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22

»Grauenhaft!« ächzte einer der Herren, der endlich so weit war, seinen Gefühlen Luft zu machen.

De Reux zeigte sich verwundert. »Meine Herrschaften, ich habe Ihnen ja im voraus gesagt, um was es sich handelte. Und auch der arme Giacomo mag gewußt haben, was seiner wartete …. Darf ich Sie bitten, meine Herrschaften, mir jetzt in den Spielsaal zu folgen? Herr Baron Erdöffy wollte heute eine Bank auflegen, und ich habe um den Vorzug gebeten, das erste Banco halten zu dürfen.«

Der Spielsaal war nicht sonderlich groß, nur für intime Gesellschaft bestimmt. Es spielte sich hier gewiß angenehmer als in den geräuschvollen, überfüllten Sälen des Kasinos.

Ladislaus Erdöffy saß bereits auf dem Platz des Bankiers, eifrig damit beschäftigt, zwei Spiele neuer Karten zu mischen.

»Nun, wie war's« fragte er den Spanier Guellada.

Der schien noch ein bißchen schwach in den Knien; seine gelbliche Haut zeigte Schattierungen von Grün, und sein sonst so unternehmend aufgezwirbelter Schnurrbart hing über die Mundwinkel herunter.

»Caramba!« brüstete er sich. »Für einen Mann wie mich, der selbst zwei solcher Duelle ausgetragen hat – allerdings nicht mit einem Käsemesser, sondern mit dem Degen –, war das weiter keine Sensation ….«

Der edle Don wußte noch manches zu sagen und erging sich sogar in fachmännischen Erläuterungen. Man hörte ihm zu; denn keiner war einstweilen in der seelischen Verfassung, daß er sich schon an den Tisch setzen und nach dem eben gesehenen Kampf nun den Kampf des großen und kleinen Schlagers hätte beginnen können. Erst allmählich beruhigten sich die Gemüter, und schließlich war die Gemeinde bereit, zu opfern und sich zu opfern.

Erdöffy schnitt gewandt die Karten und schob sie de Reux zum Abheben hin, der das erste Banco hielt. Der Hausherr überließ mit galanter Verbeugung das Vorrecht des Abhebens Lady Corsby, die mit spitzen Fingern diese wichtige Funktion erledigte. Die Karten wurden in den Schlitten gesteckt, Erdöffy gab ihnen einen aufmunternden Klaps, das Spiel begann. Hunderttausend Frank Banco. De Reux setzte, verlor, wiederholte den Satz, verlor abermals. Das Spiel wurde allgemein: Chips klirrten auf den Tisch. Hasse begann sich zu langweilen.

De Reux hatte das Spiel in Schwung gebracht; mehr wollte er nicht. Geschickt stahl er sich vom Spieltisch weg und kam zu Hasse hinüber, der in einer Ecke vor einem Glas Champagner saß, die Beine weit von sich gestreckt, die Hände in den Hosentaschen, und eben bei sich beratschlagte, ob er schlafen gehen solle oder nicht.

»Nun, Herr Hasse«, erkundigte sich de Reux als aufmerksamer Wirt, »darf ich fragen, wie es Ihnen bei uns gefällt?«

Hasse zog sich zu einer gesitteteren Stellung empor und wiegte überlegend den Kopf hin und her.

»Ich muß offen gestehen: Das Schauspiel, das mir heute abend geboten wurde, war mir nicht uninteressant. Vor allem die Regie. Ich gratuliere, Herr de Reux!«

Der Hausherr verbeugte sich lächelnd. »Wie ich sehe, lassen Sie sich durch keinerlei Illusionen fangen?«

»Im Grunde genommen bin ich ein armer Teufel: Ich werde nie mehr das Gruseln lernen ….«

De Reux nickte, mit dem Ausdruck höflichster Sympathie. »Die alte Geschichte! Zu schnell gelebt? Sie sind bestimmt nicht so alt, wie Sie aussehen. Das erkennt man am Gang, an der ganzen Haltung …. Ich täusche mich da nicht leicht.«

»Sie können auf Ihren Scharfblick stolz sein, Herr de Reux! Ich bin tatsächlich erst, wenn ich es genau sagen will, zweiundvierzig Jahre alt. Graues Haar? Bleiches Gesicht?« Er schwippte nachlässig die Asche seiner Zigarette in den Champagnerkübel. »Wie sagten Sie? Zu rasch gelebt? Das allerdings stimmt nicht ganz, Herr de Reux!« Sein Blick drehte sich langsam zu dem anderen hin. »Es geht auch anders herum: Ich habe in den letzten zwanzig Jahren überhaupt nicht gelebt. Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll …. Es ist ein Loch da, wissen Sie? Ein Loch von zwanzig Jahren. Allmählich erst muß ich es ausfüllen …. Verstehen Sie, was ich meine, Herr de Reux?«

Ein Lächeln, das völliges Verständnis andeutete, glitt über den hübschen, durch den Spitzbart nicht verdeckten Mund des Hausherrn.

»Ich denke nicht daran, in Ihre Vergangenheit einzudringen, Herr Hasse. Ich bin nur überrascht darüber, wie recht meine Nichte hat. Vielleicht, wenn wir näher miteinander bekannt werden, ergibt sich die Gelegenheit zu einer intimeren Aussprache. Möglicherweise kann ich Ihnen helfen – indem ich einen Menschen finde, der Ihnen doch die Lust erweckt, sich von Illusionen bluffen zu lassen ….«

»Frauen?«

»Ist der Ausdruck nicht ein bißchen zu zahm? Von der Sorte wie meine Damenwelt da –?« De Reux zeigte mit verächtlicher Handbewegung in seine Gesellschaft hinein.

»Man kann ja von vorn anfangen«, lächelte Hasse. »Mit dem naiven Weib gewissermaßen: unverbrauchte Tugend – ohne Oelfleck des Lasters ….«

De Reux antwortete mit zynischem Achselzucken. Anscheinend verstanden die beiden Männer einander großartig.

Pause.

Dann fragte Hasse: »Ihr Fräulein Nichte kommt wohl nie hierher?«

De Reux war peinlich berührt. »Erscheint Ihnen dieses Milieu geeignet für eine junge Dame von guter Erziehung?«

Hasse zog sich in die Höhe. »Eigentlich nicht ganz. Aber mir tut es persönlich leid: Ihr Fräulein Nichte – gestatten Sie eine Bemerkung, die Ihnen vielleicht überraschend klingen wird! – interessiert mich sehr.«

»Ah –?« Auch de Reux erhob sich jetzt, und die beiden standen einander gegenüber, lächelnd, liebenswürdig. Um sie herum eine Atmosphäre sorglosen Genusses.

»Ich weiß nicht – vielleicht täusche ich mich«, sagte Hasse. »Ich glaube, ich habe die Mutter der jungen Dame gekannt. Sie sind ihr Onkel, Herr de Reux? Dürfte ich, ohne unbescheiden zu sein, nach dem Grad der Verwandtschaft fragen?«

»›Onkel‹ ist eine euphemistische Bezeichnung: Ich bin ein Freund der Familie. Auch ich kenne die Mutter sehr genau. Es ist ihr nicht immer gut gegangen. Sie hat viel Sorgen und Kummer gehabt und ist in der letzten Zeit sogar schwer erkrankt. Ich habe daher das junge Mädchen zu mir genommen.«

Hasse streckte ihm die Hand hin. »Das heiße ich anständig gehandelt, Herr de Reux! Es ist nicht meine Art, Komplimente zu machen; aber gleich beim erstenmal, als ich Sie sah, glaubte ich, in Ihnen das zu sehen, was wir in meiner Heimat einen ›Kavalier‹ zu nennen pflegen – wenigstens früher so genannt haben. Ich weiß nicht, ob es diese Spezies Menschen heute noch gibt. Die hatten immer so etwas vom Don Quichotte an sich, waren edel, uneigennützig, stets bereit, für die Schwachen einzutreten, und mußten sich immer von den andern auslachen lassen.« De Reux fühlte seine Hand herzhaft gedrückt. »Ich kann mir indessen schwer vorstellen, daß Sie sich auslachen ließen ….?«

»Kaum.«

Man ließ sich wieder nieder. Hasse schien warm zu werden, aus sich herauszugehen. »Es ist für mich eine große Ueberraschung«, fuhr er fort, indem er sich ein neues Glas Champagner einschenkte und es hastig austrank, »jemand kennenzulernen, der in näheren Beziehungen zu Frau von Sprauhn steht ….« Er stockte; denn er hatte einen Namen ausgesprochen – den Namen, seinen eigenen Namen.

De Reux lächelte wieder. »Ich sehe: Wir brauchen keine Geheimnisse voreinander zu haben, Herr Hasse! Sie kennen die Familie sehr gut?«

Hasse nickte.

»Frau von Sprauhn war in erster Ehe an den Gutsbesitzer Anton Slevan verheiratet und der wurde erschossen …. Ja, ja, ich weiß es noch wie heute! Die Witwe heiratete dann später Philipp von Sprauhn …. Sie kennen die Geschichte, Herr de Reux?«

»Nur aus dem, was mir Frau von Sprauhn erzählte. Und daß sie nicht gern über diese Geschichte spricht, können Sie sich wohl denken!«

»Das kann ich mir sehr wohl denken! Der jüngere Bruder – – Haben Sie ihn gekannt, Herr de Reux?«

Der hob die Schultern. »Sie meinen Eugen Sprauhn, nicht wahr? Er wurde ja als Slevans Mörder verurteilt. Ich glaube, zwanzig Jahre hat er bekommen ….«

»Stimmt: zwanzig Jahre …. Lebten Sie damals auf Roboritz oder in der Nähe?«

»Roboritz? Ich kenne den Ort überhaupt nicht. Sie sprechen wohl von der Gegend, in der sich die Tragödie abgespielt hat?«

»Ja: Roboritz war das Gut Slevans. Frau von Sprauhn hat es dann später verkauft. Übrigens – eine Frage, Herr de Reux: Könnte man Frau von Sprauhn nicht sehen?«

»Sie ist zur Zeit krank. Sie werden begreifen, Herr Hasse: Die ganze Geschichte hat sie nie wieder losgelassen. Sie hat immer gekränkelt und gekränkelt, und ihr Leiden nahm neuerdings solche Formen an, daß ich sie leider in einem Sanatorium unterbringen mußte. Vielleicht wird es besser – – nun, sie kennen ja die Aerzte: Die sprechen sich nie recht aus. Und dann selbstverständlich, Herr Hasse …. Nur möchte ich jetzt eine Frage an Sie richten: Frau von Sprauhn hat Ihren Namen nie genannt ….«

»Das glaube ich schon«, nickte Hasse. »Sie kennt ihn ja auch gar nicht ….«

»Hm ….« De Reux wartete noch auf weitere Erklärungen.

Doch Hasse schwieg. Er saß zusammengesunken da und hob den Blick nicht von dem glänzenden Parkett. Er schien mit Erinnerungen zu kämpfen.


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