Rudolf Huch
Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
Rudolf Huch

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das zweite Kapitel

Wie ich einen Verein zur Pflege der engeren Heimatskunde gegründet habe

Der Gram über den erfahrenen Undank fraß mir indessen dermaßen am Herzen, daß sich das frische Rot meines Gesichtes in ein mattes Grau verwandelte. Meine Augen verloren den Glanz, die Stimme klang wie eine geborstene Trompete; oft sogar übernahm der Ekel an der Welt meine Sinne mit solcher Heftigkeit, daß ich ohne Anlaß gähnen mußte.

Zu der seelischen Pein kam der leibliche Mangel. Der Vormund tat nicht mehr, vermochte das wohl auch nicht, als daß er die Pension bezahlte und mich im Nötigsten erhielt. Von den saftigen Schinken und guten Landwürsten, mit denen mich die Eltern erquickt hatten, war keine Rede mehr. Da nun auch noch das Stundengeld ausblieb, wofür ich mir doch hier und da insgeheim ein Beefsteak oder Bratenstück gezähmt hatte, war ich ganz auf die Kost bei meinem Schulmeister angewiesen. Lieber Gott, ein Schulmeister mit fünf Kindern! Da konnte auch das Pensionsgeld nicht viel helfen. Oftmals 25 waren bei dem Mittagessen Kartoffeln der Hauptgang, abends gab es zwar Brot genug, aber blitzwenig Butter, und an Schinken und Wurst mocht ich gar nicht denken, da mir bei solchem Gedanken das Wasser in die Augen steigen wollte. Allein in dieser meiner Herzensbetrübnis ermangelte ich doch nicht eines zwiefachen Trostes: Das zarte Band der Freundschaft und die herben Freuden der Wissenschaft vereinten uns, mich und zwei andere, zu einer Gemeinschaft im Geiste des göttlichen Platon.

Mit tiefer Wehmut gedenke ich der beiden Wackeren, die mit mir jenes platonische Kleeblatt bildeten. Denn der eine, ein Rechtsbeflissener, ist an der tückischen Leberschrumpfung gestorben, als er eben sein siebentes Studienjahr angebrochen hatte, der andere aber, der sich dem Steuerfache widmete, hat sich müssen totschießen.

Der Jurist war eine hünenhafte Erscheinung, überragte mich um zweier Häupter Länge und hatte schon damals an seinem Bauche ein nicht ganz Unerhebliches zu schleppen. Der Steuerbeamte war um so magerer, ein träumerischer Mensch und ein zartes Gemüte, dem, wie ich's mir jetzt überlege, in dieser schlimmen Welt kein fröhliches Gedeihen vorauszusagen war.

Alle drei waren wir ernste Naturen, vielen Worten abhold, wenn ich von meinen gelegentlichen Reden ciceronianischer Schule absehe, und ganz aufs Innerliche angelegt.

Dementsprechend trugen denn auch unsre 26 Zusammenkünfte einen ernsten und würdigen Charakter.

Das liebste Thema der Unterhaltung war mir die Weltgeschichte, und zwar war ich, das darf ich behaupten, kein schlechter Kenner der Geschichte meines Sachsenvolkes. Da hatte ich denn sozusagen grobe Arbeit zu verrichten. Diese Brüder hatten nämlich so wenig Ahnung von der Sache, daß sie von keinem Sachsenreiche wußten, als von dem heutigen Königreich, den Herzogtümern und der Provinz, welche alle bekanntlich wenig mit dem echten Sachsenreiche zu tun haben. Waren des höchsten verwundert, als sie von mir erfahren mußten, daß man ihnen auf der Schule von Grund aus falsche Vorstellungen beigebracht hatte. Ganz besonders kurierte ich sie von dem kindlichen Wahn, als wäre der Rothaarige ein rechter Deutscher gewesen, der mit dem welschen Namen, der Barbarossa. War ein saures Stück Arbeit, diesen harten Schädeln, denn so groß sie als Charaktere dastanden, so mißlich war es um ihr Ingenium bestellt, diesen Holzköpfen also klarzumachen, daß unser vielgeliebter Rotbart das deutsche Volk eigentlich auf dem Gewissen hat. Denn der Verfall unseres deutschen Vaterlandes rührt von der Zertrümmerung des Sachsenreiches her, gar nicht zu reden von der moralischen Seite. War doch die Politik Heinrichs des Löwen die einzig deutsche, während diese Hohenstaufen, denen im Vergleiche mit den Sachsenkaisern überhaupt etwas Heraufgekommenes 27 anhaftet, der verfluchten sogenannten Verfeinerung Tür und Tor geöffnet haben. Welche Verfeinerung in Wahrheit nichts ist als eine verächtliche Ausländerei und ein charakterloses Weltbürgertum. Just seit dieser Zeit sind ja die Liberalen am Werke, unser angestammtes Sachsentum in Kultur der Persönlichkeit und dergleichen zu verwässern.

Von Barbarossa aus ging es ohne Federlesen über jenen fränkischen Karl her, den eine Gesellschaft von byzantinischen Historiographen den Großen zubenamst hat, da doch seine Haupt- und Heldentat in nichts anderm bestand, als daß er seine anständig gesonnenen, aber freilich recht unbequemen Gegner wie das Vieh hat hinschlachten lassen.

Nach dem wissenschaftlichen Ernste kam dann auch die Fröhlichkeit zu ihrem Rechte, die sich aber natürlich bei unserm gesetzten Wesen in den Grenzen des Wohlanstandes bewegte.

Wie wir nun ganz im Geiste der Weltgeschichte, insonderheit der Geschichte des Sachsenvolkes lebten und webten, so war unser trauliches Kellergelaß durchaus in altsächsischer Stimmung gehalten.

Die Farben Blau und Weiß hatte sich nach meiner Ueberzeugung, die übrigens auch heute noch unerschüttert geblieben ist, das Herzogtum, nachmalige Königreich Bayern nur angemaßt, da sie von Rechts wegen einzig dem alten Sachsenreiche zukommen. So hing denn an der Wand ein großes Schild in der Form der echten 28 Ritterschilder, aus Blech angefertigt, das die Farben Blau und Weiß trug, in der Mitte aber auf rotem Grunde das weiße Sachsenroß sehen ließ. Der schöne Gedanke, ein echtes altsächsisches Schwert anzuschaffen, ließ sich immerhin doch in der Form verwirklichen, daß wir uns einen Schläger mit blauweißem Korbe kommen ließen. Dazu trugen wir blaue Pikeschen mit weißen Schnüren und blaue Mützen mit weißen Streifen, die Köpfe unsrer Pfeifen und die Deckel unsrer Humpen zeigten das Wappen, wir besaßen zwei Trinkhörner mit blauweißen Schnüren und Troddeln, kurz wohin es blickte, wurde das Auge durch sinnige und bedeutende Symbole erfreut.

Auch war unser Augenmerk darauf gerichtet, unser Tun und Treiben in jene wohlerzogenen Formeln zu kleiden, für die der flache Geist unserer Zeit das Verständnis so ganz verloren hat.

Der erste, der kam, ließ sich unser Gemach, das übrigens ganz versteckt am Ende eines tiefen Ganges lag, von dem Wirte öffnen. Er schloß aber hinter sich die Türe zu, und von nun an mochte jemand tun was er wollte, es antwortete ihm das tiefste Schweigen, außer er pochte mit unsern geheimen Schlägen an. Aber auch das war noch nicht der Talisman, der die Türe öffnete. Der Ankömmling mußte auf sieben Fragen sieben Antworten geben, deren erste einfach genug lautete: Saxonus, ein Sachse, und deren andre sechs ich für mich behalte.

Anstatt des römischen Importgewächses Prosit 29 bedienten wir uns der Formeln: Ich bringe dir Heil und Ich trinke dir Heil, und so ging es fort. Wenig Worte wurden den ganzen Abend gesprochen, abgesehen natürlich von meinen Ansprachen im Geiste des unsterblichen Cicero, die etwas andres gewesen wären als eine unsrer unwandelbaren Formeln. Glaubte einer, daß sich einer der beiden andern eines Verstoßes wider die Satzungen schuldig gemacht habe, so hatte er den Dritten zum Richter zu bestellen, und zwar mittelst einer in sakralen Worten festgelegten Ansprache. Wie der Richter zu antworten, demnächst die Parteien zu verhören und das Urteil zu sprechen hatte, die Form der Verteidigung und der Ansprache, die Buße, alles das stand fest wie die Ewigkeit. Die ernste Weihe dieser Gerichtstage wurde noch dadurch gehoben, daß der Ankläger und der Angeklagte ein jeder mit einem gefüllten Trinkhorn antreten mußten. Wer unterlag, nicht minder auch wer gegen eine Form verstieß, mußte ein sachgemäßes Quantum pro poena trinken. Denn wir hielten diese Bestrafung einer Gesellschaft von Platonikern für würdiger als die Auflage, ein solches Quantum zu bezahlen, welche Strafart bei gewissen andern Sitte war, die hier demnächst erwähnt werden müssen.

Verstieß nun der Richter selbst gegen eine Form, was bei der großen Anzahl der Vorschriften beinahe die Regel war, so wurde er nach Beendigung seines Amtes seinerseits vor den Richter gezogen. Es ging mancher Abend hin, 30 der nur mit Gerichtssitzungen ausgefüllt war.

Damit wir uns ganz dem gemeinen Alltage entrückt fühlten, gaben wir uns Bundesnamen, und zwar wurde ich, fast hätte ich gesagt selbstverständlich, Widukind getauft, nach jenem glorreichen und tragischen Sachsenherzoge, der Jurist aber und der Steueroffizial, mehr nach den äußeren Erscheinungen, Faß und Spahn.

Der altsächsische Gerstensaft mundete den unverwöhnten Gaumen und bekam den unverdorbenen Mägen wie das liebe Quellwasser, mit munteren Liedern versorgte uns das treffliche Leipziger Kommersbuch, und so hatten wir drei Gesellen wahrlich ein fein Kollegium. Ich gedenke dieses Abschnittes meines Lebens mit der reinen Freude, die uns die Erinnerung an ein stilles und verborgenes, aber nur um so ungetrübteres Glück bereitet.

Die Flöte ruhte stumm in ihrem Kasten. Denn mein Inneres spielte so reiche und wohltönende Harmonien, daß ich der den Sinnen wahrnehmbaren Musik entraten konnte. 31

 


 << zurück weiter >>