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In der Nacht zum 22. Mai des Jahres 1912 saßen im Roboritzer Herrenhaus der Gutsherr Anton Slevan und sein Nachbar, Eugen Freiherr von Sprauhn, zusammen und tranken. Besser gesagt: Sie betranken sich. Sie saßen in dem ebenerdigen Rauchzimmer des Hausherrn bei geöffneten Fenstern, schrien, lärmten und fingen schließlich zu streiten an.
Sie waren beide wilde Gesellen, der Ältere sowohl wie der Jüngere. Trinken, Frauen, Spiel, Pferde – das waren die Gebiete, in denen sich ihr Leben bewegte.
Sprauhn war Oberleutnant in einem der berühmtesten Reiterregimenter der alten Monarchie, den Windischgrätz-Dragonern, und war schon zweimal von seinem Obersten verwarnt worden. Die Strafversetzung nach einem galizischen oder bosnischen Nest hätte ihm längst geblüht, wäre er nicht ein vollendeter Reiter gewesen. Bei den großen internationalen Turnieren in Paris, in Turin, in Aachen kämpfte er siegreich für die Farben der Armee. Aber er war nun einmal der »wilde Sprauhn«; das war seine Landmarke.
Er hatte einen älteren Bruder, Philipp, der das Fideikommiß verwaltete und ein ebenso ernster, besonnener Mensch wie gründlicher und geschickter Landwirt war. Bei aller Verschiedenheit der Charaktere hingen die beiden Brüder sehr aneinander, und in keinem Menschen fand Eugen Sprauhn einen beredteren Verteidiger als in seinem Bruder. »Was wollt ihr?« pflegte der zu sagen, wenn man ihm mit Klagen über Eugen kam. »Er ist zweiundzwanzig Jahre! Unser Vater hat auch vielen wilden Weizen gesät, ehe er sich am häuslichen Herd niederließ. Er wurde dann ein Mustergatte und -arbeiter. Der Eugen ist das lebende Abbild unseres alten Herrn. Laßt ihn nur!«
Das Schicksal aber strafte die brüderliche Überzeugung Lügen. In der obengenannten Nacht, in der der wilde Sprauhn mit Anton Slevan zusammensaß, fing er, wie gesagt, mit seinem Wirt zu streiten an. Über dessen Frau.
Slevan, auch in nüchternem Zustand nie sonderlich taktvoll und diskret, wurde, mit der angemessenen Quantität Alkohol im Leibe, die Brutalität selbst. Die Diener flüsterten und raunten, daß er in solchem Zustand zuweilen seine Frau geprügelt habe. Er hatte sie außerdem so lange mit seiner Eifersucht gequält, bis sie ihm ins Gesicht schrie, daß sie ihn verachte. Von da an ging er um sie herum wie ein bissiger Hund, sperrte sie oft tagelang in ihr Zimmer ein und ließ nicht einmal ihr Töchterchen Valerie zu ihr ….
»Ich weiß ja«, schnaubte er dem jungen Sprauhn ins Gesicht, »warum du immer hier herumhängst! Weil du hinter der Canaille her bist, meiner Frau …. Die kriegst du aber nicht! Die hat sich schon ein anderer genommen, du Blödian: dein Bruder, der Musterknabe!«
Da war der junge Sprauhn aufgesprungen. »Du bist betrunken und weißt wieder mal nicht, was du sprichst!«
Der andere hatte gelacht – höhnisch, voll Gift und Haß. »Ich hab' sie ja heut erst erwischt, wie sie im Garten zusammensaßen! Schäferstunde im Rosenhain …. Haha! Tat mir nur leid, daß ich die Hundepeitsche nicht mithatte. Aber das kannst du ihm von mir bestellen: Wenn er der Lisa noch einmal in die Nähe kommt, knall' ich ihn nieder!«
Da schlug der junge Sprauhn dem Slevan ins Gesicht, und sie kamen ins Raufen. Der Tisch, auf dem die Gläser und Flaschen standen, fiel krachend um. Sie fuhren aufeinander los wie die Berserker, und das ganze Haus dröhnte von dem Lärm. Die Diener und Mägde stürzten herbei, zum Teil aus ihren Betten heraus. Man riß die beiden auseinander. Der Reitknecht Nemeth und der Kammerdiener Hahn hängten sich an Sprauhns Arme und versuchten, ihn aus dem Zimmer zu zerren.
»Das zahl' ich dir heim, du Schurke!« brüllte Sprauhn, gab Hahn einen Fußtritt, daß der wimmernd liegenblieb, und stürzte noch einmal auf Slevan los, der, purpurrot im Gesicht vor Wut, breitbeinig dastand und seinem Feind wüste Schimpfworte entgegengellte.
Der Reitknecht Joseph Nemeth ließ aber Sprauhn nicht los. Und Johann Hahn packte ihn am Bein und riß ihn zu Boden. Als der Gärtner zur Hilfe anrückte, gelang es ihnen, ihn zu überwältigen. Es gab blaue Augen, geschundene Knochen und einen gotteslästerlichen Skandal. Aber schließlich stieg Eugen Sprauhn auf sein Pferd und ritt davon.
Am nächsten Abend krachte vor dem Herrenhaus ein Schuß. Der Gutsherr war nach dem Nachtmahl auf der Terrasse, von der einige Stufen zum Garten hinunterführten, hin und her spaziert und hatte, wie er es gewohnt war, seine Gutenacht-Zigarre geraucht. Der Mörder, der sich hinter einem nahen Gebüsch versteckt hielt, mußte auf den Moment gelauert haben, da sein Opfer sich umdrehte, um ins Haus zu treten.
Der Schuß, auf eine Entfernung von kaum dreißig Schritt abgegeben, hatte den sofortigen Tod herbeigeführt. Die Kugel gehörte zu einem Mannlicher-Jagdkarabiner, einer Type, wie sie in der Gegend allgemein im Gebrauch war.