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In den Aufzeichnungen von Grete Senz finden sich über diesen Abend die nachstehenden Bekenntnisse:
»Sonntag abend, am 7. Juli. Ich war bei Doktors gewesen, wo zum Tanze aufgespielt wurde, als zu meinem Schrecken Leutnant Dorn auf der Bildfläche erschien. Die Mutter hatte ihn unbegreiflicherweise heraufgeschickt, damit er sich nach mir umsehe. In dem Gespräch, das ich nun mit Leutnant Dorn hatte, spielte ich zur Abwechslung mit ihm Katze und Maus. Ich suchte ihn durch beleidigende Bemerkungen aus seinem Versteck hervorzuziehen, aber ich merkte, wie ich bald alle Selbstbeherrschung verlor; ich fühlte, wie ich, von tausend Teufeln getrieben, ihm Dinge sagte, die ein Mann nicht auf sich sitzen lassen darf. In einem Zustand, den ich nicht zu schildern vermag, brach ich die Unterhaltung ab. Denn ich spürte ganz deutlich, daß ich, meiner selbst nicht mehr mächtig, mich auf ihn stürzen müßte, um meine spitzen Nägel in seinen Hals zu krallen und ihn zu würgen, bis er keinen Atem mehr hätte. Als wir an unserer Flurtür standen, nahm ich an, daß er sich verabschieden und nach Hause gehen würde. Es kam anders; ehe ich es verhindern konnte, war er mir gefolgt. Ich zündete das Gas an und fragte ihn brüsk, was er eigentlich von mir wolle.
Im Hause schlief bereits alles, es war lautlos still.
›Was wünschen Sie also von mir?‹
›Ich wünschte mit Ihnen abzurechnen – glauben Sie denn wirklich, ich würde diese Beleidigungen widerspruchslos einstecken?‹
›Nun, dann fordern Sie mich vielleicht zum Duell, wie es unter Leuten Ihres Standes üblich ist?‹
›Wenn Sie ein Mann wären, müßten Sie sich allerdings vor die Mündung meiner Pistole stellen.‹
›Und ich würde Sie ohne Erbarmen niederschießen und mich nicht umwenden, wenn Sie den letzten Seufzer von sich gäben.‹
Leutnant Dorn sah in meine funkelnden Augen und lächelte sanft.
›Machen Sie sich etwa über mich lustig?‹ fragte ich zitternd.
›Ich dachte nur, daß dies ein schönes Sterben wäre,‹ erwiderte er ernst.
›Nach einem häßlichen Leben gibt es kein schönes Sterben,‹ replizierte ich rasch – und empfand mit einem stechenden Schmerz, welche Gewalt seine Stimme über mich hatte. Nein, ich wollte mich nicht ergeben und wehrte mich mit allen Kräften gegen meine Schwäche. Gottlob, er kam mir zu Hilfe.
›Ich denke,‹ sagte er gereizt, ›wir sind lange genug wie die Katzen um den heißen Brei geschlichen. Worin besteht also mein Verbrechen? Ich bin in das Haus Ihrer Eltern gekommen und fand die freundlichste Aufnahme. Ich sah Sie und Else, und war von Ihnen beiden wie benommen. Und ob Sie mir nun glauben, oder es töricht und spaßig finden, ich wußte nicht, ob Ihnen oder Else mein Herz gehörte. Wachend und schlafend sah ich Sie beide immer zusammen und konnte die eine nicht von der anderen trennen. Und dann fühlte ich mich zu Ihnen hingezogen und glaubte, mein Schicksal läge in Ihrer Hand. Sie müssen gespürt haben, wie ich mich Ihnen zu nähern suchte – und Sie wissen am besten, mit welch schmählicher Kälte Sie mich abgelehnt haben. Da wurde es mir klar, daß ich mich einem törichten Wahn hingegeben hatte – ich sah es wie eine Erlösung an, als Else mit ihrer Herzenswärme mir keinen Zweifel ließ, daß jeder ihrer Gedanken mein sei. Sie werden jetzt vielleicht begreifen, daß ich nicht anders wählen konnte.‹
Ich vermag nicht mehr zu sagen, was bei diesen Worten in mir vorging. Ich hätte laut aufheulen mögen, während ich meine letzte Energie zusammenraffte und in schneidendem Tone antwortete: ›Damit haben Sie sich selber das Urteil gesprochen, Herr Leutnant, – ein Mensch, der nicht weiß, wen er liebt – und der zwischen mir und einer anderen zu wählen vermag – – – es ist zum Lachen.‹
›Zum Weinen,‹ entgegnete Leutnant Dorn.
›Nein, es ist weder zum Lachen noch zum Weinen. Es ist einfach verächtlich. Ein Mensch, der keine sicheren Instinkte hat, ist in meinen Augen eine elende Kreatur.‹
›Ich danke Ihnen, Fräulein Grete, daß Sie mir wenigstens meine Elendigkeit zugestehen – es ist doch wenigstens etwas, woran ich mich klammern kann. Daß die andere notabene Ihre eigene Schwester war, lassen Sie bei Ihrem richterlichen Spruche völlig außer acht – ich glaube, daß Sie bei etwas Gerechtigkeitsgefühl darin zum mindesten einen Milderungsgrund sehen müßten.‹
Ich lachte hell auf.
›Das ist eine geriebene Logik, Herr Leutnant, die Ihnen alle Ehre macht,‹ gab ich ihm zurück. ›Nein, nein,‹ fuhr ich heftig fort, ›kommen Sie mir mit keinen Milderungsgründen. So steht der Fall und nicht anders: Sie hatten zwischen mir und einer anderen sich zu entscheiden – und haben auf mich leichten Herzens verzichtet.‹
›Leichten Herzens, meinen Sie,‹ warf er bitter dazwischen. ›Ich wünschte, Sie könnten mein Inneres durchdringen.‹
Ich achtete nicht seines Einwandes, sondern fuhr mit gesteigerter Erregung fort: ›In dieser Stunde wenigstens soll zwischen Ihnen und mir keine Unklarheit herrschen. In meinen Augen haben Sie sich wie ein leichtfertiger Spekulant benommen. – Aus einer Gewissensfrage – denn die Wahl einer Frau, so habe ich wenigstens bisher gedacht, ist die heiligste Frage des Gewissens – haben Sie einen leichtfertigen und frivolen Handel gemacht, wie ein Abenteurer und Spekulant haben Sie gehandelt.‹
Leutnant Dorn war weiß wie Linnen geworden. Um seine Lippen zuckte es beständig. In diesem Augenblicke rief die Mutter aus ihrem Schlafzimmer: ›Um Gottes willen, was ist denn da drinnen für ein Streit – was habt ihr denn, Kinder?‹
›Nichts, Mutter, wir haben uns um die Unsterblichkeit der Seele gestritten. Leutnant Dorn glaubt an ein Leben nach dem Tode – und ich behaupte, es gibt kein Ding, das Seele heißt.‹
›Grete, was redest du für dummes Zeug – – ist es nicht schon sehr spät, Kinder?‹
›Ja, Mama, ich bin auch eben im Begriff, Adieu zu sagen. Gute Nachtruhe, liebe Mama!‹
Die Antwort aus dem Schlafzimmer verhallte, Leutnant Dorn hatte eine feierliche Haltung angenommen und verbeugte sich wortlos vor mir. Eine Weile verharrte ich regungslos und horchte auf das Klopfen meiner Pulse. Dann eilte ich in mein Zimmer. Mir war auf einmal leicht ums Herz – und als das leere Bett meiner Schwester Else mir entgegenstarrte, empfand ich eine Art von teuflischer Freude. Langsam entkleidete ich mich – aber ich vermochte keine Ruhe zu finden. Immer sah ich Elses Augen groß und traurig auf mich gerichtet. Und im Nebenzimmer ging mein Bruder Walter mit schweren, wuchtigen Schritten auf und nieder. Ich schleuderte die Kissen weit von mir und sprang aus dem Bett. Ich kann nicht schlafen – – – ich muß alles niederschreiben, um das Gleichgewicht wiederzufinden. Gott helfe meiner armen Seele, was soll daraus werden. Ich verhöhnte Leutnant Dorn und liebe ihn mehr als mein Leben – und mit Else habe ich keine Spur von Mitleid – – nur die Mutter – – die arme Mutter … Ich möchte ins Wasser gehen und bin zu feige – jämmerlich feige bin ich – ich finde mich nicht mehr zurecht in diesem Zwiespalt – – und keine Seele hilft mir in meinen Nöten – – –«