich dem Befehl des Königs,« und führten mich vor ihn, der ein mächtiger 41 Herrscher von hübschem Angesicht war. Wie ich nun bei ihm eintrat und er mich anschaute, fragte er mich: »Bist du ein Arzt?« Ich erwiderte: »Jawohl.« Und nun sagte er: »Führt ihn zu ihr und teilt ihm die Bedingung mit, bevor er bei ihr eintritt.« Da führten sie mich hinaus und sagten: »Siehe, der König hat eine Tochter, die von schwerer Krankheit befallen ist, von der sie kein Arzt zu heilen vermochte. Jeden Arzt aber, der zu ihr eintritt und sie nicht zu heilen vermag, läßt der König umbringen; schau' also zu, was dir gut dünkt.« Ich antwortete ihnen: »Der König hat mich zu ihr getrieben, führet mich also herein zu ihr.« Da führten sie mich an ihre Thür und klopften, worauf sie von innen rief: »Führt den Arzt, den Herrn des wunderbaren Geheimnisses, zu mir herein!« Alsdann sprach sie die Verse:

»Öffnet die Thür, denn der Arzt ist gekommen,
Und schauet nach mir, denn wunderbar ist mein Geheimnis.
Wie viele, die nahe wohnen, sind weit getrennt,
Und wie viele, die fern voneinander wohnen, sind nahe beisammen!
In eurer Mitte lebt' ich in Fremdlingschaft,
Doch Gott, die Wahrheit, will mich nun trösten.
Ich kehre mich nicht an das Vergängliche, Entschwindende,
Mein einziger Wunsch ist das Bleibende, Unvergängliche.«

Und, siehe, ein alter Scheich öffnete schnell die Thür und rief: »Tritt herein!« Da trat ich ein und fand mich in einem Raum, der mit allerlei wohlriechenden Kräutern bestreut war, in welchem in einer Ecke ein Vorhang niederhing, hinter dem eine Stimme leise klagte und stöhnte, als käme sie von einer abgezehrten Gestalt. Ich setzte mich gegenüber dem Vorhang nieder und wollte nun den Salâm sprechen, als mir das Wort des Propheten – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – einfiel: Redet die Juden und Nazarener nicht mit dem Salâm an, und wenn ihr ihnen auf der Straße begegnet, so drängt sie auf die schmalste Stelle. Infolgedessen hielt ich an mich, doch da rief sie hinter dem Vorhang: »Wo bleibt der Salâm der Einheit und Unverfälschtheit, o Chawwâs?« Da fragte ich sie verwundert: 42 »Woher kennst du mich?« Und sie erwiderte: »Wenn die Herzen und Gedanken rein sind, dann reden die Zungen deutlich aus den verborgenen Kammern der Seelen. Ich betete gestern zu Ihm, mir einen seiner Heiligen zu senden, durch dessen Hände ich erlöst werden könnte, und da rief es mir aus den Winkeln meines Raumes entgegen: Bekümmere dich nicht, wir wollen Ibrāhîm el-Chawwâs zu dir senden.« Hierauf fragte ich sie: »Was ist mit dir vorgefallen?« Und sie erwiderte: »Seit nunmehr vier Jahren ist mir die offenkundige WahrheitGott. erschienen, welches ist der Erzähler und der Vertraute, der Nahebringer und Genosse; seitdem aber blickte mein Volk mit bösem Auge auf mich und hegte allerlei Gedanken wider mich und hielt mich für besessen; und kein Arzt kam zu mir, der mich nicht betrübte, und kein Besucher, der mich nicht verwirrte.« Alsdann fragte ich sie: »Wer brachte dich zu deiner Kenntnis?« Sie erwiderte: »Seine deutlichen Beweise und seine klaren Zeichen; und so dir der Weg deutlich vor Augen liegt, schaust du selber den Beweis und das zu Beweisende.« Während ich mich in dieser Weise mit ihr unterhielt, kam mit einem Male der Scheich, der mit ihrer Obhut betraut war, und fragte sie: »Was hat der Doktor gethan?« worauf sie erwiderte: »Er hat die Krankheit erkannt und das Heilmittel gefunden.«

Vierhundertundachtundsiebzigste Nacht.

Da bezeugte mir der Scheich seine Freude und redete mich freundlich an; dann begab er sich zum König und teilte es ihm mit, worauf der König ihm befahl mich aufs ehrenvollste zu behandeln. Sieben Tage lang besuchte ich sie nun, bis sie zu mir sagte: »O Abū Ishâk, wann wollen wir nach dem Land des Islams flüchten?« Ich versetzte: »Wie kannst du fortkommen, und wer will dir dabei behilflich sein?« Sie erwiderte: »Er, der dich zu mir hereingeführt und dich 43 zu mir getrieben hat;« und ich sagte nun: »Ausgezeichnet sind deine Worte.« Am andern Morgen gingen wir zum Thor der Burg hinaus, und aller Augen wurden verhüllt nach dem Befehl dessen, der, so er ein Ding will, zu ihm spricht: Werde! – und es ist. Niemals aber sah ich jemand standhafter in Fasten und Gebet als sie, und sieben Jahre lang wohnte sie in der Nachbarschaft des heiligen Gotteshauses, bis sie entschlief und in Mekkas Erde begraben wurde. Gott sende seine Barmherzigkeit auf sie!

 


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