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25

Hasse blieb noch ein Weilchen sitzen, zahlte, wußte nichts Rechtes mit sich anzufangen und beschloß, zu Fuß nach Hause zu marschieren. Aus diesem der Gesundheit förderlichen Plan wurde indessen nichts; denn in der Garderobe stieß er auf de Reux, der eben mit zwei Autoladungen seiner Gäste vorgefahren war. Auch Valerie war mit von der Partie.

»Ich habe meinem Onkel endlich die Erlaubnis abgeschmeichelt«, lachte das junge Mädchen, »diese Stätte der Ausschweifung mit eigenen Augen besichtigen zu dürfen! Sie kommen aber mit einer so trostlosen Miene heraus, Herr Hasse? Viel verloren?«

»Im Gegenteil –: gewonnen! Doch das ist noch trostloser. Vielleicht aber sieht die Bude in Ihrer Gesellschaft anders aus? Wenn Sie gestatten, schließe ich mich Ihnen an.«

De Reux war angelegentlich damit beschäftigt, seinen Damen beim Ablegen der Garderobe behilflich zu sein. Scheinbar kümmerte er sich nicht um Valerie und Hasse, die etwas abseits von den anderen standen; doch dieser fühlte, ohne hinzusehen, daß sie unablässig beobachtet wurden.

Lady Corsby nahm Herrn de Reux für sich in Anspruch. Die anderen Paare folgten; Valerie und Hasse bildeten den Beschluß.

»Werden Sie auch das Glück versuchen?« fragte er.

»Selbstverständlich!« erwiderte das Mädchen. »Ich rechne sogar sehr stark dabei auf Ihre Mitwirkung: Baron Erdöffy hat mir anvertraut, Sie brächten Glück!«

Die Gesellschaft verteilte sich. De Reux führte seine Dame, die nur für Bakkarat schwärmte, in die Privatsäle. Valerie und Hasse nahmen an einem der Roulettetische Platz, an denen man schon mit fünf Frank den Kampf gegen die Übermacht der Bank aufnehmen kann. Und Hasses glückbringende Eigenschaft bewährte sich auch bei dieser Gelegenheit: Valerie gewann im Landumdrehen zweihundert Frank und strahlte.

»Das ist viel leichter, als ich mir's vorgestellt habe! Ich werde ein Vermögen gewinnen – und dann kauf' ich mir ein Schloß und laß' mir meine Toiletten nur in Paris arbeiten!«

»Machen Sie sich doch nicht schlechter, als Sie sind!« grinste Hasse. »Sie haben bestimmt noch andere Sorgen!«

»Meinen Sie?« Sie blickte halb über die Schulter zu ihm zurück und sah in diesem Augenblick sehr hübsch aus.

»Ja, das meine ich – oder ich müßte mich sehr irren ….«

»Soll ich mal den großen Wurf riskieren und hundert Frank setzen?« grübelte sie.

»Frage an das Schicksal?« Sein Blick glitt über den Tisch hin, blieb an dem einen oder anderen Gesicht ringsherum hängen. Er griff in die Tasche, zog einen Hunderter heraus und warf ihn auf die Nummer acht.

»Warum die Acht?«

»Das ist eine Unglücks- und Glückszahl für mich.« (Am achten Oktober hatte sich das Tor des Zuchthauses für ihn geöffnet.)

Sie schob hundert Frank ihm nach. »Ich verlasse mich mehr auf das Glück!«

Acht kam heraus. Die Chips schnellten in elegantem Bogen aus den Händen der Croupiers zu ihr hinüber.

Sie fing sie auf, lachend, übermütig wie ein Kind. »Das gehört alles uns?« jubelte sie. »Da wird der Onkel schauen! Aber mehr als eine Frage riskiere ich nicht. Kommen Sie! Oder wollen Sie sitzenbleiben?«

»Ich bin geradeso feige wie Sie, Fräulein Valerie.« Er lachte, und sie war überrascht über den Wechsel, der damit im Ausdruck seines Gesichts entstand: Die harten Linien darin glätteten sich und die kalten Augen verrieten Wärme.

Sie kassierten ihre Chips ein und tummelten sich durch die Säle. »Dort sitzt unser Freund Erdöffy!« Hasse zeigte auf den Ungarn, dessen Gesicht wieder einmal die dunkle und melancholische Färbung des Verlierers zeigte. »Auch einer, der mehr fragt, als das Schicksal beantworten kann, und sich dann wundert, wenn es ungnädig wird.«

Sie blieb lachend stehen. »Sind Sie immer so weise?«

»Durch Erfahrung wird man klug.«

»Erfahrung am grünen Tisch?« Sie wies mit weit ausholender Geste auf das Bild ringsum.

»Teils – teils. Ich möchte aber beileibe nicht, daß Sie wer weiß was in mir suchen!« Die Nähe dieses schönen, anziehenden Mädchens verfehlte nicht die Wirkung auf ihn.

Sie merkte das früher als er. »Gerade deshalb interessieren Sie mich«, sagte sie. »Haben Sie Courage?«

»Nicht viel.«

Sie maß ihn kritischen Blicks. »Na, Sie sehen nicht so aus! Ich hoffe, Sie haben soviel Courage, mit mir einen kleinen Spaziergang zu unternehmen …. Wir kehren dieser Lasterhöhle den Rücken und gönnen uns frische Luft. Wollen Sie? Sie können mir dann Ihre Erfahrungen schildern!«

Hasse war überrascht. Was wollte sie von ihm? Einen kleinen Flirt anfangen? Das Milieu, in dem sie lebte …. »Meine Geschichte ist aber nicht lustig.«

»Das nehme ich auch nicht an, Herr Hasse!« erwiderte sie, plötzlich ganz ernst.

Die größte Ueberraschung stand ihm aber noch bevor.

Sie schlenderten um das Kasino herum und wendeten sich den Terrassen zu, über die sich bereits die Dunkelheit senkte. In dem kleinen Hafen blinkten die Lichter auf, und über den Boulevard zog lärmend der unaufhörliche Strom der Automobile. Die Terrassen selbst lagen still, verlassen, verträumt – weit vor ihnen das Meer, dunkel und geheimnisvoll.

Valerie lehnte sich an die Brüstung und blickte schweigend hinaus. Den Mann neben ihr überkam eine seltsame Empfindung. Er wußte selbst nicht recht in diesem Augenblick, welcher Art diese Empfindung war; er fühlte nur, daß der Haß, den er immerwährend in sich herumtrug, zu schweigen begann. An die Mutter Valeries erinnerte er sich, die seines Bruders Frau geworden war; die geschworen hatte ….

Valerie drehte sich zu ihm hin, und er sah, daß ihr Blick ernst und forschend war. »Nun können wir miteinander sprechen! Ganz offen! Ich weiß, wer Sie sind –: Sie sind nicht Robert Hasse, sondern Eugen Sprauhn, der Bruder meines Stiefvaters!«


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