George Kennan
Zeltleben in Sibirien
George Kennan

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21. Kapitel.

Am Morgen des 23. November gelangten wir bei klarer, scharfer Luft von fünfundzwanzig Grad unter Null an der Mündung des großen Flusses Penschina an, der sich in den Penschinagolf, am nördlichen Ende des ochotskischen Meeres, ergießt. Eine dichte Wolke gefrorenen Nebels, welche über der Mitte des Golfes hing, bewies, daß dort offenes Wasser war; aber die Flußmündung war von großen Eisblöcken und holperigen, grünen Eisschollen, welche ein Südweststurm hereingetrieben, und die in wirren Massen zusammengefroren waren, vollständig versperrt. Durch den grauen Nebel konnten wir auf dem hochgelegenen Ufer der anderen Seite die eigentümlichen Umrisse der Xförmigen Jurten der Kamensker Korjäken unterscheiden.

Der Major, Dodd und ich überließen den Führern, die Renntiere und Schlitten, so gut sie könnten, hinüberzuschaffen, und machten uns auf den Weg, den wir zwischen ungeheuer großen, unregelmäßigen Eisblöcken suchen mußten. Bald kletterten wir auf Händen und Knieen über Eisberge, bald fielen wir in weite, tiefe Spalten oder stolperten mühsam über die vom mächtigen Wellenschlag des Meeres scharf gespaltenen Eisstücke.

Wir hatten fast das andere Ufer erreicht, als Dodd plötzlich ausrief: »Oh Kennan! Ihre Nase ist ganz weiß; reiben Sie dieselbe mit Schnee! schnell!« Ich bezweifle 185 nicht, daß der übrige Teil meines Gesichtes bei dieser erschreckenden Nachricht auch weiß wurde, denn der Verlust meiner Nase beim Beginn meiner arktischen Laufbahn wäre ein großes Unglück gewesen. Ich packte eine Handvoll Schnee, die jedoch mit scharfen Eissplittern gemischt war, und rieb das leblose Glied, bis keine Spur von Haut mehr an der Spitze blieb und setzte dann das Reiben mit meinem Fausthandschuh fort, bis mein Arm erlahmte. Wenn energische Behandlung sie retten konnte, war ich fest entschlossen, dieses Mal meine Nase noch nicht einzubüßen. Als sie endlich schmerzte, ließ ich nach und kletterte hinter Dodd und dem Major das steile, hohe Ufer hinauf in das Korjäkendorf Kamensk.

Die Niederlassung glich einer Sammlung titanischer, hölzerner Sanduhren, die von einem Erdbeben zusammengerüttelt worden. Die Häuser – wenn man sie so nennen kann – waren zwanzig Fuß hoch, von Treibholz errichtet, welches das Meer ausgeworfen, und konnten nur mit einer Sanduhr verglichen werden. Sie hatten weder Thüren noch Fenster, und um in das Innere zu gelangen, mußte man von außen an einem Pfahl hinaufklettern und sich an einem andern Pfahl durch den Kamin hinabgleiten lassen; die Möglichkeit, seinen Einzug auf diese Weise zu bewerkstelligen, hing von dem lebhafteren oder schwächeren Feuer ab, das darunter brannte. Rauch und Funken waren, obgleich unangenehm genug, verhältnismäßige Kleinigkeiten. Ich erinnere mich, daß mir in meiner Kindheit erzählt worden, der heilige Nikolaus komme durch den Kamin in das Haus, und obgleich ich mit blindem Kinderglauben die Behauptung hinnahm, konnte ich doch nie begreifen, wie das eigentümliche Kunststück, in einem Kamin herunterzuklettern, sicher ausgeführt werden könne, und war jedes Jahr stark in Versuchung, das Experiment zu probieren; nur die engen Ofenröhren, durch die man hindurch gemußt hätte, um in ein Zimmer zu kommen, hielten mich ab. Mein erster Eintritt in eine Korjäkenjurte zu Kamensk löste all meine früheren Schwierigkeiten und bewies die Möglichkeit, in der excentrischen Weise des heiligen Nikolaus in ein 186 Haus zu gelangen. Eine Menge wild aussehende, in Pelz gekleidete Eingeborene hatten sich im Dorfe um uns versammelt und starrten uns mit dummer Neugierde an, als wir unsern ersten Kletterversuch machten. Aus Achtung vor dem Rang und den ausgezeichneten Vorzügen des Majors erlaubten wir ihm, den Reigen zu eröffnen. Er kletterte behend den ersten Pfahl hinauf und ließ sich mit bewundernswertem Vertrauen in das dunkele, enge Kaminloch hinab, aus dem große Rauchwolken aufstiegen; aber in dem kritischen Augenblicke, da sein Kopf noch eben im Rauche sichtbar, aber sein Körper schon im Kamin verschwunden war, blieb er plötzlich stecken. Die Löcher in dem Holzbalken, an dem er hinunterklettern wollte, waren zu eng für seine mit schweren Pelzstiefeln bedeckten Füße, und so hing er in dem Kamin, ohne rückwärts noch vorwärts zu können – ein trostloses Bild der Hilflosigkeit. Thränen rannen aus seinen geschlossenen Augen, und der Rauch machte ihn husten und erstickte seine Stimme, wenn er um Hilfe rufen wollte. Endlich befreite ihn ein Eingeborener, der im Innern der Hütte seinen vergeblichen Bemühungen zugesehen hatte, aus seiner kritischen Lage und landete ihn sicher auf dem Boden. Durch seine Erfahrung kluggemacht, nahmen Dodd und ich gar keine Rücksicht auf die Löcher, sondern schlangen unsere Arme um den latten Pfahl und ließen uns hinabgleiten. Als ich meine thränenden Augen öffnete, wurde ich durch einen Chor gedehnter »Zda–rṓ–ō–o–va's« von einem halben Dutzend hagerer, schmieriger alter Frauen begrüßt, welche mit gekreuzten Beinen auf einer erhöhten Plattform ums Feuer saßen und Pelzkleider nähten.

Das Innere einer Korjäkenjurte – d. h. einer der hölzernen Jurten der ansässigen Korjäken, bietet dem, der sich nicht durch die Länge der Zeit an ihren Schmutz, Rauch und ihre eisige Atmosphäre gewöhnt hat, einen seltsamen, wenig einladenden Anblick. Sie empfängt ihr einziges Licht von sehr zweifelhafter Beschaffenheit durch das zwanzig Fuß über dem Boden befindliche runde Loch, welches als Fenster, Thüre und 187 Kamin dient, und zu dem man durch einen runden, mit Löchern zum Klettern versehenen Stamm gelangt, der im Centrum desselben senkrecht steht. Die Balken, Sparren und Stämme, welche die Jurte bilden, sind von dem Rauch, der sie beständig einhüllt, glänzend schwarz. Einen Fuß über der Erde befindet sich eine hölzerne Plattform, welche in einer Breite von sechs Fuß sich auf drei Seiten hinzieht, so daß in der Mitte ein freier Raum von acht bis zehn Fuß Durchmesser für das Feuer und einen großen kupfernen Kessel mit schmelzendem Schnee übrig bleibt. Auf der Plattform sind drei oder vier quadratische Pologs von Fellen errichtet, welche den Bewohnern als Schlafstätten und Zufluchtsort vor dem Rauche dienen, der manchmal ganz unerträglich wird. Ein kleiner Kreis flacher Steine auf dem Boden im Mittelpunkte der Jurte dient als Feuerraum, über welchem gewöhnlich ein Kessel voll Fisch- oder Renntierfleisch kocht, woraus mit getrocknetem Salm, Seehundsspeck und ranzigem Öl die Speisekarte der Korjäken besteht. Alles, was man berührt, trägt die Zeichen korjakischen Ursprungs, Fett und Rauch. Wenn jemand die Jurte betritt, so erfährst du diese Thatsache durch eine vollständige Verfinsterung der Kaminöffnung und eine plötzliche Dunkelheit, und wenn du durch einen Nebel von Renntierhaaren aufblickst, welche vom Pelzrock des Ankömmlings abgeschabt werden, siehst du ein Paar dünne Beine, die in einer Rauchwolke den Pfahl herabsteigen. Die Beine seiner Bekannten erkennt man bald an ihrer Form und Bekleidung; ihre Gesichter kommen als Mittel, ihre Identität festzustellen, erst in zweiter Linie in Betracht. Wenn du Iwans Beine den Kamin herunterkommen siehst, hast du die moralische Gewißheit, daß Iwans Kopf oben irgendwo im Rauche steckt, und Nikolas' Stiefel, die sich im Eingangsloch in kühnem Relief vom Himmel abheben, sind ein ebenso befriedigender Beweis von Nikolas' Identität, wie es sein Kopf sein würde, wenn dieser Teil seines Körpers zuerst erschiene. Die Beine sind deshalb die ausdrucksvollsten Züge einer Korjäkenphysiognomie, vom innern Standpunkt aus betrachtet. 188 Wenn der Schnee gegen die Jurten getrieben wird, so daß die Hunde an den Kamin gelangen können, ist es ihr Entzücken, um das Loch herum zu liegen, in die Jurte zu spähen und die Dünste, welche von dem kochenden Fische aus dem großen Kessel aufsteigen, zu schnüffeln. Nicht selten geraten sie wegen des besten Observationspunktes in Streit, und in demselben Augenblick, da du dein Mittagessen aus gekochtem Salm vom Feuer heben willst, plumpst ein kläffender Hund in den Kessel, während sein triumphierender Gegner mit der Schadenfreude befriedigter Rache auf sein unglückliches Opfer durch das Kaminloch herabblickt. Ein Korjäke nimmt den gebrühten Hund am Schopfe, trägt ihn den Kamin hinauf, schleudert ihn über den Band der Jurte in den Schnee und verspeist dann mit ungetrübter Gemütsruhe die mit Hund gewürzte und mit Haaren verdickte Fischsuppe. Haare, und besonders Renntierhaare gehören zu den unerläßlichen Zuthaten jedes in einer Korjäkenjurte gekochten Gerichts; wir eigneten uns in Hinsicht darauf bald eine vollkommene Gleichgiltigkeit an. Was für Vorsichtsmaßregeln wir auch ergreifen mochten, sie fanden stets ihren Weg in Thee und Suppe und klebten am gebratenen Fleische. Jemand ging oder kam beständig über dem Feuer, und die durch das Kaminloch gezwängten Renntierfellröcke verbreiteten eine förmliche Wolke von kurzen grauen Haaren, welche in alles fielen, was auf dem Feuer stand. Unsere erste Mahlzeit in der Korjäkenjurte zu Kamensk war deshalb durchaus nicht befriedigend.

Wir waren noch nicht zwanzig Minuten in der Niederlassung, als die Jurte, in der wir uns befanden, gedrängt voll dumm und roh aussehender Männer war, die, in gefleckte Renntierfelle gekleidet, in ihren Ohren Schnüre von bunten Perlen und schwere, zwei Fuß lange Messer in Scheiden um ihre Beine gebunden trugen. Sie waren offenbar eine andere Klasse von Eingeborenen, wie die, welche wir bis jetzt gesehen hatten; ihre wilden, tierischen Gesichter flößten uns wenig Vertrauen ein. Bald erschien jedoch ein hübscher Russe, näherte 189 sich uns mit entblößtem Kopfe, verbeugte sich und stellte sich als Kosak von Gischiginsk vor. Der Kurier, der Ljesnowsk vor uns verlassen, hatte Gischiginsk zehn Tage vor uns erreicht, und der Gouverneur hatte uns einen Kosaken nach Kamensk entgegengesandt, der uns durch die Dörfer der ansässigen Korjäken um die Spitze des Penschinagolfs geleiten sollte. Der Kosak säuberte die Jurte von den Eindringlingen, und der Major befragte ihn über den Charakter des Landes nördlich und westlich von Gischiginsk, die Entfernung von Kamensk zum russischen Vorposten Anadyrsk, die Reisegelegenheiten im Winter, und in wieviel Zeit diese Reise auszuführen sei. In der Besorgnis, der Oberingenieur habe eine Abteilung Männer am Anadyr landen lassen, hatte Major Abaza beschlossen, direkt von Kamensk nach Anadyrsk zu reisen, um dieselben aufzusuchen und Dodd und mich in westlicher Richtung längs der Küste des ochotskischen Meeres Mahood und Bush entgegenzuschicken. Der Kosak teilte uns mit, daß gerade vor seiner Abreise eine Gesellschaft Leute auf Hundeschlitten vom Anadyr in Gischiginsk angekommen sei, aber von der Anwesenheit von Amerikanern am Anadyr nichts berichtet hätte. Oberst Bulkley, der Oberingenieur des Unternehmens, hatte uns, als wir San Franzisco verließen, versprochen, daß er eine Abteilung Leute, an oder in der Nähe der Anadyrmündung mit einem Walfischboot so zeitig wollte landen lassen, daß sie den Fluß aufwärts bis Anadyrsk gelangen und sich gleich zu Beginn des Winters mit uns in Verbindung setzen könnten. Dies war offenbar nicht geschehen, sonst hätten die dortigen Bewohner etwas davon gewußt. Die ungünstige Beschaffenheit des Landes in der Umgebung der Behringsstraße, oder die vorgerückte Jahreszeit, als die Schiffe der Gesellschaft jenen Punkt erreicht, hatten vermutlich zum Verzicht auf diesen Teil des ursprünglichen Planes geführt. Major Abaza hatte diese Absicht nie gebilligt, aber er war doch ein wenig enttäuscht, als er vernahm, daß keine Abteilung gelandet war, und daß es ihm verblieb, mit vier Männern die achtzehnhundert Meilen Landes zwischen der 190 Meerenge und dem Amur zu erforschen. Der Kosak versicherte, wir könnten uns ohne Schwierigkeit in Gischiginsk Leute und Hundeschlitten zur Erforschung irgend eines Landesteiles in westlicher oder nördlicher Richtung verschaffen und stellte uns von seiten des Gouverneurs jede nur gewünschte Unterstützung in Aussicht.

Unter diesen Umständen blieb also nichts übrig, als nach Gischiginsk weiter zu reisen, das, nach Aussage des Kosaken, in zwei bis drei Tagen zu erreichen war. Die Korjäken von Kamensk wurden beordert, sofort für ein Dutzend Hundeschlitten zu sorgen, welche uns zur nächsten Niederlassung Schestakówa befördern sollten, und das ganze Dorf war alsbald unter der Aufsicht des Kosaken beschäftigt, unser Gepäck und unsere Vorräte aus den Renntierschlitten der nomadischen Korjäken in die langen und schmalen Hundeschlitten von deren ansässigen Verwandten zu transportieren. Unsere alten Führer wurden nun mit Tabak, Perlen und Kattun in auffallenden Farben abgelohnt, und trotz vielem Hin- und Hergezänk zwischen den Korjäken und unserm neuen Kosaken Kerrillof war bald alles zur Abreise bereit. Obgleich fast Mittag, war die Luft noch scharf wie ein Messer; wir hüllten unsere Gesichter und Köpfe in große Pelzkragen, bestiegen unsere Schlitten, und die wilden Hunde von Kamensk jagten in einer wahren Schneewolke, welche die »oerstels« ihrer Führer aufgewühlt, das Dorf hinaus und das hohe Ufer hinunter.

Der Major, Dodd und ich fuhren in bedeckten Schlitten, welche den Sibiriern als »pavoskas« bekannt sind; aber das tolle Fahren der Kamensker Korjäken ließ uns in weniger als einer Stunde bereuen, daß wir keine andern gewählt, von denen wir bei einem Unfall leichter hätten abspringen können. Einstweilen waren wir so eingeschachtelt, daß wir ohne Hilfe uns gar nicht bewegen konnten. Unsere Pavoskas glichen ganz und gar langen, schmalen Särgen, die mit Seehundsfell bedeckt, auf Läufe gestellt und am Kopfende mit einer steifen Kappe überdacht waren, gerade groß genug, um darin aufrecht sitzen zu können. An dem Rande dieses 191 Verdecks war ein schwerer Vorhang befestigt, der bei schlechtem Wetter herabgelassen und festgeknöpft werden konnte, so daß Luft und Schneegestöber ausgeschlossen waren. Wenn wir in diesen Schlitten saßen, steckten unsere Beine in der langen, sargähnlichen Kiste, auf welcher der Kutscher seinen Sitz nahm, und unsere Köpfe und Schultern wurden von dem Verdeck aus Seehundsfell beschützt. Unsere Körper waren derartig zwischen Kissen und schweren Pelzen eingekeilt, daß wir uns weder drehen noch wenden konnten. In dieser hilflosen Lage waren wir ganz in der Gewalt unserer Kutscher; wenn es ihnen beliebte, uns über den Rand eines Abgrundes gleiten zu lassen, blieb uns nichts übrig, als die Augen zu schließen und auf die Vorsehung zu vertrauen. Siebenmal in weniger als drei Stunden warf mein Kamensker Kutscher mit Hilfe von vierzehn verrückten Hunden und seinem »oerstel« um, so daß mein Pavoska das Unterste zu oberst zu liegen kam, schleifte ihn in dieser Lage, bis das Vordeck voll Schnee war und ließ mich dann auf dem Kopfe stehen, mit meinen Beinen in der engen Kiste und meinem Gesicht im Schnee, während er ein Pfeifchen rauchte und über die Schwierigkeiten einer Gebirgsreise im allgemeinen und die umstürzenden Tendenzen von Hundeschlitten im besonderen Betrachtungen anstellte. Es war zum Tollwerden! Ich bedrohte ihn mit dem Revolver, schwur entrüstet bei allen bösen Geistern der korjäkischen Theogonie, wenn er mich wieder in dieser Weise umwerfe, ich ihn auf der Stelle totschießen würde. Alles vergeblich. Er war zu unwissend, um sich vor einer Pistole zu fürchten, und meine mörderischen Drohungen verstand er nicht. Er kauerte sich auf seine Fersen in den Schnee, blies seine Backen mit Rauch auf und starrte mich mit dummem Erstaunen an, als ob ich ein wildes Tier sei, das ohne irgend welche Ursache eine seltsame Neigung besitzt, zu plappern und Grimassen zu schneiden. Wenn er die Läufe seines Schlittens eisen wollte, was wohl dreimal pro Stunde der Fall war, stürzte er kaltblütig den Schlitten um, stützte denselben mit seinem »oerstel«, 192 und ich stand auf meinem Kopfe, während er die Läufe mit Wasser und einem Stück Renntierfell bearbeitete. Das brachte mich schließlich zur Verzweiflung, und es gelang mir nach längerem Kampfe, aus meiner sargartigen Kiste herauszukommen. Mit entrüsteten Gefühlen und rachsüchtigen Gedanken nahm ich neben meinem durch nichts zu erschütternden Peiniger Platz. Nun litt meine unbeschützte Nase wieder vom Frost, und meine Zeit, bis wir Schestakowa erreichten, war damit ausgefüllt, mit der einen Hand dieses lästige Glied zu reiben, mich mit der andern festzuhalten oder mich mit beiden aus dem Schnee aufzuraffen.

Die einzige Befriedigung, die ich hatte, war, daß es dem Major durch die Albernheit und Schändlichkeit seines Kutschers noch viel schlimmer erging als mir. Wollte er weiter fahren, so bestand sein Kutscher darauf, einzuhalten, um ein Pfeifchen zu schmauchen; wollte er rauchen, so warf der Kutscher den Schlitten um und setzte ihn in den Schnee; wollte er einen besonders steilen Hügel zu Fuß hinuntergehen, so trieb der Kutscher seine Hunde an und raste mit ihm auf Gefahr seines Lebens den Berg hinab gleich einer Lawine; wollte er schlafen, so bedeutete ihm der Kutscher in unverschämter Weise, er solle machen, daß er herauskomme und die Anhöhe hinaufspazieren; bis endlich der Major den Kosaken Kerrillof herbeirief und dem Korjäken nachdrücklich kund thun ließ, wenn er seinen Befehlen nicht gehorche und entgegenkommender sei, er ihn an seinen Schlitten gebunden in Gischiginsk dem russischen Gouverneur zur Bestrafung ausliefern werde. Das nützte allerdings etwas; aber alle unsere Fuhrleute waren von so unverschämter, herausfordernder Roheit, wie wir sie in Sibirien noch nicht kennen gelernt. Der Major erklärte, wenn unsere Linie ausgeführt und er über genügende Kräfte verfügen würde, er den Kamensker Korjäken eine Lektion erteilen wolle, an die sie denken sollten.

Wir fuhren den ganzen Nachmittag über einen wellenförmigen Landstrich ohne allen Pflanzenwuchs, der 193 sich zwischen einer kahlen, mit Schnee bedeckten Bergkette und dem Meere hinzog, und mit hereinbrechender Nacht erreichten wir die Niederlassung Schestakowa, die auf der Küste an der Mündung eines kleinen Flusses mit waldigen Ufern lag. Wir verweilten nur kurze Zeit, um unsern Hunden Ruhe zu gönnen, und fuhren dann nach einem andern Korjäkendorf, Mikina, zehn Meilen weiter westlich, um daselbst die Nacht zu verbringen.

Mikina war das Ebenbild von Kamensk, nur in kleinerem Maßstabe. Es hat dieselben Sanduhr-Häuser, dieselben konischen »Bologans« auf Stelzen, und die nämlichen großen Skelette von Seehundsfell-»baideras« oder Meerbarken waren in einer Reihe auf dem Strande aufgepflanzt. Wir kletterten an der ansehnlichsten Jurte des Dorfes hinauf – über welcher ein toter, ausgenommener Hund mit einem Kranz von grünem Gras um den Hals hing – und glitten durch den Kamin in ein elendes bis zum Ersticken mit blauem Rauch gefülltes Zimmer, das nur durch ein glimmendes Feuer erhellt wurde und nach faulem Fisch und ranzigem Öl duftete. Wuschin hatte bald den Theekessel auf dem Feuer, und in zwanzig Minuten saßen wir wie Türken auf der erhöhten Plattform am einen Ende der Jurte, kauten hartes Brot und tranken Thee, während ungefähr zwanzig häßliche, wild aussehende Männer um uns herum kauerten und jede unserer Bewegungen bewachten.

Die am Penschinagolf ansässigen Korjäken sind unstreitig die schlimmsten, häßlichsten, rohsten und verderbtesten Eingeborenen von ganz Nordost-Sibirien. Es sind ihrer nur drei- bis vierhundert, die in verschiedenen Niederlassungen der Seeküste entlang wohnen, aber sie verursachten uns mehr Unannehmlichkeiten, als alle anderen Bewohner Sibiriens und Kamtschatkas zusammengenommen. Ursprünglich führten sie auch ein Nomadenleben wie die andern Korjäken; da sie aber durch irgend ein Unglück oder eine Seuche ihre Renntiere verloren, errichteten sie Häuser von Treibholz an der Seeküste, ließen sich nieder und gewinnen jetzt einen kärglichen Unterhalt durch Fisch- und Seehundsfang und 194 machen Jagd auf Walfischgerippe, welche von den amerikanischen Walfischfängern ihres Speckes entblößt und vom Meere an die Küste getrieben worden sind. Sie sind grausam und roh von Natur, unverschämt gegen jedermann, rachsüchtig, unehrlich und unwahr. Von den nomadischen Korjäken sind sie in allem das Gegenteil. Die Gründe für diese Verschiedenheit sind mannigfaltig. Die Dörfer der ansässigen Korjäken werden häufig von russischen Händlern besucht, und von diesen und den russischen Bauern haben sie einige der schlimmsten Laster der Civilisation angenommen ohne ihre Tugenden. Hierzu kommt der demoralisierende Einfluß der amerikanischen Walfischfänger, welche ihnen den Rum und schreckliche Krankheiten gebracht haben, die durch ihre Nahrung und Lebensweise noch verschlimmert werden. Von den Russen haben sie lügen, betrügen und stehlen gelernt, von den Walfischfängern das Rumtrinken und die Ausschweifung. Außerdem genießen sie den berauschenden sibirischen Krötenstuhl in unmäßigen Mengen, und diese Gewohnheit allein würde genügen, irgend welche Menschen mit der Zeit im höchsten Grade herabzuwürdigen und zu verrohen. Fast allen diesen entsittlichenden Einflüssen bleiben die wandernden Korjäken durch ihre Lebensweise fern. Sie verbringen mehr Zeit im Freien, haben eine gesündere Körperbeschaffenheit, russische Händler und Wodka kommen ihnen selten zu Gesicht, und sie sind im allgemeinen mäßig, keusch und männlich in allen ihren Gewohnheiten. Die natürliche Folge ist, daß sie in moralischer, physischer und geistiger Hinsicht bessere Menschen sind, als die ansässigen Eingeborenen je sein werden oder sein können. Ich hege für viele der wandernden Korjäken, denen ich gelegentlich auf den großen sibirischen »Tundren« begegnete, aufrichtige und herzliche Bewunderung, aber ihre ansässigen Verwandten sind die schlimmste Menschensorte, die ich in Nordasien von der Behringsstraße bis zum Uralgebirge kennen lernte. 195

 


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