Rudolf Huch
Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
Rudolf Huch

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Das siebzehnte Kapitel

Wie ein toter Mörder wider mich aufstand

Der Tag nahm ein übles Ende und damit endete dies Schlaraffenleben überhaupt.

Hatte mir vorgenommen, um die Sache herumzuschreiben. Das läßt sich aber nicht machen, aus unterschiedlichen Gründen, und so fahr ich wohl oder übel da fort, wo ich gestern aufgehört habe.

Urania stand unbeweglich, bis der Wagen davongerollt war. Da wurde die schöne Bildsäule mit einem Schlage lebendig. Sie fuhr mir um den Hals, riß mich mit sich fort und walzte wie eine Bacchantin mit mir im Salon herum. Dann warf sie sich in einen Sessel und lachte, als wollte sie sich zu Tode lachen.

Ich war wie aus den Wolken gefallen. Dieser Dämon von einem Weibe hatte mich dermaßen behext, daß ich, der ich sie doch hätte sollen besser kennen, ihren Richterzorn für heiligen Ernst genommen hatte. Das lag aber an ihrer Schönheit. Gehört zu den unbegreiflichsten Einfällen des Weltschöpfers, wenn sichs nicht am Ende gar in eine höchst pfiffige Verkehrung 224 seiner Majestät des Satans handelt, daß diesem des rechten Ernstes ganz entbehrenden Geschlechte, dessen Unbeständigkeit mit nichts auf Erden zu vergleichen ist und nur von einer Eigenschaft des selbigen Geschlechtes übertroffen wird, nämlich von seinem Starrsinn, daß diesem Geschlechte, sag ich, das grausame Gewaffen der Schönheit verliehen ist, wider welche Kriegesrüstung wir mit unsrer männlichen Tapferkeit, mit unsrer sonst so felsenfesten Beständigkeit und mit unserm auf Betrachtung, Erfahrung und Einsicht begründeten Lebensernst doch fast mit so wenig Aussicht auf endgültigen Sieg zu streiten vermögen, wie sich ein Kindlein vor dem Festwerden der Knochen wider einen menschenfresserischen Kannibalen zu wehren vermöchte. Welcher unser Kampf umso grausamer ist, als es der Teufel in seiner satanischen Klugheit eingerichtet hat, daß uns der Sieg, alles in allem genommen, wohl weher tut als die Niederlage. Hab es müssen erfahren.

Gegen abend ging ich fort aus dem Hause. Sagte Urania, ich wollte noch was Gutes für die Küche besorgen, wäre übrigens des festen Glaubens, daß sie, wenn ich heimkehrte, wieder meine Urania sein würde, die ganz genau wüßte, daß sie niemals im Leben ein Mensch so lieb haben könnte wie ich, und daß ich ihr in allem nachgäbe, was möglich sei.

Sie antwortete aber nicht, und als ich in später Nacht heimkehrte, ohne zum Schusse gekommen zu sein, weil ich wie ein Träumender im 225 Walde umhergeirrt war, hatte sie sich eingeschlossen. Ich verbrachte den Rest der Nacht in meinem Dachzimmer auf dem Fußboden, indem ich den Mantel als Bett benutzte. Das machte mir nichts aus, nur mußt ich unausgesetzt denken, ob ich nicht doch am Ende könnte nachgeben. Leider ging das nicht. War weiß Gott nicht prüde, aber dies Geld mußte zum Hause hinaus, wenn ich drin bleiben sollte.

Urania sah am andern Morgen auch überwacht aus und hatte große, traurige Augen, was sie keineswegs häßlicher machte. Sie sprach in zärtlichen Tönen zu mir. Besonders auch mahnte sie, daß sie sich mir aus Liebe geopfert habe. Dagegen ließ sich nichts sagen, denn sie hätte an Stellung und Besitz weiß Gott andre Liebhaber gefunden. Dann fragte sie, ob ich sie denn so wenig kennte, daß ich sie für geldgierig hielte. Ihren Spaß wollte sie haben, das wär alles, und den sollt ich ihr doch gönnen, da sie sonst nicht mehr viel hätte vom Leben.

Das fiel mir schwer aufs Herz und ich hatte allerhand Pläne bereit, wie wir es uns künftig einrichten wollten, daß sie in besserem Ansehen stände. So waren wir ganz einträchtig, aber als ich dachte, nun wäre sie weich geworden, und fing davon an, wir müßten das Geld von dem Schimpansen zu einem wohltätigen Zwecke verwenden, war's wieder vorbei und der Streit ging wieder an.

Da ich nun zur Probe mußte und mich verabschieden wollte, wandte sie sich ab. Sie hatte in 226 diesem Augenblicke eine absonderliche Aehnlichkeit mit der Minna Haberkorn, als wir bei dem Notar saßen und ich sie darauf ansah, ob sie mir würde Beistand gegen ihre Mutter leisten. So gab ich die Hoffnung auf.

Da ich nun nach der Probe gesenkten Kopfes meine Stiege hinaufschlich, fand ich oben ein Stubenmädchen beschäftigt, meine Sachen, soweit ich sie nicht verschlossen hatte, einzupacken. Ranzte die Person nicht schlecht an, mußte mir aber sagen lassen, daß Urania dies angeordnet hatte, mit dem ausdrücklichen Hinweise, daß sie, nicht etwa ich, die ganze Villa, einschließlich der Dachkammer, gemietet und also darüber zu verfügen habe. Im übrigen sollte mir das Mädchen hundert Taler in Banknoten überreichen, die mir von Rechts wegen zukämen, natürlich gegen Quittung. Urania sei ausgegangen.

Als ich dies hörte, schnitt es mir dermaßen ins Herz, daß ich mich auf die Treppe setzte und vor mich hinstarrte. Das Mädchen hatte Mitleid und erzählte, unglücklicherweise wäre das Schandweib, die Müllern, grade während meiner Abwesenheit zu Besuch gekommen und hätte Uranien dies eingegeben. Die hätte nichts davon wissen wollen, wie die Müllern auch gehetzt habe. Zuletzt aber hätte der Teufelsbraten gesagt, dies wäre das einzige Mittel, mich gefügig zu machen, und sie gäbe ihr Brief und Siegel, sofern ich abzöge, wäre ich morgen wieder da und bäte um gut Wetter, wahrscheinlich kröche ich aber gleich zu Kreuze.

227 Da hatte mal wieder eine Höllenriesenschlange ein armes Evakindchen zum Sündenfalle verlockt. Urania hatte ihr geglaubt, und nun saß ich auf der Treppe und brütete vor mich hin.

Was konnt's helfen! Ich nahm die hundert Taler, denn das war ja mein verdientes Geld, sagte dem Mädchen, meine Sachen sollten mir nachgeschickt werden, wohin, würde ich schreiben, und zog, wie's im Liede heißt, zum Städtle hinaus. Nach Singen stand mir aber nicht der Sinn.

Ich ging immer die Heerstraße hinab, vom Gebirge weg in die Ebene hinein, und war mir einerlei, wohin ich kam.

So gegen Mittag kam ich an einer Bahnstation vorbei. Fiel mir ein, daß ich kürzlich eines Sonntages einen Kameraden von der Dorfschule getroffen hatte, der auf einem Ausfluge war und mir berichtete, er sei da am Schalter angestellt. Das trifft sich ja gut, dacht ich, ohne daß ich eigentlich so recht wußte, was ich wollte.

Gehe also in die Station hinein. Wartete bis der Schalter geöffnet wird. Richtig, sitzt er da. War noch ganz menschenleer, so daß ich ein paar Worte mit ihm reden konnte. Gu'n Dag, Krischan, sag ich, kannst mir wohl mal 'ne Fahrkarte aussuchen. Er kuckt mich an und weiß nicht, was er sagen soll. Ich sage denn also, es wär einerlei wohin, nur ein bißchen weit weg sollte es sein.

Er kuckt mich immer noch an und macht so 228 verfluchte Augen, daß ich ihm grob kommen will. Fällt mir aber ein, daß er wohl Ursache hat, mißtrauisch zu sein. Das ist's nicht, sag ich, was du denkst. Wirst nicht in den Zeitungen lesen, besondere Kennzeichen, kleiner Wuchs und dergleichen.

Da dämmert ihm was. »T is woll mit'n Mä'chen?« fragt er. Ich sage, nu bist du schon näher. Er nickt mit dem Kopfe und sagt: Willst du nach unten runter, kann ich dir ja 'ne Karte nach München geben. Nein, sag ich, zu den Bajuwaren will ich nicht, die haben sich lassen ohne Widerstand ihrem angestammten Herzoge aus den Händen eskamotieren, von dem Heraufkömmling, dem Barbarossa.

So ist das, sagt er, ja, denn geht das freilich nicht. Also nach oben rauf. So gibt er mir eine Karte. Ich frage nicht weiter wohin, zahle, was er haben will und sage: Mach's gut, Krischan. Er antwortet: Mach's gut, Wilhelm. Damit gehe ich auf den Bahnsteig. Wiedergesehen haben wir uns nicht.

Weiß nicht, wie lange ich da auf einer Bank gesessen habe. Mögen wohl so anderthalb Stunden gewesen sein, denn die Sperre hatten die Preußen damals noch nicht ausgeheckt.

Setze mich denn also in den Zug, brüte vor mich hin und lasse mich nach dem Norden fahren. Bin aber nicht allzuweit gekommen.

Mochte so zwischen fünf und sechs Uhr sein. Der Zug hielt an einer kleinen Station fast auf freiem Felde. Da kam's mir in den Sinn, daß 229 ich des Fahrens satt wäre. Stieg aus dem Wagen hinaus und ging die Heerstraße hinan, immer der Nase nach.

Begegnet mir ein Gendarm. Fiel mir ein, daß es gut wäre, zu wissen, wohin ich ginge. Er sagt, der Weg wäre nicht anzuraten. Ich würde nachher durch einen Wald kommen. Dahinter läge das Schinderhaus. Der Abdecker wohnte da allein. Hätt einen Knecht gehabt, der wär aber vor ein paar Tagen hingerichtet, weil er in eben dem Walde einen Händler ermordet und ausgeraubt hätte. Der Weg von da nach der Stadt wäre noch weit und kein Quartier dazwischen. Ich sollte lieber umkehren.

O, sag ich, das paßt mir ganz wohl, und wenn's noch so weit ist. Bin gut zu Fuße und find auch ohnehin so bald keinen Schlaf.

Der Gendarm wird stutzig, faßt mich ins Auge und sagt: Woher kommen Sie denn? Haben Sie Legitimationspapiere?

Ich sage, ich komme aus Kattenhausen, wenn auch nicht direkt, und zu meiner Legitimation beruf ich mich auf meine Arme. Geben Sie acht, damit Sie die Legitimation gehörig prüfen!

Nehme ihn also und setze ihn so sachte auf die Erde. Er will sein Seitengewehr ziehen, und wie das nicht angeht, fängt er an um Hülfe zu schrein.

Kamerad, sag ich, laß das sein, sonst nimmt's ein böses Ende!

Er sieht mir ins Gesicht und wird mäuschenstill. Denn mir lag in dem Augenblick nichts 230 an einem Leben, weder an meinem noch an dem eines Mitmenschen, und das mußt er mir wohl ansehen.

Wie er nun still ist, erzähl' ich ihm, daß ich auch Soldat gewesen bin und alles mit mir in Ordnung ist, nur sei mir eine Geschichte passiert, die dem Ruhigsten das Herz umkehre. Er soll mich gehn lassen, so laß ich ihn auch gehen, und wir wollen einander das Soldatenwort geben, daß Niemand was erfährt.

Ist auch so geschehen und er hat sein Wort gehalten, sonst wäre wohl noch was gekommen, wegen des tätlichen Angriffs. Er hatte ja am Ende auch seine Gründe, von der Sache zu schweigen.

Als ich nun eine Stunde weiter gegangen war, kam ich richtig in einen Buchenwald. Der Sommer war vorbei, denn der gottverfluchte Gaukler hatte mehr als sechs Wochen bei uns gewohnt. Auch war ein kaltes Jahr. Das Laub war schon ganz rot.

Ich gehe immer für mich hin und denke, wenn ich nur müde werde, daß ich mich die Nacht in meinen Schlaf hineinfinde. Mochte und wollte an nichts andres denken. Die Müdigkeit kam aber nicht.

Wie mich nun der liebe Gott allein in seinem Walde hat, überläßt er meine Gedanken nicht meinem Willen, sondern ich soll ihm über diesen Sommer meine Abrechnung vorlegen.

Da geriet ich übel ins Gedränge. Urania hatte bei allem, was sie tat, eine Art an sich, 231 daß man nicht zu der Frage kam, ob Recht oder Unrecht. Sie hatte ganz wahr gesprochen, als sie sagte, es sei ihr mehr um den Spaß als um das Geld gewesen, wenn sie sich freilich auch wie eine aufs Geldausgeben verstand.

Wenn sie so hereinkam, rasch und feurig wie ein Vollblut in der Koppel, und hatte was ausgeheckt, das sich ganz harmlos anhörte, und die Lust blitzte ihr aus den Augen, da dachte man mit keinem Gedanken dran, daß sich am Ende doch nur die alte Schlange dahinter versteckte. Man gewöhnte sich, das Leben wie einen Spaß anzusehen, aus dem gar niemals Ernst werden könnte.

Hinwiederum, so wehe sie mir getan hatte, wollt ich als ein ehrlicher Altsachse doch nicht vor dem Weltrichter die Schuld auf sie abwälzen.

Da geriet ich in einen Trotz wider den lieben Gott und sagte: Warum hast du es zugelassen, daß sich mein guter und sonst so beständiger Vater hat von dem Schulmeister beschwatzen lassen, und warum hast du mir den einzigen Freund genommen, der alles hätte können zum Guten wenden? Du hast mich nicht vor Versuchung bewahrt, sondern hast mich fort und fort in Lebenslagen und unter Menschen geführt, wo ich nichts verloren hatte und vom rechten Wege abkommen mußte.

Fuhr grade ein Windstoß durch den Wald. Ich wußte nun sehr wohl aus den Büchern Mose, daß ich in dem Rascheln des Laubes die 232 Stimme Gottes zu erkennen hatte. Verstockte aber mein Herz im Trotze und sagte: Kannst mich ja nur gleich in die ewige Verdammnis werfen, so geht's in einem hin.

War den ganzen Tag trübes Wetter gewesen. Nun brach die Sonne durch Wolken, stand aber in einem gelben Dunst, so daß man Regen erwarten mußte. Der Herbstwald war aber noch viel röter als zuvor. Wäre wohl für andre Leute kein übler Anblick gewesen. Mir widerstand es, ich wußte nicht warum.

Mit eins ist die Müdigkeit da, nach der mich verlangt hatte. Kommt aber nun so gewaltsam über mich, daß ich mich neben dem Wege hinwerfe und gleich im Schlafe liege.

Erwache von einer grauenhaften Angst. Liegt jemand auf mir und würgt mich. Kann mich nicht wehren, denn der Mensch kniet auf meinen Armen. War ein ungeschlachter Kerl mit roten Haaren, und der Mord stand ihm in den Augen. Ich quäle mich ab, einen Schrei herauszubringen.

Jetzt hab ich einen Arm frei. Der Mensch zieht aber blitzschnell ein Messer und stößt es mir in den Hals. Ich fühle, wie das Blut über mein Gesicht flutet.

Nun wundre ich mich, daß mein Blut so kalt ist. Ich wache auf. Es regnet mir ins Gesicht. Gelobt sei Gott, stöhn ich aus tiefer Brust.

Da ich nun bedachte, wie grauenhaft dieser kurze Traum gewesen war, und daß die ewige Verdammnis wohl möchte einem bösen Traum 233 ohne Ende gleich sein, wollt es mir scheinen, als hätte der liebe Gott den Traum gesandt, damit ich in mich ginge, solange es noch Zeit wäre.

Nun sah ich aber, daß an dieser Stelle etwas mußte vor sich gegangen sein. Es waren Büsche geknickt, der Boden war durchwühlt und Gras und Kräuter waren von vieler Menschen Füße niedergetreten. Da merkt ich, daß hier der Mord geschehen war und die vielen Schritte von der Polizei und der Gerichtskommission herrührten. Schloß also, daß der Traum nicht von Gott gewesen sei, sondern von den bösen Geistern des Ortes.

Wie ich nun weiterging, fiel mir ein, daß ich um diese Stunde immer mit Uranien Tee getrunken hatte. Senkte sich der Trotz wieder über mich, denn ich mußte denken: so geht es dir nun, weil du nicht des Teufels Wege wandeln wolltest!

Da rauschte es abermals im Laube, aber nicht leise, sondern gewaltig. Es erhob sich ein Gewittersturm, der die Buchen krumm bog. Dazu blitzte und donnerte es über die Maßen.

Wie nun bei dieser Jahreszeit ein Gewitter selten ist und der Tag keineswegs war danach angetan gewesen, auch wohl weit und breit niemand mehr unter freiem Himmel weilte, so mußt ich annehmen, daß es auf mich gemünzt sei. Aenderte aber nichts an meiner Gemütsverfassung, oder doch nichts zum guten, sondern machte mich erst hart.

Statt mein Inneres auf ein gottseliges Ende 234 zu bereiten, versucht ich den lieben Gott und antwortete ihm: stürz doch eine Buche über mich, so ist es ja getan! Denn dieser Dämon von einem Weibe hatte mich toll gemacht.

Kämpfte mich endlich mit heilen Gliedern ins Freie. Es lag aber eine Finsternis über der Erde, dermaßen, daß ich trotz meiner Luchsaugen den Weg schon im Walde verloren hatte und gegen manchen Buchenstamm gerannt war. Der Sturm heulte wie besessen, man mußte sich gegen ihn stemmen, wollte man nicht umgeworfen werden. So kam ich nur langsam vorwärts. Ich merkte, daß ich über Stoppelfelder ging. Zu sehen war nichts. Endlich aber sah ich doch weit in der Ferne ein kleines Licht. Dauerte wohl noch eine Stunde, bis ich mich dahin gekämpft hatte.

Schon unterwegs war mir eingefallen, daß es das Schinderhaus sein mußte. Da ich mich nun näherte, erhob sich ein Geheul von vielen Hunden. Bestand also kein Zweifel mehr, daß es so war.

Hinten am Horizont war ein roter Schein am Himmel. Das war natürlich die Stadt. Wenn das Wetter so blieb, hätt ich zum mindesten drei Stunden bis dahin gebraucht. Rief die Stimme des Engels in mir: Und wären's dreimal drei Stunden, es wäre immer noch tausendmal besser, als bei einem Abdecker einkehren. Aber der Teufel bäumte sich auf und schrie: Hab ich nicht sollen ein ehrlicher Bauersmann werden und hab ich müssen den Segen der 235 Mutter Erde hingeben für die Unruhe und die Verräterei der Welt, so mag's nun auch dahin kommen, daß ich tue, was noch kein Brinkmeyer getan hat!

Es war eine Bretterplanke um das Grundstück gezogen. Ich suchte, bis ich die Türe fand und trat ein. Zur linken Seite lagen die Hundeställe. Das Geheul drang durch Mark und Bein. Die Haustür ging auf. Ein Mann mit rotem Haar stand drinnen auf dem Flur, hielt in der Linken eine Tranlampe hoch und beschattete mit der Rechten die Augen. In dem Dunkel ringsum nahm es sich aus, als stände der Mann in einer roten Glut.

Noch einmal rief mein guter Engel: Wende dich um und geh deiner Wege, es ist noch Zeit! Rief es so eindringlich, daß mir das Herz klopfte bis zum Halse, was mir noch nie in keiner Lage meines Lebens geschehen war.

Ging aber doch hinein.

Der Rothaarige sieht mich an und weiß nicht, was er sagen soll. Ich sage: Wollen Sie mich für Geld und gute Worte die Nacht beherbergen, Abdecker?

Er lacht leise und heiser, wie es die Hyänen tun sollen und sagt: Warum nicht, wenns Ihnen nicht unangenehm ist?

So gehn wir in seine Stube. War ein niedriges Gemach, aber weitläufig. Man konnte wohl an das Eßzimmer in einem alten Bauernhause erinnert sein. Es war aber eine schwere Luft drinnen, die lag mir auf der Brust. Dachte, 236 es möchte wohl sein, weil draußen ein Gewitter war. Indessen das hatte ich doch zu Hause und anderswo auch erlebt und es war nicht das gewesen. Hier war etwas so, wie es nicht sein sollte, ich wußte nur nicht was.

Nun saßen wir an einem Tische und sahen einander an. Besondres war nicht an ihm zu sehen, nur mißfielen mir seine Augen. Man konnte sie zunächst für hellblau halten, es war aber ein grünlicher Schein darin und ein Flimmern. Das erregte mir Unbehagen.

Er fragte, ob ich was essen wollte. Da ich nun seit dem frühen Morgen nichts genossen hatte, verspürt ich Hunger und sagte ja, wollt's aber nicht umsonst haben. Er lacht wie vorhin und bringt Brot, Butter, Schinken und Eier. War nichts dagegen zu sagen, auch Teller, Messer und Gabel waren nicht unsauber. Trotzdem und trotz meines großen Hungers würgt ich jeden Bissen mit Gewalt herunter. Sogar die Eier machten mir übel, weil sie von selbst gehaltenem Federvieh waren.

Er sieht mir zu und sagt: Kamerad, es rutscht nicht. Wollen wir eins dazu trinken?

Das ging mir zu weit und ich sage: Abdecker, ich habe keine Ursache, Sie für einen Lumpenhund zu halten. So will ich mit Ihnen trinken wie mit andern Leuten. Aber Ihr Kamerad bin ich nicht.

Da ward das Flimmern in seinen Augen ein böses Glimmen und es war anzusehen, als hätt er Schwefel darin. Ich dachte, nun ging es 237 los und sagte mir: In Gottes Namen drauf! Hast du ihn gezwungen, so gibst du ihm für das Essen was recht ist und gehst in die Stadt.

Geschieht aber nichts dergleichen. Er lacht wieder auf seine Art, was eigentlich kein Lachen war, und sagt: Nehmen Sie's nicht übel, ich hab Sie nicht wollen beleidigen. So hoch will der Abdecker nicht hinaus, daß er mit seinen Herren wollte Kamerad spielen. Bin froh, daß Sie doch mit mir trinken mögen!

Wie er nun hinausgeht, um den Trunk zu holen, und ich sitze allein an Abdeckers Tische, so halt ich eine Ansprache an mich selbst und sage: Wilhelm Brinkmeyer, du hast dich lassen von deinem bösen Geiste übel in die Falle locken. Hätte sich dieser Mensch als ein herzhafter Kerl erwiesen, so war's ein ehrlicher Streit, derengleichen du mehr als einen bestanden hast in deinem jungen Leben. Hat er es aber in die Tasche gesteckt, daß du auch nicht unter vier Ohren sein Kamerad heißen willst, so mußt du verruchter Tücke gewärtig sein, denn so einer ist ein Hundsfott. Mußt nun jeden Augenblick auf der Hut sein, daß er dich nicht von hinten faßt. Wer weiß auch, ob nicht in diesem Bau, der verflucht ist von Anbeginn seines Bestehens, verborgene Falltüren sind oder sonst höllische Vorrichtungen?

Da ich mir das nun des näheren ausmalte, war kein Trotz mehr in mir und überhaupt kein andrer Gedanke, als wie ich wohl möchte aus dieser Not entrinnen.

Fiel mir ein, daß ich kurz und gut aus dem 238 Fenster springen konnte. War ich einmal im Freien, so durfte der Abdecker wohl nicht wagen, etwa die Hunde auf mich loszulassen. Tat er es aber doch, so hatt ich ja meinen guten Handstock, der innen aus Eisen war, und im äußersten Falle ward ich immer noch besser unter Gottes freiem Himmel von Hunden zerrissen, als daß ich in einem Loche verfaulte, von wo kein Schrei an das Ohr eines Lebenden drang.

Als ich nun aber aufgestanden war und wollte mich zu meinen Sachen schleichen, gemahnte es mich, daß sich ein Brinkmeyer nicht wie ein Dieb aus dem Hause schleicht und seinem Wirt, noch dazu wenn das ein Abdecker ist, Ursache gibt, ihn für einen Hanswurst oder Feigling zu halten.

Setzte mich also wieder hin und wartete, was sich begeben würde.

Der Abdecker kam mit einem vollen Steinkruge angeschleppt, der wohl seine sechs Liter faßte. Dann öffnete er einen Schrank und holte zwei Becher aus Zinn heraus, schöne Stücke und gewiß viele hundert Jahre alt.

Er goß die Becher voll. War eine tiefbraune, fast schwarze Flüssigkeit. Ein wundersamer Duft stieg heraus. Ich zögerte, denn ich war besorgt, es könnt ein süßes Gift oder Schlaftrunk sein, oder gar ein verruchtes Gebräu, das mich in Zauber und Teufelswerk verstricken würde. Indessen bedacht ich, daß es einem Manne, der seine anderthalb Jahre in der Unterprima gesessen hatte, nicht wohl geziemte, an 239 Zaubertränke ernstlich zu glauben. Da er nun selbst seinen Becher austrank, indem er sagte: wohl bekomm's, ist echter alter Meth, war denn auch meine Besorgnis wegen des Giftes beruhigt und ich tat ihm gleicherweise Bescheid.

Ein köstliches Getränk war es, dergleichen ich nicht vorher und nicht nachher gekostet habe. Bei aller Süße doch voller Kraft und Feuer. Wirkte aber seltsam. War mir aus dem Sinne gefallen, daß ich noch diesen Morgen in einer neumodischen Fremdenvilla gesessen hatte und vor wenigen Stunden in der Eisenbahn gefahren war. Dagegen war mir der fremdartige Zinnbecher ein so vertrautes Gerät, als hätt ich mein Lebtag aus nichts anderm getrunken.

Der Abdecker legt die Ellbogen auf den Tisch und sagt voller Eitelkeit: Schöne Becher! Hab ihrer mehr als ein Dutzend, von meinen Vorfahren her. Wir sitzen hier seit uralter Zeit. Will mich auch noch verheiraten, damit das Geschlecht nicht ausstirbt. Die Becher haben ihnen die Leute geschenkt, weil sie beliebt gewesen sind.

Ho, sag ich, die Becher hatten sie leicht, eure Vorfahren. Brauchten nur aus einem zu trinken, so hatten sie ihn, weil kein Unbescholtner mehr draus trinken wollte.

Weiß nicht, woher ich das wußte und wie ich darauf kam, ihn mit »Ihr« anzureden. Muß wohl der Meth getan haben.

In seinen Augen war wiederum ein Schwefelflackern. Ich achtete aber nicht darauf, denn 240 ich fiel in eine große Traurigkeit, weil es so hatte kommen müssen, daß ich als ehrlicher Bauernsohn an Abdeckers Tische saß und aus verfluchtem Becher trank.

Er goß wieder ein und trank mir zu. Da nun nichts mehr zu ändern war, tat ich ihm Bescheid, denn ich dachte: Hin ist hin. Was hilft's, daß du den Kopf hangen läßt. Nimm's wie es ist und nicht wie es sein sollte.

Kam eine absonderliche Lustigkeit über mich, in der so wenig wahre Lust war, wie in seinem heisern Lachen.

Abdecker, sag ich, mich nimmt's Wunder, daß ihr allein in eurem Bau sitzt. Habt ihr keinen Gehülfen?

Er nickt und sagt so still vor sich hin: Hab einen gehabt, noch vor drei Tagen. War ein ganz wackerer Mensch, nur daß er ein bißchen zu eifrig war. An seinem großen Eifer hat er sich verloren.

Mir kam nun doch wieder ein Grausen an.

Schüttle es mit Gewalt ab und frage harmlos, wo der Gehülfe denn geblieben wäre.

Er tut, als hätt er nichts gehört, faßt mich ins Auge und fährt fort: Dafür hat er seine Sache aber auch verstanden. Zwei Schnitte und runter war der Balg. War ein Vergnügen zu sehen. Euch brauch ich ja wohl nichts weiter zu sagen, ihr seht mir aus, als verständet ihr das Handwerk so gut wie unser einer.

Nun hatt ich ja wirklich manch ein Stück Wild abgebalgt. Aber das war Waidmanns 241 Tun gewesen, wenn's auch vor dem Gesetze nicht grade mochte erlaubt gewesen sein.

Abdecker, sag ich scharf, haltet euch in euern Schranken und bleibt bei der Stange! Tut keine Fragen, die euch nicht zukommen, erzählt mir lieber, wo euer Helfer geblieben ist.

Er nickt wieder so still vor sich hin. Ich sah recht gut, daß er mir jedes Wort aufs Kerbholz schrieb. Er sagte aber ganz ruhig: Wo er geblieben ist? Das mögt ihr ihn wohl selbst fragen. Verloren hat er sich. Er war ein guter Mensch und ganz geduldig, bis zuletzt. Hab ihm den Abend Gesellschaft geleistet, so lange wie's erlaubt war. Haben da so allerhand verabredet miteinander, was niemand zu wissen braucht.

Er hatte vielleicht rote Haare? frag ich.

Der Abdecker blinzelt mich an und sagt: Seid ihm schon begegnet? Ja, die hatt er. Schöne, rote Locken. Kann euch noch eine zeigen, wenn ihr Vergnügen dran findet. Eine von denen, die sie ihm abgeschnitten haben. Er tat's nicht anders, der aus Magdeburg. War schade drum. Ich hätt's ihm ohne das besorgt und hätt ihm nicht weher getan. Wartet, ich hol euch die Locke.

Er stand wirklich auf. Danke, rief ich, hab kein Verlangen danach. Also der Magdeburger hat's ihm besorgt, dem guten Menschen? Und erst drei Tage ist's her?

Der Abdecker setzt sich wieder hin und sagt: Hätt ihm gar zu gern selbst die Ehre getan, meinem guten Hänslein. Schlecht hat er seine 242 Sache nicht gemacht, der aus Magdeburg. Wär unkollegial, wenn ich das sagen wollte. Will auch nicht behaupten, daß die Handlung nicht hätt ihre Feierlichkeit gehabt. Er ist aber nur zuerst im schwarzen Frack gewesen. Wie der Hauptakt war, hat er ihn ausgezogen. Wir behielten das rote Prunkwams hübsch an, wenn's losging. Dem hat's nicht geschadet, ob ein Spritzerchen drauf kam oder ein Sprühregen. Schöner als so'n Frack war unser Habit auch. Gebt mal acht!

Ich denke, was will das werden? Nehme meinen Becher und trink ihn auf einen Zug aus.

Er öffnet eine Tür, die in der Wand war, so daß ich sie nicht hatte sehen können. Da war ein ziemliches Gelaß, denn es war ein alter Bau mit dicken Mauern. Er schiebt sich hinein und holt einen Mantel und ein Federbarett heraus, alles rot. Das tut er an und schreitet vor mir auf und ab.

Kommt die wilde Lust wieder über mich. Hole meine Flöte, denn die steckte noch von der Probe her in meinem Mantel, und sage: Nun macht eure Sache fein, Scharfrichter, ich spiel euch eins auf!

Wartet, ruft er, fehlt noch das beste!

Geht zu dem Schranke und holt ein Schwert heraus. Das hält er an die Schulter und stolziert vor mir einher, langsam und mit großen Schritten, wendet dazu den Rumpf im Takte nach rechts und nach links, gleichsam als ging 243 er durch eine Gasse von Zuschauern, denen er sich höflich erweisen wollte.

Ich sitze dabei und spiel auf meiner Flöte eine tolle Musik. Weiß nicht, woher mir die Töne kamen.

Wie mir nun aber plötzlich einfällt, daß ich auf dieser meiner Flöte noch diesen Morgen als ein ehrsamer Musikus mit ehrsamen Kollegen für ehrsame Zuhörer geprobt habe, da überkommt mich wieder eine Traurigkeit, daß ich die Flöte auf den Tisch lege und vor mich hinbrüte.

Jählings fällt mir was Rotes über die Schultern. Ist der Henkersmantel. Schaudert mich durch, als hätte sich mir eine Giftschlange um den Hals gewunden. Dazu ging ein Geruch von dem gottverfluchten Mantel aus, dessen gleichen ich sonst nie gerochen habe und den ich heute noch frisch im Gedächtnisse habe. Wird wohl bei den hundert und aber hundert greulichen Hinrichtungen ein Dunst von Marter und Todesnot in ihn geschlagen sein, den kein Wasser und keine Seife je wegzunehmen vermöchte.

Springe auf, packe den Mantel, reiß ihn mir ab, werf ihn über ihn und donnere ihn an: Tragt euer Schandkleid selbst, Schinder!

Er schleudert den Mantel ab. Ich seh an seinen Augen, daß er mein Blut will. Da er nun wirklich mit dem Schwerte ausholt, bedenk ich, daß Menschenhände und scharfer Stahl ungleiche Waffen sind. Springe hinter den Tisch 244 und ruf ihm zu: Ruhig Blut, Abdecker! Wollt ihr eurem Kollegen frische Arbeit geben, dem aus Magdeburg?

Er steht unbeweglich und bedenkt sich. Der Mord lauert fort und fort in seinen Augen. Ich nutze die Zeit und nehme einen Stuhl, daß ich doch eine Wehr hatte. Tat aber für dasmal nicht not. Er fällt unvermutet in sein heiseres Lachen und sagt: Recht habt ihr, feiner Herr! Schickt sich wohl ohne das.

Mir schien's indessen rätlich, ihm die Waffe nicht in der Hand zu lassen. Gehe zutraulich heran und sage: Ist übrigens ein Prachtstück, euer Schwert. Zeigt doch!

Er gibt's auch gleich her. War wirklich ein Prachtstück und aufs trefflichste gehalten, blank und scharf. Eine Inschrift war darauf, die lautete: O Mensch, wilt du nit fallen in des Scharfrichters Hände, mußt du dich von bösen Werken abwenden und bekehren.

So hielt ich denn ein echtes altsächsisches Richtschwert in der Rechten, vor dessen Schärfe hunderte von sündigen Häuptern mochten in den Sand gerollt sein. Das aber hatte es gewiß noch nicht erlebt, daß es von einem ehrlichen sächsischen Bauernsohn aus Abdeckers Hand empfangen wurde.

Legte das Schwert still auf den Tisch und sagte nichts mehr.

Wollen noch eins trinken, meint der Abdecker, aber mir war der Durst vergangen. Bin müde geworden, sag ich, und hab auch wohl 245 Ursache dazu. Habt ihr einen Ort, wo ich ein paar Stunden schlafen kann?

Ho, sagt er und hat Augen wie ein Wolf, wenn's weiter nichts ist, Schlaf sollt ihr haben und das Träumen extra. Nur keine Bange, feiner Herr, Träume sind Schäume.

Da ich nun wirklich müde war, acht ich nicht auf seine Worte. Ziehe meine Geldbörse, lege einen Taler auf den Tisch und sage, so würde es wohl recht sein. Er spielt den Gekränkten, kann's aber doch nicht lassen und steckt den Taler in die Tasche.

Nimmt seine Lampe und führt mich eine Treppe hinauf.

Die Stufen knarren und der Wind heult um das Haus.

War ein elend Gelaß, in das er mich führte. Ich war vom Elternhause und auch nachher, außer der letzten Zeit, weiß Gott keinen fürstlichen Schlafsaal gewohnt. Dies aber hätte man wohl eher für einen Stall angesehen, als für eine menschliche Kammer. Ein einziges, kleines Fenster war da, und das hatte keinerlei Vorhang. Die Wände waren die nackten Mauersteine, der Fußboden das graue Holz, das nie gestrichen war. Das Bett war groß genug, auch Matratze und Decke waren vorhanden; aber alles war unsauber und alt. Daneben stand ein Stuhl aus Eschenholz. Das war die ganze Einrichtung.

Ist denn kein Waschgerät da? frag ich unwillkürlich. Hier nicht, sagt der Abdecker. Mein 246 Hänslein brauchte keins. Müßt aber nicht denken, daß es wäre unsauber gewesen, das gute Hänslein. Wusch sich draußen am Brunnen. Hab es auch fein sauber in sein Kistlein gelegt, wie sie's mir haben überantwortet. Liegt ehrlich mit andern Christenmenschen auf dem Friedhof. Da drüben.

Ich trete zu ihm ans Fenster.

Der Regen hatte aufgehört und der Mond stand am Himmel. Konnt aber trotz meiner scharfen Augen nichts sehen, als den roten Schein von der Stadt. Kam mir wie das Paradies auf Erden vor, die Stadt mit ihrem Bürgerfrieden.

Der Abdecker zeigt auf einen Hügel unweit des Hauses und sagt: Unser Ehrenplatz von altersher. Dort hätt ich's auch meinem Hänslein besorgt, wäre die neue Mode nicht aufgekommen. War doch schöner in früheren Zeiten. Da hatte auch das Volk was davon. Mein Hänslein hat, wenn's hochkommt, seine dreißig Zuschauer gehabt.

So wußt ich denn auch den Rabenstein in nächster Nähe. Was konnt's helfen, ich mußte über mich ergehn lassen, was die Nacht bringen würde.

Wie der Abdecker hinaus war, wollt ich die Tür abschließen, war aber kein Schlüssel da. So rückte ich das Bett vor die Tür, daß er mich nicht überraschte. Mocht er's nun hören, es war mir ganz recht, daß er wußte, es ging nicht ohne Gegenwehr ab. In dem Bett wo der 247 Mörder geschlafen hatte, schlief ich natürlich doch nicht.

Eine andre Tür fand ich nicht. Auch den Fußboden untersucht ich sorgfältig und fand nichts Verdächtiges. So war ich einigermaßen beruhigt. Legte meinen Mantel auf den Fußboden und versuchte, einzuschlafen, denn ich hatte einen leisen Schlaf. Meinen guten Stock hatte ich dummerweise unten gelassen, aber mit dem Stuhl, der zum Glück da war, ließ sich schon was machen, wenn man den rechten Zorn einsetzte.

Und den hatt ich.

Denn wie ich so dalag, fiel mir ein, daß ich zwar die letzte Nacht auch auf dem Fußboden geschlafen hatte, aber unter einem Dache mit Uranien, und es hatte nur von meinem Willen abgehangen, daß alles blieb wie es war.

Sage zu mir: Hast dich wohl gebettet, Wilhelm Brinkmeyer! So geht es heutzutage dem, der sich von bösen Wegen abwendet und bekehrt. Hättest du dich dem Teufel anvertraut, so lägest du auf Eiderdaunen und hieltest das schönste Weib im Arm.

Da es nun aber trotz aller Wachsamkeit sehr dahingestellt sein mußte, ob ich das liebe Tageslicht wiedersehen würde, warnt ich mich selbst und sagte mir: Wilhelm Brinkmeyer, das sind nicht die Gedanken, mit denen sich ein Christenmensch zu etwaigem Tode bereitet. Du hast manches auf dem Kerbholze, und das übelste von allem ist noch frisch wie ungeronnenes Blut. Hast du dein Herz nicht heute geflissentlich vor 248 Gottes Stimme verstockt? Wie nun, wenn der Traum im Walde doch eine Mahnung von ihm gewesen wäre und du wärest jetzt verdammt, in alle Ewigkeit so fortzuträumen?

Träume sind Schäume, hatte der Abdecker gesagt und Augen wie ein Wolf dazu gemacht. Wer konnte wissen, ob der nicht mehr sah, als ehrliche Leute?

Versucht ich in meiner Angst mich mit Gott zu versöhnen. Sein Friede wollte aber nicht über mich kommen, entweder weil mein Gebet nur von der Angst erpreßt war, oder wegen der Heillosigkeit des Ortes.

Infolge meiner großen Müdigkeit verwirrten sich aber doch endlich meine Gedanken und ich war im Einschlafen.

Auf einmal hör ich, wie mir jemand ins Ohr sagt: Acht auf den Rabenstein!

Springe auf und trete an's Fenster. Sehe im Mondenschein, wie der Abdecker in Henkers Mantel und Barett auf dem Hügel steht, nach der Seite des Horizontes hin gewendet, wo der Friedhof liegen sollte. Das Richtschwert hält er in der Rechten und die Spitze ist auf mein Fenster gekehrt.

Wie ich nun seinem Blicke nachgehe, seh ich in weiter Ferne den Friedhof so deutlich daliegen, daß ich hätte können die Inschriften lesen, wenn ich's versucht hätte. Das kam mir aber nicht in den Sinn, denn ich mußte den Blick auf ein frisches Grab richten, das einsam in einer Ecke der Mauer lag.

249 Da merke ich, daß sich was in der Erde bewegt. Erst lose, dann gewaltsam, als wühlte ein Riesenmaulwurf darunter. Scholle auf Scholle wirft sich zur Seite. Der Sarg liegt blos. Der Deckel springt auf. Da liegt ein riesenhafter Mensch im Leichenhemd. Die Hände nicht über der Brust gekreuzt, sondern zu Fäusten geballt. Sonst schien alles in Ordnung.

Aber nun sah ich, daß der Kopf nur lose auf den Hals gelegt war. Der Tote hatte rote Haare. War der Kerl, von dem ich im Traume angefallen war. Der Schnitt im Halse schließt sich zusammen. Die Augenlider springen auf. Jetzt erkenn ich auch den Mörderblick. Der Körper hebt sich langsam. Er steht aufrecht. Die Augen sind starr auf den Rabenstein gerichtet.

Plötzlich wendet er sich. Er starrt auf mein Fenster. Die Augenlider zuckten nicht wie bei lebendigen Menschen, sondern standen unbeweglich offen.

Da fährt es mir durch die Glieder: Die Gestalt bleibt nicht auf ihrem Platze. Hebt sich aus dem Grabe und rückt vorwärts, rasch und rascher. Keine zehn Minuten, dann mußte sie da sein.

Ich stürze vom Fenster und lege mich auf den Boden, gleichsam als könnt ich mich verstecken. Hätt ich nur ein Stückchen Kreide gehabt, so hätt ich Tür und Wände mit Kreuzen bedeckt. Schrieb wenigstens mit dem blosen Finger drei 250 Kreuze auf die Tür, glaubte aber selbst nicht, daß es wirken könnte, weil ich meine Seele nicht gereinigt hatte, solange es Zeit war.

Legte mich wieder auf meinen Mantel. Meine Zähne klapperten aufeinander.

Da heulen die Hunde. Nun sind sie wieder still. Jetzt knarrt unten die Treppe. Es kommt herauf, Stufe auf Stufe. Es ist vor der Tür.

Sagt mir jemand ins Ohr: Hol deinen Junker!

Ich rufe gewaltsam hinaus: Kattenhausen in Not, hilf Kattenhausen!

Das Bett schnellt ab. Die Tür springt auf. Ich seh nicht hin.

Da erblick ich meinen Junker. Mitten im Zimmer. Wie ich ihn zuletzt gesehen habe. Die Tücher um den Kopf gebunden, seins und meins. Blut ist durchgesickert. Das Gesicht ist wachsbleich. Er sieht mich nicht und schreitet nach der Tür.

Ich falle in eine Betäubung.

Da ich wieder zu mir komme und die Augen aufschlagen will, sagt mir die fremde Stimme ins Ohr: stell dich tot!

Das tat ich. Spürte nun, daß einer neben mir stand. Da hör ich auch schon das heisere Lachen und der Abdecker sagt für sich: wohl, Hänslein!

Er weicht nicht von der Stelle. Ich kann den Atem nicht länger anhalten. Schnelle wie eine Viper in die Höhe, pack ihn am Gelenk und 251 entreiß ihm glücklich das Schwert, denn das hatt er richtig in der Faust.

Nun stoß ich ihn vor die Brust, daß er gegen die Wand taumelt, und donnere ihn an: Hund von einem Abdecker! Hast dir das Richtschwert frech angemaßt und verdienst, daß ich es an dir versuche! Will aber dem Satanas nicht vorgreifen, dem ihr angehört, du und dein Hänslein, mit eurem verruchten Zauberwesen. Für dasmal hat freilich ein guter Geist eure Höllenkünste zuschanden gemacht!

Ho, stößt er mit bleichen Lippen heraus, was redet ihr euch für Unsinn zurecht! Träume sind Schäume!

Im ersten Augenblick stutzt ich, denn es war mir selbst, als könnt ich den Spuk geträumt haben. Aber das »wohl, Hänslein«, das ich ganz deutlich gehört hatte, mußte doch seine Bedeutung haben. Vollends bewies mir aber der Stand des Bettes, daß ich den Besuch aus der Hölle wirklich im Zimmer gehabt hatte. Denn es war weit abgerückt, wie es damals geflogen war, und wenn das der Abdecker getan hätte, so hätt ich es bei meinem leisen Schlafe ganz unfehlbar gehört.

Also erkannt ich, daß mich mein guter Geist in dieser Nacht zweimal vom Verderben gerettet hatte. Denn daß der Abdecker mir ans Leben gewollt hatte, war ja augenscheinlich.

Vorsehen mußt ich mich immer noch. Man sah's ihm an den Augen an, daß er mir an die Kehle fuhr, wenn ich nicht aufpaßte, zumal er 252 ja fürchten mußte, daß ich ihn wegen Mordversuches anzeigen würde.

Da aber der Morgen dämmerte, also die bösen Geister keine Macht mehr hatten, fürchtete ich mich nicht. Legte meinen Mantel um, wobei ich den Schuft wie einen bösen Hund im Auge behielt, drehte ihn um, packt ihn hinten beim Kragen und stieß ihn zur Tür hinaus. Das Schwert warf ich auf das Bett.

Unten holt ich meinen Stock, der im Flur stand. Hielt den Kerl dabei fest, bis ich draußen in Gottes freier Luft war. Hier versetzt ich ihm den gebührenden Fußtritt, daß er zu Boden stürzte, und ging den Weg hinan, der nach der Stadt führte. Der Abdecker raffte sich auf und fluchte wie ein Rasender hinter mir her.

Ich ließ ihn toben und ging meines Weges. Auf einmal war er still. Das war für mich ein Signal, wieder auf der Hut zu sein. Wenn der Hund mich von hinten am Halse packte, war es um ich geschehen.

Muß bekennen, daß mich die Versuchung anwandelte, mein Heil in der Schnelligkeit meiner Füße zu suchen. Ich war immer der beste Läufer gewesen, als Schüler und als Soldat, und es hatte mich denn doch mitgenommen, was ich in dieser Nacht erlebt hatte. Auch konnt ich nicht wissen, ob der Unhold in seiner schäumenden Wut nicht ein Gewehr holte oder die Hunde losließ.

Die Anwandlung verschwand aber gleich wieder und veranlaßte mich im Gegenteil, recht 253 gemächlich einherzugehen. Auf mein Gehör durft ich mich verlassen und wenn es mein Schicksal gewesen wäre, daß ich den Tag sollte erschossen werden, so hätte sich mein Schutzgeist nicht so sichtbar um mich gemüht.

Als ich nun eine halbe Stunde gegangen war, hört ich von der Seite her, wo die Stadt lag, einen Hund anschlagen. Sah denn auch gleich darauf im Zwielicht einen Jägersmann daherkommen. War also gerettet und in Sicherheit.

Da überkam mich eine Schwachheit, daß ich an der Stelle, wo ich war, zu Boden sank und kein Glied rührte. 254

 


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