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Stadtwappen

Friedberg i/Hessen

Wehe dem Schwachen! Wehe dem Armen! Die Welt ist dasjenige Reich, wo, wie Luther sagt, der Stärkere den Schwächeren in den Sack steckt. Das gilt wie für die einzelnen auch für menschliche Gemeinschaften.

In der fruchtbaren Wetterau zwischen Taunus und Vogelsberg, wo einst ein Kastell und eine Ortschaft der Römer nebeneinander gelegen hatten, erstand im Mittelalter Burg und Stadt Friedberg. Man nimmt an, daß die Hohenstaufen sich die Burg erbauten, und daß neben ihren Mauern ein Markt aufblühte; beide waren da, ohne daß sich ihre Entwicklungsgeschichte verfolgen ließe. Von der Stadt ist zum erstenmal urkundlich die Rede, als König Heinrich, Friedrichs II. Sohn, im Jahre 1232 den Städten Frankfurt, Friedberg, Wetzlar und Gelnhausen das Recht verlieh, daß die Bürger nicht gezwungen werden sollten, ihre Töchter einem von den königlichen Hofleuten zur Ehe zu geben. Ein Fall, der sich in Frankfurt begeben hatte, war der Anlaß zu dem Privilegium, das beweist, in welcher abhängigen Stellung die Bewohner jener Städte sich damals befanden. Bald änderte sich das: Frankfurt, Friedberg, Gelnhausen und Wetzlar verbündeten sich, stärkten sich dadurch und errangen Ansehen durch ihre Sorge für den Landfrieden. Auch größeren Bünden schlossen sie sich an, fast immer zusammen auftretend und zusammen als die vier Städte der Wetterau genannt. Ihnen zusammen verlieh auch König Richard im Jahre 1257 die Reichsfreiheit.

Kaum hatte sich ein Gefühl der Kraft in der Stadt Friedberg befestigt, so empfand sie, wie hemmend für ihre Entwicklung die Nähe der Burg war. Sie war von Rittern bewohnt, die unter einem aus ihrer Mitte gewählten Burggrafen standen, sich selbst ergänzten und an Selbstgefühl der Stadt nichts nachgaben; der Drang, ihre Macht zu mehren, mußte die beiden reichsunmittelbaren Körperschaften in Gegensatz bringen. Verderblich aneinandergekoppelt standen sich Ritterschaft und Stadtrepublik kampfbereit, drohend und doch zögernd gegenüber; bei gleicher Kraft und gleichem Recht war der Ausgang eines Kampfes ungewiß. Trotzdem kam es zu einem solchen, während dessen die Burg durch die Städter zerstört wurde. Es geschah zu Kaiser Rudolfs Zeit, der der Stadt verzieh und eine Einigung zwischen den widerwilligen Zwillingen zustandebrachte, die erste Versöhnung von den vielen, die sich folgten, um immer wieder durch den unausrottbaren Zwiespalt gebrochen zu werden. Demselben König verdankte Friedberg das Privilegium de non evocando und das Recht, Lehen erwerben zu können; aber trotz dieser Begnadigungen begünstigte er, wie alle Kaiser, die Ritter. Kaiser Albrecht führte den ersten verhängnisvollen Streich gegen Friedberg, indem er dem Burggrafen das Recht verlieh, der Stadt einen Schultheißen zu setzen, und sie dadurch in eine gewisse rechtlich begründete Abhängigkeit von der Burg brachte. Es ist verständlich, daß die Burg, sowie die Stadt sich davon zu befreien suchte, das Recht festhielt und womöglich Folgerungen daraus zu ziehen suchte, wie ihr das dem freien Gericht in der Grafschaft Kaichen gegenüber gelang. Eine bedeutungslose Beziehung, in die sie durch irgendeine Urkunde mit der Grafschaft gebracht worden war, benutzten die Burgmannen, um ein Recht über sie zu erlangen, das der Kaiser ihnen bestätigte, so daß sie zuerst Beschirmer und dann Besitzer derselben wurden. Die Proteste und die Auflehnung der freien Bauern blieben unbeachtet; da sie nichts als ihr Recht hatten und ihre Dienste den herrschenden Klassen unentbehrlich schienen, wurden sie sogar bestraft, wenn sie sich darauf beriefen.

Noch machte sich das Übergewicht der Burg nicht bemerklich; in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts fällt die Blüte der Stadt. Sie erbaute die gotische Liebfrauenkirche, schlicht, aber nicht ohne Größe, und schmückte sie mit reicher Glasmalerei und anderen Kunstwerken. In einem Bündnis, das Friedberg nach alter Gewohnheit mit Frankfurt und Gelnhausen abschloß, war vorgesehen, daß Frankfurt 13, Friedberg 10, Gelnhausen 3 Gewaffnete zu stellen habe; dies Verhältnis stellte Friedberg noch in ziemliche Nähe von Frankfurt. Immer mehr aber machte sich der Vorteil, den seine Lage am Main dem glücklicheren Frankfurt gab, bemerkbar und drückte die benachbarten und befreundeten Wetterauer Städte sicherer und unabwendbarer, als ihre Feinde es konnten. Wohl hatte auch Friedberg eine Messe, aber gegen die von Frankfurt konnte sie nicht aufkommen. Mitten in ihrer Blüte traf die Stadt ein Schlag, mit dem ihr langes Siechtum begann.

Kaiser Karl IV. verpfändete sie an den Grafen von Schwarzburg. Die beginnende Ohnmacht des Reichshaupts, das auf wenig sichere Einnahmen rechnen konnte und auf die Willfährigkeit seiner Großen angewiesen war, entschuldigt einigermaßen den unkaiserlichen Gebrauch, den er einführte. Das Privileg Ludwigs des Bayern, das Friedberg vor Verpfändung sicherstellte, half nichts gegenüber dem Willen der Mächtigen. Andere Städte wußten sich der Gefahr zu entziehen; Friedberg war dazu nicht reich und infolgedessen nicht selbstbewußt und furchtlos genug. Patrizische Geschlechter, die sich ohne Reichtum nicht bilden oder halten, gab es in Friedberg nicht oder nicht mehr; es war in der Hauptsache eine Stadt von Handwerkern und Ackerbürgern, ehrenhaften Leuten, denen der reißende Zahn des Raubtiers fehlte.

Hingegen hatten die Burgmannen nur Gewinn einzuheimsen. Auch sie hatten innerhalb ihrer Mauern eine Kirche, die dem Patron der Ritter, dem heiligen Georg, geweiht war und für welche Johann Wölflein, Maler aus dem Cisterzienserorden zu Ilbenstadt, ein großes Gemälde zu Ehren Gottes malte. Außerdem besaß die Kirche eine hölzerne, bunt bemalte Figur des heiligen Georg und eine Glocke, die Maria hieß, und die ein Glockengießer von Frankfurt gegossen hatte. Graf Adolf von Hessen, den sie, von der Stadt unterstützt, erfolgreich befehdeten und gefangennahmen, baute ihnen, um sich zu lösen, die hohe Turmsäule, die das nördliche Burgtor bewacht. Ludwig der Bayer verlieh ihnen den ersten Burgfrieden, die Ordnung nämlich, wonach sie untereinander leben sollten. Sie hatten danach das Recht, aus ihrer Mitte einen Burggrafen auf Lebenszeit zu wählen, der mit einer gewissen Zahl von Burgmannen, welche Bauleute hießen, die Regierungsgeschäfte besorgte, ferner das Recht, wenn ein Burgmann gestorben oder seines Amtes entsetzt war oder es freiwillig aufgegeben hatte, einen anderen, Kaiser und Reich dienlichen zu wählen, den der Kaiser bestätigte. Wenn ein Burgmann einen anderen totschlüge, hieß es in der ersten Satzung, so solle er ein Jahr über Rhein gehen, habe er den andern nur verwundet, auf ein halbes Jahr nach Frankfurt oder, je nachdem, nach Wetzlar oder Gelnhausen. War dadurch der gebrochene Burgfrieden gesühnt, so blieb noch die Sühne mit den Geschädigten zu vereinbaren. Eine Reise nach Frankfurt oder Wetzlar und vollends eine über Rhein scheint demnach durchaus nicht als Vergnügen betrachtet worden zu sein.

Die Burg hatte das Recht, durch sechs Burgmannen an den Ratssitzungen teilzunehmen, wohingegen die Stadt von der Burg ausgeschlossen war. Geradezu gegen die Stadt richtete sich ein Privileg Wenzels, wonach die Burg, weil sie groß und weit sei, Beisassen aufnehmen dürfe; denn dadurch wurde sie gleichsam zur Stadt und konnte die Nachbarin noch in anderem Sinne als früher erdrücken.

Im Jahre 1400 kam Kaiser Ruprecht von Gelnhausen her zur Huldigung nach Friedberg. Sechzig bis achtzig Burgmannen holten ihn an der Grenze ein und geleiteten ihn mit entfaltetem Georgsbanner in die Burg. Sie schenkten ihm, altem Herkommen gemäß, drei Rehe und 60 Fische; die Stadt schenkte ihm ein Fuder Wein, halb neuen und halb firnen, einen silbernen vergoldeten Becher mit 200 Goldgulden und Hafer für die Pferde, wozu noch Geldgeschenke an das Gefolge und eine spätere Leistung von 500 Goldgulden zum Zuge »über Berg nach Lamparten« kam. Von der Burg aus ritt der Kaiser in die Liebfrauenkirche, wo ihm im Chor vom Magistrat gehuldigt wurde. Die Formel lautete: »Wir huldigen unserem gnädigen Herrn, König Ruprechten, gegenwärtig und in guten Treuen, ihm gehorsam, getreu und hold zu sein und zu warten als einem römischen König und zukünftigen Kaiser und als unsern rechten Herrn, doch uns unschädlich an solcher Pfandschaft, als wir unserem Herrn von Schwarzburg von des heil. Reichs wegen verpfändet sind, und wollen unserem gnäd. Herrn, König Ruprecht, stet und fest halten ohne alle Gefährde, als uns Gott helfe und alle Heiligen.«

Trotz der empfangenen reichen Geschenke stellte sich Ruprecht, wie die anderen Kaiser, auf die Seite der Ritter, indem er der Stadt gebot, die Türme der Liebfrauenkirche, von denen der eine noch kaum begonnen war, nicht höher aufzubauen, als sie gerade wären, und sie auf keinen Fall zu einer Befestigung einzurichten, von welcher aus die Burg beschossen werden könne. Eine solche Absicht lag allerdings den Friedbergern nicht fern, wie denn auch die Katharinenkapelle dicht am südlichen Turm der Burg zugleich den Zweck einer Schanze erfüllte.

Um 1430 war die Stadt Friedberg schon »wüst und vergänglich« geworden und so tief verschuldet, daß der Graf von Schwarzburg die Lust an seinem Pfande verlor und, nachdem er der Stadt das Recht erteilt hatte, sich ungeachtet der Pfandschaft mit anderen Fürsten und Herren einzulassen, sie weiter verpfändete, und zwar an mehrere Teilhaber. Es waren der Erzbischof Diether von Mainz, die Herren von Eppstein, ein Herr von Isenburg und die Stadt Frankfurt, und das Verhältnis der Anteile war so, daß Frankfurt die Hälfte hatte. Vermutlich um den Wert des verpfändeten Gegenstandes zu erhöhen, machte der Erzbischof von Mainz Anstalt, sich Friedbergs gegen die Burg anzunehmen; allein er fand sofort einen Gegner in dem Pfalzgrafen Friedrich dem Siegreichen, der kurz zuvor sich das Öffnungsrecht der Burg erkauft hatte und dadurch an ihr interessiert war. Indessen auch die neuen Pfandherren mochten einsehen, daß Friedberg nicht mehr hochzubringen war, und sie traten, zuerst Kurmainz, dann Frankfurt, das Pfandrecht an diejenigen ab, denen am meisten daran gelegen war, es zu besitzen, an die Burgmannen von Friedberg.

Bitterkeit und Groll im Herzen, mußten nun Bürgermeister und Rat dem Burggrafen und den Burgmannen, die an die Stelle der Pfandinhaber, also gewissermaßen an die Stelle des Kaisers getreten waren, schwören, ihnen treu, hold, gehorsam und gewärtig zu sein. Trotz ihrer Verarmung und Entkräftung vergaßen sie ihren ehrenvollen Stand als Reichsstadt nicht, sondern sannen auf Wiederherstellung der ehemaligen Blüte und Würdigkeit. Wie hätten sie das aber aus eigener Kraft vollbringen können? Die Zeit der Städtebünde war vorüber; sie wendeten sich also, eingedenk des vom Grafen von Schwarzburg erlangten Rechtes, sich ungeachtet der Pfandschaft mit anderen Fürsten und Herren einlassen zu können, an den Landgrafen Heinrich III. von Hessen-Marburg, um seine Schutzherrschaft zu erwerben. Dieser Versuch zur Befreiung führte zu vollständiger Entrechtung; denn die erzürnten Burgmannen zwangen der Stadt, als sie von ihrer Eigenmächtigkeit erfuhren, einen Verherrungs-Revers ab, in dem sie versprachen, sich nie mehr zu verherren; auch mußte die Huldigung künftig auf dem Platze vor der Burg vollzogen werden. Als die letzten Anteile des Pfandbesitzes von den Herren von Eppstein und Isenburg auch noch an den Burggrafen fielen, dem die Stadt über 2208 Gulden schuldete, war ihre Unterwerfung unter die Burg vollendet. Trotz ihrer Ohnmacht empörten sich die Bürger noch einmal unter der Führung von Johann Winnecken, aber vergeblich. Zur Strafe für ihre Auflehnung mußten sie die Katharinenkapelle, welche hart an den Toren der Burg lag und die sie als Befestigung zum Angriff benutzt hatten, auf eigene Kosten abbrechen und an einer anderen Stelle, wo sie nicht gefährlich werden konnte, wieder aufbauen.

Dies geschah in dem sturmvollen Jahre 1525, zu einer Zeit, als beide, Burg und Stadt, schon den neuen Glauben angenommen hatten; die alte Feindschaft war nicht darin untergegangen. In der breiten Straße, die Friedberg repräsentiert, wird ein Haus als dasjenige bezeichnet, das Luther auf seiner Rückreise von Worms bewohnte. Von Friedberg sind drei Briefe datiert, die der Flüchtende dort schrieb: ein lateinischer an den Kaiser, ein deutscher an die Kurfürsten und Stände und ein Billet an den Freund Spalatin. Ihn begleitete Kaspar Sturm, der, von seiner Persönlichkeit und seinem Wort ergriffen, sein treuer Anhänger wurde. Sturm blieb damals in Friedberg und ließ sich dauernd dort nieder, woraus manche schließen, daß er ein geborener Friedberger gewesen sei. Seine Nachkommen bewahrten das Geleitsschwert auf, das er in Worms als Reichsherold Luther vorantrug und das sich jetzt im Museum befindet. Daß Luthers kurze Anwesenheit in Friedberg den evangelischen Gedanken in Friedberg ausgesät oder nur befördert habe, ist nicht anzunehmen; die Bewegung war in den Gemütern so vorbereitet, daß das Auftreten des Reformators sie in ganz Deutschland wie ein erster warmer Frühlingstag aufgehen ließ. Zwar wurde in Burg und Stadt die Reformation erst im Jahre 1552 gesetzlich eingeführt, weil man den Kaiser zu erzürnen fürchtete; aber da war sie von selbst, dadurch, daß das Alte abbröckelte, die Klöster leer wurden, die Priester heirateten und selbst die neue Lehre predigten. Brendel von Homburg war der Burggraf, der die Reformation in der Burg durchführte; in späterer Zeit bekamen die Katholiken mehr Einfluß und setzten durch, daß von den Regimentsburgmannen die Hälfte katholisch sein mußten.

Der Umstand, daß Friedberg an der Hauptstraße nach Frankfurt lag, trug ihm viel hohen Besuch ein, der in rühmlich bekannten Gasthäusern gut verpflegt wurde, war aber auch Ursache, daß der Krieg es heimsuchte. Alle Kriege seit dem dreißigjährigen brausten vernichtend, Hunger und Pest im Gefolge, durch Friedberg. Elf Jahre lang, von 1620-31, war es von den Spaniern besetzt; während dieser Zeit kam es vor, daß der Bürgermeister Volkhard, ein Metzger, aus Lebensüberdruß sich die Kehle abschnitt. Dann kamen abwechselnd Schweden und Kaiserliche; Belagerung, Erstürmung, Plünderung war an der Tagesordnung. Schrecklicher und bösartiger noch hausten die Franzosen in den Napoleonischen Kriegen. »Unsere Nachkommenschaft,« schrieb ein Zeitgenosse auf, »wird sich nicht überzeugen können, daß in Gestalt von Menschen Geschöpfe auf dem Erdboden vorhanden gewesen, die alles Menschengefühl ausgezogen und Taten verübt haben, dergleichen in den ältesten und rohesten Zeiten nicht verübt wurden und wahrscheinlich, solange die Welt steht, nicht wieder erlebt werden.«

Als nach der Zerstörung Speiers das Reichskammergericht sich eine andere Stätte suchen mußte, kamen auch einige Abgeordnete nach Friedberg, das als Reichsstadt in bequemer Lage in Betracht kam, um die dortigen Zustände zu untersuchen. Man fand ein ländliches Städtchen, dessen Bürgerschaft nicht viel über 150 Mann stark war, wozu noch 75 Judenfamilien kamen. Zugunsten der Stadt sprach, daß die Post hindurchgehe, auch ein Arzt und ein Apotheker vorhanden sei; aber man tadelte sehr, daß in den Häusern keine Brunnen wären, daß die 12 oder 14 Ziehbrunnen, die die Stadt mit Wasser zu versorgen hätten, sehr tief wären, und daß man Strick und Eimer, um Wasser heraufzuwinden, selbst mitbringen müsse. Der Eindruck war im ganzen so kümmerlich, daß man von Friedberg absah.

Man bewundert es, daß das herabgekommene Gemeinwesen im Anfang des 18. Jahrhunderts wieder den Versuch machte, die drückende Abhängigkeit abzuwerfen, indem es die Pfandschaft ablöste. Die Burg ging jedoch nicht darauf ein, die Huldigung mußte nach alter Weise stattfinden. Festessen und Ball, wozu die Burgmannen den Friedberger Magistrat einluden, nahmen dem Akt nichts von seiner Bitterkeit; der Rat fuhr in seinen Bestrebungen fort und hoffte, nun zum Ziel zu kommen, indem er sich, wie schon früher einmal, in den Schutz des Landgrafen von Hessen begab. Die arme Stadt hatte kein Glück: die Folge war, daß sie vom Reichshofrat zu einer Strafe von zehn Mark lötigen Goldes verurteilt wurde. Noch bitterer mögen die Empfindungen der Bauern gewesen sein, welche die Grafschaft Kaichen aus ihrer Mitte nach Wien zum Kaiser abordnete, um an ihre alte, widerrechtlich geraubte Freiheit zu erinnern; es wurde ihnen bedeutet, augenblicklich Wien zu verlassen und sich nie wieder einer solche Auflehnung zu erdreisten. Der Burggraf betrachtete den nie erlöschenden Widerwillen der Kaicher Bauern gegen seine Herrschaft nicht mit Unrecht, aber mißbilligend, als »eine von ihren Voreltern gleichsam anererbte Freiheitssucht«.

Die doppelte Gerechtigkeit zeigte sich auch darin, daß die verschuldete Stadt, der sich niemand angenommen hatte, noch zu Reichsleistungen herangezogen wurde, die sie kaum aufbringen konnte, während die Burgmannen sich stets darauf beriefen, daß sie nur zu freiwilliger Hilfe verpflichtet wären und auch diese nur ungern leisteten. Die zunehmende Verfälschung der Ideen des alten Reichs und die Verknöcherung aller Formen war gerade an den aristokratischen Körperschaften wahrzunehmen, deren Ansprüche sich auf ihre Kaiser und Reich geleistete Schwerthilfe gründeten, die aber längst, entsprechend dem veränderten Charakter der Kriege, außer Übung gekommen war. Da die Ritter im allgemeinen zu anderen Zwecken nicht gebraucht wurden, waren sie eigentlich überflüssig geworden, genossen aber die althergebrachten Vergünstigungen weiter und trieben ihr Standesbewußtsein höher und höher. Neu aufgenommen in die Burg wurden nur Söhne oder Schwiegersöhne von Burgmannen und auch diese mußten auf einem Pergament von vorgeschriebener Größe einen Stammbaum beibringen und ihren Adel von 16 Ahnen her beweisen. Zur Zeit der Aufhebung des Instituts waren unter den 91 Burgmannen, die es damals gab, 22 Grafen. Übrigens vernimmt man nicht, daß die Burgmannen ihre Übermacht zu bösartigen Quälereien oder ehrenrührigen Zumutungen mißbraucht hätten; aber für die Friedberger Bürgerschaft waren die unvermeidlichen kleinen Übergriffe und Einmischungen und die dauernd spürbare Nähe der triumphierenden Nebenbuhler Pein genug.

Dem vielhundertjährigen Kampfe machte der Reichsdeputationshauptschluß ein Ende, der Stadt und Burg nacheinander dem nunmehrigen Großherzogtum Hessen zusprach. Die beiden Republiken des Heiligen Römischen Reichs mußten aufgehn in dem Territorialfürstentum, das im Anschluß an Frankreich aufgekommen war, und das jetzt durch Frankreich zum vollständigen Siege über das zertrümmerte, entseelte Reich geführt worden war. Französische Offiziere und Soldaten paradierten vor der Burg, als am 12. September 1806 ihre Übergabe an die neue Herrschaft stattfand. Der letzte Burggraf, Graf Clemens August Wilhelm von Westfalen, wurde 12 Jahre später auf dem alten Peterskirchhof in Frankfurt begraben. Nach einigen Jahrzehnten wurden Stadt und Burg zu einer politischen Gemeinde und dann zu einer Pfarrgemeinde vereinigt.

Die Anlage der Stadt Friedberg ist ungewöhnlich; denn sie gruppiert sich nicht um einen Mittelpunkt, wie Kirche oder Schloß oder Rathaus, sondern ihren Mittelpunkt bildet eine fast marktbreite Straße, die auf die Burg zuläuft und zu der von beiden Seiten her Gassen hinaufführen. Ungewöhnlich ist ferner, daß Friedberg nicht, wie die meisten anderen Städte, aus mehreren Dörfern oder Ortschaften zusammengewachsen ist, die alle ihren besonderen Mittelpunkt hatten und ihren besonderen Charakter lange bewahrten; vielleicht beschränkte auch das seine Entwicklungsfähigkeit. Man muß jetzt ein peinliches Stück Bahnhofsvorstadt überwinden, bis man zum alten Friedberg vordringt; hat man aber einmal die Breite Straße erreicht, fühlt man sich umfangen von einer wie eine Kindheitserinnerung lieben Welt. Da stehen sie dicht aneinandergedrängt, die spitzen Giebel der Straße zugewendet, die Bürgerhäuser, meist mit Schiefer gedeckt, keins wie das andere, obwohl von gleichem Stil, eins schmaler, eins stattlicher, eins geschmückter, eins breitspuriger, alle noch von der mäßigen Größe, daß man sie als zweites, weiteres Kleid der Familie betrachten kann, die sie bewohnt. Von den alten Gasthäusern – dem Ochsen, dem Schwan, den drei Schwertern – wo die Fürsten und Herren abstiegen, sind noch mehrere erhalten; aber es fehlen die Brunnen, über deren Tiefe die Kommission des Reichskammergerichts klagte, ohne ihre Wohlgestalt zu beachten. Nahe der Burg steht das barocke Rathaus mit dem gekrönten Doppeladler, das um 1738 an der Stelle des alten erstand; gegenüber lag das Haus zum Ritter, das der Familie Goethe gehörte. Nachdem am Ende des 16. Jahrhunderts ein Thilemann Goethe Syndikus der Burg gewesen war, tauchte der uns teure Name im 18. Jahrhundert wieder auf, als Johann Christian Goethe, ein Vetter vom Vater des Dichters, jenes Haus kaufte. Er und seine Frau starben in zerrütteten Vermögensverhältnissen, und das Haus zum Ritter wurde dann verkauft. Nicht nur steht Friedberg durch den Namen Goethe zu Frankfurt in Beziehung, sondern es hat einen bedeutenden Schatz bürgerlicher Tüchtigkeit an die glücklichere Schwesterstadt abgegeben. Die Grunelius, die Zickewolf, die Frank von Lichtenstein, die Senkenberg, Weisel und Lotichius, bekannte Frankfurter Familien, sind meist im 17. Jahrhundert aus Friedberg eingewandert. Die Zickewolf haben von 1501-1712 sechzehnmal das Bürgermeisteramt in Friedberg bekleidet, auch die Grunelius und Senkenberg einige Male.

Auf der Freiheit vor der Burg stand einst die Katharinenkapelle, von welcher aus zum letztenmal mit den Waffen um die Freiheit der Stadt gekämpft worden war. Dann steht man vor dem von zwei Türmen flankierten südlichen Tore der Burg; unter den Spitzbogen des Durchgangs prangt der Reichsadler mit dem Burgwappen, darunter ist ein aus einem jetzt abgebrochenen Turme stammender Stein angebracht mit der Inschrift: frid sy by üch. 1493. Eine andere Welt, als draußen war, umgibt uns jenseits des Tores, stolz und machtbewußt, wenn auch mit der neuen Zeit allerhand ausdruckslose Nutzbauten und Anstalten eingedrungen sind. Die Wachthäuser und das Schloß stammen zum Teil aus der Barockzeit; barock ist auch der wundervolle St. Georgsbrunnen, den die Kastanien zur Blütezeit feierlich wie gestirnte Globen umgeben. Der mittelalterliche Heilige in Harnisch und Helm und flatterndem Gewand hebt seine Lanze gegen den sich aufbäumenden Lindwurm, seiner anmutigen Hoheit bewußt und seines Sieges sicher. Den steinernen Rand des eckigen Brunnenbeckens schmücken die Wappen von Burgmannen: von Bettendorf mit den Brömser von Rüdesheim geviertet, Rau von Holzhausen, Diede zum Fürstenstein, von Ingelheim, Kämmerer von Worms, genannt von Dalberg, von Breidenbach, genannt von Breidenstein, von Stockheim, von Weitelshausen, genannt von Schrautenbach, Löw von und zu Steinfurt, von Frankenstein. Das sehr alte Geschlecht Löw zu Steinfurt hatte fünf Burggrafen gestellt, und die letzten überlebenden Burgmannen waren zwei Löw zu Steinfurt. Auch ihr Haus mit ihrem Wappen, dem silbernen Kranich im blauen Felde, ist mit ein paar anderen Burgmannenhäusern, schlichten Fachwerkbauten, noch vorhanden. An Stelle der alten Georgskirche steht die nüchterne neue Burgkirche aus dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts mit dem Wappen des vorletzten Burggrafen, Grafen Wallbott von Bassenheim. Ein paar alte, zum Teil zertrümmerte Grabsteine aus der abgebrochenen Kirche, auf deren einem noch der Name Schelm von Bergen sich entziffern läßt, stehen jetzt auf dem Burggraben, von wo der Blick aus diesem festumzirkten Raume in die Weite schweift, bis ihn der Taunus und der ferne Vogelsberg festhalten. Jenseits des nördlichen Tores wendet sich die Straße im Bogen schluchtartig abwärts nach der Stadt zurück durch eine Wildnis von Grün, das sich ungestüm in die alten Gräben stürzt, unter den basaltenen Felsen, auf die schon die Römer bauten. Die starken Befestigungen, mit denen sich die Ritter gegen die Außenwelt sicherten, sind gefallen wie auch die der Stadt; wo nicht neues Menschenwerk sie hemmt, dringt Natur urkräftig ein, um das Alte zu verschlingen.


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