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Valerie zog sich in ihr Boot hinauf, hob Jerry, den Terrier, nach, setzte sich einen breiten Leinenhut auf und trocknete sich ab. Jerry besorgte dies an sich selbst durch kräftiges Schütteln und nahm dann wieder seinen Platz im Bug ein.
Seine Herrin aber streckte sich lang aus und ließ sich von der milden Oktobersonne der Cõte d'azur bescheinen. Ein Gefühl köstlichen Wohlbefindens durchströmte ihre Glieder, und in diesem kombinierten Meer- und Sonnenbad füllte sie sich mit Kraft, Gesundheit und Lebensfreude. Sie empfand es beinahe körperlich, wie mit jedem Sonnenstrahl das Behagen in ihre Haut drang. Braun war diese Haut. Glatt. Ohne Fehl. Straff gespannt über festen Muskeln. Valerie de Reux hätte das Idealmodell für eine weibliche Statue abgegeben, die den Eingang eines modernen Sportstadions zu schmücken hatte.
Täglich ruderte sie hinaus, kein anderer Wächter begleitete sie als Jerry, und trotzdem war sie unablässig unter der Obhut von wachsamen Augen: Vom Fenster seines Arbeitszimmers aus beobachtete Herr de Reux das Bad seiner Nichte. Wenn sie zurückkam, frisch, nach Luft und Meer duftend, fand sie ihn auf der kleinen Terrasse an dem Tisch wartend, auf dem ein kleiner Imbiß für sie gedeckt war. Es gab nichts Zärtlicheres, nichts Aufmerksameres als Herrn de Reux, den »Onkel« zu nennen sie seit langer Zeit gewöhnt war.
Auch an diesem Morgen hatte er am Fenster gestanden, das Opernglas in der Hand. Das war sein Geheimnis: Er liebte Valerie. Sie war für ihn der Inbegriff eines begehrenswerten Weibes. Ihre Jugend, ihre Gesundheit, ihre Frische bezauberten ihn. Er machte es zu seinem Geschäft, anderen Leuten Sensationen zu bieten, die auch die Blasiertesten unter ihnen befriedigen mußten. Und er? Seine Begierde griff nach dem zurück, das sich nie ändern wird, immer neu und begehrenswert ist: die unverbrauchte, unverdorbene Jugend. Hektor de Reux, fünfundfünfzig Jahre ein Lebemann, für den es keinen Schleier gab, zitterte, wenn er in die Nähe des jungen Mädchens kam.
Er stand also am Fenster. Neben ihm lag das Opernglas, das er ab und zu benutzte, um Boote, die vorüberkamen, schärfer zu mustern. Für gewöhnlich hatte er es nicht nötig; denn Valerie ruderte nie weit hinaus. Das hatte sie ihm versprechen müssen, ehe er seine Erlaubnis zu den alltäglichen Schwimmpartien gab. Ganz gleich, was auch vorging: In der Zeit, in der sie draußen schwamm, war er für niemand zu sprechen. Selbst der vornehmste Gast der Villa Plunkett mußte so lange warten, bis Valerie ihr Gabelfrühstück auf der kleinen Terrasse beendet hatte.
Da stand er und bewachte sie und verzehrte sich in einer Leidenschaft, die immer stärker in ihm brandete. Eines Tages mußte er ihr erliegen. Er wußte es. Er kämpfte dagegen an. Aber es war ein Kampf um eine verlorene Position …. Er hatte die Mutter geliebt. Der Teufel und er wußten, wie sehr …. Und Valerie war das Ebenbild der Mutter, nur um zwanzig Jahre verjüngt. Ihr Gesicht trug nicht die Spuren des ungeheuren Grams, den die Tragödie der Nacht zum 23. Mai des Jahres 1912 der Mutter aufgebürdet hatte. Eines Tages mußte die Leidenschaft ihn überwältigen – und dann – –
Er sah ein Motorboot sich der Schwimmerin nähern. Wie es seine Gewohnheit war, nahm er alsbald das Glas zur Hand und richtete es auf das kleine Fahrzeug. Drei Männer saßen darin. Ein Monegasse am Steuer. Rückwärts, in den beiden Korbsesseln, ein kleiner, dürrer Mensch, den er sehr gut kannte: Dale, der amerikanische Detektiv. Neben ihm, zum Teil durch ihn verdeckt, ein anderer, ein Fremder. Er sah nur das Profil des Gesichts: scharf, unglaublich scharf – –
Das Glas fiel ihm beinahe aus der Hand. Seine Finger verkrampften sich am Fensterbrett. Jetzt wendete der Mann das Gesicht zum Lande her, und Reux erkannte es …. Er erstarrte. Er hielt den Atem an.
Er sah ein Gespenst der Vergangenheit. Er hatte dieses Gespenst erwartet. Er wußte, daß es eines Tages erscheinen würde. Aber doch –: Als er diesen Mann, den er haßte und fürchtete, wie niemanden auf der Welt, in dem Boot, keine hundert Meter vor seinem Besitztum, vorüberfahren sah, überwältigte ihn beinahe der Schrecken. Der wilde Sprauhn hatte ihn gefunden!