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Stadtwappen

Tangermünde

Es gibt ein indisches Märchen von Tschandra, einer Jungfrau, deren Haare feurig wurden, wenn sie in Zorn geriet. Als man verräterischerweise ihren Geliebten gemordet hatte, setzte sie mit den Flammen, die von ihrem Haupte wehten, die Stadt in Brand, wo ihr das geschehen war, und brannte sie zu Asche.

An Tschandras Rache mahnt die Geschichte von Grete Minde und dem großen Brand von Tangermünde im Jahre 1617; nur daß der wirkliche Vorgang häßlicher, grausiger und trostloser ist als das Märchen.

Die Familie von Minden gehörte im 16. Jahrhundert zu den angesehensten ratsfähigen Geschlechtern von Tangermünde. Hans von Minden war markgräflicher Oberaufseher über die Tangerforsten und bewohnte eins von den Freihäusern, die vor dem Schlosse standen, von seinen Enkeln schlug einer, Peter, aus der Art, verließ die Heimat, weil er im Streit einen Totschlag begangen hatte, ging in der Fremde unter die Soldaten und heiratete ein armes Mädchen, das ihm eine Tochter gebar. Nach seinem Tode begab sich die Witwe nach Tangermünde, um das Erbe ihres Mannes zu erheben, das bei den dortigen Gerichten niedergelegt war. Heinrich, ihr Schwager, ein Ratsherr, ging auf ihre Forderungen nicht ein, obwohl der Magistrat die Auszahlung befürwortete und zu vermitteln suchte; er begründete seine Ablehnung damit, daß sein Bruder bereits abgefunden sei und daß die Frau sich nicht als rechtmäßige Ehefrau Peters ausweisen könne. Die Frau ging als Bettlerin fort und schwur, sich an der Stadt zu rächen. Jahre darauf, nachdem auch sie gestorben war, kehrte ihre Tochter Grete nach Tangermünde zurück und fristete ihr Leben als Dienstmagd, immer noch hoffend, ihr Erbe zu erhalten, das ihr als Peters Tochter zustehe. Es scheint, daß ihr einige Male kleine Summen ausgezahlt wurden. Eines Tages lernte sie einen Soldaten, Anton Meilahn aus Gardelegen, kennen, einen jungen, kleinen, schlanken Menschen mit langem, blondem Haar, in den sie sich so sehr verliebte, daß sie einen Zauber gebrauchte, um ihn an sich zu fesseln. Die beiden verheirateten sich und bekamen ein Kind; an das Schicksal ihrer Mutter sich erinnernd, trug die Arme ihren Trauschein stets bei sich, um die Rechtmäßigkeit ihrer Ehe beweisen zu können. Indessen das Verderben zog in ganz anderer Weise herauf. Meilahn war ein unruhiges Blut, unlustig zu regelmäßiger Arbeit, roh und gewissenlos; nachdem sie das wenige verbraucht hatten, was sie besaßen, lungerte er herum, meistens getrennt von seiner Frau, um mit leichtsinnigen und verwilderten Kumpanen auf Straßenraub auszugehen. Grete Minde erhielt sich auf zigeunerhafte Art dadurch, daß sie heilkräftige Kräuter sammelte, Enzian, Bibergall, Veilchenwurzel, und als Arznei verkaufte, den Leuten die Zukunft aus den Händen weissagte, Wurzeln als Alräunchen und Galgenmännchen zustutzte und an Abergläubische absetzte. Vielleicht hatte sie diese dunklen Künste von ihrer Mutter gelernt, vielleicht hatten die Gedanken der Ausgestoßenen den Hang, den nächtlichen Wegen der Natur nachzugehen. Im Jahre 1617, um die Mitte des September lag Grete mit ihrem Kinde krank in Apenburg, als in Tangermünde an drei Orten zugleich Feuer ausbrach, das sich schnell über die ganze Stadt verbreitete. Unglücklicherweise versperrten die Flammen das Roßtor, das zur Elbe führt, und damit den Zugang zum Wasser; ohnmächtig sahen die entsetzten Bürger dem Verderben zu. Der Turm der Stephanskirche stürzte ein, im Innern verbrannten der Altar, die Orgel und die Grabdenkmäler, auch das Rathaus wurde ergriffen und viele darin aufbewahrte Urkunden vernichtet. Verschont blieb hauptsächlich die Neustadt; in der Altstadt und in der Vorstadt Hühnerdorf verbrannten 486 Wohnhäuser und 53 Scheunen voll Getreide. Wenn auch die Nachbarstadt Stendal mit Bier und Brot aushalf, so war das Elend der Abgebrannten doch groß und die Aufregung um so gespannter, als hie und da neue Brände auszubrechen drohten, so daß sich auf eine verbrecherische Absicht schließen ließ, Tangermünde gänzlich einzuäschern. Die Nachforschungen jedoch nach den etwaigen Tätern blieben ohne Ergebnis. Fünf Vierteljahre nach dem Brande, im Anfang des Jahres 1619, kam Grete Minde zusammen mit ihrem Mann wieder nach Tangermünde. Ihr Onkel, der Ratsherr Heinrich von Minden, war drei Jahre vorher gestorben; sie wandte sich an den Bürgermeister Kaspar Helmreich, der zwar ihre Forderung nicht gewährte, dagegen versprach, ihrem Mann eine Stelle als Stadtwart zu verschaffen. Meilahn, von Grete benachrichtigt, wollte sich auf dem Rathause melden, begegnete aber unterwegs einer Frau, die er früher einmal auf der Straße beraubt hatte. Erschreckt kehrte er um und verließ die Stadt, wurde aber von den reitenden Dienern, die der Rat ihm nachschickte, ergriffen und verhaftet. Auf der Folter bekannte er, daß er den großen Brand angelegt habe; als seine Mitschuldige nannte er Grete Minde, seine Frau. Seine Darstellung des Vorgefallenen erwies sich indessen als so sehr mit Lügen verwoben, daß der Schöppenstuhl von Brandenburg, der um sein Urteil angegangen wurde, zunächst die Folter gegen Grete nicht angewendet wissen wollte, sondern auf eingehende Beweiserhebung drang. Diese führte zu Ergebnissen, die für Grete günstig waren; denn es wurde festgestellt, daß sie zur Zeit des Brandes krank in Apenburg gelegen hatte, und daß sie, als sie zuerst davon erfuhr, traurig geworden war, weil das Mindensche Haus, das sie noch immer als ihr Erbe betrachtete und zu erhalten hoffte, nun verbrannt sei. Gegen sie zeugte nur die Anklage ihres Mannes, eines verlumpten Straßenräubers, und etwa das Unrecht, das ihr angetan worden war, und das sie, wie man meinte, hätte rächen wollen. Die Ratsfamilien von Tangermünde waren damals bitter untereinander verfeindet, und es gab solche, die mit einem scharfen Vorgehen gegen Grete nicht einverstanden waren; schließlich jedoch gaben diejenigen den Ausschlag, die sich an die immer wiederholte Anklage des Meilahn hielten und trotz mangelnder Beweise auf die Anwendung der Folter drangen. Das bedeutete das Todesurteil; denn es kam kaum jemals vor, daß einer auf die Dauer den Qualen der Tortur nicht erlegen wäre und nicht bekannt hätte, was man wollte. Vieles bleibt dunkel in der grauenvollen Tragödie. Haßte Meilahn seine Frau so sehr, daß er sie seinen unabwendbaren Tod mitleiden lassen wollte? Oder betrachtete er sie wirklich als diejenige, die den Gedanken, Tangermünde durch Feuer zu zerstören, in ihm angeregt hatte, sei es auch nur durch eine zufällige Äußerung oder nur dadurch, daß sie ihn an ihr Geschick gebunden hatte? Und was bewog die den Rat beherrschende Partei, eine Unglückliche zu vernichten, die nach einem gerechten Urteil mehr unschuldig als schuldig erschien? Es kann kaum anders gedeutet werden, als daß man sich der unbequemen Mahnerin entledigen wollte, und so wurde es auch in Tangermünde aufgefaßt. Die gegnerische Partei setzte eine Anfrage beim Kurfürsten durch, ob die Hinrichtung aufgeschoben werden solle; aber die Antwort lautete, es sei dazu keine Ursache. Am 22. März, gerade als es Frühling wurde, fand die grausame Hinrichtung der drei Verurteilten statt: Meilahns, Grete Mindes und eines Müllerknechts, der ebenso wie Grete stets seine Unschuld behauptete und auch allem Anschein nach unschuldig war. Was den Rat gegen ihn aufbrachte, war hauptsächlich, daß er Lieder dichtete und schrieb, immer zu Schelmenstücken aufgelegt war und in seiner jammervollen Lage sich noch über die Ratsbeamten lustig machte. In furchtbarem Gegensatz stehen seine wehmütig scherzenden Verse, seine Liebe zur Mutter, die Gutartigkeit seines leichtsinnigen Gemüts zu der schonungslosen Härte seiner Richter. Die drei wurden am ganzen Leibe mit glühenden Zangen gezwickt und von langsamem Feuer verbrannt, so daß sie erst am Abend des Tages den Geist aufgaben.

Noch vor hundert Jahren wurde am Jahrestage des Brandes zwischen 4 und 5 Uhr mit allen Glocken geläutet und am nächsten Sonntage eine auf das Ereignis bezügliche Predigt gehalten. Es war nicht die letzte Feuersbrunst, die Tangermünde heimsuchte; schon ein Jahr nach der Hinrichtung der vermeintlich Schuldigen brach wieder Feuer aus, dann in den Jahren 1676 und 1678 und noch einmal durch heftigen Wind besonders verheerend, am 12. April 1816. Damals läuteten die Sturmglocken zwei Tage lang, weil aus der Asche noch Flammen schlugen; erst am 20.Tage war das Feuer vollständig erloschen.

Bald nachdem das entsetzliche Strafgericht stattgefunden hatte, erhob sich ein Aufstand gegen den Rat, weil er, so hieß es, durch seine Ungerechtigkeit gegen Grete Minde den verderblichen Brand veranlaßt habe. Der Kurfürst begünstigte die aristokratische Behörde und wies die erhobene Anklage zurück. Eine Vertretung der Bürgerschaft im Rat wurde allerdings eingerichtet, die aber, wie das meistens in solchen Fällen war, nicht wirksam wurde. Sobald die Vertreter der wirtschaftlich Schwächeren zu einer Funktion in der Regierung werden, zieht diese sie an sich und gleicht sie sich an, sie von ihrem Ursprung trennend; nur durch unermüdliche Wachsamkeit und im Notfall erneute Revolutionen können sie sich vor dem Erdrücktwerden durch die Stärkeren bewahren. Noch das ganze Jahrhundert hindurch hielt sich die oligarchische Körperschaft in ihrer fast unabhängigen Stellung, bis sie im Jahre 1693 durch den Kurfürsten vernichtet wurde, natürlich ohne daß es dem niederen Volke zugute gekommen wäre.

Daß die Verfassung von Tangermünde so aristokratisch wurde und blieb, während die Bürgerschaft des nahen Stendal sich kraftvoll Beteiligung am Regiment zu erkämpfen wußte, könnte damit zusammenhängen, daß Tangermünde lange Zeit der beliebte Sitz der Landesherren war und die niederen Klassen sich deshalb mehr zu Unterwürfigkeit gewöhnten. Tangermündes Wichtigkeit als Elbzollstätte, als durch die Natur gesicherte Festung, als schöner Aussichtspunkt, ließ es den Herren der Mark als wertvollen Besitz erscheinen. Während in Stendal die Burg früh abgetragen wurde, blieb sie in Tangermünde Mittelpunkt des Ortes. Hier hielten sich zuweilen die askanischen Markgrafen auf, besonders gern der Minnesänger Otto mit dem Pfeil, der auf der Burg manches Mal seiner jungen Gemahlin Heilwig von Holstein beim Schachspiel gegenüber gesessen haben mag, wie das Bild sie darstellt. Der letzte der Askanier, Waldemar, feierte auf der Burg seine Verlobung mit der zwölfjährigen Agnes, deren Mutter eine Tochter Kaiser Albrechts war, und zwei Jahre später seine Vermählung. Nach seinem Tode wohnte sie mit ihrem zweiten Gatten, Otto dem Milden von Braunschweig, auf Tangermünde. Ganz besonders verwachsen aber ist die Geschichte der Burg mit Karl IV. aus dem Geschlecht der Luxemburger, diesem durchaus nicht heroischen und großdenkenden, aber klugen, umsichtigen, liebenswürdig-geselligen, modern anmutenden Kaiser. Er faßte eine Vorliebe für Tangermünde und suchte seinen Handel möglichst zu fördern; dort sprach er in glänzender Versammlung die Vereinigung der Mark Brandenburg mit Böhmen aus. Seine beiden Söhne Sigismund und Johann wuchsen in Tangermünde auf, Sigismund, ein schönes Prinzlein mit blonden Locken und liebenswürdigem Wesen, offenbar mehr der Mutter als dem Vater nachschlagend. Karl war klein und etwas verwachsen, breit von Gesicht, schwarzhaarig, vorn früh kahl. Als besondere Eigentümlichkeit wird angeführt, daß er den, mit dem er sprach, nicht ansah, sondern seine Augen unruhig umhergehen ließ, wie das im tiefsten Grunde unzuverlässige Menschen zu tun pflegen, die durchschaut zu werden fürchten. Seine vierte Frau, die blonde Elisabeth von Pommern, die Mutter seiner Söhne, die bei der Vermählung 18 Jahre alt war, konnte mit den Händen ein Hufeisen zerbrechen und gab zuweilen auf die Bitte ihres kaiserlichen Gemahls eine Probe ihrer Stärke; so soll sie es auf einem Turnier in Prag getan haben. Sigismund galt erwachsen als einer der schönsten Männer seiner Zeit, hatte dazu ein ebenso würdevolles wie humanes Wesen, war immer munterer Laune und scherzte gern. Humor hatte auch Karl, und allerlei Späße erzählt man sich von ihm. Was für eine kurzweilige Bewandtnis es mit seinem blinden Pferde hatte, weiß man nicht mehr, nur der Vers ist übriggeblieben: »De Kaiser Karolus de harr en Perd – Dat was ne fahle Stute – Up einem Oge da sach et nich recht – Det annere was reen ute – reen ute – reen ute«. – Er war Sammler von Reliquien, die wohl die Stelle moderner Kleinkunst vertraten. In der Schloßkapelle zu Tangermünde, die im Dreißigjährigen Krieg mit der Burg niedergebrannt wurde, bewahrte er das Herz des heiligen Georg in goldner Monstranz, einen Tropfen vom Blute Christi in einem mit roten Edelsteinen verzierten Kristall und ein gleichfalls köstlich gefaßtes Stückchen Gehirn Johannes des Täufers. Gern sah er abends von seinem Felsenschloß über die breite, ruhig fließende Elbe mit den lautlosen Kähnen ins Land, wo hie und da ein Kirchturm aus dem Nebel tauchte. Wegen der lieblichen Wiesen voll Blumen und Kräuter soll er oft nach Jerichow spazieren gefahren sein.

Zweiundzwanzig Jahre lang bewohnte der erste Hohenzoller, Friedrich I., Tangermünde. Seine Frau, die schöne Else, eine bayrische Prinzessin, deren Mutter eine Visconti von Mailand war, entfaltete in der Burg mit elf Kindern ein bewegtes Familienleben. Friedrich unterbrach zuweilen seinen Aufenthalt, einmal durch eine Wallfahrt nach Jerusalem. Er war ein ungewöhnlich gebildeter Mann, sprach lateinisch, französisch und italienisch, hatte geschichtliche Kenntnisse und stand in Briefwechsel mit Aeneas Sylvius und mit Gerson, dem berühmten Kanzler der Universität Paris. Der auf Tangermünde geborene Sohn dieses tatkräftigen und begabten Fürsten warf sich auf die Religion, hörte Messen in der Schloßkapelle, betete und sang fromme Lieder bei den Mahlzeiten, machte eine Reise nach Rom und heimste vom Papst die goldene Rose ein. Als er einmal bei Gelegenheit einer Fehde, denn ganz konnte er sich dem Zuge der Zeit doch nicht entziehen, ein Dorf abgebrannt hatte und der Propst bei den Augustinern, Johann Busch, zornig ausrief: »Ich wollte, daß der Teufel mit dem Kurfürsten zur Hölle führe, den Kopf unten, die Füße oben,« sagte er, als ihm diese Bemerkung hinterbracht wurde: »Der gute Vater ist doch zu hart gegen mich.« Er war offenbar an scharfe Behandlung durch die Geistlichen gewöhnt. Dieser Kurfürst stiftete den Schwanenorden, den Friedrich Wilhelm IV. im 19. Jahrhundert erneuerte, um ein vorgebliches Mittelalter wieder einzuführen. Die späteren Kurfürsten wohnten nicht mehr in Tangermünde, die Statthalter – es waren z. B. Kurt v. Lüderitz, Bruno v. Alvensleben, Achaz v. d. Schulenburg, Hempo v. d. Knesebeck – nur vorübergehend.

Namen patrizischer Geschlechter von Tangermünde waren von Kökte, Zabel, Röxe, Helmreich, Zernitz, Woldenhagen. In der ehemaligen Burgfreiheit, der jetzigen Burgstraße, gab es neun steuerfreie Häuser, sogenannte Freihäuser, von denen noch fünf stehen, die im Besitz kurfürstlicher Beamten waren. An einen von diesen, Florian Alborn, bewahren ein trauriges Andenken zwei Grabdenkmäler in der Stephanskirche: das eine erinnert an den Tod seiner drei Söhne, Florian, Christian und Michael, die im Jahre 1613 innerhalb eines Monats starben, das andere an seinen eigenen Tod, der acht Jahre später erfolgte. Im Jahre 1619 besuchte seine Frau die unglückliche Grete Minde im Kerker kurz vor ihrem martervollen Tode. Sie berichtete, daß die Arme gebeten habe, mit dem Schwert gerichtet zu werden; sonst habe sie nichts gesagt. Was veranlaßte die angesehene Frau, die gescheiterte Schwester aufzusuchen? Man möchte annehmen, daß der Verlust ihrer Söhne ihr Herz dem Mitgefühl für fremdes Elend zugänglich gemacht habe. Von Florian Alborn weiß man noch, daß er einen langen Streit mit dem Magistrat von Tangermünde führte, wem die Wiederherstellung des morsch gewordenen Galgens zustehe, dem Kurfürsten oder dem Rat. Mit Hilfe von Urkunden gelang es schließlich dem Rat, sein besseres Recht zu beweisen. Eine Tochter Alborns verheiratete sich nach seinem Tode mit dem damals berühmten Bogislaw Phil. von Chemnitz, der mit dem Kanzler Oxenstjerna zusammen während des Dreißigjährigen Krieges nach Tangermünde kam und unter dem Namen Hippolytus a Lapide ein aufsehenerregendes Buch gegen das Haus Habsburg schrieb.

Der Krieg, zu dem die Feuersbrunst von 1617 das schaurige Vorspiel war, richtete Tangermünde vollends zugrunde. Vierzehnmal nahmen es durchziehende Heere als Hauptquartier, kaiserliche und schwedische gleich verderbenbringend. Als erster kam Wallenstein. Er wohnte bei einem Brauer namens Gansauge, dem Stammvater einer ausgebreiteten, später geadelten Familie, der seine Kinder verstecken mußte, weil der nervöse Feldherr kein Geräusch, ganz besonders keine Kinderstimmen vertragen konnte. General Fuchs zerstörte das Paulinerkloster, dessen Reste vor hundert Jahren an einen Tangermünder Ackerbauer verkauft wurden, indem er die Balken aus dem Dach sägen ließ, um sie zum Bau einer Schiffsbrücke zu verwenden. Er fiel bald darauf in der Schlacht bei Lutter am Barenberge. Gustav Adolf legte, nachdem er sich mehrere Tage in Tangermünde aufgehalten hatte, die Schanze von Werben an, die als Angriffspunkt so verderblich für die Gegend wurde. Ihm folgten Tilly und Pappenheim, beide Proben ihres verschiedenen Charakters ablegend. Während Pappenheim den Rat hart anließ und, mit der Hand nach dem Galgen deutend, sagte, den hätten sie verdient, weil sie den Schwedenkönig eingelassen hätten, befreite Tilly die Personen, die Pappenheim hatte verhaften lassen, verhieß der Stadt seinen Schutz und hielt sein Versprechen, indem er den Abzug der Besatzung selbst überwachte, damit kein Soldat etwa Unfug verübe. Er kämpfte bei der Schanze von Werben mit den Schweden, kam dann nach Tangermünde zurück und ließ auf dem Anger ein prächtiges Zelt errichten, um dort Kriegsrat zu halten. Als ein Sturmwind das Zelt ergriff und in die Elbe schleuderte, wurde dieser Vorfall nach der weise der Zeit als Zauberstück der Finnen und Lappen angesehen, die im schwedischen Heere waren, und denen man geheimnisvolle Kräfte zuschrieb. Tilly verließ die Gegend mit trüben Ahnungen und starb bald darauf, am Lech verwundet, auf dem Rückzüge in Ingolstadt. Die kaiserlichen Heere, die nach dem Siege bei Nördlingen die Altmark überfluteten, fraßen das letzte. Gallas zog im Jahre 1638 aus der Gegend ab, weil durchaus keine Nahrung mehr aufzutreiben war. Bei der steinernen Brücke wurde einmal ein starker, fetter Mann von Soldaten überfallen, geschlachtet und verzehrt. Die zahlreichen Leichname, die umherlagen, wurden als Bretter über Wassergräben gelegt. Nach dem Abzüge der letzten kaiserlichen Regimenter unter dem Feldzeugmeister von Salis kamen die Schweden wieder und brannten das Schloß ab. Verzweifelte Bauern, die sich zusammengerottet hatten, um das Land zu verteidigen, wurden beim kühlen Brunnen, unweit der steinernen Brücke, niedergemacht. Trotz aller Not und allen Elends jedoch scheint der alte Spruch: »De Tangermünder hebben den mot«, seine Geltung behalten zu haben. Während der Freiheitskriege zogen 23 junge Männer von Tangermünde Schill, 25 Theodor Körner zu.

Ein Schriftsteller, der vor hundert Jahren Tangermündes Geschichte beschrieben hat, lobte den gesitteten Charakter seiner modernen Bewohner. Selten sehe man Trunksucht und pöbelhaftes Betragen, welche Laster vielmehr allgemein mit Verachtung genannt würden. Jedermann sei bemüht, seine Kinder zu frommen und geschickten Staatsbürgern zu erziehen, der Gebildete gehe jährlich einmal zum Tische des Herrn, benehme sich bei allen religiösen Zeremonien anständig, sei gegen Andersdenkende duldsam und setze seinen sittlichen Wert in einen moralischen Lebenswandel. »Wir verdanken diese wesentliche Verbesserung vorzüglich dem wohltätigen Einfluß der besser eingerichteten Schulen und den nur reine, vernünftige, christliche Moral atmenden Predigten, welche hier in einer langen Reihe von Jahren gehört wurden. Auch haben polizeiliche Mittel einen nicht geringen Anteil.«

Welche Verdienste diese geschickten Staatsbürger haben mögen, sie haben das alte Tangermünde nicht gebaut. Von Feuersflammen und Zivilisation verheert, steht es doch noch da, als gehörte es auf einen andern Stern. Die Lage der Stadt auf einem 60 Fuß hohen Felsen über der Elbe gibt ihr etwas Heroisches, das die Mauern, Türme und Tore, die sie schützen, wo die Natur es nicht tut, vollenden und steigern. Immer gleich schön, wie zur Zeit, als Kaiser Karl ihn genoß, ist der Blick ins Land vom Burgplatz aus, wo zwei Türme und ein uraltes Tor an die verschollene Herrlichkeit erinnern. Von weitem sieht man den charakteristischen Umriß der Stephanskirche, deren südlicher Turm nicht vollendet ist; die Glasgemälde, die sie einst schmückten, hat der Brand zerstört. Ein Glasfenster im Rathause zeigt das Tangermünder Wappen: den roten Adler mit weißen Rosen. Der Backsteinbau des Rathauses liegt inmitten der Stadt wie eine allerschönste Prinzessin in der Felsenburg eines Riesen. Mit seinen bunten Giebeln und arabeskenhaften Rosen scheint es aus einem Märchen von Tausendundeinernacht hierher versetzt zu sein, und man meint, es müßten verschleierte Frauen aus Damaskus und weise Kadis darin aus- und eingehen. Dies reizende Gebäude, das allen Schrecknissen der Brände, Kriege und Modernisierungen nicht unverändert, aber immer schön entronnen ist, wäre beinahe das Opfer eines wunderlichen Zufalls geworden. Ein wandernder Puppenspieler kam im Jahre 1646 nach Tangermünde, das nach dem Abzug aller Heere sich ein wenig zu erheben begann, und bat um Erlaubnis, das Jüngste Gericht vorzustellen. Sie wurde gewährt und die Aufführung fand am Allerheiligentage auf dem Rathause statt. Es war vier Uhr und schon brach die Dämmerung herein. Von den Raketen, die der Puppenspieler steigen ließ, um den Untergang der Welt, den man eben gräßlich erlebt hatte, bescheiden anzudeuten, drang eine durch die Ritze einer Tür zu einem Pulverfaß, das im Rathause aufbewahrt und vergessen worden war und entzündete es. Infolge der Explosion verbrannten viele Personen und ein Teil des Hauses.

Im Mittelalter war Tangermünde eine reiche Stadt sowohl durch den Elbzoll wie durch Gewerbe und Brauerei. Das Tangermünder Bier hieß Kuhschwanz, das von Stendal Taubentanz, das von Gardelegen Garlei und das von Salzwedel Soltmann. Auch Wein wurde sowohl bei Tangermünde wie bei Stendal gebaut, was sich daraus erklärt, daß man damals gesüßten Wein zu trinken pflegte. Im Dreißigjährigen Kriege verarmt, ging die einst umworbene Hauptstadt mehr und mehr zurück, um erst in neuester Zeit durch die allrettende Industrie einen Aufschwung zu nehmen. Es gibt jetzt eine chemische Fabrik, eine Eisengießerei, eine Dampfmühle, eine Ölfabrik und viele andere industrielle Anlagen, in respektvoller Entfernung nördlich von der tausendjährigen Kaiserstadt errichtet; da arbeiten die Betriebe und dampfen die Schlote, während sie, auf das Altenteil zurückgezogen, schlummert und träumt.


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