Egon Erwin Kisch
China geheim
Egon Erwin Kisch

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Spekulationen mit dem Geld

I. Gold

Der Schrei nach dem Gold dringt aus der Kiukiang Road, der Wallstreet Chinas, weit über die Nachbarschaft hinaus.

So gellend brüllt kein Ertrinkender, so gierig stöhnt kein Hungriger, so verzweifelt schreit kein Überfallener, so herzzerreißend tobt kein Gefolterter.

Das Gekreisch der Börsianer in andern Großstädten ist eine stille Andacht dagegen, alle Börsensäle sind lauschige Plätzchen gegen den von Shanghai. Sollten wir je etwas anderes behauptet, zum Beispiel der Chicagoer Weizenbörse ein Primat des Radaus zugesprochen haben, so nehmen wir dies hiermit vor dem versammelten Börsenrat der Shanghaier Gold-Bar-Exchange mit dem Ausdruck tiefgefühlten Bedauerns zurück. Und glauben nicht, es jemals zurücknehmen zu müssen, wenn wir der Shanghaier Goldbörse den Lärm-Weltpreis zuerkennen.

Einst wurde das Gold hier nicht wegen seines Fetischwertes erhandelt, sondern als Produktionsmittel: die Gilde der chinesischen Goldschmiede kam hier täglich zusammen, um nach Angebot und Nachfrage den Preis ihres Rohmaterials festzusetzen. 25

Den Fremden haben Chinas Goldschmiede die Lehre zu verdanken, daß Gold durch Arbeit nicht viel gewinnen kann, wohl aber durch Spekulation und Arbitrage. Das Gold, das heutzutage den Goldrausch auf der Börse hervorruft, ist schon deshalb zur Verarbeitung ungeeignet, weil es größtenteils gar nicht existiert. Soweit es existiert, hat es eine andere Feinheit (0,978) als die, mit der der chinesische Goldschmied arbeitet (0,992), und demnach auch einen andern Preis. Nein, Börsengold ist nicht Arbeitsgold.

Nichtsdestoweniger hat sich diese Börse gewisse Charaktereigenschaften aus jenen Tagen gerettet, in denen das Handwerk noch nicht mit seinem goldenen Boden zu spekulieren angefangen. Ihre Stammgäste sind keine dicken Bonzengesichter wie man sie auf europäischen Börsen und oft auch auf chinesischen Straßen trifft. Schmale, fahle junge Leute vollführen den Krawall. Andernorts und andernumstands würde man sie für die chinesische Ausgabe von fanatischen Mönchen vor dem Holzstoß eines Ketzers halten.

Wir sind in der einzigen Goldbörse der Welt – der Raum entspricht einer so würdigen Stätte kaum: Latten statt Parketten, Bretterbuden statt Telefonzellen, barfüßige Kulis statt livrierter Grooms. Besen und Eimer stehen im Börsensaal umher.

Die Angestellten der Makler und Bankiers hängen, Telefon in der Hand, an Bambusleitern, oder hocken, Telefon in der Hand, auf dem Gitter.

Finger schreien gekrümmt, gestreckt, gekreuzt, Stimmen spreizen sich. So schnell vollzieht sich das unausgesetzte Steigen und Fallen des Goldes um je zehn Cents, 26 daß oben auf der Transparent-Tafel die Dezimalzahl nimmer zur Ruhe kommt; 728,2 – nein, 728,3 steht jetzt dort, – nein, 728,4 – nein, 728,3; beständig unbeständig schwingen die Zehntel wie eine Kompaßnadel hin und her.

Gold ist der Gewinn, Silber ist der Einsatz. Auf allen andern Börsen ist Gold stabil, nur in China, wo die Währung Silberbasis hat, bleibt das Silber (in lokalem Sinn) immer stabil, während der Wert des Goldes schwankt. Für die Welt außerhalb dieses Börsenraums ist allerdings der Goldpreis, der hier entsteht, der Silberpreis.

Was auf der Glastafel in beleuchteten Ziffern bebt und torkelt, auf- und niedertaucht, ist der jeweilige Kurs goldener Barren in silbernen Taels. In Gold ist ein Shanghaier Barren 238 amerikanische Dollar wert. »Wieviel ist er in Silber wert?« Wann? Als du fragtest oder jetzt, da ich antworte? Sekündlich ändert sich der Preis, er wird hier in Kiukiang Road durch Fingersprache und Gebrüll gezeugt und in transparenten Ziffern geboren.

In China wird wenig Gold gefördert, man muß es aus dem Ausland holen. Wenn die Parität es erlaubt, werden Goldmünzen fremder gültiger Währung importiert, um in Goldbarren-Spielmarken verwandelt zu werden; bewegt sich aber das Glücksrad der Valuta in entgegengesetzter Richtung, – hast du nicht gesehen, schon rollen die Barren, von der chinesischen Staatsbank verfrachtet, ins Ausland zurück und nehmen die Gestalt von Münzen wieder an. (Im vorigen Jahr ging aus China Gold im Wert von 19 Millionen Dollar nach Amerika.)

Mag auch Chinas Währung Silber sein, am Golde hängt, nach Golde drängt doch alles, nicht bloß die 27 Kulis der Kulisse, die sich bedrohlich an das Börseninnere heranwälzt, sondern auch Bürger und Kleinbürger, weitab von diesem schwankenden Boden.

Der Schmuck, den Bürger und Kleinbürger samt ihren Familien besitzen, schmückt nur innerhalb zweier Phasen der Spekulation. Primitiv ist in diesem sonst bildnerisch so traditionsreichen Lande die Juwelierarbeit, kein Edelstein wird verwendet. Um so feiner, um so reiner ist das Material. Steigt in Kiukiang Road der Goldwert, so verkauft der Reiche im fernen Kiukiang seinen Ring, das Armband seiner Konkubine Nummer eins und den Haarschmuck seiner Gattin, und freut sich diebisch mit jedem Silberstück, das er beim Verkauf mehr bekommt, als er seinerzeit bezahlt hat. Steigt auf dem Weltmarkt das Silber, so kauft er für sich, seine neue Konkubine Nummer eins, seine Konkubine Nummer zwei und gegebenenfalls sogar für seine Gattin wieder Schmuck, und zwar neugemachten, denn der alte ist eingeschmolzen worden an jenem goldbedürftigen Termin.

Wer hätte den Chinesen so viel gewalttätiges, martialisches Temperament zugetraut! Hei, welch eine Schlacht! Sturm und Nahkampf wogt kreuz und quer tohuwabohu durcheinander, so daß man nicht versteht, wer Freund, wer Feind ist, wie die Front verläuft. Erst nach langem Schauen und Forschen vermag man diese vertrackte Ordre de bataille zu enträtseln.

Hier: Gefechtsabschnitt »Reine Spekulation«. Jeder Soldat der angreifenden Kampfgruppe hat den rechten Arm ausgestreckt, ein erhobener Revolver ist die Hand, des Revolvers Doppellauf – Mittelfinger und Zeigefinger – ist auf des Gegners Brust gerichtet. Die Börse oder das Leben! 28

Beteuernder Einzelschrei: Ich nehme!

Drohender Einzelschrei: Du gibst!

Fingertelegramm zur Telefonzelle: Er gibt!

Beteuernder Massenschrei: Wir nehmen!

Drohender Massenschrei: Ihr gebt!

Massenfingertelegramm: Sie geben!

Ein einfaches, ruhiges, normales Termingeschäft. Wir kaufen, um zu dem Zeitpunkt, da die Dezimalzahl auf der Glastafel einen Punkt hinaufschnellt, wieder zu verkaufen. Ihr verkauft, um zu dem Zeitpunkt, da die Dezimalzahl auf der Glastafel einen Punkt hinabsaust, wieder zu kaufen.

Frontabschnitt Zwei ist schmal. Rechts verläuft das Gold, links das Silber, dazwischen versuchen die Parteien, einander aus der Deckung, der Silberdeckung zu werfen. Nicht fern von hier, in der Effektenbörse steht vielleicht in diesem Augenblick der Tael ungünstiger, als das entsprechende Goldbarrenquantum. Schnell, schnell, erwirb es, um es wieder zu verkaufen.

Noch enger als das Gelände Nummer zwei ist Nummer drei. Zwischen Gold und Gold machen sich die Kämpfenden jeden Fußbreit Bodens streitig; Gold ist Gold, und doch gibt's Unterschiede, wert, um sie zu kämpfen, sofern man ein Börsianer ist. Kaufe mit der rechten Hand und mit rechtsgewandtem Stimmenaufwand Goldbarren (gegen englische Pfunde), als ob dein Leben davon abhinge, daß du sie bekommst, und verkaufe sie gleichzeitig mit der linken Hand und mit linksgewandtem Stimmenaufwand (gegen englische Pfunde), als ob dein Leben davon abhinge, daß du sie loswirst.

Dein Leben hängt ja auch davon ab, ob der Wert des 29 Pfund Sterling, die cross-rate fallen oder steigen wird, wenn du deine Transaktion reversierst. Dein Leben, das Leben aller hier, dieser Erregten, Schreienden, Tobenden, Ringenden, Gellenden, Vorwärtsstoßenden, Zurückweichenden, Signalisierenden, ihr Leben und das Leben der mit ihnen durch Telefon und Ticker verbundenen Partner hängt ab von den Zehnteln an der Glastafel.

Die Energie aller ist dran und drauf, diese Ziffer hinter dem Dezimalpünktchen zu bewegen, ohne daß ein Dezimalpünktchen produktiven Wertes geschaffen wird. 30

 

II. Silber

Die Goldbarren, die die Börse von Ekstase zu Ekstase treiben, die Silbertaels, die in den Abrechnungen figurieren, sie sind beinahe abstrakte Werte. Weder mit Goldbarren noch mit Taels wird gezahlt.

In keiner Tasche klappert, an keinem Schalter klingt der Tael. Tausende von Herren rechnen täglich mit Tausenden von Taels, und doch haben sie noch niemals einen Tael in der Hand gehalten. Anderseits halten Hunderte von Arbeitern täglich Hunderte von Taels in der Hand, und doch haben sie niemals mit Taels gerechnet.

Der Arbeiter, dessen Währungseinheit die Kupfermünze ist, macht die Taels, der Herr, dessen Währungseinheit der Tael ist, schmeißt die Kupfermünzen weg. Kupfermünzen sind nämlich sehr schwer, zerreißen die Taschen und sind kaum einen halben Pfennig wert. Taels sind noch schwerer, 31 Gramm per Stück, sie würden erst recht die Taschen zerreißen, aber man hat sie gar nicht bei sich, es sei denn, daß man der Keller einer Bank ist. Schließlich würde man sie auch nicht wegwerfen, wenn man sie bei sich tragen müßte, sind sie doch per Stück einen chinesischen Dollar und vierzig Cents wert.

Jetzt wissen wir also schon allerhand über den konkreten Tael, wissen, woraus er besteht, wo er sich befindet, wieviel er wiegt und wieviel Dollar er kostet; Und nun kommt die Überraschung: es gibt überhaupt keinen einzelnen Tael.

Das, was von Arbeitern mühselig erzeugt wird, um in Tresors zu lagern, sind Vielheiten von Taels. Jede solche 31 Vielheit wird zwar im Betrieb der Fabrik und von den Angestellten des Bankgewölbes ein Tael genannt, aber sie ist das Zweiundfünfzigfache eines Taels, sie ist ein Silberding, das zweiundfünfzigmal einunddreißig Gramm wiegt und zweiundfünfzigmal einen Dollar vierzig wert ist.

Diesen Komplex, in dem die Teiltaels aufgegangen sind, stellt man in Fabriken her. In Münzereien? Nein, da der Tael (wie oft sollen wir das noch sagen?) keine Münze ist, so ist auch die Fabrik keine Münzprägerei. Also in staatlichen Gießereien? Wieder falsch. Solche höchst staatliche und höchst kostbare Werte wird man doch nicht staatlichen Unternehmungen und staatlichen Beamten anvertrauen! Solche höchst staatliche und höchst kostbare Werte gibt man hierzulande ausschließlich privaten Unternehmern in Arbeit. Geld machen zu lassen ist Vertrauenssache.

Gegenwärtig wird in China der Dollar modern, und in gleichem Maße nimmt die Erzeugung der Taels ab. Zwei Milliarden Silberdollars gibt es im Lande und kaum hundert Millionen Taels. Die Lufang, die Taelfabriken gehen ein, und man muß sich beeilen, wenn man noch eine in vollem Betrieb sehen will.

Aus England und Amerika kommt das Rohmaterial, Silberbarren von zweiunddreißig Kilogramm, in den chinesischen Produktionsprozeß. Zunächst in die Schmelze. Tonofen neben Tonofen, jeder mit Erde bedeckt, so daß nur ein Loch zum Einführen des Materials und zum Schüren offen bleibt; Holzkohle schwelt darunter.

Ein primitiver Blasebalg, von einem Kuli primitiv bewegt, besorgt durch Bambusrohre die Luftzufuhr. Haben Holzkohle, Heizer und Blasebalgbeweger den Barren zur 32 Weißglühhitze getrieben, dann spalten ihn auf dem Amboß achtzehn Beilhiebe achtzehnmal. Jedes Stück, ungefähr so groß wie ein Tael (ein zweiundfünfzigfacher Tael selbstverständlich), wird nun eine Viertelstunde lang geschmolzen, Kupfer (sechzehn Promille) beigemischt, und die Legierung in eine Form gegossen.

Zwei Hammerschläge lassen zwei Stempel als Spur zurück: den Namen der Fabrik und die Nummer des Ofens. Beanstandet der Besteller etwas, so muß der Fabrikant Bestechung zahlen. Beanstandet der Fabrikant etwas, so werden die Arbeiter des betreffenden Ofens entlassen. Das ist der Sinn der beiden Stempel . . .

In einem mächtigen Wasserbottich befeuchten die Arbeiter die Handtücher, die sie auf ihr Gesicht und ihren Hals legen, um von der Glut nicht versengt zu werden. Nicht deshalb aber steht der Bottich in der Mitte der Gießerei. Er steht da, auf daß das fertige Gußstück darin eingetaucht und gekühlt werde.

So oft das geschieht, scheint es, als schlügen über einem brennenden Boot Wellen zischend zusammen.

Rauch stößt hoch bei diesem Treffen von Feuer und Wasser, abrinnt die Welle, das Feuer erlischt, der Rauch verpufft.

Und glutrot, mit mattem Glanz, als hätte es im Mondenschein gebadet, taucht das Boot von neuem aus dem Wasser empor. Langsam, langsam weicht der Purpur, der schwere Rumpf des Schiffchens ist pures Silber. Leicht gewellt ist das Deck, wie Seide. »Si-Sci« heißt feine Seide auf Kantonesisch, Sycee nennen die Chinesen den Tael.

Da stehen die silberseidenen Schiffe nebeneinander auf 33 dem Trockendock. Das Büro überprüft und übernimmt sie. »Aha, die Staatsbehörde, die fiskalische Kontrolle über den privaten Erzeuger!« Keineswegs, ihr Europäer! Die Übernahmestelle ist privat, Organ eines Handelsgremiums. Ohne Chemie wird die Feinheit geprüft, ein geübter Chinesenblick genügt, um nach der Farbe den Silbergehalt auf ein Tausendstel genau festzustellen. Resultat dieses Augenscheins und Gewicht werden mit Tusche auf der Kielwand des Boots vermerkt.

Jetzt darf es auf die große Fahrt: vom Keller einer Bank zum Keller einer andern Bank. 34

 


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