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Die Ueberraschung war so groß, daß er zuerst gar nicht wußte, was er antworten sollte. Sie schien auf einmal völlig verändert. »Woher wissen Sie das?« forschte er.
»Ich habe Sie sofort erkannt. Sie sehen meinem Stiefvater viel zu ähnlich, und – damit Sie es wissen – auch mein Onkel kennt Sie!«
Hasse hatte sich gefaßt. »Ist er denn Ihr Onkel?«
Kurz, trocken diese Frage. Es war dies kein Stelldichein, in dem zärtliche Sentiments ausgetauscht wurden. Zwei Menschen tasteten einander ab.
»Genau aus demselben Grunde nenne ich ihn ›Onkel‹, aus dem Sie sich einen falschen Namen beilegen. Oder halten Sie mich am Ende wirklich für die dumme Gans, die keine anderen Sorgen hat, als ihre Kleider in Paris arbeiten zu lassen, Herr Hasse?«
Er schaute ihr ins Gesicht, und sie hielt ihm stand.
»Wir wissen doch beide, wer de Reux ist.«
»Ich nicht. Ich kenne ihn ja erst seit fünf oder sechs Jahren. Mama hat nie über ihn sprechen wollen.«
»So? Trotzdem hat sie Sie mit ihm gehen lassen? Sie muß ihn also wohl sehr gut kennen ….«
Valerie überlegte. Ein Entschluß rang sich in ihr durch. »Ich habe Sie herausgebeten, weil ich mit Ihnen sprechen wollte. Als Sie mein Onkel –« Sie unterbrach sich, weil ihr das Lügenwort nicht recht über die Lippen wollte. »Als ich Ihnen vorgestellt wurde, sagte ich mir, wir hätten doch dasselbe Ziel; wir müssen – –« Sie war so erregt, daß sie nach Worten suchte.
Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Haben Sie vergessen, daß ich, als der Mörder Ihres Vaters, zu zwanzig Jahren Kerker verurteilt worden bin?«
»Nein!« rief sie mit einer Heftigkeit, die wie eine Explosion von innen heraus wirkte. »Ich glaube es nicht! Meine Eltern – ich meine: Mama und Ihr Bruder – haben immer wieder darüber gesprochen. Mama weinte dann. Und Papa – – er war so merkwürdig! Ich – ich glaube, sie haben furchtbar darunter gelitten, daß Sie unschuldig im Zuchthaus waren. Papa hat immer gesagt: ›Ein Sprauhn schießt nicht in den Rücken!‹ Das hat er gesagt, und, Herr von Sprauhn – ich muß Sie so nennen, wenigstens, wenn wir allein sind – ich fühle mich als eine Sprauhn! Ich gehöre dorthin, wohin meine Mutter gehörte mit ihrem Leben – und ihrer Liebe. Sie können sich ja nicht vorstellen, wie sehr sie meinen Stiefvater geliebt hat – Ihren Bruder! Ihre Seele ist mit ihm gestorben. Seitdem hat sie nur ein halbes Leben geführt ….«
Die Gespenster längst vergessener Gefühle regten sich in dem Manne, in dessen Leben ein Loch von zwanzig Jahren klaffte.
»Ich glaube, es ist am besten, ich spreche mit ihr selbst. Wo ist sie? Ich habe de Reux gefragt, ohne alle Umschweife. Wir spielen ein Spiel mit ganz offenen Karten. Gerade deshalb können wir nicht vorsichtig genug sein. Wo kann ich Ihre Mutter finden?«
»Wenn er es erfährt –!« Angst in ihrer Stimme. »Sie sind doch nun einmal in seinem Hause. Wenn Sie plötzlich wieder fortreisen –«
»Dafür ließe sich schon eine Ausrede finden. Aber ich muß Ihre Mutter sprechen, so schnell wie möglich! Wo ist sie?«
»In einem schlesischen Bad. Im Sanatorium in Kudowa. Wenn sie Sie sieht, Herr von Sprauhn, wird sie sich aufregen. Sie ist schwerkrank ….«
»Ich werde ihr schreiben«, sagte er nach einiger Zeit, »und sie vorbereiten. Dann wird sie nicht erschrecken, wenn sie mich zu Gesicht bekommt. Aber sprechen muß ich sie! Begreifen Sie doch: Ich kann nicht mein Leben lang als Mörder herumlaufen, der seine Strafe abgesessen hat!«
»Ich begreife das!« Kaum hörbar ihre Antwort.
Einige Zeit lang standen sie still nebeneinander und blickten auf die nächtliche Pracht des Meeres hinaus. Aus der Stadt her kam, wie aus einer verschollenen Welt, der Lärm des Verkehrs: Autos hupten, Klingeln der Elektrischen. Zwei Männer gingen vorüber, lachten.
Valerie zuckte zusammen. »Ich glaube, wir gehen lieber wieder hinein.« Sie wandten sich zum Kasino zurück. Keiner von ihnen drehte sich um und sah den Schatten, der nun hinter einem Gebüsch vorglitt …. Als sie den Spielsaal betraten, fanden sie die Gesellschaft so, wie sie sie verlassen hatten. Herr de Reux stand hinter dem Stuhl der Lady Corsby und erteilte wohlgemeinte Ratschläge. Er nickte Valerie freundlich zu, als sie in Begleitung Hasses erschien.
»Nun, wie gefällt es dir an diesem Ort der Sünde?« fragte er.
Valerie zuckte die Achseln. »Nicht besonders. Herr Hasse und ich waren auf der Terrasse. Dort ist es schön.«
»Stimmung, nicht wahr?« lächelte Herr de Reux.