Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Kaiser Barbarossa hatte bei der alten Reichsstadt Gelnhausen eine Burg, wo er sich gern aufhielt, von einer wunderschönen Geliebten, die Godula hieß, gefesselt. Nah bei der Burg war damals ein kleiner See, von Erlen und Birken umgeben, der voll bunter Fische war; sie schimmerten wie Edelsteine milchweiß, silbern, bläulich und rosenrot. Das Volk getraute sich nicht, sie zu fangen, weil ein Neck im See hauste: der stieg oft aus dem Wasser, setzte sich ans Ufer und spielte auf einer Harfe. Er hatte langes, schilfiges Haar und grüne Augen und tat niemandem etwas zuleide. Die schöne Godula hatte große Freude an den Fischen und belustigte sich damit, ihnen Brot zuzuwerfen und zuzusehen, wie sie danach schnappten; besonders einen roten, der wie eine Feuerflamme durch das Wasser zuckte, gewann sie lieb, und wenn sie ihn einen Tag lang nicht gesehen hatte, wurde sie traurig. Da, eines Tages, als er langsam, langsam ans Ufer geschwommen kam, sah sie, daß Blutstropfen aus seinen Schuppen quollen, und nach einigen Minuten war er tot und versank in die Tiefe. Die schöne Godula verfiel in Traurigkeit und starb nach drei Tagen; seitdem mochte Kaiser Barbarossa nicht mehr in der Burg verweilen, ritt hinweg und kam nie wieder nach Gelnhausen.
Diese seltsame Sage raunt von der dämonischen Macht der Elemente und der elementarischen Leidenschaften über das, was der bewußte Mensch hervorbringt. Unaufhörlich ringen sie mit ihm um sein Werk, das sie lieben und an dem sie Anteil haben; Feuer und Wasser wühlen und nagen daran, der Sturm erschüttert es und die Erde wächst darüber hin. Gras und Blumen dringen aus der geborstenen Mauer, das Moos kriecht daran herauf, der Purpur des Efeu umhüllt sie. Nicht mehr widerhallt sie vom Klirren der Waffen oder vom Gebet der Mönche oder vom Sausen des Spinnrads, nicht mehr begrüßt das Horn des Wächters den Morgen von der Zinne; aber die Musen rauschen daran vorüber mit unsterblichen Gesängen.
In früherer Zeit ließen die Menschen gebrochene Burgen, abgebrannte Klöster und Kirchen verfallen und in die Erde verbröckeln, wenn sie nicht etwas Neues darüber errichteten oder die brauchbaren Trümmer zu anderen Bauwerken verwendeten. So ging es auch mit der alten Burg von Gelnhausen; wer in der Stadt etwas baute, holte sich das Material dazu aus der herrenlosen Burg, wo es nichts kostete. Dem machte die preußische Regierung ein Ende: das denkwürdige Gebäude wurde gesäubert und instand gesetzt, wissenschaftlich untersucht und angeordnet, der Zugang versperrt und die Besichtigung nur in Begleitung eines Aufsehers gestattet. Das war dankenswert und notwendig, wenn überhaupt noch die Ruine erhalten bleiben sollte; aber schöner muß es damals gewesen sein, als noch der Zauber der Insel ungehindert in die verfallende Burg hineinwuchs, als das Gestrüpp die klagenden Figuren verschlang, die einst Säule und Gesims schmückten, und ein Klang von Harfe oder Tränen über das Wasser rieselte.
Auch die aufgeräumte Burg ist noch herrlich und ergreifend, ein Stück Vergangenheit, das der Kinzigfluß und ein Dickicht von Schwarzpappeln und Wasserweiden von der rastlos veränderlichen Zeit abtrennen. Die Welt bleibt hinter einem zurück, wie wenn man eine Kirche betritt, obwohl man ihr Walten hier wie dort spürt. In der Vorhalle werden besonders wertvolle Trümmerstücke aufbewahrt, und es finden sich da Adler als Schmuck an Säulenkapitellen, die mit überraschender Kunstfertigkeit und Sorgfalt gearbeitet sind. Den Hauptteil des Erhaltenen bildet der Festsaal, zu dem man über eine Treppe hinaufsteigt, wo der mächtigste Fürst des Abendlandes seine Gäste versammelte, mit dem Bogenfenster, wo er und seine Gattin Beatrix von Burgund standen und die Bürger von Gelnhausen grüßten. Es befinden sich dort die Reste eines Kamins mit orientalischem Muster, wie es die Kreuzzüge nach dem Westen gebracht hatten. Orientalisch mutet auch das rätselhafte Haupt mit dem langen geflochtenen Bart an, das jetzt außen über dem Portal des Pallas angebracht ist, und das Schenkendorf als das des großen Friedrich besang. Von dem übriggebliebenen Turm überblickt man die Stadt und das wellige Land und den Büdinger Forst, der als Jagdgrund die Gegend dem Kaiser lieb machte.
Lange vor den Hohenstaufen, schon zur Zeit der Merowinger, soll sich da, wo jetzt Gelnhausen liegt, ein Dorf befunden haben und auch eine Burg, die den Grafen von Gelnhausen gehörte. Erst Barbarossa jedoch erhob die alte Siedlung zur Stadt, errichtete eine neue Burg, besetzte sie mit Burgmannen und unterstellte sie einem Burggrafen, den er belehnte. Den Burggrafen als Vögten des Büdinger Waldes waren erblich belehnte Forstmeister beigegeben; aus ihnen ging die Familie derer von Forstmeister hervor, die eine Wolfsangel im Wappen führten, eine Erinnerung an die Zeit, wo Wölfe im Büdinger Forst gejagt wurden. Für den Kaiser, der bisweilen um zu jagen in die Burg kam, mußte der Forstmeister einen weißen Bracken mit herabhängenden Ohren bereithalten, der auf einem seidenen Kissen liegen sollte; auch sein Leitseil sollte von Seide, sein Halsband von vergoldetem Silber sein. Ferner mußte für den Dienst des Kaisers ein weißes Roß da sein, eine Armbrust aus Ebenholz und ein Pfeil mit silberner Spitze, befiedert mit Straußen- und Pfauenfedern. Im Jahre 1180 wurde in Gelnhausen auf sehr besuchtem Reichstage die Acht über Heinrich den Löwen ausgesprochen; anwesend waren die Erzbischöfe von Magdeburg, Köln, Trier und Salzburg, Landgraf Ludwig von Thüringen, Markgraf Otto von Brandenburg, die Äbte von Fulda und Hersfeld, viele Bischöfe und der älteste Sohn des Kaisers, Herzog Friedrich von Schwaben, dessen Verlobung mit einer Tochter des Königs von Ungarn damals gefeiert sein soll. Fünfzehn Jahre später wurde auf einem Reichstag in Gelnhausen über den Kreuzzug beraten, von dem Barbarossa nicht zurückkehrte. Auch die späteren Kaiser haben sich in Gelnhausen aufgehalten: Heinrich II., Philipp von Schwaben, Friedrich II. und sein Sohn Heinrich, Konrad IV., Rudolf von Habsburg, Albrecht I., Heinrich VII., Ludwig der Bayer und Ruprecht von der Pfalz. Damals jedoch war die Blüte der Stadt bereits vorüber.
Wenn je eine, so war die Wiege der Stadt Gelnhausen mit verheißungsvollen Patengeschenken ausgestattet. Der große Hohenstaufe, der die Zeit Karls des Großen, Ottos I., Heinrichs III. erneuerte, war ihr Gründer, Beschützer und Freund und verlieh ihr wertvolle Freiheiten; er befreite sie von allen Handelszöllen an allen kaiserlichen Plätzen und Zollstellen und bestimmte, daß nur die Kaiser selbst oder kaiserliche Beamte in der Stadt Gericht halten sollten, womit sie zur Reichsstadt erhoben war. Da sie auf Reichsboden entstanden war, hatten ihre Bürger nur dem Kaiser einen Arealzins zu leisten und durften ihre Häuser und Besitzungen ihren Erben überlassen, wenn diese den Zins weiterbezahlten. Die folgenden Kaiser fuhren fort, Gelnhausen mit allerlei Rechten und Freiheiten zu begaben, so daß die Stadt am Ende des 18. Jahrhunderts deren mehr als vierzig besaß. Darunter war ein Privileg Heinrichs VI., das sie von allen Zöllen im Reich befreite, das wichtige Privileg de non evocando von Rudolf von Habsburg, das wichtige von Kaiser Sigismund, es dürfe auf eine Meile Wegs von Gelnhausen keine neue Burg errichtet werden. Sämtliche Privilegien wurden von allen Kaisern bis auf Joseph I. bestätigt. Nicht viele Reichsstädte führten ein ebenso pompöses Siegel: die Brustbilder Kaiser Friedrichs I. und seiner Frau Beatrix in einem Doppelbogen mit der Umschrift: Sigillum sculteti et civium de Geilnhausen. Der Bogen deutet das romanische Fenster in der Burg an, von dem aus das Kaiserpaar auf die erblühende Stadt hinabgesehen hatte.
Die kaiserlichen Gnaden konnten nicht ersetzen, was Natur und Geschichte versagt hatten; hier war kein starker Strom, kein alter Handelsweg, kein besonders günstig zu verwertendes Erzeugnis, und auch auf diese kleine Schwesterstadt warf Frankfurt einen drückenden Schatten.
Die Verbindung mit der Burg wurde für Gelnhausen nicht so verhängnisvoll wie für Friedberg; denn es war zwar mit dem Burggrafenamt ein Reichsgericht über die Umgegend verbunden, aber rechtlichen Einfluß auf die Stadt hatten die Gelnhauser Burgmannen nicht und scheinen ihn auch nicht angestrebt zu haben. Sie bildeten wie auch in Friedberg eine Ganerbschaft, d. h. eine zusammen lebende und gemeinsam erbende Genossenschaft, und unterstanden einem Burggrafen, der vom Kaiser belehnt, in späteren Jahrhunderten von den Burgmannen gewählt wurde. Anfangs wohnte eine Reihe von adeligen Familien in der Stadt, so die von Breidenbach, die von Trimbach, die von Bünau, die von Grimmelshausen, die von Füßchen. Einer aus der Familie von Grimmelshausen hat diesen Namen unsterblich gemacht.
In anderer Weise leben die Schelme von Bergen in der Literatur fort: zwei Dichter, Heine und Simrock, haben die Sage von der Herkunft dieses Geschlechtes in reizvollen Romanzen erzählt. In dem maskierten Tänzer, dessen schlanker Wuchs und edle Bewegung alle Augen auf sich zog und die Kaiserin bewog, den ganzen Abend mit ihm zu tanzen, erkennt die Frankfurter Hofgesellschaft, als er auf den bestimmten Wunsch der Herrin die Maske fallen läßt, mit Entsetzen den Scharfrichter von Bergen. Sein Leben scheint verspielt; aber Kaiser Friedrich weiß einen besseren Ausweg und schlägt den Verwegenen, der die Kaiserin zum Tanze geführt hat, als Schelm von Bergen zum Ritter. Eine andere Fassung der Sage ist so, daß Barbarossa eines Tages, als er sich bei der Jagd im kaiserlichen Forst Dreieich bei Frankfurt verirrt hatte, zu einem Karrenführer aufstieg, den er unterwegs als den Scharfrichter von Bergen kennenlernte. Die Schelme führten als Wappen zwei rote Rippen im silbernen Feld und einen roten feuerspeienden Drachen als Helmzierde. Ihre Stammburg lag in Bergen nah bei Frankfurt und dort war auch eine Kirche mit ihrem Erbbegräbnis, die 1600 durch Feuer zerstört und im Anfang des 19. Jahrhunderts ganz niedergelegt wurde. Es gab Schelme von Bergen in Friedberg, Gelnhausen und noch anderen Ganerbenhäusern. Die Bergener Linie starb 1768 aus, von denen von Gelnhausen lebte im Anfang des 19. Jahrhunderts noch Christian, Hauptmann der freien Stadt Frankfurt, der keine Söhne hatte.
Die meisten von diesen Namen verschwanden allmählich aus der Stadt, um unter den Burgmannen wieder zu erscheinen. Insofern also wurde die Stadt Gelnhausen durch die Burg beeinträchtigt, als diese ihr die reichen und vornehmen Familien entzog. Eine fast nur aus Bauern und Handwerkern bestehende Stadt war nicht entwicklungsfähig; es bedurfte der Reibung, des Kampfes, mehr noch des Reichtums und vor allen Dingen der größeren Gesichtspunkte und der stärkeren Leidenschaften dieser Familien, ihres Ehrgeizes und ihrer Herrschsucht. Aus irgendeinem Grunde aber müssen wohl die Bewohner von Gelnhausen, Bürger wie Ritter, weniger tätig, weniger unternehmend gewesen sein als z. B. die von Friedberg. Die Anwesenheit der vielen hochgestellten Personen, die die Reichstage herbeizogen, belebten anfangs den Markt und brachten Arbeit und Verdienst mit; seitdem die Kaiser seltener und schließlich gar nicht mehr kamen, trat ein Stillstand ein und begann auch die Burg zu verfallen. Bewohnte ein Kaiser die Burg, mußte für seine Verpflegung und für die Erfüllung der verschiedenen Auflagen gesorgt werden, mußte die Burg in gutem wohnlichen Stande sein; da die kaiserlichen Besuche wegfielen, hatten die Burgmannen, die die Vorburg, nicht die Burg selbst bewohnten, an ihrer Erhaltung kein Interesse mehr. Schon am Ende des 14. Jahrhunderts beklagte sich König Wenzel über ihren Verfall.
Der Stadt hätte die dauernde Abwesenheit der Kaiser einen Aufschwung bringen können, wie das bei den meisten anderen Reichsstädten der Fall war, deren große Zeit im Interregnum begann. Auch Gelnhausen nahm an den Städtebündnissen teil, wurde insbesondere ein Glied des Bundes der vier wetterauischen Städte. Im Jahre 1285 vereinigten sich Frankfurt, Wetzlar, Friedberg und Gelnhausen zum ersten Male, um dann den Bund von Zeit zu Zeit zu erneuern. Sie wurden als Eidgenossenschaft so anerkannt, daß ihnen meistens gemeinsam von den Kaisern die gleichen Privilegien erteilt wurden. Frankfurt war ihr Vorort, Gelnhausen ihr schwächstes Mitglied. Auch Friedberg und Wetzlar haben dem wirtschaftlichen Aufstiege Frankfurts nicht folgen können, dem seine Sterne eine glanzvolle Zukunft bestimmt hatten.
In der Mitte des 13. Jahrhunderts war Frankfurt noch so wenig bedeutend, daß König Wilhelm es mit Gelnhausen zusammen verpfändete; er nahm aber diese von den Städten gefürchtete und gehaßte Maßregel zurück, indem er zugleich versprach, sie nicht zu wiederholen. Karl IV. indessen, ein schlechter Mehrer des Reichs, bediente sich mit Vorliebe dieses Mittels, um zu Gelde zu kommen, und verpfändete zuerst Gelnhausen und Friedberg an den Grafen Kraft von Hohenlohe und später Goslar und Nordhausen an den Grafen von Schwarzburg. Den letztgenannten Städten gelang es, sich selbst aus der Pfandschaft zu lösen, nicht so Gelnhausen, bei dem sich mit der wirtschaftlichen Schwäche noch das unkluge und allzu bequeme Vertrauen auf das Versprechen der Wiedereinlösung verband.
Zum Unglück für die Stadt verkaufte der Graf von Schwarzburg das Pfand an den Kurfürsten Ludwig von der Pfalz und den Grafen Reinhard von Hanau, von dem es im Jahre 1736 als Erbschaft an den Landgrafen von Hessen-Kassel fiel. Trotz seiner Ohnmacht hielt Gelnhausen unerschütterlich an seinem Charakter als freie Reichsstadt fest. Als kurz vor Beginn des 30jährigen Krieges der damalige Graf von Hanau sich in die inneren Angelegenheiten Gelnhausens einmischte, beschwerte sich die Stadt beim Kaiser Matthias, der es auch nicht an einem gespreizten Urteil fehlen ließ, in dem er der Pfandherrschaft, die sich nicht daran kehrte, aufgab, sich der Vergewaltigungen zu enthalten und der Stadt den erlittenen Schaden zu vergüten. Nach dem Kriege warf sich Leopold I. noch einmal zum Vertreter des Reichs und Herrn der Reichsgüter auf und schickte einen Kommissar zur Entgegennahme der Huldigung nach Gelnhausen. Die Grafen von Hanau verboten bei 1000 Gulden Strafe, die Huldigung zu leisten, doch verzweifelten die Gelnhauser nicht an ihrer guten Sache, riefen die Entscheidung des Hofgerichts an und huldigten nach erfolgtem günstigen Spruche. Die Reichszugehörigkeit machte sich nur dadurch bemerkbar, daß Gelnhausen aufgefordert wurde, die Reichssteuer zu leisten, welche dem Kurfürsten von Trier zur Unterhaltung der Reichsfestungen Koblenz und Ehrenbreitstein zugewiesen war. Gelnhausen war bereit, sie als Zeichen seiner Freiheit zu zahlen; aber gegen das Militär des Pfandherrn waren die Stadt sowohl wie der Kaiser machtlos.
Etwa hundert Jahre später unterschrieben eine Anzahl Bürger, nicht alle, eine Urkunde, in der sie versprachen, auf die Fortführung des Prozesses zu verzichten und der Pfandherrschaft den schuldigen Gehorsam zu leisten; aber noch nachdem durch den Reichsdeputationshauptschluß Gelnhausen dem nunmehrigen Kurfürstentum Hessen einverleibt worden war, wagte ein Teil der Bürgerschaft Widerspruch, der durch einrückende hessische Truppen unterdrückt wurde.
Als Simplizissimus während des Dreißigjährigen Krieges nach Gelnhausen kam, fand er die Tore offen, wie wenn es leer wäre, und wo sie durchlöchert waren, mit Mist verschanzt. Er ging ein paar Steinwürfe in die stille Stadt hinein und begegnete niemandem; nur ein paar Tote lagen auf der Straße, von denen einige nackt waren. Da grauste es ihn und er kehrte um.
Von der Befestigung sind noch Mauern, Tore und Türme erhalten.
Der Hexenturm erinnert an die vielen Frauen, die als Hexen in Gelnhausen verbrannt sind. Besonders ein Bürgermeister Koch machte sich durch eifriges Hexenbrennen einen Namen und entsprach damit, wie es scheint, dem Bedürfnis der Bürgerschaft; denn als damit nachgelassen wurde, beschwerten sie sich darüber beim Rat und forderten zu besserer Ausrottung der Zauberer und Hexen auf, die ihnen den Wein, die Baum- und Feldfrüchte verderbten. Die Bewohner von Gelnhausen waren augenscheinlich Bauern, engherzig, abergläubisch, mitleidlos, welches auch sonst ihre Tugenden sein mochten. Der Rat, der willkürlich ohne beisitzende Schöffen richtete, hätte durch scharfe Urteile der Bevölkerung die Empfindlichkeit abgewöhnen können, wenn sie daran gelitten hätte. Im Jahre 1480 ließ er am neuerrichteten Galgen zwei Leute aufhängen, die nicht mehr als ein paar Kittel gestohlen hatten. Zwei Schneider wurden verbrannt, einem Metzger wurden die Augen ausgestochen für Verbrechen, die weit weniger Roheit kundtaten als die Strafe. Um diese Zeit wurde auch einmal eine Mutter mit zwei Töchtern lebendig begraben. Gela, die eine von den Töchtern, hatte ein uneheliches Kind zur Welt gebracht, und ihre Schwester Elsgen hatte ihr den unheilvollen Rat gegeben, es zu töten. Die siebzigjährige Mutter hatte darum gewußt und wurde deshalb mit den Töchtern zu grausamem Tode verurteilt. Man hatte auch die jüngste Tochter ins Gefängnis geworfen, aber da Mutter und Schwestern sie entschuldigten, daß sie nichts gewußt habe, ließ man sie gehen. Den Vater des getöteten Kindes, einen Knecht aus Wertheim, scheint keine Strafe getroffen zu haben. Wo, ob im Hexenturm oder in einem anderen Verließ, die Unglücklichen verschmachteten, wird nicht berichtet.
Jetzt empfängt Gelnhausen den Wanderer als eine freundliche, stille, halb ländliche Stadt, deren Bewohner betrübt und fast beschämt gestehen, daß sie keine Industrie haben. Um so besser hört man, wenn man die krummen Straßen hinaufklettert, den Genius dieses Ortes mit Adlerflügeln rauschen. Unsichtbare Schwingen segeln langsam zwischen der Burg und der Marienkirche hin und her, unter ihnen schwillt auch das Kleine und Geringe zu mythischer Größe über die enge Stadt hinaus. Das romanische Rathaus, das einzige dieser Art in Deutschland, das früher in ein gotisches Haus verbaut war, hat durch die Wiederherstellung an überzeugendem Leben verloren. Aber man geht an schönen, ansehnlichen Fachwerkbauten vorüber, an einem Portal der Peterskirche sieht man geheimnisvolle Gesichter, Madonnen voll unnahbarer Hoheit schmücken die Altäre der Marienkirche. Dieser herrliche Bau mußte der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zum Vorbild dienen; aber wohl keiner, der vor einer von beiden steht, denkt an die andere.