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Zwei Monate nach d'Ormeville's Abreise kündigte der Baron von Froburg seiner Tochter an, daß sie den Obersten Framberg als ihren künftigen Gemahl anzusehen habe.
Was konnte Clementine sagen? Sie fürchtete ihren Vater zu sehr, als daß sie es gewagt hätte, ihm ihren Fehltritt zu gestehen. Wir haben gesehen, daß Alles, was sie zu erlangen vermochte, ein Aufschub von drei Monaten war. An dem Busen ihrer guten Amme, in den sie schon lange all ihren Kummer vertrauensvoll niedergelegt hatte, weinte sie sich aus. Die alte Mariane konnte ihr nur zusprechen, Muth zu fassen; aber um das Unglück voll zu machen, empfing Clementinen seit einem Monate von d'Ormeville keine Nachricht mehr. Was mochte ihm begegnet sein?... War er gefangen? war er auf dem Schlachtfelde gefallen? Alle diese entsetzlichen Gedanken machten ihre Lage nur noch schrecklicher.
Eines Abends waren Graf Hermann und sein Sohn bei dem Baron, da trat Müller herein, seinem Obersten Nachricht über die letzte Schlacht zu bringen.
»Nun! Müller,« sagte der Oberst, »was gibt's Neues? – Ha! die Feinde sind tüchtig geklopft worden!.... – Bist Du dessen gewiß? – Ja, Herr Oberst, denn der alte Frank, der gerade von der Armee herkommt, hat mir's erzählt. Bomben und Granaten! Er sagt, der Kampf sei hitzig gewesen!... Der Feind vertheidigte sich wacker; anfangs richtete er große Verheerungen in unsern Reihen an: von der ganzen ersten Schwadron unseres sechsunddreißigsten Husarenregiments ist nicht ein Einziger davon gekommen... – Was sagen Sie?« rief Clementine. »Wie? nicht einmal die Offiziere ?... – Ach! mein Gott, nicht Einer!... Alles blieb auf dem Platze! ...«
Clementine hörte nicht weiter, sie sank ohnmächtig nieder: man sprang ihr bei, während Müller, durch die Beschreibung der Schlacht in Feuereifer gerathen, den Unfall nicht bemerkte, welchen er hervorgerufen hatte.
Man trug Clementine in ihr Zimmer, wo sie ihre Sinne nur wieder erlangte, um sich dem heftigsten Schmerze hinzugeben. In der ersten Schwadron des sechsunddreißigsten Husarenregiments diente d'Ormeville, und die eben erhaltene Nachricht in Verbindung mit dem seit lange von ihm beobachteten Stillschweigen überzeugte sie leicht, daß er zu leben aufgehört habe.
Wirklich gelangte auch von dieser Zeit an keine Nachricht von d'Ormeville mehr zu Clementinen, welche ihre Tage in Thränen verlebte, in Gedanken an den, den sie verloren. Mittlerweile verstrich die Zeit: der Clementinen gewährte dreimonatliche Aufschub nahte seinem Ende; auch fühlte sie, daß sie bald Mutter sein werde, und jeder Augenblick vermehrte die Angst ihrer Lage.
Ein Schritt mußte geschehen: Clementine entschloß sich, das letzte ihr übrige Mittel zu versuchen, um, wenn nicht Glück, worauf sie seit dem Tode des Geliebten verzichtet hatte, doch wenigstens Ruhe und Frieden zu genießen, die sie schon lange entbehren gemußt.
Der Charakter des Obersten Framberg, welchen Clementine schätzen gelernt hatte, gab ihr den Gedanken ein, ihm ihren Fehltritt zu bekennen und sich seiner Großmuth anzuvertrauen. Eines Tages, kurz vor dem zu ihrer Vermählung bestimmten Zeitpunkt, bat sie den Obersten um eine kurze Unterredung unter vier Augen; gerne willigte dieser darein. Sie begaben sich an einen abgelegenen Ort des Parks und dort theilte ihm Clementine das Geheimniß ihrer Liebe und ihres Unglücks mit.
Der Oberst wurde starr vor Erstaunen, als er von Clementine vernahm, daß sie bald Mutter sein werde.
»Wie? Madame,« sagte er zu ihr, »Sie, die ich für die allerunschuldigste unter den Frauen gehalten hätte!...« Er hielt inne: Clementine war purpurroth vor Scham... – »Ach! verzeihen Sie, Madame,« setzte er hinzu, »die Liebe ist mir unbekannt, und ich weiß nicht, zu welchen Fehlern sie uns hinreißt. Doch sprechen, befehlen Sie! was verlangen Sie von mir? Ihr Zutrauen verdient meine ganze Anhänglichkeit und Achtung, es ist ein Beweis, daß Sie mich schätzen: und ich will Ihnen zeigen, daß wenn der Oberst Framberg nicht ihr Geliebter sein kann, er wenigstens Ihrer Freundschaft würdig ist.«
Durch diese Rede ermuthigt, sagte Clementine, »sie überlasse sich ganz seiner Großmuth, ihr Schicksal stehe in seinen Händen.«
»Nun wohlan! Madame, in diesem Fall wollen wir, wenn es Ihnen genehm ist, nichts an unsern Projekten ändern. Lebte derjenige noch, der Ihre Liebe besaß, so würde ich mich wohl hüten, mich Ihnen als Gatte anzutragen, denn das hieße Sie zu ewiger Reue verdammen wollen; aber er ist nicht mehr, und Sie sind Mutter: Ihr Kind bedarf eines Vaters; ich will diese Stelle bei ihm vertreten, und immer die gleiche Zärtlichkeit für dasselbe haben, als wäre es mein eigenes! – Wie! Oberst, Sie wären bereitwillig, mich zu heirathen? Vergessen Sie, daß Vorurtheile, die Ehre selbst, Ihnen diese Ehe untersagen? – Vorurtheile kenne ich nicht; und meine Ehre, Madame, besteht darin, das Unglück zu unterstützen und der Waise Vater zu sein. Unter diesem Titel will ich Ihr Gemahl werden, und wenn man in der Folge mein Benehmen tadelt, kann man mir wenigstens die Genugthuung nicht versagen, als galanter Mann gehandelt zu haben. – Ach ! Oberst, wer wäre frech genug, die Handlungsweise eines Mannes zu tadeln, der sich nur im Wohlthun gefällt? – Ueberdies, Madame, da die Schicklichkeit es erfordert, so bürge ich Ihnen dafür, daß das tiefste Geheimniß diese Begebenheit umhüllen soll.«
So endigte die Unterhaltung und acht Tage darauf ward Clementine des Obersten Gattin. Hätte sie d'Ormeville nicht gekannt, würde sie in dieser Verbindung ihr Glück gefunden haben; aber die Erinnerung an den Angebeteten störte unablässig ihre Ruhe und sie verfiel in düstere Schwermuth, die sie vergebens ihrem Gatten zu verbergen suchte.
Einen Monat nach der Hochzeit starb Graf Hermann; der Oberst weihte dem Gedächtniß seines Vaters die Thränen eines zärtlichen Sohnes und lebte einige Zeit mit seiner Gemahlin in gänzlicher Abgeschiedenheit, wo er Niemand als Müller vor sich ließ. In diesem Zeitraum gebar die Gräfin einen Knaben, der insgeheim unter dem Namen Heinrich d'Ormeville getauft ward, den aber der Oberst erzog und für seinen Sohn ausgab.
Der alte Baron von Froburg, damals auf seinem Schlosse, hatte keine Kunde von diesem Ereigniß, und starb, nicht lange nachher, ohne die geringste Ahnung von diesem Geheimnisse.
Müller war der Einzige, der die Wahrheit durchschaute; aber er behielt seine Betrachtungen für sich und äußerte seine Gedanken gegen den Obersten nicht.
Der junge Heinrich wurde der Abgott seiner Mutter; seine Züge vergegenwärtigten ihr die Züge des von ihr so heiß geliebten Mannes. Wäre Clementine so glücklich gewesen, ihren Sohn zu erziehen, so würde unser junger Held wahrscheinlich ihre sanften und zarten Tugenden geerbt haben, aber sie starb, noch ehe er sein viertes Jahr erreicht hatte, begleitet von den Thränen und dem Bedauern aller Derer, die sie kannten.
Die Verzweiflung über den Tod seiner Frau nöthigte den Obersten, zur Zerstreuung einige Zeit das Schloß zu verlassen. Er beschloß, wieder zur Armee zu gehen; seine Liebe zu dem kleinen Heinrich bewog ihn indeß, diesen in den Händen eines Mannes zurückzulassen, der mit allem Eifer seine Jugend beaufsichtigen und ihm frühe schon die Grundsätze der Tugend einimpfen könne; hiezu erkor er Müller. Er kannte dessen Biederkeit und Aufrichtigkeit, und in der Ueberzeugung, dieser werde seinen Sohn (wie er Heinrich nannte) keinen Augenblick verlassen, schwankte er nicht, ihn zu dessen Lehrer zu bestellen.
Müller wäre wohl ebenso gern seinem Obersten zur Armee gefolgt, als daß er ruhig auf Schloß Framberg verblieb: da aber die Wünsche seines Vorgesetzten Befehle für ihn waren, so schwur er, seine Plane treulich zu erfüllen. Der Oberst reiste daher ab, indem er Müller in seiner Abwesenheit den Befehl über das Schloß übergab und ihm einschärfte, aus Heinrich einen braven und tugendhaften Mann zu bilden.