Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wir werden diesen Abend auf keinen Fall mehr nach Straßburg kommen, Müller! ... Sag einmal dem Postillon, er solle auf die verfluchten Mähren lospeitschen. – Seit einer Stunde habe ich ihm das schon mehr als zwanzigmal gesagt, mein Oberst; aber er antwortet, wenn wir nicht alle drei den Hals brechen wollten, könne er nicht schneller fahren. – Heinrich wird nicht mehr in Straßburg sein, bis wir dort eintreffen. – Dann, mein Oberst, reisen wir ihm noch weiter nach. – Und holen ihn vielleicht nicht zeitig genug ein, um dem Unglück, das ich befürchte, zuvorzukommen! ...
Wenn auch, so haben Sie sich wenigstens nichts vorzuwerfen, mein Oberst; denn wahrhaftig, seit den sechs Wochen, daß wir Tag und Nacht umherrennen von Framberg nach Straßburg, von Straßburg nach Paris, und von Paris wieder nach Framberg, sind meine Hosen so fest an meine Hinterbacken geklebt, daß ich mich genöthigt sehen werde, mein Oberst, in unserem ersten Absteigequartier mein zweites Gesicht zu zeigen. – Wenn nur wenigstens der Zweck unserer Reise erreicht würde! – Ach! wenn nur eine gute Flasche Wein da wäre, die Erstarrung von meinen Gliedern wegzuwaschen! ... Aber nein! ... Nicht einmal ein schlechtes Glas Landsturm zur Löschung meines brennenden Durstes! Oh! mein Oberst! für einen Andern würde ich eine solche Pein nicht so geduldig ertragen! – Bereust Du's, mir gefolgt zu sein, Müller? – Ich gehe mit Ihnen, mein Oberst, bis ans Ende der Welt; doch wünschte ich, daß man dabei essen und trinken könnte ...« Hier ward das Gespräch durch einen entsetzlichen Stoß unterbrochen, von welchem die Achse des Postwagens entzwei brach; bald lagen der Oberst Framberg und sein Reisegefährte in einem Chausseegraben; die ganze Schuld fiel auf den Postillon, der in seiner Eilfertigkeit den Graben nicht wahrgenommen hatte.
Während sich der Fuhrmann mit den Pferden beschäftigte, half Müller seinem Obersten wieder auf die Beine. »Tausend Millionen Patronen! sind Sie verletzt, Oberst? – Es ist nichts, Müller ; nur schmerzt mich mein linkes Bein ein wenig. – Donnerwetter! Sie haben eine starke Quetschung! – Es ist nichts, sag' ich Dir, mach' nur, daß wir einen Ort finden, wo wir diese Nacht bleiben können, denn ich sehe wohl, daß wir die Hoffnung aufgeben müssen, heute noch Straßburg zu erreichen.«
Der herzutretende Postknecht berichtete den beiden Herren, etwa fünfzig Schritte von da befinde sich eine Herberge. – »Wie, Schlingel! Du wagst es, den Obersten Framberg in einen Graben zu werfen?« fuhr Müller den Postillon an. Der aber entschuldigte sich so gut es ging, und man schlug den Weg nach dem Wirthshause ein, indem man den Oberst unter beide Arme nahm.
Unsere Reisenden waren noch keine Viertelstunde vorwärts geschritten, als sie ein kleines Haus von einfachem, doch gefälligem Aeußern erblickten; es bestand aus einem Parterre, einem Stockwerk und den Dachböden; grüne Jalousien schützten die Bewohner vor der Sonnenhitze, und mehrere buschige Eichen beschatteten den Eingang; kurz, Alles schien anzudeuten, daß der Herr dieser Wohnung, des geräuschvollen Stadtlebens müde, sich in diese Einsamkeit zurückgezogen habe, um seinen Sinnen in stillen Betrachtungen Ruhe zu gönnen.
»Das nennst Du eine Herberge!« schnaubte Müller den Postillon an; »dreifaches Donnerwetter, ich glaube, Du willst meinen Oberst noch gar spazieren führen? ... – Laßt uns immerhin klopfen!« antwortete der Schwager; »drinnen werden wir schon sehen, woran wir sind.«
Müller pocht mit gewichtigen Schlägen an der Thüre: keine Antwort; neues Klopfen: Alles umsonst. Zu ihrem höchsten Unstern war inzwischen die Nacht eingebrochen und die Verletzung des Obersten, durch das Gehen schlimmer gemacht, verursachte demselben entsetzliche Schmerzen.
»Und wenn alle Teufel sich verschworen hätten, mein Oberst, so können Sie in Ihrem jetzigen Zustande doch nicht unter freiem Himmel schlafen. Da die Bewohner dieses Hauses taub sind, so müssen wir sie zu entbehren suchen.« Bei diesen Worten trat Müller mit aller Kraft gegen den der Thüre am nächsten befindlichen Fensterladen der Parterrewohnung, welcher nicht im Stande, dem Sturme trotzen zu können, prasselnd zu seinen Füßen niederfiel. Nun schlug er mit seinem Säbel ein paar Scheiben ein und stieg in das Haus, ohne auf die Befehle seines Obersten zu hören, welcher ihm vorstellte, daß man auf diese Weise das Völkerrecht nicht verletzen dürfe, und man ihn eher für einen Straßenräuber, als einen alten Feldwebel halten müsse.
Ohne sich in seiner Expedition aufhalten zu lassen, eilt Müller nach der Hausthüre, findet an der Wand einen großen Schlüssel, öffnet ohne Schwierigkeit und läßt den Oberst Framberg in das leerstehende Haus ein.
»Da wir einmal innen sind,« sagt der Oberst, »so wollen wir wenigstens mit Umsicht zu Werke gehen. – Recht, mein Oberst, geben Sie diesem Dummkopf von Postillon, der an unserem Mißgeschick Schuld ist, den Arm, und ich gehe voran, um Sie vor jedem Unfall zu bewahren.«
Unsere Reisenden setzten sich, umhertappend, in Marsch, denn die Finsterniß war so groß, daß man keinen Schritt vor- oder rückwärts sehen konnte. Schon waren sie durch mehrere Gemächer gegangen, ohne etwas zu entdecken, und Müller, ungeduldig werdend, fing an, zwischen den Zähnen zu fluchen, als Etwas an ihnen vorüberkam und bei ihrer Annäherung eiligst entfloh. Müller, gereizt, läuft dem Fliehenden nach, aber seine Füße verwickeln sich, er verliert das Gleichgewicht und fällt mit dem Kopf in einen vollen Wassereimer. Wüthend richtet er sich wieder auf, öffnet eine Thüre, glaubt sich auf ebenem Boden und purzelt eine ganze Treppe hinab, indem er eine unglückliche Katze, die Schuld an all diesem Gepolter ist, mit in seinen Fall verwickelt.
Obgleich von seiner eiligen Rutschpartie ganz betäubt, steht Müller doch schnell wieder auf, und schreitet diesmal mit mehr Umsicht zur Untersuchung des Orts, an dem er sich befindet.
Die Kühle desselben und verschiedene ihm unter die Hände fallende Flaschen geben ihm bald die Ueberzeugung, daß er in den Keller gerathen sei. Durch diese Entdeckung beruhigt, sucht er die Treppe, die er so eilfertig herabkam, und will wieder hinauf, um dem Oberst sein Glück mitzutheilen; aber zum dritten Mal stoßen seine Füße an einen Gegenstand und er fällt mit dem Gesicht einem Individuum auf die Nase, welches ruhig schlief und ein schreckliches Geschrei anhebt, als es sich so plötzlich aufgeweckt fühlte.