Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band IX
Unbekannte Autoren

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dschânschāhs Geschichte.

Wisse, o mein Bruder, mein Vater war ein König und war geheißen der König Tîghmūs; und er herrschte über das Land Kabul und die Kinder Schahlân; und es waren der Kinder Schahlân zehntausend Schwertdegen, von denen ein jeder über hundert feste Städte und Burgen herrschte; ferner gebot er noch über sieben Sultane, und von Sonnenaufgang bis zum Niedergang ward ihm Tribut gezahlt. Er war gerecht in seinem Walten, und Gott, der Erhabene, hatte ihn mit alledem begnadet und ihm dieses gewaltige Reich verliehen, doch war ihm kein Sohn zu teil geworden, wiewohl es sein Wunsch in seinem Leben gewesen war von Gott einen Sohn geschenkt zu bekommen, daß er ihm nach seinem Tode in der Regierung folgte. Da begab es sich, daß er eines Tages die Weisen, die Sterndeuter, die Männer der Wissenschaft und die Kalendermacher vor sich kommen ließ und zu ihnen sprach: »Berechnet mein Gestirn und forschet nach, ob mir Gott in meinem Leben noch einen Sohn schenkt, der mir in der Regierung folgt.« Da öffneten die Sterndeuter die Bücher und berechneten sein Gestirn und stellten ihm das Horoskop und sprachen zu ihm: »Wisse, o König, dir wird ein Sohn geschenkt werden, doch wird dir dieser 94 Sohn nicht werden, es sei denn von der Tochter des Königs von Chorāsân.« Als Tîghmūs dieses von ihnen vernahm, freute er sich mächtig und beschenkte die Sterndeuter und die Weisen mit Schätzen ohne Zahl und Maß, worauf sie ihres Weges gingen. Nun hatte aber der König Tîghmūs einen gewaltigen Haudegen zum Großwesir, Ain Sâr geheißen, der für tausend Ritter einstand. Und der König sprach zu ihm: »O Wesir, ich wünsche, daß du dich zur Reise nach dem Lande Chorāsân fertig machst und für mich um die Tochter des Königs Bahrwân von Chorāsân wirbst.« Alsdann erzählte der König Tîghmūs seinem Wesir Ain Sâr was ihm die Sterndeuter verkündet hatten, und als er alles vom König Tîghmūs vernommen hatte, ging er zur selbigen Zeit und Stunde fort und rüstete sich zur Fahrt, worauf er mit den Mannen und Degen und Heerhaufen vor der Stadt das Lager bezog.

Soviel, was den Wesir anlangt; der König Tîghmūs aber rüstete eintausendfünfhundert Lasten Seide, Juwelen, Perlen, Hyazinthen, Gold, Silber und Metallbarren her neben vielen andern Dingen des Brautguts, ließ es auf die Kamele und Maultiere verladen und übergab es dem Wesir Ain Sâr. Hierauf schrieb er ihm einen Brief folgenden Inhalts: Des Ferneren den Salâm auf den König Bahrwân; und wisse, Wir haben die Sterndeuter, die Gelehrten und Kalendermacher versammelt, und sie haben Uns verkündet, daß Uns ein Sohn geschenkt werden soll; doch soll Uns dieser Sohn nicht werden, es sei denn durch deine Tochter. Und siehe, da habe Ich dir nun Meinen Wesir Ain Sâr mit vielem Brautgut ausgerüstet und habe ihn erkürt mit dieser Bitte an Meiner Statt zu stehen und ihn mit der Vollziehung des Ehekontraktes betraut. Und so erbitte Ich von deiner Huld, du mögest das Anliegen des Wesirs ohne Aufschub und Verzug gewähren, denn, siehe, es ist Mein Anliegen, und alle deine Gefälligkeit ist willkommen; doch hüte dich Mir hierin zu widersprechen, denn wisse, o König Bahrwân, daß Gott 95 Mir gnädiglich das Königreich von Kabul verliehen hat, und daß er Mich zum König gemacht hat über die Kinder Schahlân und Mir ein gewaltiges Königtum gegeben hat. So Ich aber deine Tochter geheiratet habe, werden Ich und du im Königtume eine Person sein, und Ich werde dir alljährlich Gut zur Genüge senden. Solches ist Mein Begehr von dir. – Hierauf siegelte der König Tîghmūs den Brief und übergab ihn dem Wesir Ain Sâr und befahl ihm nach dem Lande Chorāsân aufzubrechen; und der Wesir machte sich auf die Fahrt, bis er nahe an die Stadt des Königs Bahrwân kam, worauf der König Bahrwân von der Ankunft des Wesirs des Königs Tîghmūs benachrichtigt wurde. Sobald der König Bahrwân diese Kunde vernahm, rüstete er die Emire seines Reiches zu seinem Empfang aus und ließ zu gleicher Zeit Speise und Trank und dergleichen zurechtmachen und gab ihnen auch Futter für die Pferde mit; alsdann befahl er ihnen zum festlichen Empfang des Wesirs Ain Sâr auszuziehen, und sie luden die Lasten auf und zogen hinaus, bis sie zum Wesir Ain Sâr gelangten; hier luden sie die Lasten ab, und alle die Reiter und Streiter stiegen ab und begrüßten einander und verweilten zehn Tage lang schmausend und zechend an jenem Ort. Alsdann saßen sie wieder auf und zogen in die Stadt ein, und der König Bahrwân kam heraus zum Empfang des Wesirs des Königs Tîghmūs, umarmte und begrüßte ihn und nahm ihn und begab sich mit ihm in die Burg. Hierauf ließ der Wesir alle die Lasten, die Kostbarkeiten und die Schätze dem König Bahrwân vorführen und übergab ihm das Schreiben, und der König Bahrwân nahm es und las es und nahm Kenntnis von seinem Inhalt und begriff seinen Sinn und freute sich mächtig und hieß den Wesir willkommen und sprach zu ihm: »Freue dich, dein Wunsch ist erfüllt, und wenn der König Tîghmūs mein Leben verlangt hätte, ich würde es ihm geben.« Alsdann begab sich der König Bahrwân unverzüglich zu seiner Tochter, ihrer Mutter und ihren Anverwandten, teilte ihnen 96 die Sache mit und zog sie zu Rat, und sie erwiderten ihm: »Thue nach deinem Belieben.«

Fünfhundertste Nacht.

Infolgedessen kehrte der König Bahrwân zum Wesir Ain Sâr zurück und teilte ihm die Erfüllung seines Anliegens mit. Zwei Monate verweilte noch der Wesir Ain Sâr beim König Bahrwân, dann aber sagte er zu ihm: »Siehe, wir bitten dich, du mögest uns huldvollst gewähren, um dessentwillen wir zu dir gekommen sind, auf daß wir in unser Land heimkehren können.« Da erwiderte der König dem Wesir: »Ich höre und gehorche;« hierauf befahl er alles Nötige zur Hochzeit herzurichten, und als sie es gethan hatten, versammelte er seine Wesire und alle die Emire und Großen seines Reiches und die Mönche und Priester, und sie erschienen allzumal und knüpften den Ehebund zwischen seiner Tochter und dem König Tîghmūs. Alsdann ließ der König Bahrwân die Reisevorkehrungen treffen und gab seiner Tochter soviel an Geschenken, an Kostbarkeiten und Edelbarren, daß es sich nicht beschreiben läßt, und befahl die Straßen mit Teppichen zu belegen und die Stadt aufs schönste zu schmücken, worauf der Wesir Ain Sâr mit der Tochter des Königs Bahrwân in sein Land heimfuhr. Als die Kunde hiervon dem König Tîghmūs zu Ohren kam, befahl er das Fest herzurichten und die Stadt zu schmücken; hierauf suchte der König Tîghmūs die Tochter des Königs Bahrwân heim und nahm ihr die Mädchenschaft. Und nur wenige Tage verstrichen über sie, daß sie von ihm schwanger ward; und, als ihre Monate vollendet waren, gebar sie ein Knäblein gleich dem Mond in der Nacht seiner Vollendung. Als nun der König Tîghmūs vernahm, daß seine Gattin einen hübschen Knaben geboren hatte, freute er sich mächtig und ließ die Gelehrten, die Sterndeuter und die Kalendermacher zu sich entbieten und sprach zu ihnen: »Ich heische von euch, daß ihr das Gestirn dieses Knaben berechnet und ihm das Horoskop 97 stellt und mir ansagt, wie es ihm in seinem Leben ergehen wird.« Da stellten die Gelehrten und die Sterndeuter dem Knaben das Horoskop und fanden es günstig für ihn, doch würde er im Beginn seines Lebens, und zwar in seinem fünfzehnten Lebensjahre, viel Mühsal erleiden; wäre er aber aus derselben mit dem Leben davongekommen, so würde er viel Glück erschauen und ein mächtiger König werden, mächtiger noch als sein Vater, und würde in hohem Glück ein gesegnetes Leben führen bis an den Tod, dem niemand entrinnen könne; und Gott wüßte es besser. Als der König diese Botschaft vernahm, freute er sich mächtig und gab ihm den Namen Dschânschāh, worauf er ihn den Ammen und Wärterinnen übergab und ihn aufs beste großziehen ließ. Als der Knabe sein fünftes Jahr vollendet hatte, lehrte ihn sein Vater das Evangelium lesen und unterwies ihn im Waffenhandwerk und im Stechen und Fechten, bis er im Alter von noch nicht zwölf Jahren zu Roß zur Pürsche und zum Fang ausging, und ein gewaltiger Degen wurde, vollkommen in allen ritterlichen Künsten, so daß sein Vater sich mächtig freute, wenn er wieder einmal von seinen ritterlichen Thaten vernahm. Da begab es sich eines Tages, daß der König Tîghmūs seinen Mannen befahl zur Pürschfahrt auszureiten, und der König Tîghmūs und sein Sohn Dschânschāh ritten inmitten ihres Gefolges hinaus, bis sie in die Steppen und Wüsten gelangten. Nachdem sie hier bis zum Nachmittag des dritten Tages gejagt hatten, traf es sich, daß Dschânschāh eine Gazelle von wunderbarer Farbe aufpürschte; als er dieselbe gewahrte und sah, daß sie vor ihm herlief, setzte er ihr im Galopp nach, gefolgt von sieben Mamluken des Königs Tîghmūs auf den besten Rennern, und sie ließen nicht eher in ihrer Verfolgung ab, bis sie ans Meer gelangten, wo sich alle auf die Gazelle stürzten, um sie einzufangen; die Gazelle entkam ihnen jedoch, indem sie sich ins Meer stürzte – 98

Fünfhundertunderste Nacht.

und auf ein nah am Strande befestigtes Fischerboot sprang. Da stiegen Dschânschāh und die Mamluken von ihren Pferden, sprangen ihr nach ins Boot und fingen sie; als sie aber wieder aufs Land zurückkehren wollten, erblickte Dschânschāh mit einem Male eine große Insel und sagte zu den Mamluken: »Wir wollen zu jener Insel hinüberfahren.« Die Mamluken erwiderten: »Wir hören und gehorchen,« und steuerten auf die Insel zu, bis sie ihren Strand erreicht hatten; nachdem sie hier ans Land gestiegen und auf der Insel umherspaziert waren, stiegen sie wieder ins Boot und steuerten, während die Gazelle bei ihnen war, zurück nach dem Strand, von welchem sie gekommen waren. Da der Abend jedoch über sie hereinbrach, wichen sie vom Wege ab, und außerdem blies ihnen der Wind entgegen und trieb das Fahrzeug mitten hinaus in die See, so daß sie sich, als sie am andern Morgen aus dem Schlaf erwachten, auf hoher See befanden und nicht wußten, wohin sie sich wenden sollten; doch fuhren sie weiter übers Meer.

Soviel was Dschânschāh und die Mamluken anlangt; inzwischen hatte der König Tîghmūs, als er seinen Sohn vermißte und nirgends sah, seinem Gefolge befohlen truppweise in allen Richtungen nach ihm zu suchen, und die Leute hatten sich sofort aufgemacht und rings umher die Gegend nach dem Prinzen Dschânschāh abgesucht. Hierbei war auch ein Trupp von ihnen ans Meer gekommen und hatte dort den Mamluken gefunden, der bei den Pferden zurückgelassen war; als sie sich bei ihm nach seinem Herrn und den sechs andern Mamluken erkundigten, hatten sie von ihm das Geschehene vernommen, worauf sie mit dem Mamluken und den Pferden zum König Tîghmūs zurückkehrten und ihn hiervon benachrichtigten. Wie nun der König Tîghmūs diese Unheilsbotschaft vernahm, weinte er laut, warf die Krone von seinem Haupt und biß die Hände vor Reue; alsdann 99 stand er unverzüglich auf, schrieb einen Brief und schickte ihn zu allen im Meere gelegenen Inseln; außerdem brachte er hundert Schiffe zusammen, bemannte sie mit Truppen und befahl ihnen das Meer nach seinem Sohne Dschânschāh weit und breit abzusuchen, worauf er sich mit den übrigen Mannen und Truppen in seine Stadt zurückzog und sich tiefem Kummer überließ; und Dschânschāhs Mutter schlug sich, als ihr die Kunde hiervon überbracht wurde, vors Gesicht und betrauerte ihn wie einen Verstorbenen.

Was nun Dschânschāh und die Mamluken anlangt, so irrten sie weiter auf dem Meere umher, während die Mannschaften, die nach ihm ausgeschickt waren, zehn Tage lang auf der Suche nach ihm die See durchkreuzten, worauf sie, ohne ihn gefunden zu haben, zum König zurückkehrten und ihm Bericht erstatteten. Nach diesen zehn Tagen aber ward das Schiff von einem Sturmwind an eine andere Insel geworfen, und Dschânschāh und seine sechs Mamluken stiegen ans Land und wanderten ins Innere der Insel, bis sie zu einer sprudelnden Quelle mitten auf der Insel gelangten, neben der sie von fern einen Mann sitzen sahen. Auf ihn zuschreitend, begrüßten sie ihn, worauf er ihnen den Salâm in einer Sprache, die wie das Pfeifen der Vögel klang, erwiderte. Während sich aber Dschânschāh und die Mamluken noch über die Sprache dieses Mannes verwunderten, wendete er sich nach rechts und links, und mit einem Male teilte er sich mitten auseinander, worauf seine Hälften nach rechts und links fortgingen. Gleich darauf kamen von den Bergen allerlei Menschen in zahlloser Menge herbei, die sich alle bei der Quelle in zwei Hälften teilten und auf Dschânschāh und seine Mamluken stürzten, um sie aufzufressen. Als Dschânschāh ihre Absicht merkte, floh er mit den Mamluken, doch packten sie drei derselben und fraßen sie auf, während Dschânschāh mit den andern drei Mamluken das Schiff glücklich erreichte. Schnell stießen sie vom Strand ab und steuerten Nacht und Tag mitten ins Meer hinein, ohne daß sie wußten, 100 wohin das Schiff sie trug. Um ihren Hunger zu stillen, schlachteten sie die Gazelle und lebten von ihrem Fleisch, bis die Winde sie an eine dritte Insel warfen, auf welcher sie Bäume, Bäche, Früchte und Gärten mit allerlei Obst erspähten; und die Bäche strömten unter jenen Bäumen, und die Insel glich dem Paradiese. Als Dschânschāh diese Insel erblickte, gefiel sie ihm, und er sagte zu den Mamluken: »Wer von euch will auf die Insel gehen und sie für uns verkundschaften?« Einer der Mamluken versetzte: »Ich will es thun;« doch nun sagte Dschânschāh: »Das darf nicht sein; ihr müßt alle drei auf die Insel gehen und sie verkundschaften, während ich bis zu eurer Rückkehr im Boot bleibe und es hüte.« Hierauf setzte er sie ans Land und die Mamluken stiegen an den Strand der Insel –

Fünfhundertundzweite Nacht.

und wanderten auf ihr umher, gen Osten und Westen, ohne jemand auf ihr zu finden. Hierauf schritten sie in das Innere der Insel, bis sie zu einer Burg aus weißem Marmor gelangten, deren Bauten aus klarem Krystall bestanden, und in deren Mitte sich ein Garten mit allerlei trockenen und frischen Früchten und duftigen Blumen befand, wie es sich nicht beschreiben läßt. Die Vögel sangen lustig im Gezweig der Bäume, und mitten im Garten befand sich ein großer Teich, neben welchem eine prächtige Halle ragte, in welcher rings von Stühlen umgeben ein Thron aus rotem, mit allerlei Juwelen und Hyazinthen besetztem Gold stand. Als die Mamluken diese schöne Burg mit dem Garten darinnen erblickten, durchwanderten sie die Burg nach rechts und links, ohne jemand zu finden; alsdann verließen sie wieder die Burg und kehrten zu Dschânschāh zurück, dem sie von dem Geschauten Bericht erstatteten. Als der Prinz Dschânschāh ihre Botschaft vernahm, sagte er zu ihnen: »Ich muß mir diese Burg ebenfalls ansehen.« Hierauf stieg er aus dem Boot, und die Mamluken geleiteten ihn zur Burg, die er voll 101 Verwunderung über ihre Schönheit betrat. Hernach durchwanderte er auch den Garten mit ihnen, wobei sie von den Früchten aßen, und nahm ihn bis zum Anbruch des Abends in Augenschein, worauf er sich in die Halle auf den Thron inmitten der Stühle setzte und des Thrones seines Vaters, seiner Heimat, seiner Angehörigen und Verwandten gedachte und über die Trennung von ihnen weinte, während die drei Mamluken rings um ihn ebenfalls weinten. Mit einem Male erhob sich vom Meere her ein gewaltiges Geschrei, und als sie sich nach der Richtung desselben umwendeten, siehe, da waren es Affen so zahlreich wie ein Heuschreckenschwarm. Jenes Schloß und jene Insel gehörten nämlich den Affen, und diese hatten, sobald sie das Boot, in welchem Dschânschāh angekommen war, am Strande erblickt hatten, versenkt und kamen nun zu ihm, als er gerade auf dem Thron in der Burg saß.« –

Hier brach die Schlangenkönigin ihre Erzählung ab und sagte zu Hâsib: »Alles dies erzählte der Jüngling, der zwischen den beiden Gräbern saß, Bulûkijā.« Da fragte Hâsib: »Was that Dschânschāh hernach mit den Affen?« Und nun fuhr die Schlangenkönigin weiter fort: »Als die Affen zu Dschânschāh kamen, während er auf dem Thron saß und die Mamluken auf den Stühlen ihm zur Rechten und Linken, da erschraken sie gewaltig und fürchteten sich; ein Trupp Affen trat jedoch ein und küßte, nachdem er nahe an den Thron herangeschritten war, die Erde vor Dschânschāh, worauf alle die Hände auf die Brust legten und sich dienend vor ihn stellten. Nach einer Weile brachte ein neuer Trupp Affen Gazellen zum Schloß und schlachtete und häutete sie ab, worauf sie das Fleisch zerhackten und brieten, bis es gar geworden war; dann legten sie es auf goldene und silberne Platten, trugen den Tisch auf und forderten Dschânschāh und seine Begleiter durch Zeichen zum Essen auf. Da stieg Dschânschāh den Thron hinunter und aß, und die Affen und Mamluken speisten mit ihm, bis sie sich satt gegessen hatten; 102 alsdann deckten die Affen ab und brachten Obst, von dem sie gleichfalls aßen. Nachdem sie nun nach dem Mahl Gott, den Erhabenen, gelobt hatten, winkte Dschânschāh den Großen unter den Affen und fragte sie durch Zeichen: »Was seid ihr, und wem gehört dieser Ort?« Und die Affen erwiderten ihm gleichfalls durch Zeichen: »Wisse, dieser Ort gehörte unserm Herrn Salomo, dem Sohne Davids, – Frieden auf beide! – zu dem er alljährlich einmal zur Erholung zu kommen pflegte.«

Fünfhundertunddritte Nacht.

Alsdann sagten sie zu ihm: »Wisse, o König, du bist jetzt unser Sultan, und wir sind deine Diener; iß, trink', und alles, was du befiehlst, werden wir thun.« Mit diesen Worten erhoben sich die Affen und küßten die Erde vor ihm, worauf ein jeder von ihnen seines Weges ging. Die Nacht über schlief Dschânschāh auf dem Thron und die Mamluken um ihn auf den Stühlen; am nächsten Morgen aber traten die vier Wesire oder Häuptlinge der Affen mit ihren Truppen bei ihm ein und ordneten sich in Reihen, eine nach der andern, so daß der ganze Raum von ihnen erfüllt wurde; alsdann traten die Wesire herzu und gaben Dschânschāh ein Zeichen unter ihnen Recht zu sprechen, und als er dies gethan hatte, schrieen sie einander zu und gingen fort mit Ausnahme einer kleinen Anzahl, die zur Bedienung des Königs zurückblieb. Nach einiger Zeit kamen die Affen mit riesigen Hunden wieder, die so groß wie Pferde waren und um den Hals eiserne Ketten trugen. Während sich noch Dschânschāh über diese Hunde und ihre gewaltige Größe verwunderte, gaben die Wesire der Affen Dschânschāh ein Zeichen aufzusitzen und mit ihnen auszureiten. Infolgedessen saß er nebst seinen Mamluken auf, und die Truppen der Affen folgten ihnen wie ein Heuschreckenschwarm, die einen gleichfalls reitend und die andern zu Fuß, und geleiteten ihn zum Meeresstrand, wo sie Halt machten. Als Dschânschāh sah, daß sein 103 Boot versenkt war, wendete er sich zu seinen Wesiren und fragte sie: »Wo ist das Boot, das hier war?« Da erwiderten ihm die Affen: »Wisse, o König, als ihr zu unserer Insel kamt, da wußten wir, daß du Sultan über uns werden würdest, und versenkten es, da wir fürchteten, ihr würdet vor uns auf dein Boot flüchten, wenn wir zu euch kämen.« Als Dschânschāh diese Worte vernahm, wendete er sich zu den Mamluken und sagte zu ihnen: »Uns ist kein Mittel übrig geblieben diesen Affen zu entkommen, und wir müssen Gottes, des Erhabenen, Ratschluß abwarten.« Hierauf ritten sie wieder weiter und wendeten sich in das Innere der Insel, bis sie zum Ufer eines Flusses gelangten, auf dessen anderer Seite sich ein hoher Berg erhob, auf welchem Dschânschāh eine Menge Ghûle erblickte. Da wendete er sich zu den Affen um und fragte sie: »Was sind das da für Ghûle?« Und die Affen erwiderten ihm: »Wisse, o König, diese Ghûle sind unsere Feinde, und wir sind zum Kampf wider sie ausgezogen.« Während sich Dschânschāh noch über die Ghûle, die auf Pferden ritten, verwunderte, und über ihre riesigen Leiber und ihr sonderbares Aussehen staunte, da die einen von ihnen Stier- und die andern Kamelsköpfe hatten, gewahrten die Ghûle mit einem Male die Truppen der Affen und stürzten sich an das Ufer des Flusses hinunter, von wo sie Steine so groß wie Keulen gegen die Affen schleuderten. Wie nun Dschânschāh in dem nunmehr entbrennenden Kampfe sah, daß die Ghûle die Affen zu überwältigen drohten, rief er seinen Mamluken und sagte zu ihnen: »Holt die Bögen und Pfeile hervor, wehrt sie ab von uns und schießt sie tot.« Da thaten die Mamluken nach Dschânschāhs Geheiß und erlegten eine Menge von ihnen, so daß die Ghûle in schwerer Kümmernis den Rücken wandten und flohen, worauf die Affen, geführt von Dschânschāh, zum Fluß hinunterstürmten, ihn durchschritten und hinter den Ghûlen drein setzten, bis sie den Blicken unter Zurücklassung einer Menge Erschlagener entschwanden. Hierauf ritt Dschânschāh mit den Affen weiter, 104 bis er zu einem hohen Berg gelangte, auf welchem er eine Marmortafel mit folgender Inschrift fand: O du, der du in dieses Land kommst, wisse, du wirst der Sultan dieser Affen werden und wirst ihnen nicht entkommen, es sei denn auf den Pässen, die im Osten und Westen über das Gebirge führen. Der östliche Paß ist drei Monatsreisen lang und führt dich durch wilde Thiere, Ghûle, Ifrîte und Mâride, bis du zu dem Meere gelangst, das die Welt umgiebt. Der westliche Paß hingegen ist vier Monate lang und führt dich ins Ameisenthal; bist du in dieses Thal gelangt, so hüte dich vor den Ameisen, bis du nach zehn Tagen zu einem hohen Berge, der wie Feuer brennt, kommst.

Fünfhundertundvierte Nacht.

Von dort wirst du zu einem großen Strom gelangen, der so schnell dahinschießt, daß er die Augen blendet; jeden Sabbath trocknet dieser Strom aus, und auf seinem andern Ufer liegt eine Stadt, deren Bewohner alle Juden sind, die den Glauben Mohammeds ableugnen; kein einziger Moslem lebt unter ihnen, und im ganzen Lande giebt's weiter keine Stadt; und so lange du bei den Affen bleibst, werden sie über die Ghûle siegen, und, wisse, der, welcher diese Tafel beschrieben hat, ist der Herr Salomo, der Sohn Davids, – Frieden auf beide! – Als Dschânschāh die Inschrift der Tafel gelesen hatte, weinte er bitterlich und teilte den Mamluken mit, was er gelesen hatte. Alsdann setzte er sich wieder auf und kehrte in die Burg zurück, rings von den Affen umgeben, die sich des Sieges über ihre Feinde freuten. Ein und ein halbes Jahr lang blieb nun Dschânschāh in der Burg als Sultan der Affen, als er eines Tages seinen Truppen befahl aufzusitzen und mit ihm zur Jagd auszureiten. Da saßen sie auf, und Dschânschāh ritt mit seinen Mamluken, umgeben von den Affen, durch die Steppen und Wüsten von Ort zu Ort, bis er zum Ameisenthal gelangte, welches er an der Beschreibung, die er auf der marmornen 105 Tafel gelesen hatte, erkannte. Sobald er dessen gewiß war, befahl er ihnen an diesem Ort abzusteigen und Rast zu machen, worauf die Mamluken und die Affen abstiegen und zehn Tage lang schmausten und zechten. Nach Verlauf dieser Zeit nahm Dschânschāh eines Nachts seine Mamluken beiseite und sagte zu ihnen: »Wir wollen fliehen und unsern Weg durchs Ameisenthal zur Stadt der Juden nehmen; vielleicht läßt uns Gott diesen Affen entfliehen, daß wir unsers Weges ziehen können.« Und die Mamluken antworteten ihm: »Wir hören und gehorchen.« Alsdann wartete er bis ein Weniges von der Nacht verstrichen war, worauf er sich mit den Mamluken aufmachte und flüchtete, nachdem sie die Rüstungen angelegt und Schwert, Dolch und dergleichen Waffen umgegürtet hatten. Wie nun aber am Morgen die Affen aus dem Schlaf erwachten und Dschânschāh nebst seinen Mamluken nicht fanden, erkannten sie, daß er geflohen war, und setzten ihm in zwei Trupps nach, indem der eine Trupp die Richtung nach dem östlichen Paß, der andere nach dem Ameisenthal einschlug. Mit einem Male erblickten die letzteren Dschânschāh und seine Mamluken, als dieselben gerade am Ameisenthal angelangt waren; da sprengten sie ihnen nach, während Dschânschāh und die Mamluken sich bei ihrem Anblick ins Ameisenthal flüchteten, und nicht lange währte es, da hatten die Affen sie erreicht und stürzten sich auf sie, um sie niederzuhauen, als mit einem Male die Ameisen wie ein Heuschreckenschwarm aus der Erde hervorgelaufen kamen, von denen jede die Größe eines Hundes hatte, sich auf die Affen stürzten und eine Menge von ihnen auffraßen. Zwar fiel auch eine große Anzahl von den Ameisen, doch blieb ihnen der Sieg, und zehn Affen konnten kaum eine Ameise überwältigen, indem sie sich auf sie warfen und sie fortzogen und zerrissen, während eine Ameise einen Affen mit einem Schlag zerhieb. Nachdem der Kampf zwischen ihnen erbittert bis zum Abend getobt hatte, floh Dschânschāh mit den Mamluken während der ganzen Nacht die Thalsohle entlang. 106

Fünfhundertundfünfte Nacht.

Am nächsten Morgen sah er jedoch, daß ihm die Affen wieder hart auf den Fersen waren, und rief infolgedessen seinen Mamluken zu: »Haut sie mit euern Schwertern nieder.« Da zogen die Mamluken ihre Schwerter und begannen unter den Affen nach rechts und links Hiebe auszuteilen, als mit einem Male ein Ungetüm von Affe, der Stößer wie ein Elefant hatte, einen der Mamluken ansprang und ihn mit einem Streich mitten auseinander hieb. Als die andern Affen dies gewahrten, scharten sie sich um so dichter wider Dschânschāh, so daß er ganz tief hinunter in die Thalsohle floh, wo er einen großen Haufen Ameisen am Ufer eines breiten Flusses erblickte. Sobald die Ameisen Dschânschāh gewahrten und sahen, daß er auf sie zugelaufen kam, umringten sie ihn von allen Seiten, während einer der beiden noch übrig gebliebenen Mamluken eine der Ameisen mit einem Schwertstreich zerspaltete. Da fiel der ganze Ameisenhaufen über ihn her und machte ihn nieder, und mit einem Male stürzten auch wieder die Affen von den Bergen über Dschânschāh her. Als Dschânschāh die Affen sah, riß er schnell seine Sachen ab und stürzte sich, gefolgt von seinem letzten Mamluken, in den Strom und schwamm mitten in denselben hinein; während der Mamluk jedoch von der Strömung fortgerissen und an den Felsen kurz und klein geschlagen wurde, reckte Dschânschāh seine Hand zu einem Baum aus, den er am andern Ufer gewahrte, und zog sich an einem Zweig desselben ans Ufer. Hier stand er nun, allein von allen übrig geblieben, weinend da und preßte seine Sachen aus, worauf er sie in der Sonne zum Trocknen ausbreitete, während zwischen den Affen und Ameisen ein hitziger Kampf entbrannte, bis die Affen in ihr Land zurückkehrten. Als es Abend geworden war, suchte Dschânschāh in großer Furcht und Betrübnis wegen des Verlustes seiner Gefährten eine Höhle auf und verbrachte in derselben die Nacht, worauf 107 er sich am nächsten Morgen aufmachte und Nächte und Tage lang weiter wanderte, seinen Hunger allein mit dem Gras des Feldes stillend, bis er zu dem Berg, der wie Feuer brannte, gelangte und von hier, auf den Bergpfaden weiter wandernd, schließlich den Strom erreichte, der an jedem Sabbath austrocknete. Als er an seinem Ufer stand, sah er, daß er sehr breit war, und gewahrte auf der andern Seite eine große Stadt, welches die Stadt der Juden war, von der er auf der marmornen Tafel gelesen hatte. Hier wartete er nun, bis der Sabbath kam und der Fluß ausgetrocknet war, worauf er sein Bett durchschritt und die Stadt der Juden betrat. Da er jedoch niemand auf den Straßen antraf, öffnete er eine Hausthür und trat ins Haus, dessen Bewohner alle schweigend, ohne einen Laut von sich zu geben, dasaßen; da sagte er zu ihnen: »Ich bin ein Fremdling und habe Hunger;« und nun gaben sie ihm durch ein Zeichen zu verstehen: »Iß und trink', sprich aber nicht.« Und so setzte er sich zu ihnen und aß und trank und schlief die Nacht über. Am nächsten Morgen begrüßte ihn der Hausherr und fragte ihn, nachdem er ihn willkommen geheißen hatte: »Woher kommst du und wohin gehst du?« Bei diesen Worten des Juden brach Dschânschāh in bitterliches Weinen aus und erzählte ihm seine Geschichte und nannte ihm die Stadt seines Vaters, worauf der Jude verwundert versetzte: »Wir haben niemals von einer Stadt dieses Namens gehört und vernahmen nur von den Karawanen der Kaufleute, daß dort ein Land, das Land El-Jemen geheißen, liegt.« Da fragte Dschânschāh: »Wie weit liegt dieses Land von diesem Ort?« Und der Jude erwiderte: »Die Kaufleute jener Karawanen behaupten, daß die Reise von ihrem Land bis hierher zwei Jahre und drei Monate währt.« Nun fragte Dschânschāh: »Wann kommt die Karawane?« »Im folgenden Jahre,« versetzte der Jude. 108

Fünfhundertundsechste Nacht.

Als Dschânschāh diesen Bescheid vom Juden vernahm, weinte er bitterlich und trauerte über sich selber und seine Mamluken, über die Trennung von Vater und Mutter und über alles Leid, das ihm auf seinen Fahrten zugestoßen war, so daß der Jude ihn zu trösten suchte und zu ihm sagte: »Weine nicht, junger Mann, und bleibe bei uns, bis die Karawane gekommen ist; wir wollen dich dann mit ihr heimsenden.« So blieb nun Dschânschāh bei dem Juden zwei Monate lang, indem er alle Tage ausging und durch die Straßen der Stadt spazierte, bis es sich eines Tages traf, daß er wieder einmal wie gewöhnlich ausging und nach rechts und links durch die Hauptstraßen der Stadt streifte, als er mit einem Male einen Mann laut ausrufen hörte: »Wer will tausend Dinare und eine Sklavin von wunderbarer Schönheit und Anmut als Lohn für einen Dienst empfangen, den er mir von der Morgenfrühe bis zur Mittagszeit zu leisten hat?« Als Dschânschāh den Mann dies ausrufen hörte und niemand sah, der ihm Antwort gab, sprach er bei sich: »Wäre dies nicht ein gefährlicher Dienst, so würde er nicht tausend Dinare und ein hübsches Mädchen für eine Arbeit vom Morgen bis zur Mittagszeit bieten.« Hierauf ging er auf den Ausrufer zu und sagte zu ihm: »Ich will diesen Dienst verrichten.« Als der Ausrufer dies von Dschânschāh vernahm, nahm er ihn und führte ihn in ein hohes und großes Haus, in dem ein jüdischer Kaufmann auf einem Stuhl aus Ebenholz saß; vor denselben hintretend, sagte er: »O Kaufmann, drei Monate lang rufe ich nun in der Stadt aus, und niemand außer diesem Jüngling hat sich gemeldet.« Der Jude hieß Dschânschāh willkommen und führte ihn, indem er ihn bei der Hand nahm, in ein prachtvolles Zimmer, worauf er seinen Dienern ein Zeichen gab das Essen zu bringen; und so deckten die Diener den Tisch und trugen allerlei Gerichte auf, und der Kaufmann und Dschânschāh 109 aßen und wuschen sich nach der Mahlzeit die Hände, worauf die Diener den Wein brachten und sie tranken. Nach dem Trinken stand nun der Kaufmann auf und brachte ihm einen Beutel mit tausend Dinaren und ein allerliebstes Mädchen und sagte zu ihm: »Nimm dieses Mädchen und dies Geld für den mir zu leistenden Dienst.« Da nahm Dschânschāh das Mädchen und das Geld und ließ das Mädchen an seiner Seite sitzen, während der Kaufmann zu ihm sagte: »Morgen geht's an die Arbeit.« Mit diesen Worten verließ ihn der Kaufmann. Nachdem nun Dschânschāh die Nacht über mit dem Mädchen geruht hatte, erhob er sich am nächsten Morgen und begab sich ins Bad, und der Kaufmann befahl seinen Dienern ihm einen kostbaren seidenen Anzug zu bringen. Als Dschânschāh aus dem Bad kam, empfingen ihn die Diener vor der Thür, kleideten ihn in den Anzug und geleiteten ihn in das Haus des Kaufmanns, der ihnen befahl, Laute, Harfe und Wein zu bringen. Als sie ihnen alles gebracht hatten, tranken sie und spielten und lachten bis zur Mitternachtsstunde, worauf der Kaufmann in seinen Harem ging, während Dschânschāh mit seinem Mädchen bis zum Morgen schlief. Als er am andern Morgen aus dem Bad zurückgekehrt war, kam der Kaufmann zu ihm und sagte: »Ich wünsche, daß du mir nun den Dienst verrichtest;« und Dschânschāh erwiderte: »Ich höre und gehorche.« Hierauf befahl der Kaufmann seinen Dienern zwei Maultiere vorzuführen, und als sie dieselben gebracht hatten, setzte er sich auf eins derselben, während er Dschânschāh befahl das andere zu besteigen. Alsdann ritten beide vom Morgen bis zur Mittagszeit, bis sie zu einem unendlich hohen Berg gelangten, wo der Kaufmann vom Rücken seines Maultiers abstieg und Dschânschāh das gleiche zu thun befahl. Als Dschânschāh dies gethan hatte, reichte ihm der Kaufmann ein Messer und einen Strick und sagte zu ihm: »Schlachte dieses Maultier.« Da schürzte Dschânschāh seine Kleider und trat an das Maultier heran, worauf er den Strick um seine vier Füße legte 110 und es zu Boden warf; alsdann nahm er das Messer, schlachtete und häutete es und schnitt ihm Kopf und Füße ab, so daß es ein Haufen Fleisch wurde. Nun sagte der Kaufmann zu ihm: »Schneide ihm den Bauch auf und krieche hinein; ich will den Bauch hinter dir wieder zunähen, daß du eine Weile drinnen sitzest und mir hernach sagst, was du in dem Bauche gesehen hast.« Da schnitt Dschânschāh den Leib des Maultiers auf und kroch hinein, worauf der Kaufmann den Leib wieder zunähte und sich in einiger Entfernung am Fuß des Berges verbarg.

Fünfhundertundsiebente Nacht.

Nach einer Weile schoß ein gewaltiger Vogel auf das Maultier herab und packte es, worauf er mit ihm zum Gipfel des Berges fortflog. Hier angelangt, ließ er den Raub los und machte sich daran das Fleisch zu verzehren, aber als Dschânschāh den Vogel verspürte und infolgedessen den Leib des Maultiers aufschnitt, kam er heraus. Sobald der Vogel seiner gewahr wurde, flog er erschrocken fort, während Dschânschāh sich auf seine Füße erhob und nach rechts und links ausschaute, ohne etwas anderes als von der Sonne gedörrtes Menschengebein wahrzunehmen, so daß er bei sich sprach: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen.« Nach einiger Zeit blickte er zum Fuß des Berges hinunter und sah dort den Kaufmann stehen und zu ihm heraufschauen; als der Kaufmann ihn gewahrte, rief er ihm zu: »Wirf mir von den Steinen zu, die rings um dir liegen, daß ich dir einen Weg zeige, auf dem du herabkommen kannst.« Da warf ihm Dschânschāh gegen zweihundert Steine hinunter, die alles Hyazinthen, Chrysolithe und andere Edelsteine waren, und rief dem Kaufmann zu: »Zeig' mir den Weg, und ich will dir noch einmal soviel Steine hinunterwerfen.« Der Jude sammelte jedoch die Steine, lud sie auf sein Maultier und ritt fort, ohne ihm zu antworten, so daß Dschânschāh allein auf 111 dem Berge zurückblieb. Drei Tage lang verweilte er hier weinend und um Hilfe rufend; nach Verlauf derselben aber machte er sich auf und wanderte zwei Monate lang durch das Gebirgsgelände, sich von den Berggräsern nährend, bis er endlich den Rand des Gebirges erreichte und von fern am Fuße desselben ein Wadi mit Bäumen und Früchten und Vögeln, die Gott, den Einigen, den Allbezwinger priesen, erblickte. Als Dschânschāh das Wadi gewahrte, freute er sich mächtig und wanderte auf dasselbe los, bis er nach einer Stunde zu einer Schlucht gelangte, in welcher ein Gießbach niederstürzte. Da setzte er in der Schlucht seinen Abstieg weiter fort, bis er endlich in das Wadi, das er oben vom Gebirge aus gesehen hatte, gelangte. Hier wanderte er nun weiter und ergötzte sich an ihm, fortwährend nach rechts und links ausschauend, bis er zu einem hoch in die Luft ragenden Schloß gelangte, in dessen Thür er einen Scheich von hübschem Äußern erblickte, dessen Antlitz hell schimmerte, und der in seiner Hand einen hyazinthenen Stock hielt. Dschânschāh trat an ihn heran und begrüßte ihn, worauf der Scheich ihm den Salâm erwiderte und ihn mit den Worten »Setz' dich, mein Sohn« willkommen hieß. Da setzte sich Dschânschāh an das Schloßthor, und nun fragte ihn der Scheich und sprach zu ihm: »Wie kamst du zu diesem Land, das zuvor kein Sohn Adams betrat, und wohin führt dich dein Weg?« Als Dschânschāh die Worte des Scheichs vernahm, weinte er so bitterlich über all das Leid, das ihm widerfahren war, daß er vor Schluchzen nicht zu sprechen vermochte; und der Scheich sagte zu ihm: »Mein Sohn, laß das Weinen, du thust damit meinem Herzen weh.« Hierauf erhob er sich, holte ihm etwas zu essen und setzte es ihm mit den Worten »Iß hiervon« vor. Da aß Dschânschāh sich satt und lobte Gott, den Erhabenen, worauf der Scheich zu ihm sagte: »Mein Sohn, erzähl' mir doch deine Geschichte und laß mich deine Erlebnisse hören.« Nun erzählte er ihm seine Geschichte und trug ihm alle seine Abenteuer von 112 Anfang bis zu Ende vor, und der Scheich verwunderte sich höchlichst über seine Worte; alsdann aber fragte Dschânschāh den Scheich: »Sag' mir doch, wer der Herr dieses Wadis ist, und wem dieses große Schloß gehört.« Und der Scheich erwiderte ihm: »Wisse, mein Sohn, dieses Wadi und alles, was darinnen ist, und das Schloß mit allem, was es in sich birgt, gehört dem Herrn Salomo, dem Sohne Davids, – Frieden auf beide! – und ich bin der Scheich Nasr geheißen, der König der Vögel, und bin vom Herrn Salomo zum Aufseher über dieses Schloß eingesetzt.

Fünfhundertundachte Nacht.

Unser Herr Salomo lehrte mich nämlich die Sprache der Vögel und machte mich zum Herrscher über alle Vögel der Welt; alljährlich kommen sie zu diesem Schloß und werden von mir gemustert, worauf sie wieder fortfliegen; und das ist der Grund, weshalb ich an diesem Orte hause.« Als Dschânschāh diese Worte von dem Scheich vernahm, weinte er bitterlich und fragte ihn: »O mein Vater, wie werde ich von hier in mein Land gelangen?« Der Scheich erwiderte ihm: »Wisse, mein Sohn, du bist nahe bei dem Berge Kâf und kannst nicht eher von hier fort als bis die Vögel kommen; dann will ich dich einem derselben übergeben, und er wird dich in dein Land tragen. Bis dahin aber bleibe bei mir im Schloß, iß und trink und besieh' dir die Zimmer im Palast.«

So blieb nun Dschânschāh bei dem Scheich, indem er das Wadi durchstreifte und von seinen Früchten aß und fröhlich und vergnügt das herrlichste Leben führte, bis nach geraumer Zeit die Stunde kam, zu welcher die Vögel den Scheich besuchten, und dieser, sich erhebend, zu Dschânschāh sagte: »Dschânschāh, nimm diese Schlüssel, öffne mit ihnen die Zimmer des Schlosses und besieh sie dir, doch hüte dich, das und das Zimmer zu öffnen, da es dir schlecht ergehen würde, wenn du ungehorsam wärest und es öffnetest und hinein 113 gingest.« Nachdem er ihm diese Wohnung noch einmal dringend eingeschärft hatte, verließ er ihn und ging den Vögeln entgegen, welche Gattung nach Gattung herbeikamen und dem Scheich Nasr die Hände küßten. Während sich dieses nun mit dem Scheich Nasr zutrug, erhob sich Dschânschāh und wanderte nach rechts und links durchs Schloß, indem er ein Zimmer nach dem andern öffnete und sich dasselbe besah, bis er schließlich zu dem Zimmer gelangte, vor dessen Öffnung ihm der Scheich Nasr gewarnt hatte. Er sah sich die Thür an, und sie gefiel ihm; und wie er nun auch ein goldenes Schloß vor der Thür sah, sprach er bei sich: »Dieses Zimmer ist sicherlich hübscher als alle andern im Schloß; was nur darin sein mag, daß mir der Scheich Nasr verboten hat, hineinzugehen? Ich muß unbedingt hineingehen und sehen was darin ist, denn was dem Menschen einmal verhängt ist, das muß er auch erfüllen.« Hierauf öffnete er das Zimmer und gewahrte, wie er dasselbe betreten hatte, einen großen Teich, neben welchem ein kleiner Pavillon stand, der aus Gold, Silber und Krystall erbaut war; seine Fenster bestanden aus Hyazinth, und der Boden war mit grünen Chrysolithen, Ballasrubinen, Smaragden und anderen Juwelen mosaikartig ausgelegt, während sich mitten in jenem Pavillon ein goldner Springbrunnen befand, welcher von goldenen und silbernen wasserspeienden Tieren und Vögeln umgeben war; und, so der Wind in ihre Ohren säuselte, flöteten alle die Vögel in ihren Weisen. Neben jenem Springbrunnen befand sich ein hoher Līwân, auf welchem ein großer hyazinthener, mit Perlen und Edelsteinen besetzter Thron stand, über den ein Zelt aus grüner Seide ausgespannt war, das fünfzig Ellen in der Breite maß und mit Edelsteinen und kostbaren Erzen bestickt und verziert war. Innerhalb dieses Zeltes befand sich ein Gemach, in welchem der Teppich des Herrn Salomo – Frieden sei auf ihn! – lag; und rings um den Pavillon gewahrte Dschânschāh einen großen Garten mit Bäumen, 114 Früchten und Bächen, während nahe bei ihm Beete mit Rosen, Basilien, Eglantinen und allerlei duftigen Blumen prangten, und die Zweige der Bäume nickten beladen mit trocknem und frischem Obst im Säuseln des Windes gefällig auf und nieder, und alles dies befand sich in jenem Raum. Wie nun Dschânschāh alles dies gewahrte, verwunderte er sich über die Maßen und machte sich daran alle die Wunderdinge und Merkwürdigkeiten, die in dem Garten und dem Pavillon zu sehen waren, in Augenschein zu nehmen. Zuerst schaute er das Wasserbecken an und fand, daß der Boden anstatt mit Kies mit kostbaren Steinen, Juwelen und Erzen bedeckt war; dann sah er sich in dem Zimmer um und fand viele andere wunderbare Dinge, –

Fünfhundertundneunte Nacht.

bis er schließlich in den Pavillon trat und zum Thron hinaufstieg, der auf dem Līwân neben dem Springbrunnen stand; alsdann trat er unter das Zelt, das über den Thron ausgespannt war, und legte sich in demselben zur Ruhe nieder. Nachdem er längere Zeit geschlafen hatte, erhob er sich wieder und setzte sich, voll Verwunderung über diesen schönen Ort, auf einen Stuhl vor der Thür des Pavillons. Während er hier nun so dasaß, schossen mit einem Male drei große Vögel, die wie Tauben aussahen, aus der Luft nieder und setzten sich an den Wasserteich, wo sie eine Weile spielten; dann streiften sie ihr Gefieder ab und wurden zu drei Mädchen, schön wie Monde, wie es ihresgleichen nicht in der Welt gab. Die Mädchen stiegen nun in das Becken und schwammen lachend und spielend in ihm umher, während Dschânschāh ihnen zuschaute und sich über ihre Schönheit und Anmut und das Ebenmaß ihres Wuchses verwunderte. Nach einiger Zeit stiegen sie wieder aus dem Wasser heraus und lustwandelten im Garten; Dschânschāh, der fast den Verstand verlor, als er sie aus dem Wasser steigen sah, erhob sich auf seine Füße, und folgte ihnen, bis 115 er nahe an sie heran gekommen war; alsdann begrüßte er sie und fragte sie, als sie ihm den Salâm erwidert hatten: »Wer seid ihr, ihr herrlichen Herrinnen, und von wannen kommt ihr?« Die Jüngste von ihnen erwiderte ihm: »Wir kommen aus Gottes Himmelreich, um uns an dieser Stätte zu erholen.« Verwundert über ihre Schönheit, sagte er nun zur Jüngsten: »Habe Mitleid mit mir, neige dich huldreich zu mir und erbarme dich meines Zustandes und all der Leiden, die mich in meinem Leben betroffen haben.« Sie aber entgegnete ihm: »Laß diese Worte und geh' deines Weges.« Als Dschânschāh diesen Bescheid von ihr vernahm, weinte und seufzte er bitterlich und sprach die Verse:

»Im Garten erschien sie mir in grünen Gewändern
Mit geöffnetem Busen und niederwallendem Haar.
Da sprach ich zu ihr: »Wie ist dein Name?« Und sie erwiderte mir:
»Ich bin's, die der Liebenden Herzen auf Kohlen röstet.«
Da klagt ich zu ihr die Leiden der Liebe all,
Doch sie sprach: »Einen Felsen klagst du und weißt es nicht.«
»Ist dein Herz – so versetzt ich – ein Felsen auch,
Dem Felsen ließ Gott einen Born entquellen.«

Als die Mädchen diese Verse von Dschânschāh vernahmen, lachten sie und – spielten und sangen und vergnügten sich. Dschânschāh aber brachte ihnen etwas Obst, worauf sie aßen und tranken und die Nacht über mit ihm schliefen. Am nächsten Morgen legten sie jedoch wieder ihre Federkleider an und flogen in der Gestalt von Tauben ihres Weges. Als Dschânschāh sie seinen Augen entschwinden sah, wäre sein Verstand fast mit ihnen fortgeflogen, und mit einem lauten Aufschrei sank er in Ohnmacht und verharrte in derselben den ganzen Tag über. Während er aber besinnungslos auf dem Boden lag, war inzwischen der Scheich Nasr von seiner Zusammenkunft mit den Vögeln zurückgekehrt und hatte nach Dschânschāh gesucht, um ihn mit den Vögeln in seine Heimat zu entsenden; und als er ihn nicht fand, erkannte er, daß er das verbotene Zimmer betreten hatte. Der Scheich Nasr hatte aber zu den Vögeln 116 gesagt: »Siehe, bei mir ist ein junger Mensch, den das Schicksal aus seinen Landen hierher verschlagen hat, und ich wünschte, ihr nehmet ihn und trüget ihn in seine Heimat zurück;« und die Vögel hatten ihm geantwortet: »Wir hören und gehorchen«. Als er ihn nun nirgends gefunden hatte, begab er sich zu der verbotenen Thür und trat, da er sie offen fand, in das Zimmer ein, wo er Dschânschāh unter einem Baum ohnmächtig daliegen sah. Da holte er etwas parfümiertes Wasser und sprengte es ihm ins Gesicht, worauf er wieder zu sich kam.

Fünfhundertundzehnte Nacht.

Sich nach rechts und links umblickend und niemand als den Scheich Nasr bei sich gewahrend, seufzte er tief und schwer und sprach die Verse:

Wie der Vollmond erschien sie in seligster Nacht,
Mit schwellenden Formen und schlanker Gestalt;
Ihrer Augen Zauber raubt Seele und Sinn,
Und rot ist ihr Mund wie ros'ger Rubin.
Ihre schwarzen Locken umwall'n ihr Gesäß,
Vor den Locken, ihr Herzen, nehmt all euch in acht!
Ihres Leibes Linien sind schmiegsam und weich,
Doch hart ist ihr Herz wie der härteste Stein.
Von den Wimpern schnellt sie den Pfeil ihres Blicks,
Der tödlich aus weitester Ferne trifft.
Ihre Schönheit verdunkelt die Schönheit selbst,
Und ihr gleich ist kein Wesen in aller Welt.«

Als der Scheich Nasr diese Verse von Dschânschāh vernahm, sagte er zu ihm: »Mein Sohn, habe ich dir nicht verboten dieses Zimmer zu öffnen und es zu betreten? Nun aber, mein Sohn, sag mir, was du hier gesehen hast, erzähle mir deine Geschichte und laß mich dein Erlebnis hören.« Da erzählte Dschânschāh dem Scheich Nasr, der sitzend zuhörte, seine Geschichte, und teilte ihm sein Abenteuer mit den drei Mädchen mit; und als er seine Erzählung beendet hatte, sagte der Scheich zu ihm: »Wisse mein Sohn, 117 diese Mädchen gehören zu den Töchtern der Dschânn und kommen alljährlich hierher, um sich zu erholen und bis zum Nachmittag zu spielen, worauf sie wieder in ihr Land heimkehren.« Da fragte Dschânschāh: »Und wo ist ihr Land?« Der Scheich Nasr erwiderte ihm: »Bei Gott, mein Sohn, ich weiß nicht, wo ihr Land liegt.« Hierauf setzte er hinzu: »Steh auf und folge mir; stärke dein Herz, daß ich dich mit den Vögeln in deine Heimat schicken kann, und gieb diese Liebe auf.« Bei diesen Worten des Scheichs stieß Dschânschāh einen lauten Schrei aus und sank in Ohnmacht; als er dann wieder zu sich gekommen war, sagte er zu ihm: »O mein Vater, ich will nicht mehr nach Hause, mein einziges Verlangen ist allein mit diesen Mädchen wieder zusammen zu kommen; und wisse, mein Vater, ich will nie mehr von meinen Angehörigen zu dir sprechen, und sollte ich auch vor dir des Todes sterben.« Hierauf weinte er und rief: »Ich bin's zufrieden auch nur einmal im Jahre meiner Geliebten Antlitz zu schauen.« Alsdann seufzte er und sprach die Verse:

»Käme doch mir der Geliebten Traumbild zur Nacht,
Und wäre diese Liebe für die Menschen nimmer erschaffen!
Wenn im Gedanken an euch mein Herz nicht erglühte,
So flösse der Strom meiner Thränen nicht über meine Wangen.
Bei Nacht und Tag such ich mein Herz mit Geduld zu wappnen,
Während mein Leib von den Gluten der Liebe verzehrt wird.«

Nach diesen Worten warf sich Dschânschāh dem Scheich Nasr vor die Füße, küßte sie bitterlich weinend und bat ihn: »Hab Erbarmen mit mir, daß sich Gott auch deiner erbarme, und hilf mir in meinem Leid, daß Gott dir auch helfe.« Da sagte der Scheich Nasr zu ihm: »O mein Sohn, bei Gott, ich kenne diese Mädchen nicht, und weiß nicht, wo ihr Land liegt; doch, mein Sohn, dieweil du dich nun einmal in eins der Mädchen verliebt hast, so bleibe bis zum nächsten Jahr bei mir, da sie sicherlich heute übers Jahr wiederkommen werden. Wenn die Tage ihrer Wiederkehr nahen, so verstecke dich in dem Garten unter einem 118 Baum und nimm das Federkleid jenes Mädchens, das du liebst, sobald sie in den Wasserteich gestiegen sind und im Wasser fern von den Kleidern schwimmen und spielen. Wenn sie dich dann bemerken, werden sie aus dem Wasser steigen, um sich ihre Kleider anzuziehen, und das Mädchen, deren Kleid du genommen hast, wird dich mit süßen Worten und lieblichem Lächeln bitten: »Mein Bruder, gieb mir meine Sachen wieder, daß ich sie anziehen und meine Blöße verhüllen kann.« Würdest du ihren Worten nachgeben und ihr die Sachen einhändigen, so würdest du nimmermehr dein Ziel erreichen, da sie ihr Federkleid anlegen und zu ihrem Volk heimziehen würde, und würdest du sie hernach nimmer wiederschauen. Hast du daher ihr Kleid genommen, so steck es unter deine Achsel und gieb es ihr nicht eher, als bis ich von der Zusammenkunft mit den Vögeln wieder heimgekehrt bin; ich will dann zwischen euch beiden die Sache ins reine bringen und will dich und sie in deine Heimat schicken. Dies, mein Sohn, ist alles, was ich für dich thun kann.«

Fünfhundertundelfte Nacht.

Als Dschânschāh diese Worte vom Scheich Nasr vernahm, gab er sich zufrieden und blieb bis zum nächsten Jahre bei ihm, die Tage bis zur Wiederkehr der Vögel zählend. Als der Zeitpunkt endlich genaht war, suchte der Scheich Nasr Dschânschāh auf und sagte zu ihm: »Thue nun so, wie ich es dir in betreff des Federkleids geraten habe, denn siehe, ich gehe jetzt fort, um mit den Vögeln zusammenzutreffen.« Dschânschāh erwiderte: »Ich höre und gehorche deinem Befehle, mein Vater.« Hierauf ging der Scheich Nasr fort, während sich Dschânschāh erhob und sich in den Garten begab, in dem er sich unter einem Baum, wo ihn niemand sehen konnte, versteckte. Hier saß er nun einen Tag und noch einen und den dritten, ohne daß die Mädchen zu ihm gekommen wären, so daß er schließlich aufgeregt wurde und 119 in der Kümmernis seines Herzens zu weinen und seufzen anhob, bis er in Ohnmacht sank. Als er nach einer Weile wieder zu sich kam und nun mit einem vor Liebe zitternden Herzen bald zum Himmel hinauf, bald zur Erde hinab, bald zum Wasserteich und bald ins freie Feld schaute, kamen mit einem Mal drei Vögel gleich Tauben, jedoch groß wie Adler, aus der Luft herabgeflogen und ließen sich am Wasserteich nieder, wo sie sich nach rechts und links umschauten. Da sie jedoch weder ein menschliches Wesen noch einen der Dschinn gewahrten, streiften sie ihre Kleider ab und stiegen nackend und weiß wie Silberbarren ins Wasser, in dem sie sich lachend und scherzend vergnügten. Mit einem Male sagte die älteste unter ihnen: »Meine Schwestern, ich fürchte, es hat sich jemand um unsertwillen hier im Pavillon versteckt.« Die mittlere erwiderte darauf: »O meine Schwester, seit den Tagen Salomos hat weder ein Mensch noch einer der Dschinn diesen Pavillon betreten;« und die jüngste versetzte lachend: »Bei Gott, meine Schwestern, wenn sich hier jemand versteckt hat, so wird er mich allein fangen.« Hierauf trieben sie wieder lachend weiter Kurzweil, während Dschânschāh aus seinem Versteck unter dem Baum mit vor Sehnsucht zitterndem Herzen ihnen zuschaute, ohne daß sie seiner gewahr wurden. Wie sie aber mitten in den Teich geschwommen waren und sich von ihren Kleidern entfernt hatten, erhob sich Dschânschāh auf seine Füße, stürzte sich schnell wie der blendende Blitz an den Teich und nahm das Kleid der Jüngsten, in welche sich sein Herz verliebt hatte, und deren Namen SchemseSonne. war. Kaum aber hatte er dies gethan, da wendeten sich auch die Mädchen um und sahen ihn, worauf sie erschrockenen Herzens sich vor ihm im Wasser zu verstecken trachteten und nahe ans Land kamen. Als sie aber Dschânschāh ins Gesicht blickten und bemerkten. daß er dem Mond in der Nacht seiner Fülle glich, fragten 120 sie ihn: »Wer bist du, wie bist du an diesen Ort gekommen, und warum hast du die Sachen der Herrin Schemse genommen?« Dschânschāh entgegnete: »Kommt her zu mir, daß ich euch meine Geschichte erzähle.« Nun fragte die Herrin Schemse: »Was ist mit dir los, weshalb hast du meine Sachen genommen, und woher kennst du gerade mich unter meinen Schwestern?« Dschânschāh versetzte: »O mein Augenlicht, komm aus dem Wasser, daß ich dir meine Geschichte erzähle und dir sage, woher ich dich kenne.« Da erwiderte sie: »O mein Herr, mein Augentrost und meines Herzens Frucht, gieb mir meine Sachen wieder, daß ich sie anziehe und meine Blöße mit ihnen bedecke; dann will ich auch zu dir kommen.« Dschânschāh entgegnete ihr jedoch: »O Herrin der Schönen, ich kann dir nimmermehr deine Sachen geben und mich selber töten; ich gebe dir deine Sachen nicht eher, als bis der Scheich Nasr, der König der Vögel, kommt.« Als die Herrin Schemse diese Worte von Dschânschāh vernahm, sagte sie zu ihm: »Wenn du mir meine Sachen nicht geben willst, so zieh dich ein wenig von uns zurück, daß meine Schwestern ans Land gehen, um sich anzukleiden, und mir etwas von ihren Sachen geben, damit ich meine Blöße bedecken kann.« Dschânschāh erwiderte ihr nun: »Ich höre und gehorche,« und ging in den Pavillon, worauf die Herrin Schemse mit ihren Schwestern ans Land stieg. Die Älteste gab ihr dann ein Stück von ihren Sachen, das ihr jedoch das Fliegen nicht ermöglichte; und nachdem sie dasselbe angelegt hatte, schritt sie wie der aufsteigende Vollmond oder die äsende Gazelle auf Dschânschāh zu, der sich auf den Thron gesetzt hatte. Nachdem sie ihn begrüßt und sich neben ihn gesetzt hatte, sagte sie zu ihm: »O Jüngling so hübschen Gesichts, du hast dich und mich ums Leben gebracht; doch sag uns, was dir widerfahren ist, auf daß wir deine Sache erschauen.« Als Dschânschāh die Worte der Herrin Schemse vernahm, weinte er so bitterlich, daß die Thränen seine Kleider näßten. 121 Da merkte sie, daß er von Liebe zu ihr verzehrt war, und aufstehend faßte sie ihn bei der Hand und zog ihn an ihre Seite nieder; dann wischte sie ihm mit ihrem Ärmel die Thränen ab und sagte zu ihm: »O Jüngling so hübschen Gesichts, laß dieses Weinen und erzähl' mir, was sich mit dir zugetragen hat.« Und nun erzählte er ihr alle seine Abenteuer und berichtete ihr alles, was er gesehen hatte.

Fünfhundertundzwölfte Nacht.

Als die Herrin Schemse seine Erzählung vernommen hatte, seufzte sie und sagte zu ihm: »O mein Herr, wenn du mich so heiß liebst, so gieb mir meine Sachen, daß ich sie anziehe und mit meinen Schwestern zu meinen Angehörigen fortfliege und ihnen erzähle, wie du mich so sehr liebst; ich will dann wieder zurückkehren und dich in deine Heimat bringen.« Als Dschânschāh diese Worte von ihr vernahm, weinte er bitterlich und sagte zu ihr: »Ist es dir vor Gott erlaubt mich ungerechter Weise zu morden?« Sie versetzte: »O mein Herr, weshalb sollte ich dies thun?« Er erwiderte: »Weil ich sofort sterbe, wenn du dir dein Federkleid angezogen hast und von mir fortfliegst.« Als die Herrin Schemse seine Worte vernahm, lachte sie, und ihre Schwestern stimmten ein; dann aber sagte sie zu ihm: »Sei guten Mutes und kühlen Auges, ich werde dich ganz gewiß heiraten.« Mit diesen Worten neigte sie sich über ihn, umarmte ihn und küßte ihn, während sie ihn fest an ihre Brust preßte, zwischen die Augen und auf seine Wangen. Nachdem sie sich so wohl eine Stunde lang umschlossen gehalten hatten, ließen sie einander los und setzten sich nebeneinander auf den Thron. Die älteste der Schwestern aber erhob sich nun und holte ihnen Obst und Blumen, worauf sie aßen und tranken und fröhlich und vergnügt allerlei Kurzweil trieben. Nun war Dschânschāh wunderbar schön und anmutig und hatte einen schlanken Wuchs voll schönen Ebenmaßes; und die Herrin Schemse sprach zu ihm: »Mein 122 Geliebter, bei Gott, ich liebe dich inniglich und will dich nimmermehr verlassen.« Als Dschânschāh diese Worte von ihr vernahm, dehnte sich seine Brust weit aus; er lachte, daß seine Zähne blitzten, und alle lachten und scherzten in heller Fröhlichkeit weiter, bis mit einem Male der Scheich Nasr von seiner Zusammenkunft mit den Vögeln heimkehrte. Wie er bei ihnen eintrat, erhoben sich alle vor ihm auf ihre Füße und begrüßten ihn, worauf sie ihm die Hände küßten. Scheich Nasr aber hieß sie willkommen und sagte zu ihnen: »Setzt euch.« Da setzten sie sich nieder, und nun sagte er zur Herrin Schemse: »Siehe, dieser Jüngling liebt dich von Herzen, und ich beschwöre dich bei Gott, nimm ihn gütig an, denn er gehört zu den Großen unter dem Volk und den Söhnen der Könige; sein Vater gebietet über das Land Kabul und beherrscht ein großes Reich.« Als die Herrin Schemse die Worte des Scheichs Nasr vernommen hatte, erwiderte sie: »Ich höre und gehorche deinem Befehl.« Alsdann küßte sie ihm die Hände und stellte sich dienend vor ihn, während er zu ihr sagte: »Wenn du die Wahrheit sprichst, so schwöre mir bei Gott, daß du nimmer Verrat an ihm üben willst, solange du in des Lebens Fesseln verweilst.« Da schwor sie ihm einen heiligen Eid, nie Verrat an ihm zu üben und ihn zu heiraten, und setzte nach ihrem Schwur beteuernd hinzu: »Wisse, Scheich Nasr, ich will ihn nimmermehr verlassen.« Der Scheich Nasr glaubte ihrem Eidschwur und sagte zu Dschânschāh: »Gelobt sei Gott, der die Sache zwischen euch beiden ins reine gebracht hat!« und Dschânschāh freute sich mächtig hierüber. Hierauf blieben Dschânschāh und die Herrin Schemse noch drei Monate beim Scheich Nasr und aßen und tranken und lachten und trieben Kurzweil.

Fünfhundertunddreizehnte Nacht.

Nach Verlauf der drei Monate sagte jedoch die Herrin Schemse zu Dschânschāh: »Wir wollen nunmehr nach deiner 123 Heimat ziehen und uns verheiraten und dort bleiben.« Dschânschāh erwiderte ihr: »Ich höre und gehorche;« alsdann beriet er sich mit Scheich Nasr und teilte ihm die Worte der Herrin Schemse mit, worauf der Scheich ihm erwiderte: »Ziehe mit ihr in dein Land und nimm dich ihrer an.« Dschânschāh versetzte: »Ich höre und gehorche,« und nun sagte die Herrin Schemse: »Scheich Nasr, befiehl ihm, mir mein Federkleid zu geben, daß ich es anlegen kann.« Da sagte der Scheich zu Dschânschāh: »Dschânschāh, gieb ihr das Kleid;« und Dschânschāh erwiderte: »Ich höre und gehorche.« Alsdann erhob er sich und holte ihr eilig ihren Federanzug aus dem Pavillon, worauf sie denselben anzog und zu ihm sagte: »Setz' dich auf meinen Rücken, schließ' deine Augen und verstopfe deine Ohren, daß du das Sausen der kreisenden Sphäre nicht hörst; halte dich auf meinem Rücken an den Federn fest und nimm dich in acht, daß du nicht herunterfällst.« Dschânschāh folgte ihrem Geheiß und that, wie sie es ihm befohlen hatte; als er aber auf ihrem Rücken saß und sie mit ihm fortfliegen wollte, sagte der Scheich Nasr zu ihr: »Warte noch, bis ich dir das Land Kabul beschrieben habe, damit ihr den Weg nicht verfehlt.« Da wartete sie, bis er ihr das Land beschrieben und ihr Dschânschāh noch einmal anempfohlen und sich von ihnen beiden verabschiedet hatte; alsdann nahm sie von ihren Schwestern Abschied und sagte zu ihnen: »Kehrt zu euren Angehörigen heim und teilt ihnen mit, was mir mit Dschânschāh widerfahren ist.« Mit diesen Worten erhob sie sich und stieg wie der sausende Wind und der flammende Blitz in den Himmelsraum empor; gleich hernach flogen auch ihre Schwestern zu ihren Angehörigen fort und teilten ihnen mit, wie es der Herrin Schemse mit Dschânschāh ergangen war. Die Herrin Schemse aber flog von der Vormittagszeit bis zum Nachmittag ohne Rast mit Dschânschāh auf ihrem Rücken, bis sie in der Ferne ein baum- und wasserreiches Wadi erblickte und zu Dschânschāh sagte: »Wir 124 wollen in diesem Wadi Rast machen und uns unter seinen Bäumen und in seinem Grün bis zum Morgen erholen.« Dschânschāh erwiderte ihr: »Thue, was dir beliebt,« und nun ließ sie sich aus der Luft in jenes Wadi nieder, worauf Dschânschāh von ihrem Rücken stieg und sie zwischen die Augen küßte. Sie setzten sich an das Ufer eines Baches nieder, als sie aber wohl eine Stunde lang dort geruht hatten, erhoben sie sich wieder auf ihre Füße und lustwandelten durch das Wadi, indem sie von seinen Früchten speisten; zur Abendzeit setzten sie sich dann unter einen Baum und schliefen daselbst. Am andern Morgen erhob sich die Herrin Schemse und befahl Dschânschāh wieder auf ihren Rücken zu steigen. Dschânschāh erwiderte: »Ich höre und gehorche;« und als er wieder auf ihrem Rücken saß, schwebte sie sofort mit ihm empor und flog mit ihm bis zur Mittagszeit ohne Halt zu machen; zur Mittagszeit aber gewahrten sie die Wegzeichen, die ihnen der Scheich Nasr angegeben hatte, worauf die Herrin Schemse sich aus der Luft auf eine ausgedehnte Wiesenflur mit vielen Blumen und äsenden Gazellen, mit sprudelnden Quellen, reifen Früchten und breiten Flüssen niederließ. Sobald sie den Boden erreicht hatte, stieg Dschânschāh von ihrem Rücken und küßte sie zwischen die Augen; sie aber fragte ihn: »Mein Liebling und mein Augentrost, weißt du auch einen Weg von wieviel Tagen wir zurückgelegt haben?« Er erwiderte: »Nein«; und nun sagte sie: »Einen Weg von dreißig Monaten.« Da rief Dschânschāh: »Gelobt sei Gott für unsere Rettung!« Hierauf setzte sich Dschânschāh, und die Herrin Schemse setzte sich an seine Seite, und sie begannen zu essen und trinken und lachten, scherzten und trieben Kurzweil. Mit einem Male kamen zwei Mamluken auf sie zu, von denen der eine einer der Mamluken war, welche Dschânschāh bei den Pferden gelassen hatte, als er aufs Fischerboot gestiegen war, während der andere Mamluk zu seinem Gefolge gehörte, das er auf der Jagd bei sich gehabt hatte. Als die beiden Mamluken 125 Dschânschāh erblickten, erkannten sie ihn und begrüßten ihn; dann sagten sie zu ihm: »Mit deiner Erlaubnis wollen wir zu deinem Vater zurückkehren und ihm die frohe Botschaft von deiner Ankunft vermelden.« Dschânschāh versetzte: »Gehet zu meinem Vater, teilt es ihm mit und bringet uns Zelte heraus, denn wir wollen hier sieben Tage verweilen und uns ausruhen, bis das Geleit eintrifft und wir mit großem Prunk einziehen.«

Fünfhundertundvierzehnte Nacht.

So ritten denn die beiden Mamluken zu seinem Vater zurück und sagten zu ihm: »Frohe Botschaft, o König der Zeit!« Als der König Tîghmūs die Worte der Mamluken vernahm, fragte er: »Welche frohe Botschaft bringt ihr mir? Ist etwa mein Sohn Dschânschāh gekommen?« Da erwiderten sie: »Jawohl, dein Sohn ist aus der Fremde heimgekehrt und rastet nahe bei dir auf der kiranischen Wiese.« Bei dieser Nachricht sank der König Tîghmūs im Übermaß seiner Freude in Ohnmacht. Als er wieder zu sich kam, befahl er seinem Wesir jedem der beiden Mamluken ein kostbares Ehrenkleid und eine Geldsumme zu überreichen, und der Wesir antwortete ihm: »Ich höre und gehorche,« und erhob sich unverzüglich, um den Befehl des Königs auszurichten. Indem er ihnen das Geld überreichte, sagte er zu ihnen: »Nehmt diese Geldsumme als Entgelt für eure gute Nachricht, gleichviel ob ihr logt oder die Wahrheit sprachet.« Die beiden Mamluken erwiderten ihm hierauf: »Wir logen nicht, sondern saßen soeben noch bei ihm und begrüßten ihn und küßten ihm die Hände, und er befahl uns die Zelte herauszuschaffen, da er auf der kiranischen Wiese sieben Tage lang verweilen will, bis die Emire, die Wesire und die Großen des Reiches ihm zum Empfang entgegenziehen.« Hierauf fragte sie der König: »Wie steht es mit meinem Sohn?« Und sie erwiderten ihm: »Siehe, bei deinem Sohne weilt eine Huri, als hätte er sie aus 126 dem Paradiese entführt.« Als der König dies vernahm, befahl er die Freudenbotschaft mit Pauken und Trompeten zu verkünden und schickte Boten in der Stadt umher, die frohe Kunde der Mutter Dschânschāhs und den Frauen der Emire, Wesire und Großen des Reiches zu überbringen. Und so zerstreuten sich die Freudenboten in der Stadt und teilten allen Leuten die Ankunft Dschânschāhs mit, während der König Tîghmūs sich mit den Fußtruppen und Reiterhaufen fertig machte und zur kiranischen Wiese auszog. Während nun Dschânschāh dasaß und neben ihm die Herrin Schemse, kamen mit einem Male die Truppen auf sie zu; da erhob sich Dschânschāh auf seine Füße und schritt ihnen entgegen, bis er nahe an sie herangekommen war. Als die Truppen ihn sahen, erkannten sie ihn und stiegen von den Pferden ab, worauf sie ihm zu Fuß entgegenschritten, ihn begrüßten und ihm die Hände küßten; hierauf schritt Dschânschāh, während die Truppen alle einer nach dem andern ihm vorangingen, weiter, bis er bei seinem Vater, dem König Tîghmūs anlangte, der sich beim Anblick seines Sohnes von dem Rücken seines Rosses auf ihn warf und ihn vor Freude weinend umarmte. Alsdann saß er wieder auf, sein Sohn stieg ebenfalls zu Pferd, und beide ritten, zur Rechten und Linken von den Streitern geleitet, zum Flußufer, wo alle Mannschaften abstiegen, die Zelte und Pavillons aufschlugen und die Standarten aufpflanzten, während die Tamburins wirbelten, die Pfeifen bliesen, die Trommeln dröhnten und die Hörner schmetterten. Alsdann befahl der König Tîghmūs den Zeltaufschlägern ein Zelt aus roter Seide zu bringen und es für die Herrin Schemse aufzuschlagen; und die Herrin Schemse erhob sich, als sie des Königs Geheiß ausgerichtet hatten, zog ihr Federkleid aus und begab sich in jenes Zelt, wo sie sich niedersetzte. Wie sie nun dort saß, erschien plötzlich der König Tîghmūs und ihm zur Seite sein Sohn Dschânschāh; und da die Herrin Schemse den König Tîghmūs gewahrte, erhob sie sich auf 127 ihre Füße und küßte vor ihm die Erde. Alsdann setzte sich der König, indem er seinen Sohn Dschânschāh zu seiner Rechten und die Herrin Schemse zu seiner Linken sitzen ließ, und hieß die Herrin Schemse willkommen; hierauf fragte er seinen Sohn Dschânschāh und sprach zu ihm: »Erzähle mir, wie es dir während der Zeit dieser langen Abwesenheit ergangen ist.« Da erzählte er ihm alle seine Erlebnisse von Anfang bis zu Ende, und der König verwunderte sich höchlichst über seines Sohnes Abenteuer und sagte, indem er sich zur Herrin Schemse wendete: »Gelobt sei Gott, der mich durch dich mit meinem Sohne wieder vereinigt hat; fürwahr, dies ist Seine hohe Gnade!

Fünfhundertundfünfzehnte Nacht.

Doch nun wünschte ich, du bätest mich um das, was du begehrst, daß ich es dir zu Ehren erfüllen könnte.« Da sagte die Herrin Schemse zu ihm: »So bitte ich dich, daß du mitten in einem Garten ein von Wasser umspültes Schloß erbaust;« und der König Tîghmūs antwortete ihr: »Ich höre und gehorche.« Während sie noch miteinander redeten, erschien mit einem Male Dschânschāhs Mutter mit allen Frauen der Emire, Wesire und Großen der Stadt, und Dschânschāh verließ, sobald er sie erblickte, das Zelt und ging ihr entgegen, bis sie einander in die Arme fielen und wohl eine Stunde lang in ihrer Umarmung verharrten, worauf seine Mutter im Übermaß ihrer Freude unter Thränen die Verse sprach:

»Nun hat mich die Freude so plötzlich ergriffen,
Daß ich im Übermaß meines Glückes weinen muß.
Ach, mein Auge, so vertraut bist du mit den Thränen geworden,
Daß du vor Freude und Kummer zerfließest.«

Und beide klagten einander, wie sie durch die Trennung und die Schmerzen der Sehnsucht so schwer gelitten hätten. Alsdann begab sich der König wieder in sein Zelt, und Dschânschāh führte seine Mutter in das seinige, woselbst sie 128 miteinander plauderten, bis mit einem Male Boten die Nachricht von dem Kommen der Herrin Schemse überbrachten und Dschânschāhs Mutter meldeten: »Siehe, Schemse kommt zu dir geschritten, um dir den Salâm zu bieten.« Als Dschânschāhs Mutter diese Botschaft vernahm, erhob sie sich auf ihre Füße, ging ihr entgegen und begrüßte sie, worauf sie eine Weile bei einander saßen. Dann erhob sich Dschânschāhs Mutter mit all den Frauen der Emire und Großen des Reiches und geleitete die Herrin Schemse in ihr Zelt zurück, in welchem sie ebenfalls eine Weile lang saßen, während der König Tîghmūs inzwischen in der Freude über seines Sohnes Heimkehr Geschenke mit vollen Händen austeilte und seine Unterthanen auszeichnete. Zehn Tage lang verweilten sie, schmausend und zechend und das lustigste Leben führend, an dieser Stätte, dann aber erteilte der König Befehl zum Aufbruch, und der König ritt inmitten seiner Truppen, zur Rechten und Linken von den Wesiren und Kämmerlingen geleitet, in die Stadt zurück, woselbst sich Dschânschāhs Mutter mit der Herrin Schemse in ihre Wohnung begab. Die Freudentrommeln wirbelten beim Einzug, die Stadt war aufs prächtigste mit Zieraten und kostbaren Stoffen geschmückt, und prachtvolle Brokate lagen auf den Straßen unter die Hufe der Rosse gebreitet; die Großen des Reiches trugen ihre Freude zur Schau und brachten kostbare Geschenke, die Zuschauer waren von aller Pracht verwirrt, die Armen und Bettler wurden gespeist, und die Freudenfestlichkeiten währten zehn Tage, während welcher Zeit die Herrin Schemse an allem was sie zu schauen bekam, sich höchlichst vergnügte. Hierauf schickte der König Tîghmūs zu den Bauleuten, den Architekten und Künstlern und befahl ihnen in jenem Garten einen Palast zu bauen; und sie antworteten: »Wir hören und gehorchen,« und machten sich ans Werk und erbauten den Palast in schönster Weise. Als aber Dschânschāh seines Vaters Befehl vernommen hatte, befahl er den Werkleuten einen Marmorblock zu 129 beschaffen und ihn nach Art einer Kiste auszuhöhlen, und als sie seinen Befehl ausgerichtet hatten, nahm er das Federkleid der Herrin Schemse, legte es in den marmornen Schrein und versenkte denselben ins Fundament des Palastes. Alsdann befahl er den Bauleuten die Bögen, auf denen das Schloß ruhte, darüber zu bauen, und als nun das Schloß vollendet und eingerichtet war, da war es ein prächtiger, von Bächen umspülter Palast mitten in jenem Garten. Und nun richtete der König Tîghmūs für Dschânschāh die Hochzeit an, deren Festlichkeiten ihresgleichen nicht hatten, und sie führten die Herrin Schemse in hochzeitlichem Geleit in jenes Schloß und gingen dann alle ihres Weges.

Als aber die Herrin Schemse das Schloß betrat, roch sie den Duft ihres Federkleides –

Fünfhundertundsechzehnte Nacht.

und beschloß es zu nehmen, da sie merkte, wo es verborgen war. Sie wartete deshalb bis Mitternacht, als Dschânschāh in tiefem Schlaf lag, und stand dann auf und schlich zu dem Schrein, über dem die Bögen erbaut waren; hier grub sie so lange an seiner Seite, bis sie auf den Schrein stieß, nahm das Blei, mit welchem er verschlossen war, ab, holte das Kleid heraus, zog es an und flog zur selbigen Stunde auf die höchste Spitze des Schlosses, von wo sie den Leuten im Schloß zurief: »Gehet zu Dschânschāh und rufet ihn, daß ich von ihm Abschied nehmen kann.« Da gingen sie zu Dschânschāh und teilten ihm ihre Worte mit, und Dschânschāh kam heraus zu ihr, und, da er sie oben auf der Schloßzinne in ihrem Federkleid sah, fragte er sie: »Warum hast du das gethan?« Da erwiderte sie ihm: »O mein Geliebter, mein Augentrost und meines Herzens Frucht, bei Gott, ich liebe dich inniglich und bin hocherfreut, daß ich dich in dein Land und deine Heimat zurückgebracht und daß ich deine Eltern gesehen habe. Liebst du mich aber so sehr, wie ich dich liebe, so komm zu mir nach Taknī dem Edelsteinschloß.« 130 Mit diesen Worten entschwebte sie und zog heim zu ihren Angehörigen, während Dschânschāh vor Verzweiflung in Ohnmacht sank und fast gestorben wäre. Da eilten sie zu seinem Vater und teilten ihm das Vorgefallene mit, worauf sein Vater sein Roß bestieg und zum Palast seines Sohnes ritt, wo er Dschânschāh noch immer ohnmächtig an der Erde liegen sah. Bei diesem Anblick weinte der König bitterlich, da er sah, daß dies seinem Sohne aus Liebeskummer um die Herrin Schemse widerfahren war, und sprengte ihm Rosenwasser ins Gesicht. Als Dschânschāh hierdurch wieder zu sich kam und seinen Vater zu Häupten erblickte, weinte er über den Verlust seiner Gattin, sein Vater aber fragte ihn: »Was ist vorgefallen, mein Sohn?« Da erzählte er: »Wisse, mein Vater, die Herrin Schemse gehört zu den Töchtern der Dschânn, und ich hatte ihr Federkleid, ohne das sie nicht zu fliegen vermag, in einen marmornen Schrein verborgen und ihn mit Blei verschlossen und im Fundament des Schlosses vergraben. Sie aber grub die Kiste aus, nahm das Federkleid, zog es an und flog auf das Schloßdach, von wo sie mir zurief: »Ich liebe dich und habe dich in deine Heimat zurückgebracht und deine Eltern geschaut; wenn du mich auch liebst, so komm zu mir nach Taknī dem Edelsteinschloß« Mit diesen Worten entschwebte sie und verschwand.« Als er seine Erzählung beendet hatte, sagte der König Tîghmūs zu ihm: »Mein Sohn, gräme dich nicht, wir wollen die Kaufleute und Wanderer allzumal versammeln und sie nach jenem Schloß ausfragen; haben wir so erfahren, wo es liegt, so wollen wir zu ihm reisen und uns zu den Angehörigen der Herrin Schemse auf den Weg machen, und wollen zu Gott dem Erhabenen hoffen, daß sie sie dir wiedergeben, und daß sie dein Weib wird.« Nach diesen Worten verließ ihn der König Tîghmūs unverzüglich und versammelte seine vier Wesire und sprach zu ihnen: »Versammelt alle Kaufleute und Reisenden in der Stadt und erkundigt euch bei ihnen nach dem Edelsteinschloß 131 Taknī; jedem, der es kennt, und der uns den Weg dahin weisen kann, will ich fünfzigtausend Dinare schenken.« Die Wesire antworteten: »Wir hören und gehorchen,« und richteten unverzüglich des Königs Geheiß aus, indem sie bei allen Kaufleuten und Wanderern über das Edelsteinschloß Taknī Erkundigungen einzogen, doch konnte ihnen keiner über das Schloß Auskunft geben, so daß sie zum König zurückkehrten und es ihm meldeten. Als der König ihren Bericht vernahm, erhob er sich zur selbigen Stunde und erteilte Befehl seinem Sohne schöne Beischläferinnen, Musikantinnen und Sängerinnen zu bringen, wie es ihresgleichen nur bei Königen gab, daß sie ihn die Liebe zur Herrin Schemse vergessen ließen. Außerdem schickte er Kundschafter und Späher in alle Länder, Inseln und Klimate aus, daß sie nach dem Edelsteinschloß Taknī Nachforschungen anstellten; und die Boten zogen aus und fragten und forschten zwei Monate lang nach ihm, ohne daß ihnen jemand Kunde hiervon hätte geben können, so daß sie wieder heimkehrten und es dem König vermeldeten. Da weinte der König bitterlich und suchte seinen Sohn auf, den er unter den Beischläferinnen und Harfnerinnen und Zitherspielerinnen und dergleichen sitzend antraf, ohne daß er sich von ihnen über die Herrin Schemse hätte trösten lassen. Und er sprach zu ihm: »O mein Sohn, ich habe keinen gefunden, der jenes Schloß kennt, doch will ich dir ein schöneres Mädchen bringen.« Als Dschânschāh seine Worte vernahm, weinte er und sprach unter strömenden Thränen die beiden Verse:

»Meine Geduld ist geschwunden und meine Sehnsucht geblieben,
Und mein Leib ist siech von der Sehnsucht Qual.
Wann werden die Tage mich wieder mit Schemse vereinen,
Wo meine Gebeine zerfallen, verzehrt von der Trennung Glut?«

Nun aber herrschte zwischen dem König Tîghmūs und einem Könige von Indien eine bittere Feindschaft, und der König Tîghmūs hatte ihn angegriffen und seine Mannen erschlagen und seine Schätze geraubt. Der König von Indien 132 hieß König Kafîd und hatte Streiter und Truppen und Kämpen in Menge; er hatte tausend ritterliche Degen, von denen jeder über tausend Stämme gebot, deren jeder viertausend Berittene stellen konnte. Ferner hatte er vier Wesire und Könige und Große und Emire, und große Heereshaufen standen unter ihm, und er herrschte über tausend Städte, von denen jede von tausend Burgen beschützt wurde; kurz, er war ein mächtiger König, dessen Truppen die ganze Welt erfüllten. Als nun der König Kafîd erfuhr, daß der König Tîghmūs in seiner Liebe für seinen Sohn Regierung und Reich außer acht ließ, daß die Anzahl seiner Truppen gering geworden war, und daß er sich schwer über seinen Sohn grämte, versammelte er die Wesire, Emire und Großen seines Reiches und sagte zu ihnen: »Ihr alle wisset, daß der König Tîghmūs in unser Land einfiel und mir Vater und Brüder erschlug und unser Gut plünderte; und es ist keiner unter euch, dem er nicht einen Verwandten erschlagen und Besitz und Gut genommen und geplündert und Weib und Kind gefangen fortgeführt hätte. Nun aber kam mir zu Ohren, daß er sich um seinen Sohn sorgt und grämt, und daß seine Truppen wenig geworden sind; es ist daher die rechte Zeit gekommen, Blutrache zu nehmen; macht euch marschbereit, ergreifet die Waffen zum Streit wider ihn und säumt nicht, vielmehr laßt uns wider ihn ziehen, daß wir ihn überfallen, ihn und seinen Sohn erschlagen und sein Reich in Besitz nehmen.«

Fünfhundertundsiebzehnte Nacht.

Als sie seine Worte vernommen hatten, antworteten sie: »Wir hören und gehorchen,« und begannen allzumal sich zu rüsten und Truppen auszuheben; und als nach drei Monaten alle Streiter und Heerhaufen und Kämpen vollzählig beisammen waren, schlugen sie die Trommeln und bliesen die Trompeten und pflanzten die Banner und Fahnen auf, und der König Kafîd zog mit seinen Streitern und Haufen aus, 133 bis er die Grenze des Landes Kabul erreichte und das Reich des Königs Tîghmūs zu plündern anhob und seine Unterthanen vergewaltigte, die Erwachsenen niedermetzelte und die Kinder zu Gefangenen machte. Als nun die Kunde hiervon den König Tîghmūs erreichte, ergrimmte er gewaltig und versammelte die Großen seines Reiches und die Wesire und Emire und sprach zu ihnen: »Wisset, Kafîd ist in unser Land gekommen und hat unser Reich überfallen und will wider uns streiten; und bei ihm sind Reiter und Haufen und Kämpen, deren Zahl Gott der Erhabene allein kennt. Welchen Rat habt ihr nun?« Sie erwiderten: »O König der Zeit, unser Rat geht dahin, daß wir wider ihn ausziehen und mit ihm streiten und ihn aus unserm Land verjagen.« Da sagte der König Tîghmūs: »So rüstet euch zum Kampf« und ließ die Panzer, Kürasse, Helme, Schwerter und allerlei Wehr und Waffen herausschaffen, als da die Degen fällen und den wackersten Kämpen den Garaus machen. Hierauf kamen die Streiter und Truppen und Kämpen zu Hauf und rüsteten sich zum Streit; die Banner wurden aufgepflanzt, die Trommeln wirbelten, die Trompeten schmetterten, die Tamburins rasselten, die Flöten bliesen, und der König Tîghmūs zog mit seiner Heerschar dem König Kafîd entgegen und rastete nicht eher, als bis er in seine Nähe gekommen war; dann machte er an der Grenze des Landes Kabul im Wadi Sahrān Halt und schrieb einen Brief, den er dem König Kafîd durch einen Boten überbringen ließ. Der Brief hatte aber folgenden Inhalt: »Des Ferneren, so thun Wir dir zu wissen, König Kafîd, daß dein Thun das Thun des Gesindels ist; wärest du ein König und eines Königs Sohn, so hättest du solches nicht gethan und wärest nicht in mein Land gekommen und hättest das Gut der Leute nicht geplündert und die Unterthanen vergewaltigt. Weißt du nicht, daß alles dies Tyrannei ist? Hätte ich gewußt, das du in mein Land einfallen würdest, so wäre ich dir längst zuvorgekommen und hätte dich zurückgetrieben; nun aber willst du umkehren und alles Übel 134 zwischen uns unterlassen, so ist's gut, willst du aber nicht umkehren, wohlan, so tritt wider mich auf den Plan und miß dich mit mir im Schwerteshieb und Lanzenstoß.« – Hierauf siegelte er den Brief und übergab ihn einem seiner Offiziere, mit dem er zugleich Späher ausschickte, die ihm Kundschaft erspähen sollten. Als nun der Bote mit dem Brief in die Nähe des Feindes gelangt war, gewahrte er in der Ferne Zelte aus Satin und blauseidene Banner und sah inmitten der Zelte ein großes Zelt aus roter Seite, das von einer starken Wache umgeben war. Er schritt auf dieses Zelt zu, bis er es erreicht hatte und auf seine Frage die Antwort erhielt, daß es das Zelt des Königs Kafîd wäre; da schaute er ins Zelt, und als er mitten in ihm den König Kafîd umgeben von den Wesiren, den Emiren und Großen des Reiches auf einem edelsteinbesetzten Thron sitzen sah, hielt er den Brief in seiner Hand hoch, worauf eine Truppenabteilung auf ihn zukam, ihm den Brief abnahm und ihn dem König Kafîd brachte. Der König Kafîd nahm ihn und las ihn, und als er seinen Inhalt begriffen hatte, schrieb er folgende Antwort: »Des Ferneren, so thun Wir dem König Tîghmūs zu wissen, daß Wir gekommen sind Blutrache zu nehmen und die Schande zu tilgen; Wir wollen das Land verwüsten, die Vorhänge zerreißen, die Großen morden und die Kleinen in die Gefangenschaft führen; und morgen erscheine auf dem Schlachtfeld, daß Ich dir Schwerteshieb und Lanzenstoß zeige.« – Hierauf siegelte er den Brief und übergab ihn dem Gesandten des Königs Tîghmūs, der ihn an sich nahm und abzog.

Fünfhundertundachtzehnte Nacht.

Als der Bote wieder beim König Tîghmūs angelangt war, küßte er die Erde vor ihm und übergab ihm den Brief, indem er ihm zugleich mitteilte, was er gesehen hatte, und zu ihm sagte: »O König, ich sah Streiter zu Fuß und Roß und Degen ohne Zahl.« Wie nun der König den Brief 135 gelesen und seinen Inhalt begriffen hatte, ergrimmte er gewaltig und befahl seinem Wesir Ain Sâr mit tausend Mann aufzusitzen und um Mitternacht das Heer des Königs Kafîd zu überfallen und unter ihm ein Blutbad anzurichten.« Der Wesir Ain Sâr erwiderte: »Ich höre und gehorche«, und brach mit einer Menge Streiter sofort auf. Nun hatte aber der König Kafîd einen Wesir, Namens Ghatrafân, dem er ebenfalls befohlen hatte mit fünftausend Mann wider das Heer des Königs Tîghmūs aufzubrechen und es zu überfallen und niederzumachen, und der Wesir Ghatrafân hatte sich sofort aufgemacht, den Befehl des Königs Kafîd auszuführen, und war mit seiner Mannschaft wider den König Tîghmūs aufgebrochen, als er mit einem Male auf halbem Wege um Mitternacht auf den Wesir Ain Sâr stieß. Da schrie Mann wider Mann, ein hitziges Gefecht entbrannte, und der Streit tobte die Nacht hindurch, bis die Truppen des Königs Kafîd um die Morgenfrühe geschlagen waren und den Rücken zur Flucht wandten. Als der König sie fliehend ankommen sah, ergrimmte er gewaltig und fuhr sie an: »Wehe euch, was ist mit euch geschehen, daß ihr eure Führer verloren habt?« Sie erwiderten: »O König der Zeit, als wir mit dem Wesir Ghatrafân wider den König Tîghmūs aufgebrochen waren und um Mitternacht die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, stießen wir mit einem Mal an der Lehne des Wadis Sahrān auf Ain Sâr den Wesir des Königs Tîghmūs, und ehe wir es uns versahen, waren wir von seinen Truppen und Kämpen umringt, Auge fiel in Auge, und ein hitziges Gefecht entbrannte von Mitternacht bis zur Morgenfrühe, in welchem viel Volks fiel. Der Wesir Ain Sâr aber schlug die Elefanten und schrie ihnen so lange ins Gesicht, bis sie sich, von den vielen Schlägen erschreckt, zur Flucht wandten und die Reiter zertrampelten, so daß niemand vor Staub etwas sehen konnte, und daß das Blut in Strömen floß; wären wir nicht geflohen, so wären wir alle bis auf den letzten Mann niedergemacht.« Als der König ihren Bericht vernommen hatte, 136 sagte er zu ihnen: »Die Sonne segne euch nicht sondern zürne euch mit grimmem Zorn!«

Inzwischen war der Wesir Ain Sâr zum König Tîghmūs zurückgekehrt und hatte ihm Bericht erstattet, worauf der König ihn zu seiner Rettung beglückwünschte und in mächtiger Freude die Trommeln zu rühren und die Trompeten zu blasen befahl. Alsdann musterte er die Truppen und fand, daß ihrer zweihundert von seinen tapfersten Reisigen gefallen waren. Der König Kafîd aber zog mit seinen Haufen und Reisigen und Heerscharen ins Feld und ließ sie in fünfzehn Reihen zu zehntausend Reitern aufziehen unter dreihundert Degen zu Elefant, die er aus seinen kühnsten Kämpen erlesen hatte; und mit wehenden Bannern und wimpelnden Fahnen, mit Trommelwirbeln und Trompetenfanfaren zogen die Kämpen hinein in die Schlacht. Auf der andern Seite ordnete der König Tîghmūs sein Heer, und, siehe, da waren es zehn Reihen mit je zehntausend Reisigen, und hundert Schwertdegen zu seiner Rechten und Linken; und als das Heer in Reih und Glied stand, da trabte jeder hochberühmte Held wider den Feind ins Feld, bis die beiden Heerscharen zusammenstießen, daß die Erde eng ward für die Menge der Rosse; die Tamburins rasselten, die Flöten bliesen, die Trommeln wirbelten, die Trompeten schmetterten, die Hoboe schrie, die Ohren wurden betäubt von dem Wiehern der Rosse auf dem weiten Plan, die Streiter erhoben die Schlachtrufe, die Staubwolken wölbten sich über ihren Häuptern, und die Schlacht tobte von der Morgenfrühe bis zum Anbruch der Nacht, worauf die beiden Heere voneinander abließen und sich in ihr Lager zurückzogen.

Fünfhundertundneunzehnte Nacht.

Hier musterte der König Tîghmūs seine Truppen und ergrimmte gewaltig, als er fand, das dreitausend seiner erlesensten Mannen gefallen waren. Am nächsten Morgen 137 zog der König Kafîd wiederum ins Feld wie tags zuvor, und jeder der Streiter suchte den Sieg für sich zu gewinnen; auf dem Schlachtfeld aber rief der König Kafîd seinen Truppen zu: »Ist einer unter euch, welcher auf den Plan treten und uns das Thor von Hieb und Stich öffnen möchte?« Da kam ein Degen, Barkîk geheißen, ein gewaltiger Kämpe, auf seinem Elefanten herangeritten; vor dem König Kafîd machte er Halt, stieg von dem Rücken des Elefanten ab, küßte die Erde vor dem König und bat ihn um Erlaubnis zum Einzelkampf. Dann bestieg er wieder den Elefanten, trieb ihn mitten auf den Plan und rief laut: »Wer will sich messen mit mir, wer tritt auf den Plan, wer wagt den Kampf?« Als der König Tîghmūs seine Trutzrede vernahm, wendete er sich zu seinem Heer um und fragte: »Wer von euch will sich mit diesem Degen messen?« Da sprengte ein Ritter auf hohem Roß aus den Reihen auf den König Tîghmūs zu, küßte die Erde vor ihm und bat ihn um Erlaubnis zum Zweikampf, worauf er wider Barkîk auf den Plan setzte. Als er nahe an ihn herangekommen war, fragte ihn dieser: »Wer bist du, daß du mich verspottest und allein wider mich auf den Plan trittst, und wie ist dein Name?« Der Ritter erwiderte: »Mein Name ist Ghadanfar, der Sohn des Kamchîl.« Barkîk versetzte: »Ich hab' von dir daheim vernommen, doch vorwärts zum Kampf zwischen den Reihen der Degen.« Als Ghadanfar seine Worte vernahm, zog er seine eiserne Keule unter dem Schenkel hervor, während Barkîk sein Schwert packte; alsdann berannten sie einander, und stritten grimm, bis Barkîk Ghadanfar einen Schwertstreich auf den Helm versetzte, der ihm jedoch weiter keinen Schaden zufügte. Da aber schwang Ghadanfar seine Keule und schlug ihn auf dem Elefanten zu Brei. Gleich darauf kam ein anderer Degen herangesprengt und rief: »Wer bist du, daß du meinen Bruder erschlägst?« Dann langte er nach einem Speer und schleuderte ihn gegen Ghadanfar, daß der Speer seinen Schenkel durchbohrte und den 138 Panzer an den Schenkel nagelte. Als Ghadanfar seine Wunde spürte, zog er sein Schwert und spaltete ihn mit einem Streich, daß er zu Boden stürzte und sich in seinem Blute wälzte. Alsdann sprengte er zum König Tîghmūs zurück. Wie nun der König Kafîd dies sah, rief er seinem Heere zu: »Vorwärts auf den Plan und streitet Mann wider Mann.« In gleicher Weise zog auch König Tîghmūs mit seinem Heere ihm entgegen, und die Schlacht tobte gewaltig, Roß wieherte wider Roß, Mann schrie wider Mann, die Schwerter blitzten, alle die ruhmvollen Helden sprengten vorwärts, und die Reiter attackierten einander, während die Feigen von dem Lanzenplan flohen; die Trommeln wirbelten, die Trompeten schmetterten, die Streiter hörten nichts als Feldgeschrei und Waffengeklirr, und wer da fiel von den Degen, der fiel. So tobte die Schlacht, bis die Sonne hoch in der Kuppel der himmlischen Sphäre stand, worauf die beiden Heere sich trennten und die Könige Tîghmūs und Kafîd in ihr Lager zurückkehrten. Bei der Musterung seiner Truppen ergrimmte der König Tîghmūs gewaltig, als er fand, daß fünftausend seiner Reisigen gefallen und vier seiner Standarten zerbrochen waren, während der König Kafîd einen Verlust von sechshundert seiner erlesensten Streiter zählte und neun seiner Standarten gebrochen fand. Nachdem der Kampf zwischen beiden Heeren noch drei Tage gedauert hatte, schrieb der König Kafîd einen Brief und schickte ihn durch einen seiner Kriegsmannen zum König Fākûn el-Kelb, auf dessen Verwandtschaft von mütterlicher Seite her er Anspruch erhob; und als der König Fākûn el-Kelb von allem Kenntnis genommen hatte, versammelte er seine Haufen und Heerscharen und zog zum König Kafîd.

Fünfhundertundzwanzigste Nacht.

Während nun König Tîghmūs heiter und vergnügt dasaß, kam einer zu ihm und meldete ihm: »Ich sah in der Ferne eine Staubwolke aufwirbeln und hoch gen Himmel 139 steigen.« Da befahl er einer Heeresabteilung die Sache klar zu stellen, und sie erwiderten: »Wir hören und gehorchen«, und zogen aus, worauf sie wieder zurückkehrten und meldeten: »O König, wir sahen die Staubwolke und gewahrten, als sie der Wind nach einer Weile zerteilte, sieben Standarten unter ihr, und unter jeder Standarte dreitausend Reiter, die zum König Kafîd trabten.«

Als nun der König Fākûn el-Kelb beim König Kafîd eintraf, begrüßte er ihn und fragte ihn: »Was giebt's, und was bedeutet dieser Krieg, den du führst?« König Kafîd erwiderte: »Weißt du nicht, daß König Tîghmūs mein Feind ist, und daß er meinen Vater und meine Brüder erschlagen hat? Ich bin ausgezogen wider ihn zu streiten und die Blutrache an ihm zu vollstrecken.« Da sagte König Fākûn: »Die Sonne segne dich!« Hierauf nahm König Kafîd den König Fākûn el-Kelb und führte ihn hocherfreut in sein Zelt.

Soviel was die Könige Kafîd und Tîghmūs anlangt. Inzwischen hatte nun König Dschânschāh zwei Monate lang zugebracht, ohne daß er seinen Vater gesehen oder einer seiner Sklavinnen, die ihn bedienten, ihn zu besuchen erlaubt hätte, bis er schließlich, von großer Unruhe erfaßt, einige aus seinem Gefolge fragte: »Was fehlt meinem Vater, daß er nicht zu mir kommt?« Als er dann vernahm, daß sein Vater wider den König Kafîd stritt, sagte er: »Führet mir mein Schlachtroß vor, daß ich zu meinem Vater ziehe.« Da versetzten sie: »Wir hören und gehorchen«, und brachten ihm sein Roß, während er bei sich sprach: »Ich habe mit meinen eigenen Sorgen zu thun und will mich zur Stadt der Juden auf den Weg machen, wo Gott mich vielleicht wieder mit dem Kaufmann zusammenführt, der mich zur Arbeit dingte; vielleicht verfährt er mit mir wieder wie zuvor, denn niemand weiß, woher das Gute kommt.« Hierauf bestieg er sein Roß und ritt mit tausend Mann fort, so daß die Leute meinten: »Nun ist Dschânschāh zu seinem Vater ausgezogen, um mit ihm zu streiten.« 140 Dschânschāh aber ritt mit seinen Truppen den ganzen Tag über, bis er zur Abendzeit zu einer großen Wiese gelangte, wo sie das Nachtlager bezogen. Wie nun Dschânschāh merkte, daß alle seine Leute schliefen, stand er heimlich auf und gürtete sich, worauf er sein Roß bestieg und den Weg nach Bagdad einschlug, da er von den Juden vernommen hatte, daß alljährlich eine Karawane von Bagdad zu ihnen käme, und deshalb bei sich sprach: »Wenn ich nach Bagdad gelangt bin, will ich mit der Karawane zur Stadt der Juden reisen.« Mit solchem Entschluß ritt er seinem Ziele zu.

Als die Truppen am andern Morgen erwachten und weder Dschânschāh noch sein Roß sahen, saßen sie auf und suchten sie rechts und links; da sie jedoch keine Spur von ihm fanden, kehrten sie zu seinem Vater zurück und teilten ihm mit, was sein Sohn gethan hatte. Der König Tîghmūs ergrimmte hierüber gewaltig, daß die Funken beinahe aus seinem Munde sprühten, und rief, indem er die Krone von seinem Haupt warf: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen! Nun habe ich meinen Sohn verloren, und vor mir steht der Feind.« Die Könige und die Wesire erwiderten ihm: »Fasse dich in Geduld, o König der Zeit; Geduld bringt sicherlich Gutes.« Inzwischen zog Dschânschāh bekümmert und vergrämt über die Trennung von seinem Vater und den Verlust der Geliebten, mit wundem Herzen und Auge und ohne Schlaf bei Nacht und Tag, auf seinem Weg dahin, während sein Vater nach dem Verlust aller seiner Streiter und Truppen vor dem Feind nach seiner Stadt floh, die Thore hinter sich verriegelte und die Wälle befestigte. Der König Kafîd aber kam in jedem Monat vor die Stadt gezogen und forderte sieben Nächte und acht Tage lang den König Tîghmūs zum Kampf heraus, worauf er mit seinem Heer wieder in sein Lager zurückkehrte, um seine Verwundeten zu pflegen, während die Bewohner der Stadt des Königs Tîghmūs nach dem Abzuge des Feindes ihre Waffen 141 instand setzten, die Wälle befestigten und die Wurfmaschinen herrichteten. In dieser Weise währte der Krieg zwischen den beiden Königen sieben Jahre lang.

Fünfhundertundeinundzwanzigste Nacht.

Was nun Dschânschāh anlangt, so ritt derselbe durch Steppen und Wüsten und fragte überall in den Städten, die er berührte, nach der Edelsteinburg Taknī, ohne daß ihm die Leute eine Antwort gaben als daß sie nie von einer Burg solchen Namens gehört hätten. Als er sich dann einmal nach der Stadt der Juden erkundigte, sagte ihm ein Kaufmann, sie läge am äußersten Ende des Orients, und setzte hinzu: »Zieh mit uns nach der Stadt Misrakân in Indien; von dort wollen wir nach Chorasân, von Chorasân nach der Stadt Schimûn und von dort nach Chāresm reisen, von wo bis zur Stadt der Juden nur noch ein Weg von einem Jahre und drei Monaten ist.« Da wartete Dschânschāh bis die Karawane abzog, und schloß sich ihr an, bis er nach der Stadt Misrakân gelangte. Hier erkundigte er sich nach der Edelsteinburg Taknī, da ihm jedoch niemand von ihr Auskunft geben konnte, zog er mit der Karawane weiter, bis er von Indien unter großen Drangsalen und schweren Gefahren, von Hunger und Durst gequält, über Chorasân nach Schimûn gelangte, wo er sich nach der Stadt der Juden erkundigte. Nachdem man ihm Auskunft über die Stadt gegeben und ihm den Weg dorthin beschrieben hatte, brach er wieder auf, und ritt Tage und Nächte lang, bis er nahe der Stätte kam, an welcher die Affen hausten; von hier wanderte er weiter, bis er den Fluß erreichte, an dessen Ufer die Stadt der Juden lag, und setzte sich am Rand des Flusses nieder, bis der Sabbath kam, an welchem das Wasser durch Gottes, des Erhabenen, Allmacht versiegte. Alsdann durchschritt er ihn und suchte das Haus des Juden auf, in welchem er zuvor geherbergt hatte. Der Jude und seine Familie begrüßten ihn, erfreut über seine Wiederkehr, 142 und fragten ihn, nach dem sie ihn Speise und Trank vorgesetzt hatten: »Wo bist du während deiner Abwesenheit gewesen?« Er erwiderte: »In Gottes, des Erhabenen, Himmelreich.«Er giebt mit diesen Worten eine ausweichende Antwort. Die Nacht über brachte er bei ihnen zu, am andern Morgen aber spazierte er in der Stadt umher, bis er wieder den Ausrufer wie zuvor die Worte rufen hörte: »Ihr Leute allzumal, wer will tausend Dinare und eine hübsche Sklavin für eines halben Tages Arbeit verdienen?« Da sagte er: »Ich will den Dienst leisten«, und der Ausrufer versetzte: »So folge mir.« Der Ausrufer begab sich dann mit ihm in das Haus des jüdischen Kaufmanns, bei dem er das erste Mal ebenfalls gewesen war, und sagte zum Hausherrn: »Dieser Jüngling will das Geschäft, das du verlangst, verrichten.« Da hieß ihn der Kaufmann willkommen und führte ihn in den Harem, wo er ihm Speise und Trank vorsetzte. Nachdem Dschânschāh gegessen und getrunken hatte, brachte ihm der Kaufmann die Dinare und die schöne Sklavin, und Dschânschāh verbrachte die Nacht mit ihr. Am andern Morgen in der Frühe nahm er das Gold und die Sklavin und übergab beides dem Juden, in dessen Haus er die erste Nacht verbracht hatte; dann kehrte er zu seinem Dienstherrn dem Kaufmann zurück, setzte sich mit ihm aufs Pferd und ritt mit ihm hinaus, bis sie zu einem himmelhohen Berg gelangten, wo der Kaufmann einen Strick und ein Messer hervorholte und zu ihm sagte: »Wirf dies Pferd zu Boden.« Da warf er es zu Boden, fesselte es mit dem Strick und verfuhr mit ihm gerade so wie zuvor mit dem Maultier. Als er alles nach dem Befehl des Kaufmanns ausgeführt und den Leib des Pferdes geöffnet hatte, sagte der Jude zu ihm: »Kriech' hinein, daß ich dich einnähe, und sag' mir, was du drinnen siehst; das ist der Dienst, für den du deinen Lohn empfangen hast.« Da kroch Dschânschāh in den Leib des Pferdes, der Kaufmann aber nähte hinter 143 ihm zu und verbarg sich dann in einiger Entfernung. Nach einer Weile schoß ein großer Vogel aus der Luft auf das Pferd nieder, packte es mit seinen Krallen und stieg mit ihm in die Wolken des Himmels empor, worauf er sich auf den Gipfel des Berges niederließ. Als er sich hier nun daran machte, das Pferd zu verzehren, und Dschânschāh es merkte, öffnete er den Leib und kroch heraus, so daß der Vogel, erschreckt über seinen Anblick, fortflog. Dann schaute er nach dem Kaufmann, der unten am Fuß des Berges wie ein Sperling dastand, und fragte ihn: »Was wünschest du, Kaufmann?« Der Kaufmann antwortete: »Wirf mir einige der Steine herunter, die rings um dich liegen, daß ich dir den Weg weise, auf welchem du herunterkommen kannst.« Dschânschāh erwiderte ihm jedoch: »Du bist derselbe Mann, der dies fünf Jahre zuvor mit mir gethan hat, und um dessentwillen ich Hunger und Durst, schwere Drangsal und viel Übles erlitt. Nun hast du mich wieder hierher gebracht und willst meinen Untergang; bei Gott, ich werfe dir nichts herunter.« Mit diesen Worten wendete er sich um und schlug den Weg zum Scheich Nasr, dem König der Vögel, ein.

Fünfhundertundzweiundzwanzigste Nacht.

Weinenden Auges und bekümmerten Herzens wanderte Dschânschāh nun Tage und Nächte lang, Hunger und Durst mit dem Gras des Feldes und dem Wasser der Bäche stillend, bis er das Schloß des Herrn Salomo erreichte, vor dessen Thor er den Scheich Nasr sitzen sah. Er trat auf ihn zu und küßte ihm die Hände, und der Scheich Nasr hieß ihn willkommen und fragte ihn nach dem Salâm: »Mein Sohn, was ist mit dir geschehen, daß du wieder an diese Stätte zurückkehrst, nachdem du mit kühlem Auge und frohgeschwellter Brust mit der Herrin Schemse fortzogst?« Da erzählte ihm Dschânschāh weinend, was ihm von der Herrin Schemse widerfahren war, wie sie von ihm fortgeflogen wäre und zu ihm gesagt hätte: »Wenn du mich liebst, 144 so komme zu mir nach der Edelsteinburg Taknī.« Verwundert hierüber, sagte der Scheich zu ihm: »Bei Gott, mein Sohn, ich kenne die Edelsteinburg nicht, und bei dem Herrn Salomo, ich habe nie in meinem Leben diesen Namen gehört.« Nun fragte Dschânschāh: »Was soll ich nur thun, wo ich vor Liebe und Sehnsucht sterbe?« Der Scheich Nasr erwiderte: »Gedulde dich, bis die Vögel kommen; wir wollen sie nach der Edelsteinburg Taknī fragen, vielleicht daß einer unter ihnen sie kennt.« Da beruhigte sich Dschânschāhs Herz, und er trat ins Schloß und suchte das Zimmer auf, das den Wasserteich enthielt, in welchem er die drei Mädchen gesehen hatte.

Nachdem er längere Zeit bei dem Scheich Nasr verweilt hatte und eines Tages wie gewöhnlich dasaß, sagte der Scheich Nasr zu ihm: »Mein Sohn, die Stunde, zu welcher die Vögel erscheinen, ist genaht.« Dschânschāh war über diese Nachricht erfreut, und nur wenig Tage verstrichen, da nahten auch die Vögel, und der Scheich Nasr kam zu Dschânschāh und sagte zu ihm: »Mein Sohn, lerne diese Zauberworte auswendig und komm mit mir zu den Vögeln.« Gleich darauf kamen die Vögel angeflogen und begrüßten, Gattung nach Gattung und Art nach Art, den Scheich. Hierauf fragte er sie nach der Edelsteinburg Taknī, doch antworteten ihm alle: »Unser lebelang haben wir nichts von dieser Burg gehört.« Da weinte und klagte Dschânschāh, bis er in Ohnmacht sank. Nun rief der Scheich Nasr einen riesigen Vogel und sagte zu ihm: »Trag diesen Jüngling nach dem Lande Kabul,« und beschrieb ihm das Land und den Weg, der dorthin führte; und der Vogel antwortete: »Ich höre und gehorche.« Nachdem der Scheich dann Dschânschāh auf den Rücken des Vogels geladen hatte, sagte er zu ihm: »Hüte dich und nimm dich in acht, daß du dich nicht neigst und dadurch in der Luft zerrissen wirst; verstopfe dir auch deine Ohren für den Wind, daß dir das Kreisen der Sphäre und das Getöse der Meere keinen Schaden zufügt.« Dschânschāh 145 versprach ihm, seinen Rat zu befolgen, und nun spannte der Vogel seine Schwingen aus und stieg mit ihm hoch in die Luft empor, worauf er einen Tag und eine Nacht lang mit ihm flog, bis er mit ihm beim König der wilden Tiere, dessen Name Schâh Badrī war, einkehrte, wo der Vogel zu Dschânschāh sagte: »Wir sind vom Wege abgekommen und haben das Land, welches uns der Scheich Nasr beschrieb, verfehlt.« Hierauf wollte der Vogel mit Dschânschāh weiterfliegen, doch sagte dieser zu ihm: »Zieh deines Weges und laß mich in diesem Lande, daß ich entweder in ihm sterbe oder nach meiner Heimat gelange.« Da ließ ihn der Vogel bei Schâh Badrī, dem König der wilden Tiere, und flog weiter, während der König Schâh Badrī Dschânschāh fragte und zu ihm sagte: »Mein Sohn, wer bist du, von wannen kommst du auf diesem großen Vogel, und wie ist deine Geschichte?«

Nun erzählte er ihm alle seine Abenteuer von Anfang bis zu Ende, und der König verwunderte sich über seine Geschichte und sagte zu ihm: »Beim Herrn Salomo, ich kenne jene Burg nicht; wenn uns aber ein Tier den Weg dorthin weisen kann, so wollen wir es reich beschenken und wollen dich nach der Burg bringen lassen.« Da weinte Dschânschāh bitterlich und geduldete sich, bis Schâh Badrī, der König der wilden Tiere, nach kurzer Zeit zu ihm kam und sprach: »Steh auf, mein Sohn, nimm diese Tafeln, lerne was auf ihnen geschrieben steht, und so die Tiere kommen, wollen wir sie nach jener Burg fragen.

Fünfhundertunddreiundzwanzigste Nacht.

Nicht lange, da kamen auch schon alle die Tiere an, Gattung nach Gattung und Art nach Art, und begrüßten den König Schâh Badrī, worauf er sie nach der Edelsteinburg Taknī fragte; alle erwiderten ihm jedoch: »Wir kennen die Burg nicht und haben nie von ihr gehört.« Da weinte und jammerte Dschânschāh darüber, daß er nicht mit dem 146 Vogel, der ihn von dem Scheich Nasr fortgetragen hatte, weitergeflogen war, der König der Tiere aber sagte zu ihm: »Mein Sohn, gräme dich nicht; siehe, ich habe noch einen Bruder, König Schimâch geheißen, der älter als ich ist; derselbige war einst des Herrn Salomos Gefangener, weil er gegen ihn rebelliert hatte; auch giebt es unter den Dschinn keinen älteren als ihn und den Scheich Nasr. Vielleicht kennt er die Burg, und er herrscht über die Dschânn, die in diesem Lande hausen.« Nach diesen Worten lud ihn der König der Tiere auf den Rücken eines seiner Unterthanen und gab ihm ein Empfehlungsschreiben an seinen Bruder mit. Das Tier aber, auf dem er saß, trabte mit ihm sofort von dannen und lief Tage und Nächte lang, bis es zum König Schimâch gelangte, wo es fern von dem König Halt machte. Dann stieg Dschânschāh von seinem Rücken und schritt auf den König zu, bis er vor ihm stand und ihm unter Handkuß den Brief überreichte. Der König Schimâch las das Schreiben und sagte zu Dschânschāh, als er den Inhalt desselben begriffen hatte: »Bei Gott, mein Sohn, mein lebelang habe ich von dieser Burg nichts gehört, geschweige denn, daß ich sie gesehen hätte.« Als Dschânschāh nun zu weinen und seufzen begann, sagte der König Schimâch zu ihm: »Erzähle mir deine Geschichte und gieb mir Auskunft, wer du bist, woher du kommst und wohin du gehst.« Da erzählte er ihm alle seine Abenteuer von Anfang bis zu Ende, und der König Schimâch verwunderte sich hierüber und sagte zu ihm: »Mein Sohn, ich glaube, selbst der Herr Salomo hat sein lebelang diese Burg weder geschaut noch von ihr gehört; jedoch, mein Sohn, ich kenne einen hochbetagten Mönch im Gebirge, dem alle die Vögel, die Tiere und die Dschânn infolge seiner Beschwörungen gehorchen, da er die Könige der Dschânn so lange mit Beschwörungen bedrängte, bis sie sich ihm alle, von der Kraft seiner Schwur- und Zauberformeln gebändigt, wider Willen unterwarfen, und alle die Vögel und wilden Tiere dienen 147 ihm nun. Ich selber rebellierte einst wider den Herrn Salomo, und nimmer hätte er mich gebunden, hätte mich nicht dieser Mönch durch seine starken Listen und Zaubereien überwältigt, so daß ich ihm seitdem dienstbar ward. Wisse, dieser Mönch hat alle Länder und Klimate durchpilgert und kennt alle Wege, Gegenden, Ortschaften, Burgen und Städte, so daß ich glaube, daß ihm kein Ort unbekannt ist. Ich will dich zu ihm schicken, daß er dich nach jener Burg weist; kann er dir nicht den Weg dorthin angeben, so kann es niemand weiter, da ihm alle die Vögel, die Tiere und Dschânn gehorchen und zu ihm kommen. Außerdem aber hat er sich vermöge seiner großen Zauberkunst einen Stab aus drei Teilen gemacht; stößt er diesen Stab in die Erde und spricht er über ihn seine Zauberformeln, so kommt aus dem ersten Teil Fleisch und Blut, aus dem zweiten frische Milch und aus dem dritten Weizen und Gerste. Dann zieht er den Stab wieder aus der Erde und geht nach seiner Siedelei, welche die Diamanteneinsiedelei heißt. Aus der Hand dieses Zauberermönchs gehen allerlei merkwürdige Erfindungen hervor, und ist er ein durchtriebener Hexenmeister und Schwarzkünstler voll List, Falsch und Tücke. Jaghmûs heißt er, die ganze Schwarzkunst und Zauberei ist ihm bekannt, und zu ihm muß ich dich auf einem Vogel mit vier Flügeln schicken –

Fünfhundertundvierundzwanzigste Nacht.

von denen ein jeder dreißig haschimische Ellen lang ist; außerdem hat er Füße wie ein Elefant, doch fliegt er nur zweimal im Jahr und ein Aun Namens Timschûn holt ihm alle Tage zwei baktrische Kamele aus dem Irâk und zerstückelt sie ihm zum Fraß.« Nach diesen Worten ließ der König Schimâch den Vogel kommen und befahl demselben, ihn zum Mönch Jaghmûs zu tragen; und der Vogel nahm Dschânschāh auf den Rücken und flog mit ihm Tage und Nächte lang, bis er zum Burgenberg und zur Diamanteneinsiedelei gelangte. Dschânschāh stieg hier ab, und da er 148 den Mönch in der Kapelle bei seiner Andacht sah, schritt er auf ihn zu und stellte sich, nachdem er die Erde vor ihm geküßt hatte, vor ihn hin. Sobald ihn aber der Mönch erblickte, sprach er zu ihm: »Willkommen, mein Sohn; du Heimatloser, in die Fremde Verschlagener, sag' an, weshalb kommst du hierher?« Da weinte Dschânschāh und erzählte ihm seine Geschichte von Anfang bis zu Ende; und der Scheich erwiderte ihm, aufs Höchste über seine Erzählung verwundert: »Bei Gott, mein Sohn, mein lebelang habe ich weder von dieser Burg vernommen, noch sah ich ein Wesen, das von ihr gehört oder sie gesehen hätte, wiewohl ich bereits zur Zeit Noahs, des Propheten Gottes, das Licht der Welt schaute und seit jener Zeit bis zu den Tagen Salomos über die Tiere, die Vögel und Dschinn herrschte, ja, ich glaube, daß selbst Salomo, der Sohn Davids, nichts von dieser Burg gehört hat. Jedoch, mein Sohn, gedulde dich, bis die Vögel, die Tiere und die Dschânn kommen; vielleicht kann uns einer von ihnen über die Burg Auskunft geben, und giebt dir Gott, der Erhabene, hierdurch Trost.« Da blieb Dschânschāh so lange bei dem Mönch, bis alle die Vögel, die Tiere und die Dschânn zu ihm kamen, doch konnte ihnen keiner über die Edelsteinburg Taknī Auskunft geben, vielmehr sagten alle: »Wir haben die Burg weder gesehen, noch haben wir irgend etwas von ihr vernommen.« Da weinte und jammerte Dschânschāh und flehte zu Gott, dem Erhabenen, als zuletzt noch ein großer schwarzer Vogel hoch aus der Luft herabgeschossen kam und die Hände des Mönchs küßte. Als ihn dieser nun ebenfalls nach der Edelsteinburg Taknī fragte, erwiderte ihm der Vogel: »O Mönch, als ich und meine Brüder noch junge Brut waren, wohnten wir auf dem Krystallberg mitten in einer weiten Steppe hinter dem Berge Kâf, und unsere Eltern pflegten Tag für Tag nach Atzung für uns auszufliegen. Da traf es sich eines Tages, daß sie wieder wie gewöhnlich ausflogen und sieben Tage ausblieben, bis sie endlich, als wir bereits halb 149 verhungert waren, am achten Tage weinend wiederkehrten. Auf unsere Frage, weshalb sie so lange fortgeblieben wären, antworteten sie uns: »Ein Mârid überfiel uns, schleppte uns nach der Edelsteinburg Taknī fort und brachte uns vor den König Schahlân. Als uns dieser sah, wollte er uns umbringen, doch ließ er uns los, als wir ihm klagten, daß wir daheim junge Brut hinterlassen hätten. Wenn unsere Eltern noch lebten, so würden sie dir sicherlich über die Edelsteinburg Taknī Auskunft geben.« Als Dschânschāh dies vernahm, weinte er bitterlich und sagte zum Mönch: »Ich bitte dich, befiehl diesem Vogel, daß er mich zum Horst seiner Eltern auf den Krystallberg hinter den Berg Kâf bringt;« und der Mönch sagte nun zum Vogel: »O Vogel, ich wünsche, daß du diesem Knaben in allen seinen Befehlen gehorchst.« Der Vogel erwiderte: »Ich höre und gehorche deinem Wort;« alsdann nahm er Dschânschāh auf seinen Rücken und flog mit ihm unverdrossen Tage und Nächte lang, bis er zum Krystallberg gelangte, wo er sich mit ihm zu längerer Rast niederließ. Hierauf nahm er ihn wieder auf seinen Rücken und flog mit ihm zwei Tage lang, bis er den Horst seiner Eltern erreicht hatte.

Fünfhundertundfünfundzwanzigste Nacht.

Hier angelangt, sagte er zu Dschânschāh: »In diesem Horst waren wir.« Da weinte Dschânschāh bitterlich und sagte zum Vogel: »Ich bitte dich, fliege mit mir nach jener Richtung aus, nach welcher deine Eltern immer nach Atzung auszogen.« Der Vogel antwortete: »Ich höre und gehorche, o Dschânschāh.« Alsdann lud er ihn wieder auf und flog mit ihm sieben Nächte und acht Tage lang, bis er zu einem hohen Berge gelangte, wo er Dschânschāh von seinem Rücken absetzte und zu ihm sagte: »Hinter diesem Orte weiß ich von keinem Land weiter.« Mit diesen Worten flog der Vogel fort, während Dschânschāh von Müdigkeit überwältigt auf dem Gipfel des Berges in Schlaf sank. Als er 150 wieder erwachte, gewahrte er in der Ferne ein Leuchten und Blitzen, dessen Lichtschein den ganzen Himmel erfüllte, so daß er sich über das Blinken und Blitzen verwunderte, ohne zu ahnen, daß es der Schimmer der von ihm gesuchten Burg war. Zwischen ihm und der Burg lag aber ein Weg von zwei Monaten, und sie hieß die Edelsteinburg, weil sie aus rotem Hyazinth erbaut war und Paläste aus gelbem Gold und tausend Türme aus kostbarem Gestein hatte, welches aus dem Meer der Finsternisse gehoben war. Es war eine gewaltig große Burg und ihr König hieß Schahlân, welches der Vater der drei Mädchen war.

So viel, was Dschânschāh anlangt; was nun aber die Herrin Schemse anlangt, so kehrte sie, nachdem sie von Dschânschāh geflohen war, zu ihren Eltern und Angehörigen zurück und erzählte ihnen ihr Erlebnis mit Dschânschāh, wobei sie ihnen auch seine Geschichte mitteilte und ihnen von seinen Wanderungen durch die Welt, die Wunderdinge, die er geschaut hatte, und von ihrer gegenseitigen Liebe erzählte. Als ihre Eltern ihren Bericht vernommen hatten, sagten sie zu ihr: »Du hast nicht nach Gottes Vorschrift an ihm gehandelt;« und ihr Vater trug den Fall den Aunen von den Mâriden der Dschânn vor und sagte zu ihnen: »Jeder, der von euch einen Menschen schaut, soll ihn zu mir bringen.« Es hatte die Herrin Schemse nämlich auch ihrer Mutter erzählt, daß Dschânschāh sie leidenschaftlich liebte, und hatte zu ihr gesagt: »Er wird ganz gewiß hierher kommen, da ich, als ich von dem Dach des Schlosses seines Vaters fortflog, ihm zurief: »Wenn du mich liebst, so komm zur Edelsteinburg Taknī.«

Wie nun Dschânschāh jenes Blinken und Blitzen sah, ging er darauf zu, um zu sehen, was es wäre. Gerade an jenem Tage aber hatte auch die Herrin Schemse einen der Aune mit einem Auftrage in der Richtung nach dem Berge Karmûs, auf welchem Dschânschāh von dem Vogel abgesetzt war, ausgesandt; und so kam es, daß der Aun mit einem 151 Male unterwegs ein menschliches Wesen erblickte. Sobald er Dschânschāh gewahrte, kam er auf ihn zu, begrüßte ihn und fragte ihn nach seinem Namen; Dschânschāh fürchtete sich vor ihm, doch antwortete er: »Ich heiße Dschânschāh und bin von einer Dschinnîje, die Herrin Schemse geheißen, gefangen genommen, dieweil mich ihre Schönheit und Anmut bestrickte; so sehr ich sie aber auch liebte, so floh sie doch von mir, nachdem ich sie in meines Vaters Schloß geführt hatte.« So erzählte er ihm alles, was zwischen ihm und der Herrin Schemse vorgefallen war, und weinte dabei so bitterlich, daß des Auns Herz warm wurde und er zu Dschânschāh sagte: »Weine nicht, denn siehe, du hast das Ziel deiner Wünsche erreicht; wisse, sie liebt dich ebenfalls inniglich und hat ihren Eltern von deiner Liebe zu ihr erzählt, und alle, die in der Edelsteinburg wohnen, lieben dich um ihretwillen, sei deshalb guten Mutes und kühlen Auges.« Hierauf lud ihn der Mârid auf seine Schultern und trug ihn nach der Edelsteinburg Taknī, wo die Freudenboten alsbald zum König Schahlân, zur Herrin Schemse und zu ihrer Mutter eilten und ihnen die frohe Kunde von Dschânschāhs Kommen überbrachten. Alle waren hierüber hocherfreut, und der König Schahlân ritt inmitten aller seiner Aune, Ifrîte und Mâride zur festlichen Einholung Dschânschāhs aus.

Fünfhundertundsechsundzwanzigste Nacht.

Als der König Schahlân, der Vater der Herrin Schemse, mit Dschânschāh zusammentraf, umarmte er ihn, während Dschânschāh ihm die Hände küßte. Alsdann befahl der König Schahlân, ihm ein buntseidenes, goldgesticktes und mit Edelsteinen besetztes prächtiges Ehrenkleid anzulegen und setzte ihm eine Krone aufs Haupt, wie sie ihresgleichen kein König gesehen hatte. Hierauf ließ er ihm ein herrliches Roß aus dem Marstall der Könige der Dschânn vorführen und ritt mit ihm, zur Rechten und Linken von seinem Gefolge umgeben, in prächtigem Zuge ins Palastthor ein. Hier stiegen 152 der König und Dschânschāh ab, und Dschânschāh betrachtete voll Verwunderung und weinend das herrliche Schloß, dessen Mauern aus Juwelen, Hyazinthen und anderem kostbaren Gestein erbaut waren, während der Fußboden mit Krystall, Chrysolith und Smaragd ausgelegt war. Als aber der König und die Mutter der Herrin Schemse Dschânschāh weinen sahen, wischten sie ihm die Thränen ab und sagten zu ihm: »Laß nun dein Weinen und gräme dich nicht, denn du hast nun deinen Wunsch erreicht.« Hierauf führten sie ihn weiter, und als er mitten in den Palast gekommen war, empfingen ihn schöne Mädchen und Sklaven und Pagen und geleiteten ihn zu dem schönsten Platz, wo sie sich, des Dienstes gewärtig, vor ihm hinstellten, während er von der Schönheit des Palastes und seinen aus allerlei Juwelen und kostbarem Gestein erbauten Wänden ganz verblüfft war. Alsdann begab sich der König Schahlân in seinen Audienzsaal und befahl den Sklavinnen und Pagen Dschânschāh zu ihm hereinzuführen, daß er neben ihm Platz nähme; und die Sklavinnen und Pagen nahmen ihn und führten ihn zum König Schahlân herein, der sich vor ihm erhob und ihm den Platz an seiner Seite auf dem Thron anwies. Hierauf brachten sie den Speisetisch, und als sie gegessen und getrunken und sich die Hände gewaschen hatten, trat die Mutter der Herrin Schemse herein und begrüßte ihn und sagte zu ihm, nachdem sie ihn willkommen geheißen hatte: »Du hast nun nach vieler Mühsal dein Ziel erreicht, und dein Auge soll nach dem Wachen Schlaf finden; gelobt sei Gott für deine Errettung!« Alsdann begab sie sich zur selbigen Zeit und Stunde zur Herrin Schemse und führte sie zu Dschânschāh herein; und als nun die Herrin Schemse auf ihn zutrat, begrüßte sie ihn und küßte ihm die Hände, um dann beschämt vor ihm und ihren Eltern ihr Haupt niederzusenken; dann traten auch ihre Schwestern ein, die er im Schloß des Scheichs Nasr gesehen hatte, und küßten ihm die Hände und begrüßten ihn. Hierauf sprach die 153 Mutter der Herrin Schemse zu ihm: »Sei willkommen, mein Sohn; wohl hat sich meine Tochter Schemse gegen dich versündigt, du aber vergieb ihr ihr Thun um unsertwillen.« Als Dschânschāh diese Worte von ihr vernahm, stieß er einen lauten Schrei aus und sank in Ohnmacht; und der König verwunderte sich über ihn. Alsdann sprengten sie ihm Rosenwasser mit Moschus und Zibeth ins Gesicht, worauf er wieder zu sich kam und, seine Augen auf der Herrin Schemse ruhen lassend, sprach: »Gelobt sei Gott, welcher mich meinen Wunsch hat erreichen lassen, und der das Feuer meines Herzens ausgelöscht hat, daß nichts mehr davon übriggeblieben ist!« Die Herrin Schemse erwiderte: »Gott bewahre dich vor dem Feuer! Doch nun, o Dschânschāh, erzähle mir, wie es dir seit unserer Trennung erging, und wie du hierher kamst, da doch die Mehrzahl der Dschânn nichts von der Edelsteinburg Taknī weiß, und wo wir uns wider alle Könige empört haben, und niemand den Weg hierher kennt oder auch nur von ihm gehört hat.« Da erzählte er ihr alle seine Erlebnisse und die Abenteuer, die er ausgestanden hatte, bis er zu ihr gekommen war, und welche Schrecken und Wunder er unterwegs gesehen hatte. und teilte ihr auch mit, daß sein Vater von dem Könige Kafîd durch Krieg schwer bedrängt würde; »alles dies aber,« so schloß er seinen Bericht, »geschah um deinetwillen, meine Herrin Schemse«. Ihre Mutter versetzte darauf: »Nun hast du deinen Wunsch erreicht, und wir schenken dir die Herrin Schemse, daß sie deine Sklavin sei.« Als Dschânschāh dies vernahm, freute er sich mächtig; die Mutter der Herrin Schemse aber fügte dann noch hinzu: »So Gott will, der Erhabene, wollen wir im kommenden Monat die Hochzeit feiern und dich mit der Herrin Schemse vermählen, um dich dann mit ihr in deine Heimat zurückzusenden. Auch wollen wir dir tausend Mâride mitgeben, von denen der geringste auf dein Geheiß den König Kafîd mit seinem gesamten Volk in einem Augenblick erschlagen wird, und wollen 154 dir alljährlich eine Schar schicken, von der jeder einzige imstande sein wird, alle deine Feinde bis auf den letzten Mann zu vernichten.«

Fünfhundertundsiebenundzwanzigste Nacht.

Hierauf setzte sich der König Schahlân auf den Thron und befahl den Großen seines Reiches, die Vorkehrungen zu einem prächtigen Fest zu treffen und die Stadt sieben Tage und Nächte zu schmücken. Die Großen erwiderten: »Wir hören und gehorchen,« und verließen ihn, um unverzüglich die Zurüstungen zum Fest zu treffen. Nachdem sie hiermit zwei Monate zugebracht hatten, feierten sie dann ein so prächtiges Hochzeitsfest, wie seinesgleichen zuvor nicht gewesen war, und führten Dschânschāh zu seiner Braut. Zwei Jahre lang führte er nun mit der Herrin Schemse das herrlichste und angenehmste Leben bei Schmaus und Trank, bis er nach Verlauf dieser Zeit zu ihr sagte: »Siehe, dein Vater versprach uns, uns in meine Heimat zu schicken, daß wir abwechselnd dort und hier ein Jahr verbrächten.« Die Herrin Schemse antwortete: »Ich höre und gehorche;« und als es Abend geworden war, begab sie sich zu ihrem Vater und trug ihm Dschânschāhs Worte vor, worauf derselbe erwiderte: »Ich höre und gehorche; gedulde dich jedoch bis zum ersten des Monats, damit wir euer Geleit ausrüsten.« So berichtete denn die Herrin Schemse Dschânschāh ihres Vaters Worte, und beide warteten bis zur angegebenen Zeit, nach deren Verlauf der König Schahlân einen großen Thron aus rotem, mit Perlen und Edelsteinen besetztem Gold herrichten ließ, über welchen ein grünseidener, mit bunten Fransen besäumter und mit Edelsteinen bestückter Baldachin gespannt war, dessen Pracht die Blicke verwirrte. Nachdem sich dann Dschânschāh und die Herrin Schemse auf den Thron gesetzt hatten, befahl der König Schahlân seinen Mâriden, sie nach Dschânschāhs Heimat zu tragen, und erwählte vier derselben den Thron zu tragen, indem jeder an 155 einer der vier Seiten anfaßte. Hierauf verabschiedete sich die Herrin Schemse von ihren Eltern, ihren Schwestern und ihren Angehörigen, und die Mâride zogen mit ihnen von hinnen, während der König sie begleitete, bis sie zur Mittagszeit den Thron niedersetzten. Alsdann nahmen sie noch einmal voneinander Abschied und der König Schahlân kehrte, nachdem er Schemse Dschânschāh und beide den Mâriden anempfohlen hatte, heim. Die Mâride aber hoben den Thron wieder auf und flogen, von dreihundert schönen Sklavinnen und dreihundert Mamluken aus den Söhnen der Dschânn, welche der König Schahlân der Herrin Schemse und Dschânschāh geschenkt hatte, geleitet, zehn Tage lang zwischen Himmel und Erde, indem sie an jedem Tage einen Weg von dreißig Monaten zurücklegten, bis sie zur Residenz des Königs Tîghmūs gelangten, welche einer der Mâride kannte.

Fünfhundertundachtundzwanzigste Nacht.

Inzwischen aber war der König Tîghmūs von seinen Feinden geschlagen und war in die Stadt geflohen, wo er, vom König Kafîd eng eingeschlossen, in schwerer Drangsal saß und denselben vergeblich um Pardon bat. Wie er nun sah, daß ihm kein Rettungsmittel übrigblieb, entschloß er sich, sich selber zu erdrosseln, um so durch den Tod von seinem Gram und Kummer erlöst zu werden. Schon hatte er von den Wesiren und Emiren Abschied genommen und war in sein Haus gegangen, um seinem Harem ebenfalls Lebewohl zu sagen, als sich mit einem Mal, während das ganze Volk seines Reiches weinte und jammerte und trauerte und schrie, die Mâride auf den Palast innerhalb der Burg des Königs Tîghmūs niederließen, wo Dschânschāh ihnen befahl, den Thron mitten in den Diwan niederzusetzen. Die Mâride vollzogen seinen Befehl, und Dschânschāh stieg mit der Herrin Schemse und den Sklavinnen und Mamluken ab; als sie nun aber alles Volk in der Stadt in Nöten und Ängsten und in großer Kümmernis erblickten, sagte 156 Dschânschāh zur Herrin Schemse: »Geliebte meines Herzens und mein Augentrost, schau' nur, wie übel es meinem Vater ergeht.« Da befahl die Herrin Schemse den Mâriden über die Belagerer herzufallen und sie allesamt zu erschlagen; Dschânschāh aber winkte einem riesenstarken Mârid, Namens Karâtasch, zu und befahl ihm den König Kafîd gefesselt vor ihn zu führen. Die Mâride setzten nun den Thron nieder und spannten das Zelt darüber aus. Nachdem sie dann bis Mitternacht gewartet hatten, überfielen sie den König Kafîd und sein Heer und schlugen ein jeder immer zehn oder wenigstens acht Mann auf einmal tot, indem die einen auf Elefanten aus der Luft auf sie niedersausten, sie packten und hoch in der Luft in Stücke rissen, während die anderen sie mit eisernen Keulen erschlugen. Karâtasch aber stürzte sich unverzüglich auf das Zelt des Königs Kafîd, der auf seinem Polster saß, und flog mit ihm, während er vor Furcht schrie, durch die Luft zu Dschânschāh, ihn auf den Thron vor ihn hinstellend. Hierauf befahl Dschânschāh den vier Mâriden den Thron aufzuheben und hoch in die Luft zu stellen, und ehe noch der König Kafîd aus dem Schlafe zu sich kam, sah er sich zwischen Himmel und Erde schweben, so daß er sich vors Gesicht schlug und sich hierüber verwunderte.

Soviel, was den König Kafîd anlangt; als aber der König Tîghmūs seinen Sohn wieder sah, wäre er vor Freude beinahe gestorben und sank mit einem lauten Aufschrei in Ohnmacht. Da sprengten sie ihm Rosenwasser ins Gesicht, und als er nun wieder zu sich kam, umarmten sich Vater und Sohn und weinten bitterlich; und der König Tîghmūs wußte nicht, daß die Mâride wider König Kafîds Heer kämpften. Hernach erhob sich die Herrin Schemse, ging auf den König Tîghmūs zu und sagte zu ihm, ihm die Hände küssend: »Mein Herr, steig auf das Dach deines Palastes und schau dem Kampf der Streiter meines Vaters zu.« Da stieg der König Tîghmūs mit der Herrin Schemse aufs 157 Dach, wo sich beide setzten und dem Kampf der Mâride zuschauten, die kreuz und quer unter den feindlichen Truppen tobten, indem die einen von ihnen mit ihren eisernen Keulen die Elefanten mit ihren Reitern zu Boden schlugen, daß beide eine unförmliche Masse wurden, während andere in die Gesichter der fliehenden Scharen schrieen, daß sie tot niederstürzten, und wieder andere gegen zwanzig Reiter auf einmal packten, mit ihnen hoch in die Luft stiegen und sie dann zu Boden warfen, daß sie sich kurz und klein schlugen. So tobte der Kampf vor den Augen Dschânschāhs, seines Vaters und der Herrin Schemse, die daran ihre Lust schauten.

Fünfhundertundneunundzwanzigste Nacht.

Zwei Tage lang währte die Schlacht, bis alle bis auf den letzten Mann vor den Augen des Königs Kafîd, der dem Schauspiel vom Throne weinend ebenfalls zuschauen mußte, niedergemacht waren. Alsdann befahl Dschânschāh den Mâriden den Thron wieder herunterzuholen und ihn mitten in die Burg des Königs Tîghmūs zu setzen; und als sie den Befehl ihres Herrn ausgeführt hatten, gebot der König Tîghmūs einem Mârid, Namens Schimwâl, den König Kafîd in Ketten und Fesseln zu legen und ihn in den schwarzen Turm einzusperren. Nachdem Schimwâl den Auftrag ausgerichtet hatte, ließ dann der König Tîghmūs die Trommeln schlagen und Dschânschāhs Mutter von der Ankunft ihres Sohnes und allem Geschehenen benachrichtigen. Als diese die frohe Kunde vernahm, kam sie sofort angeritten und sank, ihren Sohn an die Brust pressend, im Übermaß ihrer Freude in Ohnmacht. Da sprengten sie ihr Rosenwasser ins Gesicht, und als sie nun wieder zu sich kam, umarmte sie ihn weinend vor Freude. Bald darauf kam die Herrin Schemse, die von ihrer Ankunft vernommen hatte, an und begrüßte sie, worauf beide einander umarmten und wohl eine Stunde lang in ihrer Umarmung verharrten. Dann setzten sich beide und plauderten miteinander, 158 während der König Tîghmūs die Stadtthore öffnen ließ und die Freudenboten ins ganze Land ausschickte. Bald hatte sich die frohe Kunde überallhin verbreitet, Geschenke und Kostbarkeiten trafen von allen Seiten ein, und die Emire, die Krieger und die Fürsten seines Landes kamen herbeigeströmt, ihn zu begrüßen und ihm für den Sieg und die wohlbehaltene Heimkehr seines Sohnes Glück zu wünschen. Nachdem in dieser Weise längere Zeit verstrichen war, befahl der König Tîghmūs die Stadt zu schmücken und richtete für die Herrin Schemse zum zweitenmal ein herrliches Hochzeitsfest aus, auf welchem er sie in prächtigen Schmucksachen und Kleidern Dschânschāh vorführte; alsdann führte Dschânschāh sie heim und machte ihr hundert schöne Sklavinnen zum Geschenk. Einige Tage nachher begab sich die Herrin Schemse zum König Tîghmūs und legte bei ihm für den König Kafîd Fürbitte ein, indem sie zu ihm sagte: »Laß ihn in sein Land heimkehren, und sollte er irgend etwas Böses thun, so will ich einem der Mâride befehlen, daß er ihn packt und zu dir zurückbringt.« Der König Tîghmūs antwortete ihr: »Ich höre und gehorche,« und befahl Schimwâl, den König Kafîd vor ihn zu bringen. Als dieser nun in seinen Fesseln und Ketten vor ihm stand und die Erde vor ihm küßte, befahl er ihm die Ketten zu lösen und sagte zu ihm, indem er ihn auf ein lahmes Pferd setzen ließ: »Siehe, die Herrin Schemse hat Fürbitte für dich eingelegt; zieh' deshalb heim in dein Land, doch solltest du wieder dein früheres Thun beginnen, so wird sie dir einen Mârid auf den Hals schicken und dich wieder zurückholen lassen.« So zog der König Kafîd in Schimpf und Schanden heimwärts, –

Fünfhundertunddreißigste Nacht.

während Dschânschāh, sein Vater und die Herrin Schemse ein Leben voll lauter Lust und Fröhlichkeit führten.«

Alles dieses erzählte der junge Mann, der zwischen den 159 beiden Gräbern saß, Bulûkijā, und schloß seine Erzählung mit den Worten: »Und siehe, ich bin Dschânschāh und schaute alles dies, o mein Bruder Bulûkijā.« Verwundert hierüber fragte Bulûkijāder Pilgersmann, den die Liebe zu Mohammed – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – in die Welt hinausgetrieben hatte: »O mein Bruder, was bedeuten diese beiden Gräber hier, und warum sitzest du hier zwischen ihnen und weinst?« Da antwortete ihm Dschânschāh und sprach zu ihm: »Wisse, o Bulûkijā, wir führten, nachdem der König Kafîd in Schimpf und Schanden heimgezogen war, lange Zeit ein Leben voll lauter Lust und Fröhlichkeit, indem wir abwechselnd ein Jahr in unserm Lande und ein Jahr in der Edelsteinburg Taknī verbrachten, wohin wir stets, auf dem Thron sitzend, von den Mâriden durch die Luft zwischen Himmel und Erde getragen wurden.« Da fiel Bulûkijā ein und fragte: »O mein Bruder, o Dschânschāh, wie weit ist es von deinem Land nach der Edelsteinburg Taknī?« Dschânschāh erwiderte ihm und sprach: »Wir legten an jedem Tage einen Weg von dreißig Monaten zurück und gelangten in zehn Tagen nach der Burg. Nachdem wir nun in dieser Weise eine Reihe von Jahren verbracht hatten, traf es sich, daß wir wieder einmal auf der Fahrt nach Taknī an diesem Ort vorüberkamen und uns hier mit dem Thron niederließen, um uns auf dieser Insel zu erholen und vergnügen. Nachdem wir uns auf das Flußufer gesetzt und gegessen und getrunken hatten, sagte die Herrin Schemse: »Ich will mich in diesem Fluß baden,« und zog ihre Kleider aus; desgleichen thaten auch die Sklavinnen und stiegen alle in den Fluß, wo sie schwammen und mit der Herrin Schemse Kurzweil trieben, während ich sie verließ und das Flußufer entlang spazierte. Mit einem Mal aber schoß ein großer Raubfisch von den Meeresungetümen gerade auf die Herrin Schemse los und biß sie ins Bein, daß sie mit einem lauten Aufschrei tot zusammenbrach. Die Sklavinnen waren beim Anblick des Fisches zuerst erschrocken aus dem Wasser 160 ins Zelt gelaufen, hernach aber waren einige von ihnen umgekehrt und hatten sie ins Zelt getragen, wo ich, als ich sie tot vor mir liegen sah, in Ohnmacht sank. Da sprengten sie mir Wasser ins Gesicht, und als ich nun wieder zu mir kam, beweinte ich sie und befahl den Mâriden, mit dem Thron zu ihren Angehörigen zu ziehen und ihnen das Unglück, das die Herrin Schemse betroffen hatte, mitzuteilen. Nicht lange währte es, da kamen ihre Eltern hierher und wuschen sie und wickelten sie ins Leichentuch, worauf sie sie hier begruben und sie betrauerten. Alsdann wollten sie mich mit sich in ihr Land nehmen, ich aber sprach zu ihrem Vater: »Ich bitte dich, laß mir hier an ihrer Seite eine Grube graben, daß ich, wenn ich gestorben bin, neben ihr bestattet werde.« Da befahl der König Schahlân einem Mârid, das Grab für mich zu graben, und als er meinen Wunsch erfüllt hatte, verließen sie mich und ließen mich hier weinend und klagend über ihren Verlust zurück. Das ist meine Geschichte und der Grund, weshalb ich hier zwischen diesen beiden Gräbern sitze.« Nach diesen Worten sprach er die beiden Verse:

»Das Haus ist seit der Trennung von dir kein Haus für mich,
Und der werte Nachbar kein Nachbar mehr;
Der traute Freund, den dort ich besuchte, ist mir hinfort kein Freund,
Und das helle Licht ward dunkel um mich her.«

Als Bulûkijā alles dies von Dschânschāh vernommen hatte, verwunderte er sich –

Fünfhundertundeinunddreißigste Nacht.

und rief: »Bei Gott, ich dachte, ich hätte fürwahr die Welt durchwandert und wäre rings durch die Lande gezogen, doch, bei Gott, nun ich deine Geschichte vernommen, habe ich alles, was ich geschaut, vergessen!« Alsdann sagte er zu Dschânschāh: »O mein Bruder, sei so freundlich und habe die Güte, mir einen sicheren Weg zu weisen.« Da zeigte ihm Dschânschāh den Weg und Bulûkijā verabschiedete sich von ihm und wanderte weiter.« 161

 


 << zurück weiter >>