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Stadtwappen

Münster

Die Sachsen nahmen endlich, weniger dem Zwange sich fügend, als weil sie sich mit dem neuen Glauben befreundeten, das Christentum an, das sie nicht hinderte, kriegerisch, furchtlos, stolz, trotzig und freiheitsliebend den Menschen gegenüber zu sein. Besonders die Westfalen bewahrten ihren Charakter. Hier gab es, als im Reich das Land fast ganz versklavt war, noch freie Bauern, die sich der Würde ihres Standes bewußt waren und ihre alten Rechte hüteten. Hier ist eigensinnig leidenschaftliches Festhalten am alten Glauben; aber von hier gingen auch zu jeder Zeit Vorkämpfer neu zu erobernder Freiheit aus, unbeugsame und gelassene.

Von allen Städten Westfalens ist Münster die vornehmste, ja in ganz Deutschland gibt es keine, die ihr darin gleichkommt. Den Panzer der Mauern und Türme hat sie abgeworfen; nur zwei Zeugen mittelalterlicher Wehrhaftigkeit sind noch vorhanden: der Buddenturm, ein Gespenst alter Zeit inmitten neuerer Straßen, und der Zwinger, ein prachtvoller zyklopischer Rundbau, den ein Wappen, ein paar Fenster und eine Treppe beleben, und dem ein bequemes Ziegeldach eine Wendung ins Gemütliche gibt. Das häusliche Gewand jedoch, das die Stadt jetzt trägt, hat noch etwas von einer Rüstung: es ist streng im Schnitt und die Juwelen, die es schmücken, drängen sich dem Blick nicht auf. Die Häuser sind im allgemeinen schlicht, aber auch die ärmlichen sind nicht schäbig oder ordinär und auch die reichen sind zurückhaltend. Da, wo das Ganze zum Ausdruck kommen soll, wird Pracht entfaltet, aber die Noblesse der Linie kühlt sie. Hat der Giebel des Rathauses etwas Flammendes, so hat er auch das Unnahbare dieses Elements; der Farbenton des Backsteins, der vielfach zur Verwendung kommt, ist eine burgunderdunkle Glut, ein Feuer, das Stolz gedämpft hat. Wo irgend Überschwang erscheint, wirkt er nicht als Sichgehenlassen, sondern als eine Schönheitsfülle, zu der Adel und Reichtum verpflichten. Münster ist eine Stadt, in deren Wappen man die Worte schreiben möchte, die im Gildensaale des Krämeramtshauses über dem Kamine stehen: Ehr is dwang nog – Ehre ist Zwang genug. Der Freie, und das ist nach der damaligen Auffassung der Edle, erträgt keinen Zwang; aber er zwingt sich selbst.

Wäre es möglich, daß dieser Wahlspruch beständig wirkte, würden die Ordnungen des Lebens nicht durchbrochen werden; aber überall, auch in den Beherrschten, sind unterirdische Kräfte verborgen, die darauf warten, ihre Fesseln titanisch zu brechen, Nicht nur die oft fehlerhaften, verwerflichen Einrichtungen der Welt werden bald mit Recht, bald widerrechtlich umgeworfen, auch der harmonische Kosmos, der uns trägt, ist wilden, zerstörenden Kräften abgerungen und immer durch sie bedroht. Jähe Ausbrüche solcher Art, wo sich ideale Feindseligkeit gegen schlechte weltliche Ordnungen mit der Feindseligkeit gegen ordnende Vernunft überhaupt verbindet, erscheinen da am grellsten, wo beharrende Gesinnung und gemessenes Wesen landesüblich ist; zugleich sind sie da am leichtesten zu erklären.

Der alte Name für die Stätte am Münster war Mimigerneford, das heißt Furt am Hügel des Mime. Die Furt bezieht sich auf das Flüßchen Aa, dessen alter Name Ahwa Wasser bedeutet, und Mime hieß wahrscheinlich der Gott, der auf der Anhöhe angebetet wurde. Die erste Besiedelung der Gegend bestand aus vier großen Höfen, die Karl der Große bei der Gründung des Bistums dem Bischof schenkte. Sie hatten freien Bauern gehört, die in den Sachsenkriegen gefallen oder vertrieben sein mochten. Im elften Jahrhundert verschwand der altgermanische Name Mimigerneford vor dem Namen Münster, der ursprünglich nur für das Monasterium galt, sei es nun, daß die erste klösterliche Niederlassung des heiligen Ludger oder das Kloster Überwasser, jenseits der Aa, damit gemeint war.

Nach dem Tode Karls des Großen bildeten sich die großen Herzogtümer auf der Grundlage der Stämme, und das Bistum Münster wurde Glied des sächsischen, trotz persönlicher Anhänglichkeit der Bischöfe an die jeweiligen Kaiser wenig hineingezogen in die allgemeinen Angelegenheiten des Reichs. Das änderte sich, als infolge des Sturzes Heinrichs des Löwen das Herzogtum Sachsen zerschlagen wurde und, da es dem Erzbischof nicht gelang, sich in Besitz des Ganzen zu bringen, eine Anzahl einzelner Gewalten entstanden, von denen jede aus der großen Beute soviel wie möglich an sich riß. Die Bischöfe von Münster wurden selbständige Landesherren und breiteten sich nach Kräften aus, wobei sie auch innerhalb des Gewonnenen auf Widerstand stießen. Ging auch die Gerichtsgewalt des Herzogs zum Teil auf sie über, so blieben doch immer einige Freigerichte, die ursprünglich nur vom König, dann vom Herzog von Sachsen abhingen, der sie erblich zu belehnen pflegte. Der Umstand, daß die freien Gerichte vor Unterwerfung auf der Hut sein mußten, bewirkte, daß sie sich in das Dunkel des Geheimnisses zurückzogen und schließlich zu einem Geheimbunde wurden, der den Namen Feme führte. Im Anschluß an den Erzbischof von Köln als obersten Stuhlherrn erhielt die Feme kaiserliche Bestätigung und trat mit dem Anspruch auf, für die Freien im ganzen Reich zuständig zu sein. So erhielt sich auf alt sächsischem Boden das alte germanische Recht in dunkle Bräuche vermummt, von Edelleuten und Freien getragen, halb heilig, halb verbrecherisch, so wie überwundene Götter zu schreckenden Dämonen werden. Auch die Stadt Münster war Inhaberin einer Freigrafschaft, was um so wichtiger war, als zur Zeit der Landfriedensbündnisse hauptsächlich den Freigrafen und Freischöffen die Ausübung der Landfriedensgerichte zugewiesen war.

Das Weichbild Münster, das um den alten ummauerten Domhügel herum erwachsen war, erhielt grade um die Zeit, als die neuen Verhältnisse sich ausbildeten, Mauern und Stadtrecht. Ihr Recht nahmen sie von dem älteren Soest. Es begann ein rascher Aufstieg durch Handel und im Anschluß an die Hanse. Nach dem fernen Osten hatten Bürger von Münster früh Beziehungen; in Riga hieß das Versammlungshaus der Kaufmannsgilde »Die Stube von Münster«. Zum Schutz der Märkte und der reisenden Kaufleute verbündete sich Münster zuerst mit dem nahen Osnabrück, dann auch mit Soest, Dortmund, Lippstadt, den bedeutendsten westfälischen Handelsstädten. Aus den Handelsbündnissen wurden solche zu Schutz und Trutz; ein mit dem Domkapitel zu gegenseitiger Aufrechterhaltung ihrer Rechte geschlossenes wendete sich sogar gegen den Bischof, von dem sich das Kapitel ziemlich unabhängig gemacht hatte. In dem großen Landfriedensbunde von 1298, an dessen Spitze der Erzbischof von Köln stand, waren auch die drei Städte Münster, Soest und Dortmund vertreten. Zu dem den Vorsitz führenden Friedensgericht entsendete Münster seine Bürger Heinrich Rike und Bernhard Kerkering als Abgeordnete. Bischof Ludwig II., ein Landgraf von Hessen, verbrauchte zu kriegerischen Unternehmungen so viel Geld, daß er sich genötigt sah, einem Bürger von Münster, Bernhard von Cleyhorst, die weltliche Gerichtsbarkeit auf beiden Seiten der Aa zu verpfänden.

Das Regiment der Stadt lag im 13. und 14. Jahrhundert unbeschränkt in den Händen einiger Familien, sogenannter Erbmänner, die sich adliger Abkunft rühmten und wohl größtenteils im Dienst des Bischofs heraufgekommen waren. Es waren die Grael, die Nysing, Rike, Kerkernitz, Schenking, Cleyhorst, Bischopink, Droste, Aldebrandink, Schevenink, Deckenbroch, Tilbeck, von Wyk und andere, die als Bürgermeister und Schöffen immer wieder begegnen. Das Domkapitel, das im Jahre 1392 beschlossen hatte, nur Leute von mindestens ritterbürtigem Stande aufzunehmen, lehnte im 16. Jahrhundert einen Schenking ab, was die Erbmännerfamilien zu dem Versuch bewog, ihre Ritterbürtigkeit zu beweisen. Nach langen Verhandlungen, die erst vor dem päpstlichen Gerichtshof von Rom, dann vor dem Reichskammergericht in Speyer geführt wurden, erklärte Kaiser Leopold I. die Erbmänner für rittermäßig und mit dem Landadel gleichberechtigt, welches Urteil nochmals angefochten und 1709 nochmals bestätigt wurde. Diese Unsicherheit erklärt sich daraus, daß der Adel sich erst im späteren Mittelalter als Stand abschloß, als die Handwerker eine Macht wurden. In Münster waren die in Gilden zusammengeschlossenen Handwerker von demselben freiheitstolzen und unbeugsamen Geiste beseelt wie der Adel. In der Mitte des 15. Jahrhunderts erlangten die Gilden das Recht, die Beschlüsse des Rats zu genehmigen; damals ließ sich ein Graf von Hoya, der seinen Bruder auf den Bischofsitz bringen wollte, in die Schmiedezunft aufnehmen, weil er durch den Beistand der Gilden eher zum Ziele zu kommen hoffte.

Die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts, wo die Individualitäten, welche Münster bildeten, der Bischof, das Domkapitel, die Erbmänner oder der Stadtadel und die Gilden, gleich kräftig sich entfalteten, war für die Stadt die Zeit der Blüte. Mehrere auf Universitäten gebildete Männer hatten die neuen, humanistischen Ideen aufgenommen und machten Münster zu einem Mittelpunkt des geistigen Lebens. Ihr Führer war Rudolf von Langen, der in Italien studiert hatte, und dessen lateinische Dichtungen in einer Buchdruckerei erschienen, die der Buchdrucker Johann Limburg aus Trier in Münster errichtete. Alexander Hegius und Anton Liber aus Soest waren in der Wissenschaft bekannte Namen. Ein Freund Huttens und eine ihm verwandte Natur war Hermann von dem Busche, der mit jenem zusammen an den Dunkelmännerbriefen gearbeitet hat. Sie fanden zum Glück Verständnis bei dem Bischof Konrad von Rietberg, so daß eine Neugründung der alten Domschule im humanistischen Sinne von ihm nicht gehindert wurde. Die Schule, an der die griechische Sprache gelehrt wurde, genoß solchen Ruf in Deutschland, daß sich zeitweise 4000 Studenten in Münster sollen aufgehalten haben. Ebenso wie die Wissenschaft wurden die bildenden Künste gepflegt. Die herrlichen Giebelhäuser am Prinzipalmarkt tragen das Gepräge gesicherten Wohlstandes und begründeten Selbstbewußtseins. Die reiche Ausstattung der Gotteshäuser, des weihevoll dämmrigen Doms, der glänzenden Lambertikirche, haben die Wiedertäufer entfernt. Eine Anzahl neuerdings ausgegrabener Sandsteinfiguren, die ihnen als Fundament von Bastionen dienen mußten, befinden sich jetzt im Museum; nicht ohne Grauen geht man an den roten, heimatlosen, verstümmelten Gestalten vorüber. Drei Glasgemälde von besonderer Schönheit bilden die größte Zierde des Dominnern: die Kreuzigung, die Abnahme vom Kreuz, die Grablegung und Kreuztragung. Das Braun des Mantels Christi auf der Kreuztragung und das tiefe Rot des andern, der auf dem Kreuzigungsbilde unter dem Kreuze liegt, durchdringen die tragischen Darstellungen mit überirdischer Glut. Sie sind gezeichnet von einem Gliede der Malerfamilie to Ring, die im 16. Jahrhundert arbeitete und deren Werke in Auffassung und Farbengebung durch ernste, vornehme Haltung charakterisiert sind.

In dies Gebäude einer Kultur, die vorzüglich das Schöne pflegte, schlugen plötzlich aus einer Tiefe, von deren Dasein die Glücklichen der Welt für gewöhnlich nichts spüren, Flammen. Unterhalb der Ordnung, die ein Volk sich gegeben hat, die ein Geschlecht dem andern überliefert und die von Siegern und ihren Erben getragen wird, hausen im Dunkel die, welche unterlagen, sei es durch Schwäche oder durch Torheit oder durch Krankheit und Schicksal. Sie nehmen nicht teil an dem Glanze, der Üppigkeit, den edlen oder schlechten, nützlichen oder überflüssigen Bestrebungen der Oberwelt, sie brüten wirre, schwärmerische, tiefe Gedanken aus, die am Lichte wunderlich wie Gedanken von Narren erscheinen. Was kümmern sie die kunstvollen Gemälde, die droben mit Gold aufgewogen werden, die Gesetze der hebräischen Sprache, die griechischen und römischen Versmaße? Sie wollen einfache Dinge: Brot, Licht, Gesundheit, Gerechtigkeit. Sie hassen die Welt, die sie ausstößt und mit Füßen tritt; sie wollen sie zerstören und eine gute, reine, göttliche aufbauen, so wie sie in der Glücksferne sie sich geträumt haben. Ihnen kommen Gute und Gerechte mit offener Hand entgegen, ihnen gesellen sich diejenigen, die von der Grausamkeit, der Hohlheit, der Unzulänglichkeit, der Verderbtheit in der herrschenden Welt angeekelt sind und diejenigen, die den Boden unter sich wanken fühlen und hoffen bei einem allgemeinen Erdbeben, wo sich alles verschiebt, wieder hinaufzukommen und festen Platz zu gewinnen.

Einer Gesellschaft, deren obere Schichten im allgemeinen entweder sinnlichen Genuß oder ästhetischen Genuß für das höchste Gut hielten, rief Luther mit dem vollen Klang des Glaubens und der Entrüstung das Wort Gottes zu, warf er ein Buch hin wie ein Schwert, die Bibel. Wie überall nahmen auch in Münster einige Geistliche die lutherische Lehre an; aber es gelang den Gegnern ihre Vertreibung durchzusetzen, und auch ein Überfall des Volkes auf verschiedene Klöster, die durch den Betrieb von Gewerbe, der nur den städtischen Gilden zustand, die Eifersucht der Handwerker gereizt hatten, blieb unter der Vermittlung des Erzbischofs von Köln ohne Folgen. Indessen war der neue Glaube einmal unter der Bürgerschaft verbreitet; als ein Bürger namens Anton Kruse deswegen vor ein bischöfliches Gericht gezogen wurde, befreite ihn ein Volksauflauf. An der Spitze desselben stand ein den besseren Kreisen angehöriger Mann, der Tuchhändler Bernhard Knipperdolling, dessen Haus mit gotischem Giebel am Markte noch steht. Seine Vermögensverhältnisse waren in Unordnung geraten, vielleicht infolge einer gewissen Untüchtigkeit und Zerfahrenheit, die ihn zu beharrlicher Arbeit untauglich machten. Er war dreist, furchtlos und witzig und liebte es, sich von unruhig bewegten Lebenswogen tragen zu lassen. Seine Verspottung des regierenden Bischofs Friedrich von Wied, der dazu viel Anlaß gab, fand freudigen Beifall im Volke, das überhaupt den Geistlichen, die in Münster so zahlreich waren und sich so viele Blößen gaben, von jeher abgeneigt war. Bischof und Stadtrat hielten zur Aufrechterhaltung der Ordnung noch zusammen: Anton Kruse wurde vom Rat aus der Stadt gewiesen, Knipperdolling vom Bischof in Haft genommen, aber einige Jahre später wieder entlassen. Die Lutherye, wie man die neue Lehre nannte, nahm trotzdem zu. Im Jahre 1529 wurde an der Mauritzkirche ein Mann von verhängnisvoller Wirksamkeit angestellt, Bernd Rothmann, der Sohn eines Schmiedes aus Stadtlohn, klug, energisch, von hinreißender Beredsamkeit. Er verstand es, die Massen zu führen, wohin er wollte; dadurch entstand vielleicht das Gerücht, er habe im Elternhause die Zauberei erlernt. In feineres Gedankengeflecht verlor er sich nicht, für die Widersprüche des Lebens hatte er keinen Sinn, er ging mitten durch bis aufs Äußerste und wurde darum so gut vom Volke verstanden. In Wittenberg wurde er mit Luther und Melanchthon bekannt; wie verschieden er von beiden war, fiel damals, wo er noch wesentlich aufnehmend war, nicht auf. Inzwischen war der Bischof von Wied gestorben, und der neue, Franz von Waldeck, ein problematischer Charakter, verlangte nachdrücklich Abstellung der Neuerungen vom Rat. Im Einverständnis mit Knipperdolling trat eine Versammlung der Gilden im Schuhaus am alten Fischmarkt zusammen, dem Hause der Gesamtgilden, wo Heinrich Modersohn, der Gildenmeister der Metzger, und Heinrich Redeker von der Pelzergilde den Beschluß tatkräftigen Widerstandes durchsetzten. Die Haltung des Rats war stets durch das städtische Streben, sich vom Bischof möglichst unabhängig zu machen, bestimmt; sonst hätte er dem Drängen der Handwerker fester gegenübergestanden. Er entschloß sich nun, die bisherigen Geistlichen an allen Kirchen abzusetzen und evangelische zu berufen, Rothmann an die Lambertikirche, ferner den Münsterer Johann Glaudorp und den aus Kleve verwiesenen Brixius ton Norden. Nachdem die »Lutherye« in Münster eingerichtet war, verließen der Klerus und verschiedene Erbmännerfamilien die Stadt und nahmen in dem nahen Telgte Aufenthalt. Ein gelungener städtischer Überfall auf den Sitz der Emigranten führte zu einem Vergleich, in dem der Bischof der Stadt Religions- und Gewissensfreiheit zugestand und beide Teile versprachen einander weder in Worten noch in Taten anzufeinden. Das war jedoch mehr, als Rothmann halten konnte; er wurde in seinen Ansichten und Zielen immer radikaler, sogar wiedertäuferischen Ideen sich zuneigend, die in Deutschland umgingen und namentlich im nahen Holland verbreitet waren. Der Gedanke, daß nur Erwachsene darüber entscheiden können, ob sie Christen sein wollen, leuchtet dem Verstand ein und findet deshalb Anhänger; er verkennt, daß die Kindertaufe ein Band der Gesamtheit ist, durch welches jedes neue Glied der christlichen Gesellschaft ohne weiteres angeschlossen wird, während die Wiedertaufe das Bestehen von den Entscheidungen der einzelnen abhängig macht und darum in Frage stellt. Erschüttern und auflösen wollten ja aber auch viele diese Gesellschaft, diese Weltanschauung, deren Mängel ersichtlich waren, und an deren guten Willen zu besseren sie nicht glaubten. Die erbarmungslose Verfolgung, die die Wiedertäufer überall erlitten, weil man das Auflösende ihrer Lehre spürte, schärfte die Erbitterung; nach einem Asyl suchend, wo sie nicht ersäuft oder verbrannt würden, fiel ihnen Münster auf als ein Ort, wo das Evangelium rein gelehrt würde. Von Holland, das mancherlei Einfluß auf Münster ausgeübt hat, sendete das Haupt der niederländischen Wiedertäufergemeinde, der Bäcker Johann Matthysson, Vertraute nach Münster, die die Gelegenheit auskundschaften und den Boden bereiten sollten. Matthysson gehörte zu den fanatischen, unklaren, erregbaren und erregenden, in Starrsinn und Verbohrtheit an Wahnsinn hinstreifenden Menschen, deren viele in der Dunkelheit verborgen sind, und die außergewöhnliche Vorfälle hervorlocken. Der brausende Geist der Bibel, die er auswendig wußte, hatte ihn berauscht; er fühlte sich als der Prophet, der berufen ist, die beleidigte Gerechtigkeit Gottes zu rächen. Was in Münster durch Rothmann schon entzündet war, fiel ihm zu, nicht nur niederes Volk, sondern auch Patrizier, darunter der eine der Bürgermeister Hermann Tylbeck. Besonders Frauen ergriffen die neue Lehre mit Leidenschaft und traten unbedingt für sie ein. Unter den Abgesandten des holländischen Propheten war ein durch allerlei Gaben auffallender dreiundzwanzigjähriger junger Mann, Jan Bockelssohn, der uneheliche Sohn einer münsterschen Magd, Aleke, und des holländischen Schulten Bockel Geritsohn. Nach dem Tode beider Eltern wurde er von den Verwandten des Vaters aufgezogen, die ihn, vermutlich wegen seiner unehelichen Geburt auf einen höheren Beruf verzichtend, Schneider werden ließen. Ihm genügte das nicht; er erinnert an den im 19.Iahrhundert lebenden Schneider Weitling, den Sohn eines deutschen Mädchens aus dem Volke und eines französischen Offiziers, schriftstellerisch begabt und von anziehender Persönlichkeit, der wie Jan Bockelssohn kommunistische Ideen lehrte und vertrat. Jan Bockelssohn, bekannt unter dem Namen Jan von Leyden, muß nicht ohne Mittel gewesen sein, denn er reiste in Frankreich, England, Deutschland, Portugal, erwarb sich Kenntnisse und trat unter anderem als Schauspieler auf. Vermutlich war ihm die Kunst angeboren öffentlich aufzutreten und sich wirkungsvoll darzustellen. Seine Schönheit empfahl ihn den Menschen und besonders den Frauen; er war elegant gewachsen und das Bild, das der Maler Aldegrever von Soest im Auftrage des Bischofs von ihm herstellte, bevor er in den Kerker geworfen wurde, zeigt ein nicht nur schönes, sondern auch kluges Gesicht mit festem, kühlem Blick der Augen und einem reizvoll sinnlichen Munde, auf dem ein Zug von Überlegenheit und Verachtung liegt. Anfänglich blieb er im Hintergründe; Matthysson der Prophet und neben ihm Rothmann und Knipperdolling bemächtigten sich der Leitung der Stadt. Der Energie ihres Angriffs wußte der Rat keine gleichwertigen Mittel entgegenzusetzen; die Bewegung war wie ein Feuer, das, nicht sofort erstickt, um sich greift und unversehens so stark ist, daß man es nicht mehr löschen kann. Das Domkapitel, der Bischof, die Mehrzahl des Rats, viele Familien verließen die Stadt, dagegen zogen Wiedertäufer von Osnabrück, Soest, Wesel zu. Vor dem Rathause taufte Pfarrer Rothmann die zuströmenden Menschen, auch den Bürgermeister Tylbeck und zwei Angehörige der Erbmännerfamilie Krechting. Es galt nun das Gottesreich zu gründen, dessen Nähe gelehrt und geglaubt wurde, das Reich der Gerechtigkeit, in dem die Güter gleichmäßig an alle verteilt sind. Um jeden Widerstand auszuschalten, wollte der Prophet den Tod über alle verhängen, die sich nicht zum Zweck der Wiedertaufe beim Bürgermeister anmeldeten. Knipperdolling, der von weicherer Art war, rettete das Leben der Betroffenen, die anstatt dessen mitten im Winter, Ende Februar im Jahre 1534 bei schneidender Kälte aus der Stadt getrieben wurden. Ein Knabe befand sich unter ihnen, der später die Geschichte dieser grausigen und fabelhaften Ereignisse geschrieben hat.

Es gelang dem Bischof ein Heer zur Bekämpfung der abgefallenen Stadt zusammenzubringen; denn nichts vereinigt Menschen aller Art so sehr zu gemeinsamem Haß, wie das Wort Gütergemeinschaft. Es zeigte sich aber nun, welche Kraft die Begeisterung für eine Idee in den Menschen erzeugen kann. Die Einwohnerschaft von Münster wurde zum Zweck der Verteidigung organisiert: Schmuck und Kostbarkeiten wurden abgegeben und von dazu angestellten Beamten verwaltet, Lebensmittel möglichst sparsam verteilt, alle zu Wehr und Arbeit herangezogen. Gottesdienst und gemeinsames Bibellesen wurde eifrig betrieben, zum Teil mit aufrichtiger Frömmigkeit. Mehrere Ausfälle wurden mit Glück unternommen; bei einem derselben fand Matthysson tapfer kämpfend den Tod. Das plötzliche Fehlen einer solchen Energie würde die schlimmsten Folgen gehabt haben, wenn nicht Jan van Leyden sich an die Stelle des Propheten geschwungen hätte. Er nahm die Witwe des Verstorbenen, die schöne Differe von Haarlem, zur Frau und drängte Rothmann und Knipperdolling, die ebenso ehrgeizig, aber weniger geschickt und geistesgegenwärtig waren, zur Seite. Wenn er, wie Matthysson, Träume und Visionen als Ausgangspunkte seines Willens hinstellte, so war bei ihm politische Berechnung, was bei jenem Schwärmerei gewesen war. Das Wichtigste war jetzt die Instandsetzung der Festungswerke, die so vorzüglich ausgeführt wurden, daß später der Frankfurter Patrizier Holzhausen, nachdem er sie in Augenschein genommen hatte, seinem Rat empfahl »das Ewer Fürsichtigen Weisen meister Casparn den baumeister alhier senten, der stat befestigung zu besehen. Derglichen nit vil gefunden werden mit solicher wehr, als diese stat ist.« Eine besonders mächtige Schanze, noch lange nach ihrem Erbauer, dem Gildebruder Johann Kerkering, genannt Uldan, die Uldanschanze genannt, die das Ludgeritor schützen sollte, findet sich in der jetzigen Engelschanze wieder. Man schreibt Jan van Leyden den Hauptanteil an diesen Anlagen zu; jedenfalls war er unermüdlich gegenwärtig, um die Arbeiten zu überwachen. Das Material wurde aus den Kirchen genommen; Jan van Leyden nannte den Dom de groote steenkule, den alten Dom de olde steenkule, die Kapellen am Dom de lütten sieenkulen. Vieles, was wir als Zerstörungslust und Vandalismus auffassen, erklärt sich zum Teil aus praktischer Notwendigkeit, zum Teil aus Haß und Geringschätzung des Kirchlichen. Die religiöse Erregung des Volkes klug berechnend, ließ Jan van Leyden die Kirchturmspitzen unter dem Vorwande abtragen, daß das Hohe erniedrigt und das Niedrige erhöht werden müsse, während es ihm darauf ankam, die Kirchtürme, wie das im Mittelalter oft geschah, als Bastion zu benützen. Nachdem die Empörung von Andersdenkenden, die es immerhin noch gab, blutig unterdrückt und ein Sturm des Belagerungsheeres ruhmvoll abgeschlagen war, machte sich Jan van Leyden, gestützt auf den Goldschmied Dusentschu, zum König. Er hatte inzwischen, der Verführung erliegend, die die Hingebung der Frauen auf ihn ausübte, die Vielweiberei eingeführt, was ihm eine Reihe von Anhängern entfremdete. Es wird berichtet, er habe siebzehn Frauen gehabt, unter denen außer der schönen Differe, der Königin, Elisabeth Wandscherer, Klara Knipperdolling, Angele Kerkering und Anna Kippenbroich waren. Er staffierte sich nun mit goldenen Ketten und allerlei Schmuck aus, genoß die Liebe der Frauen und den Gehorsam des Volks, aber hart am Abgrund und die bittere Neige schon auf der Lippe. Vielleicht, daß alle in solcher Lage sich das Denken verbieten, die Augen schließen und auf ein Wunder jenseits aller Möglichkeit hoffen. Die Wiedertäufer schickten Apostel aus, die, nachdem sie das Abendmahl genommen hatten, die schützenden Mauern verließen und so oder so umgebracht wurden. Heldenmütig wurde ein neuer Sturm unter großem Verlust der Bischöflichen abgeschlagen. Diese unerschütterliche Haltung mochte den Feinden imponieren; von seiten der Hansestädte und von seiten des Reichs wurden Vermittlungsvorschläge gemacht, die nicht am Bischof, sondern an den Wiedertäufern scheiterten. Sie hatten sich vielleicht in ein altbiblisches Heldentum hineingelebt, wo es nichts gibt zwischen Sieg und Untergang. Einen gewissen Respekt bekundete auch der Landgraf Philipp von Hessen, indem er sich mit dem König in einen Briefwechsel einließ, wo einer den andern von der Richtigkeit seiner Auffassung zu überzeugen suchte. Zuletzt fehlte es an Lebensmitteln; im April 1535 wurden die überflüssigen Esser, Greise, Frauen, Kinder fortgeschickt und kamen fast alle draußen um. Wie Gefahr und Not zunahmen, wurde Jan herrischer und gereizter; eine seiner Frauen, Elisabeth Wandscherer, die sich gegen seinen Despotismus auflehnte, enthauptete er mit eigener Hand. Kurze Zeit danach fiel die Stadt durch Verrat in die Hände der Belagerer; vielleicht hätte sie sonst noch länger widerstanden. Bei der Erstürmung fielen eine Menge Wiedertäufer im Kampfe, auch Hermann Tylbeck und Krechting, glücklicher als die Gefangenen. Dem einziehenden Bischof überreichte der Droste Meerveldt die Kroninsignien des besiegten Königs.

Jan van Leyden blieb hohen Sinnes; es wird erzählt, er habe, als der Bischof ihn höhnisch angeredet habe: »Bist du ein König?« die Gegenfrage gestellt: »Bist du ein Bischof?« Mit Bezug darauf, daß Waldeck die bischöfliche Weihe nicht empfangen hatte. Auch hier zeigte sich, daß legitime Sieger grausamer sind als Rebellen, die in der Notwehr und in der Aufwallung töten, aber selten besondere Martern ersinnen, um sich an den Qualen der Gestürzten zu werden. Von Justiz war nicht die Rede, sondern von Rache. Ein Ritter wurde mit Rücksicht auf seinen Adel begnadigt, nachdem er die Wiedertäuferei abgeschworen hatte, Kerkering gewährte man aus demselben Grunde den verhältnismäßig leichten und ehrenvollen Tod durch Enthauptung. Die Kinder Heinrich Krechtings, der entkam, erhielten sogar einen Teil ihrer väterlichen Besitzungen zurück und wanderten mit verändertem Warnen nach Bremen aus. was aus Rothmann wurde, hat niemand erfahren. Sein Leichnam wurde nicht gefunden und alle Nachforschungen nach seinem Verbleib waren vergebens. Der Überlieferung nach hätte er als Lehrer bei einem Adligen in Verborgenheit bis zu seinem Tode gelebt. Jan van Leyden, Knipperdolling und Bernd Krechting, die das Unglück hatten, lebend in die Hände der Feinde zu fallen, erlitten einen qualvollen Tod mit bewundernswerter Standhaftigkeit, ohne von ihrer Überzeugung zu weichen. Der Bischof sah dem fürchterlichen Schauspiel zu. Die übrige Bevölkerung fand Gnade gegen widerruf; aber die schöne vierundzwanzigjährige Differe von Haarlem und die Frau, Tochter und Schwiegermutter Knipperdollings hielten sich dazu zu gut und zogen den Tod vor; sie wurden auf dem Domhof enthauptet.

Der Stadt war die Erhaltung ihrer Rechte und Religionsfreiheit zugestanden; aber der Bischof kehrte sich nicht daran, sondern machte den Rat zu einer abhängigen Behörde; die Gilden wurden aufgehoben, der Protestantismus beseitigt. Dies unrechtmäßige Vorgehen war mehr als dem Bischof selbst dem Einfluß des Adels zuzuschreiben, von dessen Beteiligung am Aufstande nicht die Rede war. Allein kaum hatte Waldeck die Stadt gefesselt und gedemütigt, als er, um den Adel nicht zu mächtig werden zu lassen, sich ihr wieder näherte und ihr nach und nach alle Rechte zurückgab. Seine schon früher gehegte Hinneigung zum Protestantismus erneuerte er in so weitgehendem Maße, daß er seinen Ständen den Vorschlag machte, das Stift nach den Grundsätzen des Augsburgischen Bekenntnisses zu reformieren. Trotz heftigen Widerstandes der Domherren trat er dem Schmalkaldischen Bunde bei; den Spruch, auf den einst die Rebellen sich berufen hatten, man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen, führte er nun selbst im Munde. Was ihn lockte war eigentlich die Umwandlung des Bistums in ein weltliches Fürstentum; das konnte er doch nicht durchführen. Er starb als ein vielfach enttäuschter alter Mann.

Damals stand die Wage für Katholizismus und Protestantismus in Münster noch gleich. Als bei einer der nächsten Bischofswahlen ein Herzog von Bayern und einer von Sachsen-Lauenburg gegenüberstanden, war der Augenblick der Entscheidung: sie fiel auf das Haus Wittelsbach, womit der Weg zu systematischer Katholisierung beschritten war. Mit den Bayern, deren zwei aufeinanderfolgten, kamen die Jesuiten und die Spanier nach Münster, sodann die Kapuziner, Franziskaner und Klarissinnen; eine Bigotterie wurde herrschend, die sehr von dem weitläufigen Hansegeist der alten Stadt abstach. Die uns überlieferten Äußerungen des Rats, als der Bischof einem des Protestantismus verdächtigen verstorbenen Bürger das Begräbnis verweigerte, atmen Billigkeit und Einsicht und eine durchdachte Duldsamkeit, und wirken um so tiefer, als sie mit überlegener Zurückhaltung vorgetragen sind. Gegen den Fanatismus der neuen Gewalthaber kam jedoch die Stadt nicht auf; sie mußte Schritt für Schritt zurückweichen.

Während der fünf Jahre, die der Friedenskongreß in Münster und Osnabrück tagte, wurden die beiden Städte neutralisiert und genossen volle Umschlägigkeit. Dieser Umstand und der andere, daß Münster zu den bevorzugten Plätzen gehörte, die während des Dreißigjährigen Krieges wenig gelitten hatten und sich eines damals seltenen Wohlstandes erfreuten, mag das Selbstgefühl seiner Regenten gehoben und sie zu dem Entschluß angespornt haben, sich von den Fesseln, die die letzten Bischöfe der Stadt angelegt hatten, zu befreien, was nur durch den Erwerb der Reichsfreiheit geschehen konnte. Förmlich hatte Münster dieselbe nie besessen, sowenig wie die Bischöfe die volle Herrschergewalt über Münster besaßen. Die Rechte und Besitzverhältnisse änderten sich damals je nach der Kraft, der Einsicht, dem Glück der Beteiligten; hatten abhängige Städte die wichtigsten Rechte an sich zu bringen gewußt, so standen sie endlich tatsächlich frei da, und die Bestätigung des Kaisers war wie der Kranz, den man dem erfolgreichen Kämpfer aufsetzt. Münster hatte sich in weitgehendem Maße unabhängig vom Landesherrn gemacht, ihm aber doch bisher als solchem gehuldigt; diese schwankende Rechtslage ertrugen beide Teile unwillig, seit weltliche und geistliche, katholische und protestantische Fürsten danach trachteten, ihre zerstreuten Gebiete und Rechte zu einem Staat zusammenzuballen, in dem sie unbedingt herrschten. Ein hervorragender Träger dieser Richtung war Christoph Bernhard von Galen, der Schatzmeister des Kapitels, den die Domherren gleich nach dem Westfälischen Frieden, im Jahre l650, zum Bischof wählten. Von den Wittelsbachern absehend, hatten die Herren damals vorgezogen, einen Mann aus ihrer Mitte zur Herrschaft zu bringen. Wie die Domherren schlechtweg Adlige, waren die Bischöfe im allgemeinen schlechtweg Fürsten; selten kehrte einer den Geistlichen hervor. Bischof Heinrich von Schwarzburg hatte einmal Karl den Kühnen von Burgund zum Zweikampf gefordert, weil seine Truppen bei der Belagerung von Neuß das münstersche Lager schmählicherweise während des Waffenstillstandes überfallen hatten. war an Christian Bernhard von Galen nur die Skrupellosigkeit, mit der er seine Ziele verfolgte und Bündnisse zum Schaden des Reichs schloß; aber das entsprach den Gesinnungen der Fürsten nach dem Dreißigjährigen Kriege. Galen war fünfzig Jahre alt, als er die Regierung antrat; er trat auf, als hätte er seine Jugendkraft bisher zurückgehalten und wolle sie nun rückhaltlos in den paar übrigen Jahrzehnten verschwenden. Er war begabt, tüchtig und tatkräftig in jeder Beziehung, hatte auf mehreren Universitäten studiert und sich auf Gesandtschaftsreisen politische Gewandtheit geholt. Er trat der Entartung des Klerus entgegen, er wußte die feindlichen Besatzungen, die noch in Münster waren, zu entfernen, so daß der Verkehr sich belebte, er sammelte ein Heer und schloß Bündnisse mit den katholischen Fürsten von Mainz, Köln, Trier und Pfalz-Neuburg. Ihrerseits schloß die Stadt Münster, im Gefühl, daß die Entscheidung bevorstehe, ein Bündnis mit den Holländern, Galens gehaßtesten Feinden. Zwischen Kämpfen und Vermittlungen wagte die Stadt, den Kaiser um Bestätigung ihres Besatzungsrechtes und um die Reichsfreiheit zu bitten; der Kaiser schlug das letztere Gesuch ab und verlangte hinsichtlich des Besatzungsrechtes Beibringung von Beweisen. Es folgte Eroberung der Stadt und Übergabe an den Bischof, aber auf Einschreiten der Ritterschaft Amnestie. Obwohl der Kaiser die Stadt zur Unterwerfung unter die Hoheit des Bischofs aufforderte, gab sie nicht nach; auf den Beistand der Hansestädte und Hollands hoffend, forderte sie den Bischof dadurch heraus, daß sie von den bisher steuerfreien Geistlichen Steuern erhob. Indessen mußte sie, von allen im Stich gelassen, bei einer nochmaligen Belagerung sich beugen; im Jahre 1661 verlor sie alle ihre Freiheitsrechte und wurde zu einer bischöflichen Untertanenstadt. Eine ungeheure Kriegsentschädigung, die ihr auferlegt wurde, sorgte für ihre Entkräftung, die den Handel lahmlegte und sie dauernd wehrlos machte. Da, wo jetzt das Schloß liegt, errichtete der Bischof eine Zwingburg, während das Rathaus, der edle Zeuge städtischer Freiheit, den Bürgern zum Hohn zur Hauptwache gemacht wurde. Nachdem alle Gilden aufgehoben waren, ließ der Bischof auf das Schuhhaus am alten Fischmarkt die Inschrift setzen: Schuster bleib bei deinem Leisten. Das strenge, verwitterte Gebäude, jetzt ein Lagerhaus, steht da wie ein erstarrtes Denkmal erduldeter Schmach.

Nachdem das selbständige Leben der Stadt gebrochen war, gaben ihr die Sieger, Bischof und Adel, das Gepräge. Zur Zeit der Wiedertäufer hatte der Erbmänneradel die Mauern verlassen und sich auf seine Wasserburgen draußen zurückgezogen. Viele starben aus; jetzt gibt es an vollbürtigen Erbmännern nur noch die Droste-Hülshoff und die Kerkering zur Borg. Damals bildete sich aus zurückkehrenden Erbmännern und später Geadelten eine Aristokratie, die sich um den bischöflichen Hof scharte; der einstige Gegensatz zwischen Bischof und Ritterschaft, der zeitweilig so weit gegangen war, daß Ritterschaft und Stadt sich gegen den Bischof verbündeten, fiel fort. Im Bilde der Stadt kam etwas Neues auf: neben die schmalen, straffen Giebel, die fest und gelassen schreitenden Lauben, die beherzte Geschlechter sich erbauten und in einem wundervoll geschwungenen Bogen um den Mittelpunkt des Verkehrs reihten, stellten sich die zum Genuß eines reichen, sorglosen Daseins bestimmten Adelshöfe.

Wie stark aber der Klang an schwillt, den sie geben, sie übertönen die alten Stadthäuser nicht: es ist die durch und durch westfälische Eigenart, die sie verwandt ineinanderfügt. Trotz ihrer Pracht haben auch die Adelshöfe etwas Verhaltenes, in sich Zurückgezogenes, wie es den Bauern Westfalens eigen ist. Die Anlage der Höfe und Kurien war gewöhnlich so, daß an einen Mittelbau sich zwei Flügel so anschlossen, daß ein hufeisenförmiger Grundriß entstand; der dadurch gebildete Hof wurde nach der Straße hin durch ein eisernes Gitter abgeschlossen. Die Pfeiler zwischen dem reichverzierten Schmiedewerk wurden etwa mit Sphinxen geschmückt, die die Wappen des Geschlechts hielten. Zu dem Reiz der barocken Formen tritt die Farbigkeit des Materials. Der dunkle Purpur des münsterschen Backsteins wird durch den gelblichen Sandstein gehoben, der oft die Fenster umrandet, und das Rot der Ziegel des Walmdaches, das tiefe Grün alter Bäume, der Linden auf dem Domhof, der Kastanien und Gebüsche in den Gärten fließt mit tausend herabhängenden Zweigen um die glühenden Mauern. Wohltuend wirkt es, daß die kleinen, bescheidenen Bürgerhäuser der letzten Jahrhunderte sich sehr wohl neben den Adelshöfen halten; ihre schmucklosen Wände machen auf ihre Art denselben Eindruck vornehmer Abgeschlossenheit und sich selbst genügender Sicherheit.

In einer Zeit, wo das naturgemäße Mit- und Gegeneinanderwirken der verschiedenen Glieder eines Volkes zugunsten der verbündeten Fürsten- und Adelsmacht aufgehoben war, gab es in Münster immer noch einen Zusammenhang. Wenn die Bischöfe oft als ein fremdes Element in das Münsterland eingezogen sind; denn außer Christian Bernhard von Galen, einigen Herren von Holtum und ein paar anderen stammten die meisten und besonders die späteren nicht aus dem einheimischen Adel; so vertraten die Erbmänner, die Domherren, die Bürger, die Bauern die westfälische Art und waren nicht so verschieden voneinander, wie die Verhältnisse sie erscheinen ließen. Namentlich aber die großen Baumeister, die im 17. und 18. Jahrhundert an der Stadt bildeten, und die neben den Fürstbischöfen wie eine andere Reihe von Dynasten stehen, die eigentlichen Herren der Stadt, die sie prägten, sie schufen auch im Dienst der Freude aus heimischer Natur und heimischer Gesinnung heraus. Peter Pictorius, Lambert von Corfey, Gottfried Laurenz Pictorius und endlich des letzteren Schüler Johann Konrad Schlaun errichteten Wohnhäuser, Schlösser und Kirchen, die dem Stil des triumphierenden Fürstentums entsprachen, aber von allem Aufgeblasenen, Prahlerischen, Ausposaunenden, was der barocken Architektur und Plastik leicht einen Beigeschmack des Unechten und Römischen gibt, frei sind. Das Wohnhaus, das sich Schlaun in der Hollenbecker Straße baute, zeigt, wie sich die Grandezza der Adelshöfe auf ein Gebäude bürgerlicher Art anwenden ließ. Wie die Tür mit der kleinen Freitreppe und dem Fenster im ersten Stock mit dem schmiedeeisernen Balkon in eine Nische gerückt und durch einen Rundbogen eingefaßt sind, das gibt der schlanken Front zusammen mit dem Rot des Backsteins so viel Schwung und Würde, daß man einen Blick in die Seele des Baumeisters zu tun glaubt, der sich seiner Macht gleicherweise wie seiner dienstlichen Stellung bewußt war. Was ist merkwürdiger, als daß das zweiflügelige Zuchthaus, der erste große Bau, den Schlaun in Münster ausführte, trotz seiner strengen Einfachheit und düsteren Bestimmung Verwandtschaft mit den Palästen des Adels zeigt? Besonders ergriffen stehen wir vor dem Landhause Rüschhaus, das sich Schlaun eine Stunde von Münster baute, und nach welchem der Generalmajor und Kommandant der Artillerie sich Herr zu Rüschhaus nennen durfte. Da liegt zwischen dunklen Eichen, zwischen Wiesen und Hecken ein altes westfälisches langgestrecktes Bauernhaus mit breitem Torweg, geräumiger Diele und umfangendem Dach, durch einige wohlangebrachte geschweifte Linien mit dem Gepräge des Erbauers versehen und in die Region durchdachter Kunst gehoben. Es ist ein schönes Zusammentreffen, daß das Haus des genialen Architekten, der am liebsten westfälischen Dialekt sprach, später von der großen westfälischen Dichterin, Annette von Droste-Hülshoff, bewohnt wurde. Das zarte Fräulein mit den Nixenaugen, das in Münster im alten Drostehause am Krummen Timpen abstieg, der Straße mit den verschwiegenen, bröckelnden Palästen, ließ in ihren Dichtungen noch einmal erstehen, was der Heimat ihrer Väter eigentümlich war: die zusammengehende Form voll gebändigten Feuers, das zuweilen in stolzer Flamme hervorschlägt, das Aroma von Weihrauch und Lindenduft, die Melancholie und der Hochmut des Adels, der verpflichtet, und die dämonischen Gestalten, die durch die dämmernde Heide schwanken, aus der Mimigerneford, der Hügel des Heiligtums, schicksalsvoll aufsteigt.


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