Rudolf Huch
Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
Rudolf Huch

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Das zwanzigste Kapitel

Wiedersehn

Nachdem ich inzwischen vier Wochen im Bade gewesen bin, wenn auch wahrlich nicht zu meinem Vergnügen, kommt es mir sauer an, mich wieder an den Schreibtisch zu setzen. Verspüre ein groß Verlangen, dem Staube des Pflasters für immer zu entweichen und meine Tage in Kattenhausen zu beschließen. Soll auch also geschehen, sobald ich das Punktum werde unter dies Buch gemacht haben.

Muß mich alten Mann auch der Teufel verlocken, daß ich mir diese Last aufbürde! Kommt aber alles auf Konto Schulmeister Warnecke. Wenn ich den dermaleinst da drüben finde, das wird eine Abrechnung, daran ein alter Geschäftsmann seine Freude hat. Lang und schwierig, aber das Saldo nicht vorteilhaft für den andern Teil.

Sind ja wohl noch einige Jahre bis dahin. Man macht sich nur so hin und wieder seine Gedanken.

Hatte nämlich in der Zwischenzeit einen Besuch, den ich nicht geladen hatte: Das Alter. 307 Schleicht sich heran mit kleinen Lähmungen, die nichts auf sich haben, aber doch eben so wohl könnten draußen bleiben.

Seltsam und gleichsam ungläubig ist mir zu Sinne, wenn ich daran denke, daß derselbige Mensch, der hier unnütz am Schreibtische sitzt, sich damals hat wollen als Matrose heuern lassen.

Die Kopfwunde war geheilt. Ich war ja freilich kein Knabe mehr, und eine Vergnügungsreise war das nicht, was mir bevorstand. Aber ich war auch wieder kaum im Beginn des kräftigen Mannesalters, und was die Hauptsache war: Dies war für mich ein Muß. Bruder Georg hatte endlich geschrieben und das kläglich. Wenn er nicht übertrieb, mußte unser alter Hof in fremde Hände kommen, und zwar bald. So oft ich an den Fall dachte, sah ich im Geiste meinen Vater vor mir, der sah mich eindringlich an und sagte in seiner stillen Weise: Wilhelm, das darf nicht sein.

Ohne Geld konnte ich drüben nichts ausrichten, das hatt ich längst eingesehen. So hieß es in den sauren Apfel beißen.

Sollte aber wieder mal anders ausgehen.

Meine Sachen hatte der Wirt als Frachtgut expediert. Ich machte die Reise nach der Hafenstadt zu Fuße. Die Nächte bracht ich in den Dörfern zu, weil es da billiger war als in den Städten.

Es war blauer Himmel und eine Schneedecke. Mir war frisch zumute, so recht, als ginge das 308 Leben nun endlich an. Wollte mir doch einmal bange werden vor der Fremde, so sagt ich mir nur: was der Onkel Pedro gekonnt hat, kannst du lange! Dann hatt ich wieder Mut.

Nun war ich zu einem Dorfe gekommen, von wo es nur zwei Stunden Weges nach der Hafenstadt war. Ich saß in der Schenke und las vor Schlafengehn die Zeitung, die auf dem Tische lag. War müde vom Gehn in der scharfen Luft und las die Worte, ohne so recht zu wissen, was sie bedeuteten. Da fuhr's mir in die Glieder: ein Nachruf für meinen alten Schuldirektor! Morgen sollt er begraben werden!

Ich wußte von früher, daß ich morgen früh dort sein konnte, wenn ich einen Nachtzug von der Stadt aus benutzte, es sei denn, daß der aufgehoben wäre. Erfuhr aber von dem Wirt, daß das nicht der Fall war.

Die Sache paßte mir gar nicht. Es war das wenigste, daß ich mich auf das Bett gefreut hatte und nun in die Winternacht hinaus mußte. Dafür war ich ein gesunder Kerl. Aber ich hatte es so eingerichtet, daß ich grade recht gekommen wäre. Uebermorgen ging ein Schiff ab, und das geschah damals viel seltener als heutzutage. Wenn ich wirklich übermorgen früh oder morgen in der Nacht wieder da sein konnte, war es doch unmöglich, mich noch anheuern zu lassen. Die Reise war also einstweilen in Zweifel gestellt.

Ich konnte aber doch nicht verlangen, daß der 309 alte Herr, dem ich seine Güte so schlecht gelohnt hatte, nun auch noch sein Sterben nach meinen Wünschen hätte einrichten sollen.

Die Zeitung hatt ich mitgenommen. Hatte meinen Aerger, daß da immer nur von den wissenschaftlichen Verdiensten des Verstorbenen die Rede war, des echteren Wertes aber, seines goldenen Herzens, mit keinem Worte Erwähnung getan wurde.

Der Morgen dämmerte, als ich vom Bahnhof in die Stadt hineinging.

Es waren noch drei Stunden bis zu der Beerdigung. Ich führte zwar weder Zylinderhut noch Bratenrock mit mir, hatte auch aus Gründen, die hier nicht erwähnt zu werden brauchen, den Wunsch, inkognito zu reisen. Aber ich dachte mir: Du gehst in der Masse mit. Ist ja eine Totenfeier, da wird niemand groß auf dich achten. Wer sollte sich auch an dich erinnern, nach so langer Zeit?

Ging in ein Wirtshaus, das ich wohl kannte, wo wir Sachsen aber nicht verkehrt hatten, und trank eine Tasse Kaffee, daß ich doch was im Magen hatte. Der Wirt sieht mich so an, sagt aber nichts. Wie ich nun weiter gehe, geb ich ihm meinen Ranzen, worin ich das nötigste für die Reise hatte, und sage, ich komme zu Mittag wieder. Er nickt mit dem Kopfe und sagt bedächtig: Ist recht, Herr Brinkmeyer!

Das war mir nicht angenehm. Nun zog ich in der Stadt herum und suchte all die Wege auf, die ich so oft gegangen war. Das war alles 310 noch wie ehedem, aber ich war freilich was andres geworden. Ein Lustwandeln konnt ich den Spaziergang nicht grade nennen. Hier und da sah ich ein bekanntes Gesicht. Dann tat ich immer, als wär ich wildfremd in der Stadt, aber sie machten alle so ein Gesicht wie der Wirt und jeder sagte. Guten Tag, Herr Brinkmeyer!

Ich denke, was sollst du dich anstarren lassen wie ein Feuerfresser auf dem Jahrmarkt, du machst die Sache in der Stille ab. Gehe also zu der Direktorwohnung. Da war noch niemand auf der Straße zu sehen.

Ich stellte mich hin und blickte zu dem Fenster hinauf, wo ich so oft mit einer Armsündermiene und, wenn auch nicht grade mit Zittern und Zagen, doch mit ziemlichem Unbehagen gestanden hatte. Mußte denken, wie wir beide uns hätten so manche üble Stunde ersparen können, der alte Herr, wenn er mich nicht so bitter ernst genommen hätte, und ich, wenn ich mich nur ein bißchen mehr in acht genommen hätte, und wie das alles nun so gut wie nicht gewesen war, nur daß ich da stand und mir das Herz immer schwerer wurde.

Kommt ein Polizist, der wohl nachher auf Ordnung passen sollte. Faßt mich ins Auge, stelzt langsam heran und sagt im Vorbeigehn: Guten Tag, Herr Brinkmeyer!

Da war ich der Sache überdrüssig. Gehe zum Friedhofe hinaus, wandle zwischen den Gräbern auf und ab und warte. Mein Junker lag in weiter Ferne im gräflichen Erbbegräbnisse, so 311 hatt ich niemand da liegen und konnte ganz meinen Gedanken nachhängen. Kann leider nicht behaupten, daß mir die das Warten grade angenehmer gemacht hätten.

Drei Stunden hat's gedauert, ehe der Zug ankam, denn natürlich hatten die geistlichen Würdenträger ihren Redefluß nicht können im Zaume halten. Hier draußen ging es dagegen kurz ab, denn es waren acht Grad unter Null.

Ich stand hinter einem Grabmal verborgen und wartete, bis sich der Zug verlaufen hatte und die Totengräber zu schaufeln anfingen. Trat an das offene Grab, um dem alten Herrn seine drei Erdschollen auf den Sarg zu werfen. Wie ich da stand und auf die vielen Kränze hinabsah, kam mich ein Verlangen an, zu schlummern wie die fromme Seele da unten, die nun nicht mehr in der Hülle eines gebrechlichen alten Mannes brauchte einherzuschleichen.

Was konnt's helfen. Lasse mir von einem Totengräber den Spaten geben, erweise dem Alten die letzte Ehre, gebe den Spaten zurück und verrichte ein stilles Gebet.

Wie ich mich zum Gehen wende, sagen die sechs Totengräber: Gu'n Dag, Herr Brinkmeyer! –

Und ihre Werke folgen ihnen
Nach in des ewigen Friedens Hütten.

Das Wort hatte der alte Herr uns gern zu Gemüte geführt. Hier lag die Sache offenbar umgekehrt: meine Werke waren hier geblieben. Ich hatte mich draußen in der Welt umgetrieben 312 und gar selten hierher zurückgedacht, meine Taten aber hatten fortgewirkt, ob mir das nun lieb oder leid war.

Dies kann ja gut werden, sagt ich mir, und wäre am liebsten gar nicht wieder in die Stadt zurückgekehrt. Gab so dies und jenes zu ordnen, was ich in der Eile des plötzlichen Abschiedes hatte müssen auf bessere Zeiten verschieben, und die waren ja leider noch nicht gekommen.

Indessen konnt ich die Sachen in dem Ranzen, den ich bei dem Wirte gelassen hatte, unmöglich entbehren. Da es nun Wintertag war und früh dunkel wurde, wollt ich das abwarten und trieb mich so lange im Walde herum, an den mich ja auch allerhand Erinnerungen verknüpften. Das war nun ganz gut und schön, nur daß ich schließlich denn doch meine neun Stunden ohne Speise und Trank bei acht Grad Kälte im Freien gewesen war. So redete ich mir denn bei der ersten Dämmerung ein, es wäre dunkel genug, und begab mich im Sturmschritt zu der Herberge.

Zog ganz in dem Kostüm ein, wie vor acht Tagen anderswo auch: den Mantelkragen aufgeklappt und die Hutkrämpe umgestülpt. Trotzdem sagte aller Augenblicke jemand: Guten Abend, Herr Brinkmeyer! Es war grade, als wäre meine Anwesenheit öffentlich ausgerufen worden.

Indessen war ich in einem Zustande, daß mir alles gleich war, wenn ich nur erst in der 313 warmen Stube saß und mein Essen und Trinken hatte.

Wie ich das nun genossen hatte und ich taute auf dem Kanapee auf, da fand ich es hübscher, daß mich die Leute noch kannten, als wenn sie mich vergessen hätten. War ja hier in meiner zweiten Heimat. Das Essen war gut und reichlich gewesen, auch hatt ich mir nach der nächtlichen Eisenbahnfahrt und dem langen Umherlaufen in der Winterkälte ein Fläschchen Rheinwein geleistet. Ward mir beschaulich und wehmütig zu Sinne, daß ich zu mir sagte: Wilhelm, bleibe im Lande und nähre dich redlich!

Heiraten wollt ich nicht, mit dem, was man heute Komfort nennt, war ich nicht verwöhnt und dem Trunk war ich nicht ergeben. Sonach braucht ich nicht viel für mich und vermaß mich, wenn ich nur erst eine Stelle würde gefunden haben, dem Bruder Georg mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Ein tüchtiger Kerl war ich, das sollte mir niemand abstreiten. Da mußte sich doch irgendwas für mich finden! Ich sann und sann und dachte an dies und an jenes, an das Nächste und an das Fernste, aber wie ich mich auch zergrübelte, es fand sich nichts. Nicht in der Heimat und nicht im weiten deutschen Vaterlande. Nicht das winzigste Plätzchen.

Da hatt es ein Ende mit der behaglichen Wehmut. Es kam ein Groll über mich, daß ein forscher Kerl, der arbeiten konnte und wollte, den deutschen Staub von den Füßen schütteln mußte, bloß weil er das läppische Abiturium nicht 314 hatte. Müßte heute ja wohl besser sein, da wir doch das deutsche Reich haben; ob es wirklich besser ist, das weiß ich nicht.

Der Wirt kam heran, um ein bißchen mit mir zu plaudern, wie sich das der Zeit für den Wirt geziemte.

Der war auch unzufrieden mit unsern Zuständen. Sein Vater hatte noch das Bannrecht gehabt, daß in keinem Hause dieser und der nächstliegenden Straßen Bier zum Verkauf durfte gebraut werden. Nachher war aber so ne verfluchte Kommischon gekommen, wie er sich ausdrückte, und hatte dem Hause das Bannrecht für ein elend Stück Mammon abgekapert. Wer an diesem Gesetze schuld wäre, der hätte sich wahrlich den Dank des Volkes nicht verdient, meinte der Biedermann.

Da fällt es mir wie Schuppen von den Augen und ich sage: Herr Bierhannes – er hieß nämlich wahrhaftig und mit Fug Bierhannes. Herr Bierhannes, sag ich, wenn Sie über diese Frage belehrt sein wollen, so sind Sie an die rechte Schmiede gekommen. Wer unser deutsches Elend im allgemeinen und den Verlust Ihres Bannrechtes im besondern vor der Weltgeschichte und dem lieben Gott zu verantworten hat, das ist kein andrer als der Rotbart, der Barbarossa.

Er machte große Augen. Wie ich ihm das nun aber des weiteren wollte auseinandersetzen, wurde er abgerufen. Er kam aber gleich wieder herein und verkündete, daß drei 315 Schneidermeister da seien, die seien von ihrer Zunft abgesandt worden, um mich in der Stadt zu begrüßen.

Die Ziegenböcklein, die ja immer Hänschen vorn im Stall sind, hatten es eher als die andern herausgebracht, wo ich Herberge genommen hatte. Sie erklärten mir denn also in einer für ihren Bildungsgrad recht wohl gesetzten Rede, sie seien gekommen, um die Freude ihrer Zunft auszudrücken, daß ihr inzwischen so berühmt gewordener ehemaliger Stadtgenosse wieder hier verweile. Nachdem ich sie in einer Gegenrede, die sich allerdings ein wenig anders möchte ausgenommen haben, meines Wohlwollens versichert hatte, verzogen sie sich ehrerbietigst zur Tür hinaus, wobei sie unter den zierlichsten Komplimenten rückwärts gingen.

Draußen wartete schon eine Deputation der Schuhmachermeister, der dann wieder eine solche der Gastwirte und darauf eine der Zigarrenhändler folgte.

Nachdem diese alle hochbeglückt zu den Ihren zurückgekehrt waren, meldete der Wirt das Lehrerkollegium, das mit seiner Lobpreisung die Bitte um Rückkehr verbinden zu dürfen flehte. Der Wirt konnte mir unter der Hand mitteilen, daß sie abermals den Mathematikus zum Sprecher gewählt hatten.

Da mir nun dessen Einschachtelungen, pathetische Ausrufungen und Gestikulationen schon bekannt waren, wobei ich die Frage, wer von uns in diesen Künsten von dem andern hätte 316 lernen können, ganz aus dem Spiele lassen will, blieb ich eingedenk, daß der platonische Mensch in jeder Minute seines Lebens, die nicht entweder durch eine Arbeit, oder aber durch eine Erlernung ausgefüllt ist, seine dermaleinstige Anklägerin fürchtet, sprang aus dem Fenster und verließ die Stadt.

Just wie vor sieben Jahren zog ich wieder hinaus: nächtlicher Weile und mit dem Wanderstabe. Wer mir das aber damals vorausgesagt hätte, dem wäre seine Prophetengabe nicht zum Wohle seines Leibes gediehen.

Auch das Ziel war das gleiche: ich wanderte nach Kattenhausen, als ob sich das von selbst verstände.

War mir angenehm, daß ich noch im Dunkel anlangte. Niemand begegnete mir außer schwer belasteten Ackerwagen, auf denen die Rübenschnitzel von der Zuckerfabrik abgefahren wurden. Das erinnerte mich gleich tröstlich daran, daß bei Bruder Georg alles hübsch beim alten geblieben war, denn der hatte sich noch immer nicht an der Fabrik beteiligt.

Auch der Einzug verlief ganz ähnlich wie damals. Es war freilich nicht Kirchenzeit, aber dafür lag noch alles in den Federn, und das Haus war wiederum nicht abgeschlossen. So ging ich auch diesmal in des Bruders Stube, zündete mir eine Pfeife an und wartete.

Bruder Georg war der erste im Hause. Er hatte schon gesehen, daß Licht in der Stube war, 317 gab mir die Hand und sagte: Gu'n Dag, Wilhelm. Ich denke, du bist zu Schiffe?

Das hatt ich ihm geschrieben, und es war nicht angenehm, ihm sagen zu müssen, daß nun fürs erste nichts aus der Reise werden konnte. Denn ich hatte müssen all mein Geld unter die Deputationen verteilen.

Als ich ihm nun auseinandersetzen wollte, daß sich das nicht hatte vermeiden lassen, unterbrach er mich und meinte, dagegen wäre nichts einzuwenden, es wäre aber unsinnig, daß ich wegen dieser Beerdigung eine so wichtige Reise aufgegeben hätte.

Da wußt ich nicht ein Wort zu erwidern, denn es war mir noch gar nicht eingefallen, daß ich hätte können anders handeln.

Als ich nun erfuhr, daß er schon vier Kinder hatte und ein fünftes unterwegs war, kam die Reihe an mich, ihm Vorhalt zu machen, denn in der Lage war er doch ganz und gar nicht. Er mußte das auch zugeben und meinte nur, man wollte doch gern einen Sohn haben, und die vier seien lauter Mädchen.

Dagegen ließ sich ja auch wieder nichts einwenden. Ich dachte nur bei mir im stillen, wenn das wirklich ein Junge würde, der würde es nicht so haben, daß er könnte seines Daseins in der Welt froh werden.

Will hier einschalten, daß es ein Junge geworden ist. Besser als sein Vater hat der es schon gehabt. Ist freilich ein Jahr nach seiner Verheiratung gestorben. Hat aber einen 318 Jungen hinterlassen, der soll es besser haben, als es je ein Brinkmeyer gehabt hat. Dafür ist sein Großoheim da, der auch sein Patenonkel ist; denn er ist nach mir Wilhelm getauft worden.

War kein schöner Tag, dieser Besuch nach sieben Jahren im Elternhaus. Meine Frau Schwägerin war erschrocken, als sie mich sah, und gab sich nicht die Mühe, das zu verbergen. Sie dachte, ich wollte dem Bruder auf der Tasche liegen.

Konnt's ihr nicht übelnehmen. Wo echtes Elend ist, da ist keine Stätte mehr für höfliche Gebärden, da ist nur noch Wahrheit.

Gegen Mittag ging ich mit dem Bruder hinaus und besah mir das Land, wiewohl Schnee lag.

Der Bruder klagt und dazwischen schilt er auf die Schwäger, daß die ihrer Frauen Abfindungen ohne Erbarmen auf den Tag ausgezahlt verlangt hätten. Ich sage: Das ist sonderbar, daß man seinen eigenen Stand so wenig kennt. Hast du jemals weit und breit einen Bauern gekannt, der sich anders benommen hätte?

Zugleich fiel mir ein, daß ich meinen Teil auch schnell aufgebraucht hatte. Das war nicht aus Habgier geschehen, sondern aus Leichtsinn, aber für ihn kam's auf dasselbe hinaus. War meine Einkehr nicht fröhlich gewesen, so war dieser Spaziergang durch die Felder des alten Brinkmeyerschen Hofes wie ein Gang zu der Richtstätte.

Da kommt's denn auch, was bis jetzt ohne 319 Worte zwischen uns geschritten ist. Georg blieb plötzlich stehen und sagt: Ist alles einerlei, dies Jahr war das letzte. Bringe meine Zinsen nicht mehr auf.

Ich sage, wie unser Vater selig auch gesagt hätte: Georg, das darf nicht sein!

Er bleibt dabei und setzt noch hinzu, es wäre ein Segen. Er könnte das Sorgen und Schinden nicht mehr aushalten. Eine Stelle als Hofmeister kriegte er immer, und da hätt er's wie Gott in Frankreich. Sogar ein Feldarbeiter lebte hundertmal besser als er.

So hätte der Vater nie geredet und ich auch nicht. Will beileibe nicht sagen, Bruder Georg wäre kein echter Brinkmeyer gewesen. Aber aus solchem Holze wie der Vater und ich war er nicht. Wenn eine Sache im Aussterben ist, wie unser altsächsisches Bauerntum, so verändert sich der Nachwuchs gleichsam aus sich selbst heraus, auch da, wo man äußerlich keine Veränderung wahrnimmt und wo die Lebensverhältnisse die gleichen sind, wie bei den Voreltern.

Da es nun im Hause nicht nach Besuch angetan war und mich auch niemand nötigte, brach ich gleich nach Tische auf. Sagte dem Bruder, es sollte sich wohl noch alles schicken, ich wär auch noch da.

Er hat garnicht drauf geantwortet.

Wie ich nun meines Weges ging, ward mir bitter klar, daß unser Hof dem Haberkornschen zufallen mußte, wenn's zur Versteigerung kommen würde. Denn unser Feld wurde fast auf 320 drei Seiten vom Haberkornschen eingeschlossen. Damals lebte der Mann von der Anna noch, und so was läßt sich kein Landwirt entgehn, so wehe ihm auch der Abschied von ein paar tausend Talern tun mag.

Da verschwor ich mich bei mir selbst, daß ich das nicht wollte geschehen lassen, eher wollt ich mich nicht satt Brot essen.

War ein verwegener Schwur von einem, der ohne Geld auf der Landstraße einherzog und nicht wußte, wer ihn die Nacht beherbergen möchte. 321

 


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