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Nach unserem mißglückten Versuch, über die Samankaberge zu kommen, blieb uns keine andere Wahl, als geduldig in Ljesnowsk zu warten, bis die Flüsse gefroren und die Schneedecke tief genug sein würde, daß wir in Hundeschlitten unsere Reise nach Gischiginsk fortsetzen könnten. Es war ein langweiliger Aufschub, und zum erstenmale empfand ich, was es heißt, der Heimat und dem Vaterlande ferne und von aller Civilisation abgeschnitten zu sein. Der Major war sehr krank und in seinen Delirien fand die Sorge Ausdruck, welche ihm unsere Expedition in die Berge gemacht; er sprach stundenlang von der Abreise im Walfischboot nach Gischiginsk, gab Dodd, Wuschin und mir unzusammenhängende Befehle wegen der Pferde, Hundeschlitten, Boote und Vorräte. Sein ausschließlicher Gedanke, auf den er immer wieder zurückkam, war, Gischiginsk vor Winter zu erreichen. Da er krank und Dodd abwesend war, fühlte ich mich sehr einsam; ich saß in einem kleinen Zimmer mit durchscheinenden Fenstern aus Fischblase und las Shakspere und meine Bibel, bis ich sie fast auswendig wußte. Bei schönem Wetter hing ich meine Flinte um und strich in den Bergen umher, um Renntiere und Füchse zu jagen, hatte aber selten Erfolg. Ein Renntier und einige Schneehühner waren meine ganze Beute. Des Abends pflegte ich auf einem Querbalken in unserer 129 kleinen Küche zu sitzen, beim Schein einer kamtschadalischen Lampe, die aus einer Zinntasse voll Seehundsöl und etwas Moos bestand, und stundenlang den Liedern und dem Guitarrenspiel der Kamtschadalen und ihren abenteuerlichen Erzählungen von in den Bergen überstandenen Gefahren zuzuhören. Bei diesen kamtschadalischen Abendunterhaltungen erfuhr ich manches Interessante über Leben, Sitten und Gewohnheiten der Eingeborenen, und da ich später keine Gelegenheit mehr haben werde, von diesem merkwürdigen und wenig bekannten Volke zu sprechen, will ich hier einiges über ihre Sprache, Musik, Belustigungen, ihren Aberglauben und ihre Lebensweise berichten.
Das Volk selbst habe ich schon als ruhige, harmlose, gastfreie Halbbarbaren geschildert, die sich durch Ehrlichkeit, allgemeine Liebenswürdigkeit und eine übertriebene Ehrfurcht vor der Obrigkeit auszeichnen. Der Gedanke an Rebellion oder Widerstand gegen Unterdrückung ist dem kamtschadalischen Charakter jetzt vollständig fremd, wenn es auch zur Zeit ihrer Unabhängigkeit anders gewesen sein mag. Selbst die schlechteste Behandlung ertragen sie mit der größten Gutmütigkeit, ohne daß ihnen je der Wunsch kommt, sich zu rächen. Sie sind so treu und versöhnlich wie ein Hund. Wenn du sie gut behandelst, ist dein leisester Wunsch ihnen Gesetz; selbst unausgesprochene Bedürfnisse suchen sie zu befriedigen, um ihre Dankbarkeit für Freundlichkeit zu beweisen. Während unseres Aufenthaltes in Ljesnowsk fragte der Major eines Tages nach Milch. Der Starosta sagte ihm nicht, daß keine Kuh im Dorfe sei, sondern daß er sich bemühen wolle, ihm Milch zu verschaffen. Augenblicklich wurde ein reitender Bote nach der benachbarten Niederlassung Kinkil gesandt, und vor Abend kehrte er mit einer Champagnerflasche unter dem Arm zurück, und der Major konnte seinen Thee mit Milch trinken. Von diesem Tage bis zu unserer Abreise nach Gischiginsk – länger als vier Wochen – ritt jeden Tag ein Mann zwanzig Meilen weit, um eine Flasche frische Milch für uns zu holen. Dergleichen Dienste leisteten 130 die Leute wirklich aus Herzensgüte, ohne Berechnung oder in der Hoffnung auf Belohnung. Es ist dies nur ein Beispiel von der Art und Weise, wie die Kamtschadalen im allgemeinen uns behandelten.
Die ansässigen Eingeborenen von Nord-Kamtschatka haben gewöhnlich zwei verschiedene Wohnsitze, die sie je nach der Jahreszeit benutzen. Die Winterniederlassung »Zimnia« und die Sommerniederlassung »Letova« sind eine bis fünf Meilen von einander entfernt. In der ersteren, die gewöhnlich im Schutz eines bewaldeten Hügels liegt, wohnen sie von September bis Juni. Die Sommerresidenz befindet sich immer an der Mündung eines benachbarten Flusses oder Stromes und besteht aus einigen Jurten oder erdbedeckten Hütten, acht oder zehn konischen »Bologans« auf Stelzen und einer großen Anzahl Holzgestelle zum Trocknen der Fische. Zu Beginn des Juni begeben sich alle Bewohner zum Fischfang dorthin. Die Winterniederlassung ist völlig vereinsamt, sogar die Hunde und Krähen vertauschen sie mit der anziehenderen Umgebung der »Bologans«, welche ihnen reiche Ausbeute verspricht. Zu Beginn des Juli kommt der Lachs in ungeheurer Menge aus dem Meer in den Fluß, wird von den Eingeborenen in Körben, Schlagenetzen, Reusen, Fallen und vermittelst noch vieler anderer sinnreicher Erfindungen gefangen, von den Frauen mit der größten Geschicklichkeit und Geschwindigkeit aufgeschlitzt, gereinigt, von den Gräten befreit und in langen Reihen an horizontalen Pfählen zum Trocknen aufgehängt. Wie ein Matrose ans Land geht, in der Absicht, sich's wohl sein zu lassen, so schwimmt der arme Fisch mit dem vollen Vertrauen seines unerfahrenen Seelebens in den Fluß; aber ehe er noch recht zu sich kommt, wird er in einem Schlagenetz gefangen, mit hundert ebenso unschuldigen Leidensgefährten auf das Ufer geschüttet, mit einem großen Messer aufgeschlitzt, sein Rückgrat entfernt, sein Kopf abgeschnitten, seine Eingeweide werden herausgerissen und seine verstümmelten Überreste aufgehängt, um in der heißen Julisonne zu schmoren. Es ist schade, daß er nicht wenigstens 131 die melancholische Befriedigung genießt, zu sehen, mit welcher Gewandtheit und Schnelligkeit sein Körper zu einer erweiterten Nützlichkeitssphäre hergerichtet wird. Er ist jetzt kein Fisch mehr. In diesem zweiten Stadium passiven unbewußten Daseins erhält er einen neuen Namen, er heißt nunmehr »Jukala«.
Es ist geradezu erstaunlich, in welchen Mengen und auf welche Entfernungen diese Fische in den sibirischen Flüssen stromaufwärts schwimmen. Dutzende von Flüßchen, an denen wir im Innern Kamtschatkas siebzig Meilen von der Meeresküste vorüberkamen, waren dergestalt mit sterbenden, toten und verwesten Fischen angefüllt, daß ihr Wasser völlig unbrauchbar war. Selbst in kleinen Bächen, die so schmal waren, daß ein Kind darüber springen konnte, erblickten wir achtzehn bis zwanzig Zoll lange Lachse, welche eifrig stromaufwärts schwammen, in Wasser, das kaum tief genug war, ihren Körper zu bedecken. Wir fingen sie häufig mit den Händen und warfen sie dutzendweise ans Land. Je weiter sie flußaufwärts gehen, desto mehr verändert sich ihr Aussehen. Wenn sie gerade aus dem Meere kommen, sind ihre Schuppen glänzend und hart, ihr Fleisch fett und tief gefärbt, aber je weiter sie sich von demselben entfernen, desto mehr verlieren ihre Schuppen den Glanz, fallen ab, ihr Fleisch bleicht, bis es fast weiß ist, und sie selbst werden mager, trocken und geschmacklos. Aus diesem Grunde sind alle Fischfangstationen in Kamtschatka so nahe wie möglich an der Mündung der Flüsse. Nur dem Instinkt des Lachses in den Flüssen zu laichen, verdankt Nordostsibirien, daß es daselbst Niederlassungen gibt; ohne den großen Fischreichtum wären die Renntier-Korjäken die einzigen Bewohner. Sobald der Fischfang vorüber ist, verwahren die Kamtschadalen ihre » Jukala«-Vorräte in ihren »Bologans« und kehren in ihre Winterquartiere zurück, um Vorbereitungen für den Herbstzobelfang zu treffen. Fast einen ganzen Monat verbringen sie in den Wäldern und Bergen, um Fallen zu verfertigen und aufzustellen. Um eine Zobelfalle zu machen, wird in dem Stamme eines 132 starken Baumes eine vierzehn Zoll lange, vier Zoll breite und fünf Zoll tiefe Rinne ausgehöhlt, so daß das untere Ende derselben sich ungefähr auf der Höhe von des Zobels Kopf befindet, wenn das Tier aufrecht steht. Dann wird der Stamm eines kleineren Baumes zugeschnitten, das eine Ende desselben auf eine in den Boden gesteckte Holzgabel drei Fuß von der Erde gelegt, das andere Ende so zugerichtet, daß es in der zu seiner Aufnahme bereiten Rinne leicht auf- und abgleiten kann, und am oberen Ende der Rinne von einer einfachen Klammer gestützt, so daß unterhalb eine fast quadratische Öffnung von ungefähr vier Zoll für den Kopf des Zobels frei bleibt. Die Klammer wird nun mit einer Lockspeise versehen, und die Falle ist fertig. Der Zobel stellt sich auf die Hinterfüße, steckt seinen Kopf in das Loch; der schwere Balken, durch das Nachgeben der Klammer zum Gleiten gebracht, fällt und zerschmettert den Schädel des Tieres, ohne im geringsten das wertvolle Fell zu beschädigen. Ein Eingeborener stellt im Herbste wenigstens hundert solcher Fallen und sucht sie im Winter in kurzen Zwischenräumen auf. Mit diesem ausgedehnten und wohl organisierten System des Zobelfanges noch nicht zufrieden, jagen die Eingeborenen dieselben auf Schneeschuhen mit abgerichteten Hunden, treiben sie in Löcher, die sie mit Netzen umgeben, zwingen sie durch Feuer oder mit der Axt hervorzukommen und töten sie mit Knütteln.
Die Zahl der jährlich auf der Halbinsel Kamtschatka gefangenen Zobel beläuft sich auf sechs- bis neuntausend; sie werden alle nach Rußland und von da nach dem übrigen Europa ausgeführt. Der größte Teil aller russischen Zobel auf dem europäischen Markte stammt aus Kamtschatka und wird von amerikanischen Kaufleuten nach Moskau transportiert. W. H. Bordmann aus Boston und ein amerikanisches Haus in China, ich glaube die Firma heißt Roßell & Co., haben den ganzen Pelzhandel Kamtschatkas und der Küsten des ochotskischen Meeres in Händen. Der im Jahre 1867 den Kamtschadalen gezahlte Durchschnittspreis für ein Zobelfell belief sich auf 133 fünfzehn Rubel Nominalwert, der sich aber in Wirklichkeit auf ungefähr die Hälfte reduzierte, weil die Zahlung in Thee, Zucker, Tabak und anderen Waren nach der Schätzung des Händlers geleistet wurde. Beinahe alle Bewohner Central-Kamtschatkas sind während des Winters mittel- oder unmittelbar mit dem Zobelfang beschäftigt, und viele haben sich durch denselben eine behagliche Unabhängigkeit geschaffen.
Fischfang und Zobeljagd sind also die ernsten Beschäftigungen der Kamtschadalen; aber diese sind weit mehr charakteristisch für das Land als die Bewohner und vermitteln von den unterscheidenden Eigentümlichkeiten des kamtschadalischen Lebens nur einen unvollkommenen Begriff. Sprache, Musik, Belustigungen und Aberglauben eines Volkes geben in Bezug auf seinen wirklichen Charakter schätzenswerteren Aufschluß als seine regelmäßigen Beschäftigungen.
Die kamtschadalische Sprache dünkt mich eine der merkwürdigsten all der seltsamen Sprachen Asiens; nicht wegen ihrer Konstruktion, sondern wegen der eigentümlichen, wunderlichen Laute, an denen sie so reich ist, und ihrer gurgelnden Artikulation. Wenn rasch gesprochen wurde, mußte ich immer an Wasser denken, das aus einem Krug mit engem Halse fließt. Ein russischer Reisender behauptet, das Kamtschadalische werde halb im Munde und halb in der Kehle gesprochen; meiner Ansicht nach wäre es richtiger zu sagen, halb in der Kehle und halb im Magen. Es besitzt mehr Kehllaute als irgend eine asiatische Sprache, die ich gehört, und unterscheidet sich in dieser Hinsicht auch von den Dialekten der Tschutschken und Korjäken. Es ist, was die vergleichende Sprachwissenschaft ein »agglutinierende Sprache« nennt und scheint aus unveränderlichen Wurzeln mit veränderlichen Vorsilben zu bestehen. Soweit ich feststellen konnte, hat es keine Endbiegungen, und das Erlernen der Grammatik scheint keine Schwierigkeiten zu bieten. Die meisten Kamtschadalen im Norden der Halbinsel sprechen außer ihrer eigenen Sprache 134 auch noch russisch und korjäkisch, so daß sie in ihrer Weise ganz gebildete Sprachkundige sind.
Mich wollte immer bedünken, daß die Lieder eines Volkes für seinen Charakter bezeichnend seien, besonders wenn diese ihm eigen und nicht anderen Völkern entlehnt sind; ob, wie ein Schriftsteller behauptet, die Lieder den Charakter beeinflussen, oder ob sie aus demselben hervorgehen, das Resultat bleibt das gleiche, nämlich eine größere oder geringere Übereinstimmung zwischen beiden. Bei keinem der sibirischen Stämme tritt dies mehr hervor als bei den Kamtschadalen. Sie sind offenbar nie ein kriegerisches Volk gewesen. Sie besitzen keine Lieder, welche die Heldenthaten ihrer Vorfahren auf der Jagd oder dem Schlachtfelde besingen, wie viele der Indianerstämme in Nord-Amerika. Ihre Balladen tragen einen melancholischen, sinnigen Charakter; sie singen von Gram, Liebe und häuslichem Glück; die unedlen Leidenschaften, wie Stolz, Zorn und Rache, sind ihnen unbekannt. Ihre Musik hat für ein fremdes Ohr einen schauerlichen, seltsamen Klang; sie erweckt in unserem Geist ein Gefühl von Schmerz und Bedauern um etwas unwiderbringlich Verlorenes, wie ein Trauerlied am Grabe eines lieben Freundes. Wie Ossian von der Musik Carryls sagt, »sie ist wie die Erinnerung an vergangene Freuden – süß und doch traurig.« Ich erinnere mich besonders eines Liedes, »Penjinski« genannt, das die Eingeborenen von Ljesnowsk eines Abends sangen, als der süßesten und zugleich unaussprechlich traurigsten Weise, die ich je gehört. Es war die Klage einer verlorenen, verzweifelten Seele, die um Gnade fleht. Ich bemühte mich vergeblich um eine Übersetzung der Worte. Ob es die Erzählung eines blutigen, unheilvollen Zusammenstoßes mit ihren wilden nordischen Nachbarn oder die Totenklage um die Leiche eines erschlagenen, geliebten Sohnes, Bruders oder Gatten, konnte ich nicht erfahren. Die Musik rührte einem zu Thränen und hatte auf die Sänger selbst eine unbeschreiblich aufregende Wirkung. Die Tanzmusik der Kamtschadalen hat natürlich einen ganz anderen Charakter; 135 sie ist im allgemeinen sehr animierend; energische Staccatopassagen wiederholen sich fortwährend ohne Variation. Beinahe alle Eingeborenen begleiten sich selbst auf dreieckigen, mit zwei Saiten versehenen Guitarren, »Cellalika« genannt, und einige spielen ganz gut auf selbstgemachten Geigen. Leidenschaftliche Liebe zur Musik ist allen gemeinsam.
Die andern Zerstreuungen, denen sie huldigen, sind der Tanz, Wettrennen mit Hundegespannen und Schlagballspiel auf dem Schnee.
Die Winterreisen der Kamtschadalen werden immer auf Hundeschlitten ausgeführt, und auf keine andere Beschäftigung verwenden sie mehr Zeit, bei keiner kommt ihre angeborene Gewandtheit und ihr Scharfsinn mehr zur Geltung. Man kann sogar behaupten, daß sie Hunde für ihren Gebrauch geschaffen haben, denn der jetzige sibirische Hund ist weiter nichts als ein halbgezähmter, arktischer Wolf, mit all seinen wölfischen Instinkten und Eigentümlichkeiten. Es giebt wahrscheinlich in der ganzen Welt kein stärkeres, ausdauernderes Tier. Man kann ihn zwingen, bei 72° Kälte auf dem Schnee zu übernachten, ihn so schwer belasten, daß seine Füße aufbrechen und den Schnee mit Blut färben, ihn so hungern lassen, daß er sein Sattelzeug auffrißt, aber seine Stärke und sein Mut sind unüberwindlich. Ich bin mit einem Gespann von neun Hunden in einem Tage und einer Nacht mehr als hundert Meilen weit gefahren und habe sie öfters während achtundvierzig Stunden unausgesetzt angestrengt, ohne sie füttern zu können. In der Regel erhalten sie einmal am Tage Nahrung, und zwar einen einzigen getrockneten Fisch im Gewicht von anderthalb bis zwei Pfund. Dies geschieht am Abend, und sie beginnen ihre Tagesarbeit mit leerem Magen.
Der Schlitten aus trocknem Birkenholz, an den sie gespannt werden, ist ungefähr zehn Fuß lang, zwei Fuß breit und besitzt in hohem Grade die zwei wünschenswertesten Eigenschaften, Stärke und Leichtigkeit. Ein einfaches, mit Riemen aus Seehundshaut verbundenes Holzgestell ruht auf breiten, gebogenen Läufen. Eisen kommt bei 136 der Konstruktion nicht zur Verwendung, und das ganze Gefährt wiegt nicht mehr als zwanzig Pfund; trotzdem kann es vier- bis fünfhundert Pfund tragen und die ärgsten Stöße einer Reise in den Bergen aushalten. Die Zahl der an diesen Schlitten gespannten Hunde schwankt zwischen sieben und fünfzehn, je nach der fortzuschaffenden Last und der Bodenbeschaffenheit. Unter günstigen Umständen legen elf Hunde mit einem Mann und einer Last von vierhundert Pfund in einem Tage vierzig bis fünfzig Meilen zurück. Sie sind vermittelst eines in der Mitte hinlaufenden Riemens aus Seehundshaut, an den jeder einzelne Hund durch ein Kummet und einen Zugriemen befestigt ist, paarweise hintereinander an den Schlitten gespannt. Ein Leithund, der zu dem Zweck eigens abgerichtet ist, und die Stimme des Menschen genügen, um sie zu lenken. Der Kutscher hat keine Peitsche, sondern einen dicken Stock von zwei Zoll Durchmesser und vier Fuß Länge, der »Oerstel« genannt wird. Dieses hat am Ende eine lange, eiserne Spitze und dient dazu, den Schlitten zu hemmen, wenn's bergab geht, und die Hunde von der Verfolgung von Renntieren und Füchsen abzuhalten, denen sie häufig nachlaufen. Soll der Schlitten langsamer fahren, so stößt man vor einem der Kniee oder aufrechtstehenden Teile der Läufe das »Oerstel« in den Schnee, durch den es in dieser Stellung schleift, während man das obere Ende fest in der Hand hält. Es ist ein mächtiger Hebel und hemmt einen Schlitten rasch und wirksam. Ein Hundegespann zu lenken, ist eine der Künste, über die man sich am leichtesten täuscht. Auf den ersten Blick meint der Reisende gewöhnlich, mit einem Hundeschlitten zu fahren, sei gerade ebenso leicht, wie mit einem Wagen in der Straße, und bei nächster Gelegenheit macht er den Versuch. Wenn in den ersten zehn Minuten das Gespann mit ihm durchgeht, er selbst in den Schnee geworfen und sein Schlitten, das Unterste zu oberst, eine Viertelmeile von der Straße geschleppt worden, dämmert ihm, daß die Aufgabe nicht so leicht ist, wie sie aussieht, und im Verlauf eines Tages kommt er gewöhnlich 137 durch harte Erfahrung zu der Überzeugung, daß man zum Hundekutscher wie zum Dichter geboren sein muß.
Die Sommer- wie die Winterkleidung der Kamtschadalen ist meist aus Tierfellen gemacht. Ihr Winterkostüm besteht in Stiefeln aus Seehundshaut, welche, »torbassá« genannt, über schweren Strümpfen aus Renntierfell getragen werden und bis an die Kniee reichen; in Pelzhosen, die haarige Seite nach innen gekehrt; einer Kappe aus Fuchspelz mit einer langen Franse aus den Haaren des Vielfraßes; einem schweren »Kukhlánka« oder Oberhemd aus doppeltem Pelze, das den Körper bis an die Kniee bedeckt. Dasselbe wird aus den dicksten und weichsten Renntierfellen von verschiedenen Farben gemacht, am unteren Ende mit Seidenstickerei verziert, an den Ärmeln und am Halse mit glänzendem Biber garniert und unter dem Kinn mit einer viereckigen Klappe, die man über die Nase, und hinten am Halsausschnitt mit einer Kappe versehen, die man bei schlechtem Wetter über den Kopf ziehen kann. In einem derartigen Kostüm trotzen die Kamtschadalen wochenlang hintereinander der strengsten Kälte und schlafen ohne Gefahr und behaglich auf dem Schnee bei einer Temperatur von zwanzig, dreißig und selbst vierzig Grad unter dem Gefrierpunkte (Fahrenheit).
Die meiste Zeit während unseres langen Aufenthaltes in Ljesnowsk wurde damit verbracht, solche Kostüme zu unserem Gebrauche anzufertigen, gedeckte Hundeschlitten herzustellen, zum Schutz gegen die Winterstürme, und Bärenfelle in umfangreiche Schlafsäcke zu nähen, kurz, um uns für die Winterkampagne auszurüsten. 138