Rudolf Huch
Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
Rudolf Huch

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Das vierundzwanzigste Kapitel

Wie mir von Rosen geträumt hat

Als ich verhaftet wurde, hatte ich ein paar Taler bei mir. Die wurden mir wieder ausgehändigt und damit saß ich in meiner Wohnung. Zur Zahlung der Miete reichte es nicht. Meine freundliche Wirtin machte sich indessen nichts daraus, sondern sagte in aller Gemütlichkeit, sie wollte mir meine Sachen verkaufen lassen und ich könnte in Gottes Namen gehen, wohin es mir beliebte.

Da rief ich den Gott an, dessen Namen sie gemißbraucht hatte, und sagte ihm: Was ich früher getan habe, das habe ich durch zwei bitter harte Jahre gebüßt, und was dann geschehen sein mag durch diesen grauenhaften Kerker. Nun sitz ich da und weiß nicht, wie ich mein Leben fristen soll, geschweige daß ich meine Sendung vollbringe und den Louis Mercado zu Boden schmettre, unser Haus aber erhalte und neu aufrichte.

Er antwortete mir, indem seine Stimme in meinen Gedanken redete: Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!

368 Ich gab mich aber nicht, sondern antwortete ihm: Ich kann mir nicht helfen, außer daß ich wieder im Tagelohn arbeite. Wenn das dein Wille war, so sage mir doch, warum hast du mich nicht dabei gelassen? Warum hast du mir Uranien in den Weg gesandt und ihr Herz angefaßt, daß ihr die Tränen aus den Augen stürzten, da sie mich in meiner Arbeiterjacke erkannte?

So empört ich mich wiederum gegen Gott. Er zürnte mir aber nicht, was ich daraus entnahm, daß er mir half. Nicht, wie es in den Kindermärchen geschieht, daß eine Königstochter gekommen wäre, die gesagt hätte, heißgeliebter Brinkmeyer, wie soll ich ohne dich leben, und ich wäre Prinz geworden und danach König, und hätte mein Königreich bis an mein seliges Ende in Tugend und hoher Weisheit regiert. Welches letztere sich ja wohl hätte schicken sollen, hätt ich nur das Königreich bekommen.

Sondern er half mir, wie er immer hilft, indem er mir eine Möglichkeit zeigte und das andre mir überließ. Gab mir nämlich den Gedanken ein, den guten Gerichtsrat aufzusuchen.

Der freute sich wirklich, nahm meine beiden Hände, nötigte mich zum Sitzen und holte eine Flasche Moselwein, der allerdings nach meinem Geschmack ein wenig harmlos war. Aber er mochte wohl denken, andern könnt ich nicht vertragen.

Als ich nun mit meinem Anliegen herauskam, wegen meiner schönen Handschrift und weil ich 369 immer eine Eins im Rechnen gehabt hätte, ginge mein Streben höher hinaus, als mein Leben lang um Tagelohn zu arbeiten, stutzte er und sah mich in einer Weise an, daß ich wohl merkte, er war zweifelhaft an mir geworden. Da er mir nun aber wohl an den Augen ansah, daß ich in aller Treuherzigkeit zu ihm gekommen war, sagte er, ein Bekannter von ihm, ein reicher, ehemaliger Senator, suche einen zuverlässigen Mann, der ihm Schreibereien und Rechnungen besorgte. Diesen alten Senator sollt ich morgen nachmittag besuchen, inzwischen wollt er mit ihm reden.

Ich bedankte mich für die väterliche Fürsorge und den schönen Rheinwein, denn ich wollte hier nicht mit meiner Kennerschaft prunken, und ging in meine Wohnung.

Da ich mein Geld bis auf einen Taler, den ich für den Hunger behalten wollte, meiner Wirtin gegeben hatte und mich nicht entschließen konnte, den Taler anzubrechen, ehe ich Gewißheit hatte, legte ich mich zu Bett, obgleich es ein schöner Frühlingstag war, schloß mich ein, damit ich vor der Wirtin Ruhe hatte, und blieb liegen, bis es so weit war, daß ich den Senator aufsuchen konnte.

Er wohnte in einer Gegend, die man das Millionenviertel nannte. Vor dem Hause war ein großer, sauber gehaltener Garten. Es war ein warmer Märztag und eben wurden die Rosen aus der Hecke genommen.

Ich ging zu dem Gärtner und fragte, ob man den alten Senator sprechen könnte.

370 Der Mann richtete sich von seiner Arbeit auf, schob die Mütze in die Höhe und sagte ziemlich unfreundlich: Der bin ich selbst. Wer sind Sie?

Da er nun eine ganz ordinäre Mütze auf dem Kopfe und eine Stahlbrille auf der Nase hatte, auch einen schäbigen Rock trug, nahm ich an, er wollte mich zum Narren halten, und erwiderte:

Ich bin bloß der Wirkliche Geheime Legationsrat von und zu Brinkmeyer.

Er sah mich groß an und sagte trocken: Es tut mir leid, Herr Geheimrat –

Bitte, Exzellenz! schob ich hochmütig ein.

Er nickte mit dem Kopfe und fuhr ganz gelassen fort: Es tut mir leid, daß es Euer Exzellenz in der letzten Zeit nicht glänzend gegangen ist. Wenn ich nicht irre, haben Exzellenz geruht, einige Wochen in der Untersuchungshaft zu verleben?

Ich sagte unwillkürlich: Alle Donnerwetter! Denn ich merkte natürlich, daß es wirklich der Senator war. So gab ich die Sache verloren, setzte hinzu, na, dann entschuldigen Sie wohl, und wandte mich zum Gehen.

Er rief aber, wo ich denn hin wollte, und sagte: So geht es bei mir nicht zu, daß ich auf derlei Fisematenten was gäbe. Wenn Sie was leisten, wollen wir schon miteinander fertig werden. Mir scheint nämlich, Sie sind ein ganz Teil heller, als mein guter Gerichtsrat sich einbildet.

Dabei sah er mich durch seine Brillengläser an, und es war ein Blick, daß man das Gefühl 371 hatte, er sähe einem in die Gedanken hinein. Das war aber nur wie ein plötzlicher Ausfall. Er hatte gleich wieder seine großen Külpsaugen, die hinter den dicken Brillengläsern auf der Lauer lagen und sich gewissermaßen tot stellten.

Du Sagebock, dacht ich, hab's dir doch gleich angemerkt, daß du die Leute zu Narren hältst! Soll dir aber bei mir nicht glücken.

Ging denn so recht breitbeinig neben ihm her und sagte, das wäre nicht richtig, der Herr Gerichtsrat hätte meine schöne Handschrift sehr anerkannt. Er tat aber gar nicht, als ob er das hörte.

Ich habe in meinem Leben überhaupt die Erfahrung gemacht, daß Leute, die zu Reichtum gekommen sind, wenn es nicht ein dummer Glücksfall gewesen ist, so verschieden sie sonst sind, sich alle darin gleichen, daß sie über eine große Menschenkenntnis verfügen.

So hatte auch dieser alte Knabe nach einer Viertelstunde heraus, welchen Vorteil er aus mir ziehen konnte. Nur in einem hat er sich am Schlusse verrechnet, nämlich in der Kalkulation, was bei mir durch Geld zu erreichen war und wo es seine Grenze hatte. Diese Sache ging über seinen Horizont hinaus.

Er führte mich nun damals in sein Zimmer, das wie ein Kontor eingerichtet war und in das schöne Haus eigentlich nicht hinein gehörte, erzählte von Unternehmungen, worin er die Hand hatte oder die ihm anempfohlen waren, und gab mir allerhand Prospekte und sonstige Papiere zu 372 lesen. Das kam alles heraus, als ob es gar nichts damit auf sich hätte, gewissermaßen nebensächlich. Es blieb mir aber jeden Augenblick bewußt, daß der alte Fuchs immer auf meiner Fährte war. Da ich ja nun durch Uraniens Vermittlung in die Lage gekommen war, die Buchführung und was sonst dahin schlägt so weit kennen zu lernen, daß mir das alles keine böhmischen Dörfer waren, und da diese Brüder ein Geschäft betrieben hatten, das zwar vielgestaltig aussah, aber im Grunde nur ein einziger großer Schwindel war, da ich endlich weder von Natur aus noch der Lebenserfahrung nach zu den Dummen konnte gerechnet werden, ging das recht gut. Ich nahm wahr, daß sich der Alte im stillen nicht wenig verwunderte, wenn er sich auch möglichst nichts merken ließ.

Am Schlusse sprach er von einem Landgut, das ihm seit einem Jahre gehörte und das er verwalten ließ.

Es brachte aber so wenig ein, daß er mißtrauisch geworden war. Er hatte das Gut vor einem Jahre von einer verarmten Familie gekauft, ich denke mir für ein Butterbrot, und hatte den Verwalter kontraktlich übernehmen müssen, da er auf eine Reihe von Jahren angestellt war. Der alte Schlaukopf selbst hätte solchen Kerl auch nicht angestellt.

Er gab mir die Abrechnung und ich fand auch beim Durchblättern, daß es unmöglich stimmen konnte. Gewisses ließ sich aber nicht sagen, ehe ich die Abrechnung genau studiert hatte. Es 373 gefiel dem Alten augenscheinlich, daß ich nicht leichthin urteilen wollte, und er gab mir die Papiere mit. Noch mehr gefiel es ihm aber, daß ich ihn gleich um einen Vorschuß ersuchen mußte; denn um so fester hatte mich der alte Satan ja doch am Bande. –

So wohl war es mir Zeit meiner Kindheit nicht gewesen, wie in dieser Zeit, da ich endlich mal was rechtes zu tun hatte und mir auf eine achtbare Weise mein Geld verdiente. Auch sagte mir diese erste Tätigkeit sehr wohl zu. Hatte zwar weder Neigung noch Anlaß, mit Steinen nach armen Sündern zu werfen. Aber diesem Himmelhund gab sein Brotherr, ob freiwillig oder gezwungen, doch aus seiner Tasche einen sehr anständigen Sold, und er saß auf einem Vertrauensposten. Da wäre Nachsicht ein Unrecht gewesen, nicht nur gegen den Senator, sondern auch gegen andre tüchtige und ehrliche Leute, die den Posten ausfüllen konnten und irgendwo saßen und auf Anstellung warteten.

Unter den Papieren war auch ein Plan des Gutes, und mit seiner Hilfe fand ich denn bald die Bescherung. Der Kerl hatte offenbar die Erträgnisse zu niedrig und die Ausgaben zu hoch angesetzt, und da er das bei jedem einzelnen Felde mit großer Gewissenhaftigkeit durchgeführt hatte, konnte er in dem Jahre wohl so gegen zweitausend Taler in die Tasche gesteckt haben. Ich rechnete das dem Senator vor. Er fragte, wieviel es höchstens bringen könnte. Es war kein großes Gut. Ich überlegte mir den Fall 374 genauer und sagte schließlich, mehr als zweitausend Taler brächte es in keinem Falle, wahrscheinlich weniger. Um wieviel er aber seine früheren Brotherren betrogen hätte, ließe sich nicht absehen. Er meinte, das ginge ihn ja auch nichts an, ließ sich meine Berechnung schriftlich geben und reiste damit an Ort und Stelle.

Nach drei Tagen war er wieder zu Hause. Da ich nun ein Interesse an der Sache zeigte, das ich übrigens auch wirklich hatte, legte er mir eine notarielle Urkunde vor. Der arme Sünder hatte müssen zu Protokoll geben, auf welche Art er seinen Brotherrn betrogen hatte, und es war ausdrücklich anerkannt, daß er sich der Untreue und des Betruges schuldig gemacht habe. Am Schlusse war der Schade auf zweitausend Taler beziffert.

Im übrigen hatte der alte Fuchs den ungetreuen Verwalter auf seinen Posten belassen. Er hatte auf diese Weise erreicht, daß er statt eines innerhalb der gesetzlichen Schranken Untergebenen ein willenloses Werkzeug hatte.

Mir graute, wenn ich heimlich auf diese glanzlosen Augen blickte, die gar nicht recht menschlich anzusehen waren, und mir dachte, was es auf sich haben mußte, dem auf Gnade oder Ungnade in die Hände gegeben zu sein.

Was der Alte zunächst von seinem Opfer verlangte, merkt' ich bald genug. Der Mensch mußte wöchentlich eine Abrechnung einschicken, und die hatte ich anfangs durchzusehen. Da ich nun jedesmal zu erinnern fand, daß jetzt 375 umgekehrt die Erträgnisse zu hoch und die Ausgaben zu niedrig angesetzt waren, bekam ich die Abrechnungen bald nicht mehr zu Gesicht.

Es war leicht zu merken, was das sollte. Daß der Verwalter die Summen, die er erübrigt haben wollte, wirklich an den Alten gezahlt hätte, war ausgeschlossen. Offenbar wollte der das Gut verkaufen und den Kauflustigen recht glänzende Abschlüsse vorlegen. Fühlte sich der Käufer etwa nachträglich betrogen, so mochte er sich an den Verwalter halten.

Damit war es aber für den nicht abgetan. Der Alte behielt ihn immer noch in der Hand. Ich bin gewiß, die Urkunde ist ihm nicht ausgehändigt, ehe er die zweitausend Taler, die doch vermutlich zu hoch gerechnet waren, mit Zinsen gezahlt hat.

Der Alte hätte weiß Gott menschlicher gehandelt, wenn er den Mann dem Staatsanwalt übergeben hätte. Aber es mag wohl manches stolze Vermögen mit solchen Grundsätzen zusammengetragen sein.

So die rechte Freudigkeit hatt ich seitdem an meiner Arbeit nicht mehr. Gab mir aber doch selbstverständlich die erdenklichste Mühe und der Alte war zufrieden. Es dauerte gar nicht lange, da war ich ihm, was man so nennt, unentbehrlich geworden. Eines Tages mußte ich meine Wohnung aufgeben und zu ihm ins Haus ziehen.

Ich tat das nicht gern. Der Alte hatte seiner Zeit zwei verwaiste Nichten ins Haus 376 genommen. Ich war nun seit meinen Erfahrungen in dem freventlich sogenannten Tugendbunde ein ziemlicher Verächter des Weibes geworden. Denn ich war damals, gewiß und wahrhaftig, trotz meiner so höchst unvornehmen Stellung, nicht der Verführer, sondern der Verführte gewesen, und das von recht vornehmen Damen.

Uranien hatt ich viel zu danken und hatte sie auf eine gewisse Art auch lieb. Ein Tugendspiegel behauptete sie aber selbst nicht zu sein. Da ich nun im Grunde meines Herzens immer noch sowas wie ein heimlicher Frauenschwärmer war, hatten mich meine Erlebnisse in eine Art Zorn gegen die Weiber versetzt; ich wollte am liebsten gar nichts von ihnen sehen und hören. So hatt ich denn auch immer die Augen steif gradeaus gerichtet, wenn ich auf meinen Gängen ins Kontor und wieder hinaus eine von den beiden Nichten in der Nähe witterte. Was denn freilich eine Wirkung ausübte, an die meine Seele nicht dachte.

Zu alle dem kam, daß ich nie Gelegenheit gefunden hatte, gesellschaftlich mit Damen zu verkehren, und daß mir das hier besonders schwierig vorkam, weil es die Verwandten und Pflegetöchter meines Brotherrn waren.

Was ist da viel zu reden! Ist nun mal nicht anders, als daß ich Herzklopfen hatte, da mich der Alte an den Teetisch führte, der hinter dem Hause unter hohen Kastanien gedeckt war. In dem Hause wurde nämlich um fünf Uhr Tee getrunken.

377 Ein schöner Tag in der zweiten Hälfte Mai war es. Alles glänzte und glühte im Sonnenschein. Ich stand einigermaßen verdutzt vor dem Teetisch, denn so hatt ich mir das nicht gedacht. Es ist mir noch erinnerlich, daß mir besonders eine silberne Zuckerdose in die Augen stach, warum, weiß ich nicht; Teekanne und Sahnengießer waren auch aus Silber.

Dabei fiel mir unsere irdene Kaffeekanne zu Hause ein, und ich mußte denken: Wilhelm, du gehörst nicht hierher.

Indem sah ich um das Haus herum ein junges Mädchen kommen. Sie trug weiße Sommerkleider, hatte lichtblondes Haar und ihre Farben waren überzart. Sie hielt einen Zweig weißer Fliederblüten in der Hand. Mit leichten Schritten kam sie heran und der Sonnenschein flimmerte um sie.

So steht sie mir heute noch vor Augen, als wäre es gestern gewesen, daß sie mir die Hand reichte in ihrer schlichten Art, in der sie alles Hübsche wie etwas Selbstverständliches tat, und mit ihrer freundlichen Stimme sagte, gesehen hätte sie mich schon oft, und wäre längst neugierig, mich kennen zu lernen.

Hinwiederum ist mir auch, als wäre sie kein leibhaftiges Menschenkind gewesen, sondern hätte nur den einen Sommer unter uns geweilt und wäre zu Beginn der Dunkelheit unseres Winters in das ewige Licht zurückgekehrt.

Ich habe ihrer nie begehrt, mit keinem flüchtigen Gedanken, und sie lieber gehabt als 378 irgendein weibliches Wesen, das mir in meinem Leben begegnet ist.

Wie ich nun sagte, das könnt ich nicht glauben, oder sonst irgendwas Dummes, fragt der Alte dazwischen: Hella, wo ist Cornelia?

Ich mußte ihn ansehen, denn das klang so heftig, wie es sonst nicht in seiner Art lag. Er machte auch ein ganz sonderbares Gesicht.

Hella sagte, Cornelia wäre nicht wohl. Ich kam in meinen Gedanken von der Sache ab, indem ich mich verwunderte, daß der Name Hella so zu ihr paßte.

Es war eine gute Sache, unter den Kastanien Tee zu trinken, das schwere Silber zu sehen und die feinen Tassen zu gebrauchen und dazu mit einem lieben Wesen zu plaudern.

Sie hat mir nie Anlaß gegeben, durch kein Wort und keine Miene, daran zu denken, daß ich nach meinem Stande geringer als sie war; ich aber bin niemals ohne das Gefühl gewesen, daß sie etwas Besseres war als ich, nicht wegen ihres Standes, sondern wegen ihrer selbst.

Während ich ihr antwortete, mußt ich immerfort denken, wie gut es der Senator in jeder Weise hatte, und daß darin doch eigentlich eine große Ungerechtigkeit lag. Aber der sah freilich keineswegs aus wie jemand, der sich eines friedevollen Alters erfreute. Er sagte kein Wort und starrte mit seinen kalten Augen ins Leere.

Mit eins unterbricht sich Hella und sagt leise: Da kommt sie doch! Ist sie nicht wunderschön?

379 Ja, wie die Nacht, hätt ich beinahe laut gesagt. Denn sie erschien mir wirklich schön wie die Nacht, die da langsam ums Haus herum gewandelt kam. Dabei sah ich doch gleich, daß sie in keiner Weise zu dem schwarzhaarigen Typus gehörte.

Sie war nicht über mittelgroß, man hielt sie aber wegen ihrer sehr aufrechten Haltung und ihres langsamen Gehens für größer.

Ihre Augenbrauen standen von Natur ziemlich hoch und sie hielt sie zusammengezogen, so daß eine Stirnfalte entstand. Dazu hielt sie den Kopf um eine Idee nach hinten gebogen. Das gab ihr einen Zug von Hochmut und Bitterkeit, der einem bei ihrer Jugend ans Herz griff.

Ich stand auf und überlegte mir, wie ich mich benehmen sollte. Daran hatt ich bei Hella gar nicht gedacht.

Cornelia überhob mich meiner Verlegenheit, indem sie mit einem sonderbar verzerrtem Lachen sagte: Schon so gute Freunde? Das ist ja rührend!

Da ärgerte ich mich und wußte somit nichts mehr von Verlegenheit. Hätte mir den Hohn ja freilich können angenehmer deuten, aber die Frauen, mit denen ich bis dahin zu tun gehabt hatte, waren gar zu andern Schlages als diese.

Cornelia setzte sich so, daß sie ihrem Onkel den Rücken zuwandte, und zwar in einer Art, daß es auffallen mußte. Der tat aber, als ob er nichts merkte. Er zog sein großes, seidenes 380 Schnupftuch, betupfte sich das Gesicht und stöhnte über die Hitze.

Hella schenkte ihrer Schwester Tee ein und legte ihr ein Biskuit auf den Teller. Sie war aber still geworden. Es war wirklich, als hätte sich ein nächtlicher Schatten über uns gebreitet. Ich mußte Cornelien fast unverwandt ansehen und dachte immer nur: schön wie die Nacht.

Ein sonderbar Ding war es. Bei Uranien, die doch nach ihrem Aeußern viel eher an die Nacht erinnern konnte, würde ich nie an diese gedacht haben, sondern, vergleichsweise, an einen glühenden Julitag.

Corneliens Haar hatte eine sehr schöne Farbe, die man selten findet, ich möchte sagen: goldbraun. Es war indessen nicht eigentlich glänzend, sondern duff, dabei aber doch eher gewellt, als gekräuselt, übrigens sehr voll. Ihre Gesichtsfarbe erinnerte an die ihrer Schwester, nur spürte man bei ihr das Weben der Natur in den Wangen, während Hella fast einer andern Welt als der Natur anzugehören schien. Die Augen waren dunkelblau, groß, schwermütig, die Nase schmal mit feinen Flügeln, stolz. Der Mund hatte etwas Herbes, weil sie die Lippen meist aufeinandergepreßt hielt; wenn sie aber einmal lächelte, wünschte man, sie immer lächeln zu sehen. Der Hals war ziemlich lang und nicht stark, aber wie polierter Marmor und schneeweiß.

Ich saß ganz versunken in den Anblick und 381 verwunderte mich immer wieder, weshalb ich sie mit der Nacht vergleichen mußte.

Dabei beobachtete ich aber doch, daß sie drei Tassen Tee austrank und daß Hella sie vergeblich warnte. Sie atmete nun rasch und es funkelte in ihren Augen. Ganz unvermittelt rief sie mir zu: Sind Sie immer so langweilig? Sie sollen ja ein Weltwunder sein!

Das brannte heißer in mir, als irgend nötig gewesen wäre, und ich sagte voller Ingrimm, interessant zu sein, verständ ich wirklich nicht, so wäre mein Lebensweg nicht gewesen, daß ich das hätte lernen können.

Cornelia fuhr zurück, hielt die Hände vor und rief: Hu, wollen Sie mich fressen?

Hella sagte in ihrer ruhigen Freundlichkeit, ich wäre nun ihr Hausgenosse, da möchte ich ihnen doch irgend etwas aus meinem Leben erzählen, was es auch sei.

Der Senator stand auf und sagte, so wär's gut, wir sollten recht bekannt miteinander werden, er wollte mich für heute beurlauben.

Damit ging er ab. Gleich darauf kam der Diener und brachte mir Zigarren.

Die beiden Mädchen waren ganz Ohr, man sah es ihnen an, daß sie wirklich dachten, sie bekämen hier was Rares zu hören.

Ich hätte ihnen ja auch von Herzen gern die interessantesten Dinge erzählt, es fragte sich nur, was. Bei meinen Erlebnissen war immer so was dabei, daß es mißlich war, die Geschichte jungen 382 Mädchen zu erzählen, und wenn man diese Dinge wegließ, blieb überhaupt nichts übrig.

Das war mir nun zweifach peinlich, denn ich mußte doch wohl ein recht wüster Geselle gewesen sein.

Zuletzt dacht ich, was kann das helfen, steck dir eine Zigarre an, das bringt auf gute Gedanken. Die Zigarre war natürlich ganz was Feines. Ich muß gestehen, daß ich in dem Augenblick die beiden Mädchen weit weg wünschte. Aber dann wär es ja mit der guten Zigarre auch nichts gewesen, denn es war die erste, die mir der alte Filz angeboten hatte.

Da ich nun in Uraniens Gegenwart überhaupt nicht hatte rauchen dürfen, weil sie behauptete, es wäre ihrer Schönheit nicht zuträglich, hatt ich nie gelernt, wie man in Gegenwart von Damen rauchen soll.

Cornelia zog ihr Tuch und wehte den Rauch von sich ab, und das mit einem Schauder, als käme ein Wespenschwarm auf sie zugeflogen.

Das schnitt mir wie ein Messer in die Seele. Wer selbst aus geringem Herkommen ist, weiß ja, wie so was brennt.

Hella sah ihre Schwester traurig an. Ich sagte mir ingrimmig: Nun grade!

Bemerkte also ganz trocken, es intressierte die Damen vielleicht, aus meiner Soldatenzeit zu hören. Da ich meine drei Jahre als einfacher Musketier gedient hätte, wäre das ja eine doppelt fremde Welt für sie.

Im Erzählen fand ich, daß auch da manches 383 nicht vor Mädchenohren gehörte. Gewisse nächtliche Ballszenen wären ja freilich für viele Damen von heute das intressanteste von allem gewesen, und auch damals gab es ihrer gewiß eine ganze Anzahl, die so was besonders gern hörten. Hier verstand es sich von selbst, daß ich es wegließ. Auch bei der Affäre Stoppelhar mußt ich teilweise auf die stärksten Wirkungen verzichten.

Da ich nun also meinen Bericht zurechtstutzen mußte, kam er mir bald unnatürlich vor und ich fürchtete, es möchte sich so ausnehmen, als wollt ich mich wegen meiner Beschützung des mißhandelten Bothe und wegen meiner Körperkraft herausstreichen. Hielt mich also mit Vorsatz innerhalb der schlichtesten Wirklichkeit. Da ich nun noch, wie gesagt, hier und da abschwächen mußte, kam mir meine Erzählung selbst unausstehlich trocken vor.

Als ich nun für den Augenblick nichts weiter zu sagen hatte, trat eine Stille ein. Endlich sagte Cornelia: Sind Sie so stark?

Da fiel mir aufs Herz, daß vor zehn Jahren Urania wörtlich dasselbe gesagt und ebenso träumerisch dagesessen und gesprochen hatte, wie eben Cornelia. Denn die war ganz und gar umgewandelt.

Da ich nun denken mußte, wie lange das schon her war und was ich vorher und nachher alles erlebt hatte, ward ich schwermütig. Mußte mir sagen, daß ich in gar keiner Weise hierher gehörte, weder dem Herkommen, noch der 384 Lebensführung nach. Kam mir nicht anders vor, als wie ein Straßenräuber.

Cornelia wurde wegen meines Schweigens nicht ungeduldig, sondern wiederholte ihre Frage mit einer sehr leisen Stimme.

Es war Abend geworden. Hella sah noch bleicher aus als sonst und fast geisterhaft mit ihren großen, stillen Augen. Da schämt ich mich meiner Kraft und antwortete Cornelien, ich machte mir wahrhaftig nichts daraus, die stärksten Menschen gäbe es, so viel ich wüßte, bei den Negern.

Nun kehrte ihr Trotz wieder und sie fragte spöttisch, ob ich die Geschichte mit Stoppelhar erzählt hätte, damit sie und Hella nichts von meiner Stärke erführen? Ich wollte nicht minder trotzig antworten, Hella rief aber lebhafter als sonst, ich sollte mich freuen, daß es die Natur so gut mit mir gemeint hätte, und es müßte prachtvoll sein, wenn man in Fällen wie Stoppelhar dazwischen donnern könnte. Ich streckte ihr die Hand entgegen, ich wußte nicht, wie ich dazukam. Sie schlug ein und lachte hellauf. Das Lachen hatte garnichts Verletzendes.

Cornelia stand jählings auf und verschwand hinter dem Hause. Sie rief etwas über die Schulter, wovon ich nur das Wort »Edelmut« verstand.

Hella machte keine Anstalten, ebenfalls aufzustehen. Sie dachte über etwas nach und am Ende merkte ich, daß sie sich entschlossen hatte, mit mir zu reden. Aber da kam der Alte ums 385 Haus herum und hatte es sonderbar eilig. Es war, als wollt er uns beide nicht allein lassen.

Bald darauf aßen wir zu Abend, was hier eigentlich als Mittagessen galt und auch danach war. Die Leute verstanden weiß Gott zu leben.

Cornelia kam auch wieder zum Vorschein. Sie war abermals eine andre geworden, sie zeigte sich schweigsam und schwermütig. Hella war still und in sich gekehrt, aber gleichmäßig freundlich. Als aufgebrochen wurde, sagte sie: Erinnern Sie sich, wie Sie zum erstenmal hierhergekommen sind?

Ich wußt es in dem Augenblick nicht. Der Alte sagte: Exzellenz belieben ein schlechtes Gedächtnis zu haben!

Nun stellte sich heraus, daß er davon nichts erzählt hatte. Es gab ein Gelächter, und die beiden Mädchen haben mich seitdem Exzellenz genannt, wenn wir lustig miteinander waren.

Da wir nun aber wirklich auseinandergingen, jeder in seine Kammer, sagte Hella: Das meint ich natürlich nicht. Als Sie zuerst hierher kamen, wurden grade die Rosen wieder ans Licht gezogen. Das bedeutet sicher gutes für uns alle.

Gleich darauf stand ich in der Kammer, die mir angewiesen war.

So hatt ich's noch nie gehabt. Auch nicht, als ich mit Uranien in der Fremdenvilla wohnte. Da hatte einem alles in die Augen gestochen, wenn man es zum erstenmal sah, und war einem allmählich immer plunderhafter vorgekommen. Dies hier war schlicht und kostbar und konnte 386 einem nicht zuwider werden, wie es mir denn in der Tat am letzten Tage so vornehm erschienen ist, wie am ersten.

Wenn man nun bedenkt, in welcher Lage ich dicht vorher gewesen war, konnt ich mich ja fast wie Aladdin mit der Wunderlampe fühlen. Statt dessen warf ich mich unter der seidenen Decke hin und her und fand mich nicht in meinen Schlaf. Es war mir immer, als säße ein Kobold am Bett und sagte: Euer Exzellenz gehören nicht hierher.

Des andern Tages wurde wieder gearbeitet, wie denn der alte Mann überhaupt Kraft und Lust zur Arbeit hatte, daß es zum Erstaunen war. Gegen Mittag wurde ein Cotelette oder etwas ähnliches gegessen und um fünf Uhr war wieder Teestunde. Auch diesmal ließ mich der Alte mit den beiden Mädchen allein.

Sie fingen gleich an, daß ich erzählen sollte, wie es mir nach der Soldatenzeit ergangen wäre. Zuletzt sagt ich im Scherz, ich hätte gestern solchen Dank davongetragen, daß ich ein für allemal genug hätte, was aber in Wahrheit ernst gemeint war. Cornelia war in ihrer liebenswürdigen Laune. Sie erhob sich, machte mir einen tiefen Knix, wie sie bei Hofe üblich sein sollen, und sagte: Ich werde Euer Exzellenz diesmal keinerlei Anlaß zum Stirnrunzeln geben.

Da ich nun die Episode mit Urania nicht zum besten geben konnte und mir anderseits sagte, diese Stadtmäuse wissen nicht, was ein Abdecker ist, geschweige denn, daß sie ahnen, weshalb man 387 ihn nicht als ehrlich ansehen kann, erzählt ich dies Abenteuer.

Konnte mich nicht über mangelnden Anteil bei meinem Publikum beklagen, und besonders Cornelias Augen wurden immer größer.

Als ich am Ende war, meinte Hella, das mit dem Gespenst wäre ein garstiger Traum, aber es wäre etwas schönes, einen Freund gehabt zu haben, von dem man so viele Jahre nach seinem Tode noch so träumen könnte.

Sie war leise errötet, wie ihr immer geschah, wenn sie irgendwie lebhaft wurde.

Ich sah sie an und es fiel mir zum erstenmal auf, wie ähnlich sie meinem Junker war. Nicht in den Zügen, aber eben in diesem Erröten, in ihrem schlichten, immer freundlichen Wesen, in den zarten Farben und Formen und in dem lichten Haar.

So kam mir ein banges Gefühl an, als könnte sie auch einem frühen Tode verfallen sein.

Ueber Cornelien war inzwischen wieder ihr böser Geist gekommen, der sich aber diesmal nicht gegen mich kehrte. Sie starrte ins Leere vor sich hin und sagte: Das Richtschwert, das ist das schöne. Das müßte man haben. Es werden ja nicht die rechten hingerichtet, die . . . . .

Wir schwiegen alle. Plötzlich riß Cornelia ihr Tuch an die Augen, schluchzte laut auf und stürzte ins Haus.

Hella wollte ihr nach, besann sich aber und sagte traurig: Es hilft doch nichts. Ich nehme 388 lieber die Gelegenheit wahr und spreche mit Ihnen.

Sie erzählte mir nun in ihrer ruhigen Art, daß ihre Schwester seit drei Jahren von diesem finstern Geist heimgesucht würde. Eben weil er in der Zeit gekommen sei, müßte er auch mit der Zeit verschwinden. Ich hätte Cornelien beim ersten Anblick gefallen und es hätte sie gereizt, aber auch Eindruck auf sie gemacht, daß ich immer gradeaus gesehen hätte. Im Winter, zur Zeit der Bälle und Gesellschaften, sei Cornelia umlagert wie keine andre, aber sie hätte noch jeden abfallen lassen.

Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, und war über die Maßen erstaunt, daß Hella so offen sprach.

Heute glaube ich, daß sie sich schon damals dem Tode verfallen fühlte. Von da aus sieht man die Dinge wohl anders an, als in unserm Erdenstaube. –

Auch an diesem Abend saß der Kobold an meinem Bette und höhnte mich: Euer Exzellenz gehören nicht hierher.

Diesmal gab ich mich aber nicht, sondern antwortete ihm: Das wollen wir erst abwarten!

Als ich am nächsten Abend wieder mit den beiden Mädchen allein war, mußt ich meine Flöte holen. Gab ein großes Gelächter, wie ich nun meine Lieder spielte. Dann aber befiel mich eine Traurigkeit, da ich denken mußte, wie mein guter Vater mir die Flöte zum Geburtstag geschenkt hatte, daß ich meine Freude dran haben 389 sollte, und wie sie mir nachher immer wieder hatte dazu dienen müssen, daß ich mich vor dem Hunger schützte.

Cornelia war in ihrer höhnischen Laune und bemerkte: Exzellenz geruhen scheint's aus dem letzten Loche zu pfeifen?

Da sagte Hella: Wollen Sie mir einen sehr großen Gefallen tun? Schenken Sie mir die Flöte!

Ich sah erstaunt auf. Da ich nun ihr gutes Gesicht sah, gab ich ihr die Flöte und war ihr dankbar. Cornelia führte aber wieder einen Auftritt herbei.

Seitdem hab ich nie wieder eine Flöte in die Hand genommen.

Ich hätte ja nun müssen mit Blindheit geschlagen sein, wenn ich nicht gemerkt hätte, daß Cornelias Launenhaftigkeit mir gegenüber wirklich auf einem andern Gefühle beruhte. Dazu kam, daß der Alte einen ganz väterlichen Ton gegen mich anschlug. Besonders pflegte er mich mit Vornamen anzureden. Auch war es auffallend, daß er mich mehr in seine Vermögensverhältnisse hineinblicken ließ, als meine Tätigkeit erforderte. Er wäre auch für heutige Verhältnisse ein reicher Mann, für die damaligen war sein Reichtum enorm. Bald wurde er noch deutlicher, indem er mir ganz unnötigerweise versicherte, daß die beiden Nichten seine einzigen Erben wären, mir sogar ein notarielles Testament zeigte, in dem er das festgelegt hatte.

Ich glaube, es wurde von uns allen so gut 390 wie sicher betrachtet, daß ich mich mit Cornelien verloben würde. Es gingen aber fünf Monate hin und ich hatte mich nicht erklärt. Das lag an den Verhältnissen. Die Sache hatte etwas unheimliches für mich. Der Alte hatte mich wohl auf seine Art gern. Ich leistete ihm auch wirklich gute Dienste. Er konnte sicher sein, daß sein Geld nicht aus meinen Händen ins Wasser rollte. Allein er war ein harter Mann, ein Geldmensch durch und durch. Daß der sich für seine Erbin einen Gatten aussuchte, der nichts in der Welt sein eigen nannte, nichts rechtes gelernt hatte, keinerlei Stellung einnahm und nicht einmal ein Examen aufweisen konnte, das war doch gar zu sonderbar. Dazu kam das jeweilig so seltsame Benehmen Cornelias.

So hatte sich das hingezogen bis in das letzte Drittel des Oktober. Sommer und Herbst blieben sich fast gleich. Es war immer der wundervollste Sonnenschein und regnete nur so viel, wie man es sich wünschte.

Nun war dem Senator die Beteiligung an einer Mineralwasserfabrik angeboten, die von zwei Gesellschaftern betrieben wurde. Sie hatten uns eine Bilanz übersandt, wonach das Unternehmen auf einer gesunden Grundlage stand, sich aber freilich infolge von unvorhergesehenen Verlusten nicht halten konnte, wenn nicht zwanzigtausend Taler bar eingezahlt wurden. Es machte einen guten Eindruck, daß die Verlegenheit nicht verschleiert war, und die Sache erschien uns auch sonst sehr günstig. Ein Teil des 391 Vermögens bestand in einem großen Lager fertig auf Flaschen gezogenen Sauerbrunnens. Der Senator wünschte, daß ich hinreiste und mir die Sache ansähe.

Ich erinnere mich des letzten Nachmittags, da ich mit den beiden Mädchen unter den Kastanien saß, als wäre es gestern gewesen. Es war ein außergewöhnlich warmer Tag. Wir waren stiller als sonst und sprachen davon, daß es wohl der letzte Nachmittag sein könnte. Wir meinten natürlich nur, daß nach meiner Rückkehr das Wetter nicht mehr gut sein möchte, wie es nach dieser auffallenden Wärme ja leicht sein konnte. Sollte aber mehr bedeuten.

Mir war sonderbar zu Sinne, als ich abreiste. War ja nicht grade träumerisch veranlagt, aber da ich nun allein in der Eisenbahn saß, war es mir doch wahrhaftig, als hätt' ich die anderthalbhundert Nachmittage unter den Kastanien nur geträumt und es ginge wieder in die alte Plage hinein. Das war um so häßlicher, als die peruanische Erbschaft endgültig zu Wasser geworden war. Soll darüber noch die Rede sein, wenn ich nur erst mit diesem Kapitel zu Ende sein werde. Denn das liegt mir schwer auf der Seele.

Zugleich wunderte ich mich nun damals, daß ich kein Verlangen nach Cornelia verspürte, seit ich von ihr fort war. Das machte mich fast entschlossen, den Gedanken an sie aufzugeben, denn das Mädchen war bei all ihren Seltsamkeiten zu gut dazu, ihr was vorzulügen. An Hella dacht 392 ich dagegen mit der Herzlichkeit, mit der ich ihrer immer gedacht habe und heute gedenke.

Ich war froh, als ich aus der Eisenbahn stieg und es nun hieß: Die Augen auf! Da wichen die überflüssigen Gedanken von selbst, die ich so garnicht gewohnt war.

War natürlich nicht angemeldet, hatte aber eine gehörig beglaubigte Vollmacht bei mir. Damit fiel ich den beiden Kumpanen ins Haus. Sie waren aber gar nicht verblüfft, sondern zeigten mir vergnügt und dienstbereit, was ich sehen wollte. War alles ganz wohl in Ordnung. Besonders das Warenlager zeigten sie mir und meinten lachend, ich möchte nur zählen. Dazu hätt ich nun freilich viel Zeit gebraucht, ich war auf eine Schätzung angewiesen, und danach mochte die Zahl stimmen. Mir fiel nur auf, daß die Flaschen ohne Etikettes waren. Sagte davon aber nichts, sondern fragte, ob denn das wirklich natürlicher Sauerbrunnen sei. Der eine blinzelt und sagt, das sei Geschäftsgeheimnis, und der andre wird noch deutlicher: Natürliches Wasser ist es, Kohlensäure ist auch drin, warum soll das kein natürlicher Sauerbrunnen sein? Glauben Sie, in ganz Deutschland würde ein Mineralwasser so verkauft, wie es aus der Erde kommt?

Das war ja nun einleuchtend. Die beiden Kumpane hatten den Trick, daß sie ganz offen mit solchen Sachen herauskamen, die bedenklich aussahen, es auch wohl waren, aber die man konnte hingehen lassen.

393 Sie wiesen mir auch Kopien und Briefe vor, wonach die auswärtigen Kunden den Preis zahlten, mit dem das Lager in der Bilanz angesetzt war, und die Bahnfracht zu tragen hatten.

Ich sagte nichts weiter und ließ mir noch ein paar Handlungen in der Stadt nennen, die von den Leuten bezogen. Suchte mir einen Kramladen heraus, kaufte mir Zigarren und sprach mit dem Manne, als ob ich mich aus persönlicher Bekanntschaft für die beiden intressierte.

Auch hier stimmte der Preis. Ich sage: Kaufen Sie denn mit oder ohne Etiketts? Natürlich mit. Wer besorgt denn aber den Transport, frag ich weiter, und er sagt, wie ich mir gedacht hatte, der Brunnen müßte ihm frei ins Haus gebracht werden. Ich sage, den Brunnen fabrizierten die Leute doch wohl ganz billig, das Etikettieren, das Verladen und das Anfahren kosteten vermutlich, wenn auch nicht ganz so viel, doch im Verhältnisse eine Menge Geld. Da kuckt er mich feindlich an und sagt, wollen Sie hier die Leute ausfragen?

Ich wußte aber genug und reiste noch denselben Nachmittag wieder ab. Die beiden Kumpane hatten die Flaschen, wie sie dastanden, mit dem Verkaufspreise in die Bilanz eingesetzt. Wenn man die Unkosten, die ich eben erwähnt habe, auch ganz gering annahm, so mußte sich doch ein ander Bild ergeben. Das Unternehmen war faul.

Am späten Abend kam ich an. Es lag ein Nebel über der Erde, daß ein Auge wie meins dazu gehörte, ohne Fehlgehn oder Anrennen nach 394 Hause zu finden. Da wußt ich, daß es morgen kalt sein würde.

Als ich im Einschlafen war, saß wieder mal der Kobold an meinem Bette und sagte: Euer Exzellenz passen doch nicht hierher!

Die Kälte war am andern Morgen noch viel schärfer, als ich hatte ahnen können, so scharf, wie sonst nur mitten im Winter. Es ging wie ein Erschrecken durch die Natur. Die Vögel flatterten stumm und ratlos hin und her. An solchen Tagen soll man nichts wichtiges unternehmen, es hat kein gutes Ende.

Zunächst ließ sich der Tag nicht schlecht an. Mein Bericht war, bei dem durchdringenden Verstande des Senators, mit ein paar Worten abgemacht. Er nickte mit dem Kopfe und sagte nur: Gut, Wilhelm.

Dann gingen wir in den Garten und legten die Rosen in die Tannenhecke. Die hatte der Senator zufällig schon daliegen, weil sie ihm billig angeboten war. Uebrigens war sein Garten wohl so ziemlich das einzige in der Welt, wofür er wirklich ein Herz hatte.

Als ich mich danach in meinem Zimmer gewaschen und umgezogen hatte, war es grade Zeit zum Frühstück. Ich sah an den drei Gesichtern, daß etwas besprochen war und zwar etwas gutes für mich. Da wir nun wieder in das Kontor gingen, das der Senator immer selbst abschloß, fand ich auf meinem Platze bare dreitausend Taler in Banknoten. Der Alte sagte in seiner knappen Art, ich hätte ihm heute ein kleines 395 Vermögen gerettet und auch sonst gute Dienste geleistet, dies wäre recht und billig.

Neuntausend Mark sind auch heute noch ein schönes Stück Geld und damals waren sie ein gutes Teil mehr wert. Wenn der Leser nun meine bisherigen Umstände bedenkt, wird er wohl sagen, da muß es ihm doch vor übermäßiger Seligkeit im Kopfe geschwindelt haben. Statt dessen war ich verlegen, wie ich mich bedanken sollte, und fühlte mich überhaupt eher gedrückt als beseligt.

Ich ärgerte mich über mich selbst. Heute weiß ich, es ist nicht anders im Leben. Daß Frau Fortuna einem mit weitgeöffneten Armen entgegenfliegt und daß man es sich an ihrem Busen so recht von Grund aus wohl sein läßt, das erlebt man nicht. Entweder in den Umständen oder in einem selbst ist immer etwas, das der Freude ein Aber beimischt. –

Als ich mich nach getaner Arbeit wiederum gewaschen und mir einen andern Rock angezogen hatte und mich zum Tee einstellen wollte, faßte mich Hella im Gange ab und gratulierte mir. Ich sagte: Das verdank' ich Ihnen!

Nein, das verdanken Sie Cornelien, antwortete sie entschieden. Ich sah, daß sie die Wahrheit sagte, wie sie denn überhaupt keine Unwahrheit kannte.

Die Gedanken flogen mir im Kopf herum. Ob Cornelia das getan hatte, damit ich ihr gegenüber nicht mehr als ein ganz armer Schlucker dastände und freier um sie werben könnte, oder 396 einfach aus gutem Willen für mich, sie war auf einmal eine andre in meinen Gedanken. Ich spürte ein Verlangen nach ihr.

Hella sagte mit leiser Stimme: Sie ist in ihrem Zimmer geblieben. Dabei lachte sie mich an, aber die Tränen standen ihr im Auge. So hab ich sie zum letztenmal gesehen.

Was zwischen mir und Cornelien gesprochen wurde, das soll hier nicht breitgetreten werden.

Da wir nun beisammensaßen und jeder den Andern und sonst nichts im Sinne hatte, öffnete sich plötzlich die Tür und der Senator trat herein. Aus seinen Anstalten ging hervor, daß er uns seinen Segen geben wollte.

Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Das war wie in den Fliegenden Blättern die Mutter der heiratslustigen Tochter, die grade im brennenden Augenblick aus der Versenkung auftaucht.

Plötzlich fühl ich heißen Atem an meinem Ohr. Cornelia flüstert: Das Richtschwert! Weißt du den Weg noch? Das Richtschwert mußt du holen. Der ist der rechte, der da!

Ich fahre entsetzt zurück. Es flimmert in ihren Augen. Plötzlich schreit sie mit einer Stimme, die mir ins Herz schneidet: Wahnsinn! Dies ist ja Wahnsinn!

Sie schlägt die Hände vors Gesicht, springt auf und stürzt aus dem Zimmer.

Der Alte läßt sich schwer in einen Sessel fallen. Er zieht sein großes, rotseidenes Tuch und wischt sich den Schweiß von der Stirn. 397 Wilhelm, sagt er, ich weiß, du bist ein verständiger Mann. Es ist besser, du hörst die Sache von mir. Glaube nicht, anderwärts passierte so was nicht. Grade in unsern ersten Häusern. Ich hab's ja auch gutgemacht. Will's auch ferner gutmachen. Mein Testament kennst du. Aber auch bei Lebzeiten. Du sollst sehen –

Ich fahr ihm an die Kehle. Der Sessel kippt um. Ich lasse nicht ab. Die Augen starren mich an, immer garstiger. Da wird mir übel. Ich lasse von ihm ab und gehe in mein Zimmer.

Was sollt ich weiter tun, ich packte meine Sachen. War bald damit fertig. Im Hause rührte sich nichts.

Ich ging hinaus und mußte in all meiner Pein daran denken, daß die Rosen gekommen waren, als ich einzog, und daß sie nun wieder aus dem Sonnenlicht waren, und ich auch.

Was konnt's helfen. Suchte mir eine Herberge und sandte den Hausdiener hin, um meine Sachen zu holen. Er brachte sie bald und sagte, der Diener hätte sie schon in Bereitschaft gehabt.

Weiß nicht, wie ich dazu kam, ich setzte mich hin und schrieb einen Brief an Hella, daß ich sie sehr lieb gehabt hätte und Segen über ihre Zukunft wünschte. Ihre Schwester sei ein arm Wesen, sie sollte ihre Launen ertragen und sie fernerweit behüten. –

Mein Wünschen hat nicht gefruchtet. Hella hat die Weihnacht nicht erlebt und Cornelia hat sich an ihrem Grabe erschossen. 398

 


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