Egon Erwin Kisch
China geheim
Egon Erwin Kisch

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Yoshiwara am Kriegergrab

Nach der Totenfeier blieben wir im Hongkew-Bezirk, nahmen dort unser Abendbrot ein und besuchten einige Lokale. Auf diesem verwirrenden Kriegsschauplatz, ringsumher schwält Trümmerwerk, lädt hellblaues Röhrenlicht in ein Kabarett, draußen spüren wir noch süßlich die Auflösung der Leichen, drinnen schmiegt sich ein gutparfümiertes Japanerinnenköpfchen an den Tanzpartner, nachmittags ehrt man die Toten, abends freut man sich der Lebenden, und schon am nächsten Tag, wenn wir die Eindrücke überdenken wollen, vermischen sie sich zu einem einzigen.

Unter den Toten, denen es nachmittags galt, waren als besondere Helden die »Lebenden Bomben«, eine Gruppe von Soldaten, die, Granaten umgeschnallt, beim Sturm auf die chinesischen Stellungen in die Luft flogen. In einem Telegramm nach Tokio hatte das Armeeoberkommando erklärt, der Unglücksfall sei durch einen Fehler in der Tempierung der Bomben verursacht und die strengste Untersuchung gegen die Schuldigen eingeleitet worden; aber als ein Kriegsberichterstatter meldete, hier liege ein freiwilliger Opfertod vor, machte man das zur offiziellen Version. 47

Der Feier der Trauer wohnten Offiziere bei, und auch in den Häusern der Freude sahen wir solche, wenngleich nicht so hohe wie am Nachmittag; der Generalissimus Shirakawa, der Admiralissimus Nomura, Marschall Ono, General Ujematu waren nur bei der Totenmesse anwesend, feierlichen Gesichtes saßen sie da wie ergriffen.

Eisenplatten bedeckten die Asche der Leichen, enzianblaue, weiß beschriftete Fahnen umgaben den Totenplatz, vorne ein Altar, dekoriert mit Chrysanthemen. Keine Schleifen trugen die Kränze, sondern ein Brett mit Text.

Schauplatz der Veranstaltung war, seltsam genug, der Garten eines japanischen Teehauses, das mit Pavillons, Lauben und Beeten vor drei Jahren niedergebrannt ist, – eine zufällige, alte Brandstätte in der Nachbarschaft beabsichtigter, neuer Brandstätten. Damals, bei jener friedlichen Feuersbrunst, blieben Mauern und Tor unbeschädigt, und durch diese Geschlossenheit des Areals eignet es sich für eine Feier.

Der Hongkew-Bezirk war vor den kriegerischen Ereignissen mit japanischen Restaurants, Teehäusern, Dancings und andern Nachtlokalen gut bestückt; am 28. Januar 1932 schlossen sich diese Etablissements, nunmehr aber schießen sie um so dichter wieder empor, neues Nachtleben blüht aus den Ruinen.

Ein orangerotes, geblümtes Ornat umhüllt den Priester, über sein glattrasiertes, breitknochiges Gesicht hebt sich golden die Mitra. Drei Männer ministrieren; wie er, sind sie in krasser Seide, sie helfen ihm, auf dem Opferaltar rosarote süße Brote aufzuschichten und Schalen mit Reis.

Speise für die Toten. Die Lebenden sahen wir am 48 gleichen Tage im gleichen Bezirk – er ist die Nordgrenze des Internationalen Settlements von Shanghai – andere Speisen essen. Sukijaki, sprich: Skjaki, ist ein mongolisches Gericht, das die New-Yorker zum japanischen Nationalgericht erklärt haben, ebenso wie man »Chop-Sui« in den amerikanischen Restaurants als chinesische Nationalspeise annonciert. Seither essen die Japaner mit besonderer Feierlichkeit Sukijaki. Fleischstücke, Zwiebeln und Gemüse dämpfen sich in Sojabohnen-Sauce auf einer Pfanne vor dem Gast, der tapfer zugreift, während der Rest weiterschmort und prasselt. Männer hocken auf der Matte, die Kellnerinnen an ihrer Seite füllen immer wieder die kleinen Gläser mit Reiswein und legen immer wieder neue Fleischstücke in die Pfanne.

Niemals nimmt der Japaner, wenn er abends ausgeht, seine Frau mit; zu der Trauerfeier, auf deren Beschreibung wir uns scharf beschränken, sind Frauen zugelassen. Sie stehen am Eingang und verbeugen sich vor jedem Eintretenden dreimal bis zur Erde, litaneien im Chor und drehen wehklagend ihre Rosenkränze, deren einzige Glaskugel wie die Perle eines Ringes über dem Mittelfinger liegt. Sogar Geishas sind da, in grellem Kimono und rotgeblümter Schärpe, ihre Frisur ist zu einem Rittersporn gefettet und gehärtet, Silberkugeln und Flitter glitzern im schwarzen Haar.

Die buntgefiederten, zwitschernden Geishas servieren den zur Trauer befohlenen Offizieren Tee, die andern Frauen, die im braungrauen Kimono, könnten es nicht mit solcher Grazie. Geishas und Nicht-Geishas tragen weiße zweigeteilte Strümpfe, drei Zehen sind in einer, zwei Zehen in der andern Hälfte, – sozusagen 49 Fäustlinge für die Füße – und hölzerne Kothurne, »Geta« genannt.

Mit Opferspeisen, mit Gebet, mit Musik und wohlriechendem Rauch werden die als Opfer gefallenen Soldaten geehrt. Priester und Mesner umschreiten gemessenen Schritts das Karree, rufen sakrale Worte, die keiner aus der profanen Menge versteht, und werfen buntes Papier auf jedes Grab.

Da sie zum Altar zurückkehren, zelebriert der Oberpriester die Messe weiter, und seine Gehilfen machen mit Gong, Pauke und Glöcklein Musik dazu. Ein eigenartiges Instrument sind die Tschinellen, man kann sie nicht nur aneinanderschlagen, sie schwirren auch, wahrscheinlich infolge einer Feder, ineinander ab, und das klingt und dröhnt, als wirbele der Generalmarsch. Warum hält sich die Jazzkapelle in den japanischen Tanzlokalen so sklavisch an die üblichen Negerinstrumente, an Banjo, Saxophon und dergleichen, warum bereichert sie das Instrumentarium nicht um die rotierenden Tschinellen? Das bewunderungswürdig aktuelle Repertoire der Jazzkapellen würde durch diese Neuerung nur gewinnen: nach jeder Zeile des Liedes »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt« der silberne Wirbel.

Die Tanzmädchen singen das obige Lied nicht im deutschen Urtext und nicht in japanischer Übertragung, vielmehr singen sie »Falling in love again . . .« Sie können alle ganz gut englisch, sie können Rumba tanzen (Blues, drittes Stadium, haben sie schon hinter sich). Zumeist tragen sie europäische Kleider, aber wie uns eine Partnerin erzählt, erst seit vorigem Jahr. Hier hat Japan länger als sonst gebraucht, sich dem Westen anzupassen, 50 die Mode der kurzen Röcke kam für Japans Mädchenbeine nicht in Betracht. Japans Mädchenbeine sind die schwächste Seite von Japans Mädchen, zu viele Jahrhunderte lang saßen ihre Ahnen und Ahninnen mit untergeschlagenen Beinen auf der Matte.

Zu Ende der Gottesdienst. Mit ernster Miene begibt sich der Höchstkommandierende zur Opferung. Wohlgemerkt: er opfert nicht sich, sondern er opfert. Die ernste Miene legt er an, weil er an seine armen gefallenen Soldaten denkt und weil sein Gesicht vom Kino-Apparat fast gestreift wird. Vergaßen wir zu erwähnen, daß der Trauerfeier eine Filmkolonne assistiert, auf einem Lastauto rechtzeitig gekommen? Buddha plus Militärfilm.

Angesichts des Films vertiefen sich die Falten jedes Angesichts. Trauer muß bildhaft gemacht werden, wie ein unerwarteter Schicksalsschlag scheint den Generalen die Erkenntnis zu kommen, daß im Krieg Menschen fallen. Admiral Nomura sieht drein wie ein beleibter, müder Regimentsarzt; das Japanerschwert – der Griff nimmt ein Drittel der Schwertlänge ein – macht den Kommandanten der japanischen Streitkräfte in den Chinagewässern mitnichten martialischer aussehend. General Ono ist eine Quitte mit Spitzbart.

Einer nach dem andern tritt heran, greift in eine hölzerne Dose, die auf dem Altartisch steht, hebt das geweihte Gewürz, alldieweil die Kurbel des Operateurs kreist, inbrünstig zur Stirn und legt es in die Opferschale, Dampf wallt auf. Hinter den Generalen die Stabsoffiziere, hinter den Stabsoffizieren die Oberoffiziere, hinter den Oberoffizieren die Unteroffiziere, alle »in zwangloser Reihenfolge streng nach dem Rang«. Sie 51 erweisen den in China gefallenen Verteidigern des japanischen Vaterlands die letzte Ehre, getreu jenem überall typischen Regimentskommandobefehl: »Sämtliche Offiziere und weiterdienende Unteroffiziere der 3. Kompanie, die das Herzensbedürfnis fühlen, dem verstorbenen Herrn Major des Ruhestandes N. N. das letzte Geleit zu geben, haben morgen um vier Uhr nachmittags vor dem Stabsgebäude gestellt zu sein. Fernbleiben wird strengstens bestraft.«

Obwohl die dii minores militiarum gentium bei ihrer Opferungstätigkeit keiner Kurbeldrehung des Filmoperateurs würdig befunden werden, machen auch sie ernste Antlitze, denn das geziemt sich für eine Trauerfeier, es sind Gäste da, sogar ein fremder Journalist, der sie freilich, zu ihrer unangenehmen Überraschung, noch heute mit weniger ernsten Antlitzen im benachbarten Nachtleben wiedersehen wird. Auch die Militärs beherrschen die neuesten Tänze, und es ist ein ungetrübtes Vergnügen zuzusehen, wie die nachmittags rauhen Kriegsmänner am Abend, von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, die Elegie Marlenchen Dietrichs zu tanzen wissen.

Kundig gemixt sind die Cocktails, der Rauch aus den geweihten Schalen über den Toten steigt steil empor, ein Zeichen, daß der Himmel das Opfer gnädig entgegennimmt, die heiligen Papierchen flattern im milden Märzwind von Grab zu Grab, in den Alleyways, den Seitengäßchen von Hongkew, ist das Yoshiwara des Schlachtfelds etabliert, billige japanische Lampions und billige japanische Mädchen stehen davor. Sie locken die lebenden Soldaten, die Kameraden der toten, ins Bordell. 52

 


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