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Zwanzigstes Kapitel.

Die Liebe führt nicht immer zum Guten.

Beim Erwachen war der Pächter gar nicht verwundert, daß er Müller an seiner Seite eingeschlafen sah, als aber dieser die Augen aufschlug und vernahm, Heinrich sei schon fort, da fluchte er derb vor sich hin, daß in seinem Alter ihn die Weiber noch dumme Streiche begehen und seine Pflicht vergessen ließen; dann schickte er sich an, seinem Zögling auf den Fersen zu folgen.

»Wahrlich!« sagte der Pächter, »es ist nicht zu verwundern, daß Ihr so lange geschlafen habt; gestern Abend haben wir Alles sauber ausgetrunken. – Wahr,« antwortete Müller; »aber Ihr habt auch einen Wein, der teufelmäßig in den Kopf steigt.« Die Pächterin kam herab, und Müller beeilte sich, aufs Pferd zu steigen, aus Furcht, ihr Anblick möchte ihm wieder den Teufel in den Leib jagen. Der Ehemann lud ihn ein, öfters mit ihm zu schmausen und zu trinken, und die Pächterin vereinigte ihre Bitten mit denen ihres Mannes.

Kurz nach Heinrich langte Müller im Bereich des Schlosses an und wollte denselben bereits in der Gegend aufsuchen, als er ihn auf sich zukommen sah. Wie er seine letzten Worte hörte, wußte er schon, um was es sich handle, ohne indeß die Ursache seiner Verzweiflung zu kennen.

»Wohin wollen Sie, mein Herr?« fragte er, Heinrich aufhaltend. – »Ins Schloß, Müller! – Weßhalb? – Sie zu sehen. – Sie werden nicht hingehen, sage ich. – Ach, mein Freund, sie liegt in den letzten Zügen! – In den letzten Zügen? das ist etwas stark. Ist's wahr, Frank? – Ja, Herr Müller, die reine Wahrheit. – Ich will mich selbst davon überzeugen; es ist aber unnöthig, daß Sie mitgehen. Ist's, wie Sie mir sagen, so können Sie das Fräulein nicht ins Leben zurückrufen: ist sie im Gegentheil weniger übel auf, so wird Ihr Anblick ihren Schmerz erneuern, ohne demselben Linderung zu schaffen. – Ach, Müller! laß mich mit Dir gehen! – Sie vergessen, Herr, daß es sich um Ihre Schwester handelt und Ihr Benehmen nicht so ist, wie es sein sollte! – All' Deiner Vorstellungen und Widersprüche ungeachtet, werde ich mich von diesem Schlosse nicht eher entfernen, bis ich über ihr Schicksal Gewißheit habe. – Hum !« sprach Müller bei sich selbst, »diese Liebe muß ich um jeden Preis mit der Wurzel ausrotten. Gehen Sie, erwarten Sie mich bei dem Gärtner am Ende des Parks,« sagte er dann zu Heinrich; »ich werde Sie dort treffen und Ihnen mittheilen, was Sie durchaus wissen wollen.«

Heinrich wagte keinen Widerstand und ließ sich von Frank zum Häuschen seines Vaters führen, das am entgegengesetzten äußersten Ende der Gartenanlagen, in ziemlicher Entfernung vom Schlosse, lag. Müller blickte Heinrich nach, die Schwäche bereuend, womit er denselben nach Schloß Framberg gelassen hatte, und auf ein Mittel sinnend, wie er ihn wieder wegbringen konnte.

Mit unbeschreiblicher Angst harrte Heinrich der Rückkunft Müllers; doch Stunden verflossen, der Husar kam nicht. Als Heinrich die Nacht hereinbrechen sah, konnte er seiner Unruhe nicht mehr gebieten; er schickte Frank nach dem Schlosse, um die Ursache dieser Verzögerung zu erfahren.

Kaum war dieser fort, als er Jemand auf das Häuschen zukommen sah. Trotz der Dunkelheit glaubte er Müller'n zu erkennen und flog ihm entgegen. Er täuschte sich nicht. »Nun, Müller,« redete Heinrich ihn an, »was hast Du denn so lange im Schlosse gethan? – Nichts!« antwortete dieser mit düsterer Stimme, wobei er seinen Gang gegen das Gärtnerhaus nicht unterbrach. – Ums Himmelswillen, unterrichte mich von Allem! In welchem Zustande hast Du Pauline gelassen? – Sie hat nichts mehr zu fürchten. – Was willst Du damit sagen? Sprich! Dein Schweigen macht mich starr vor Entsetzen! – Sie wollen es ... Nun denn! So waffnen Sie sich mit Muth, Ihre Schwester, Ihre Schwester ... ist nicht mehr!«

Heinrich hörte nicht weiter: leblos fiel er zu Boden. »Nun, die Krisis ist stark,« sprach Müller; »doch um so bälder wird sie vorüber sein!« Er versuchte, Heinrich ins Leben zurückzurufen; mit Hülfe des auf sein Schreien herbeigelaufenen Gärtners trug er ihn in das Häuschen des letztern und brachte ihn zu Bette. Hier schlug der junge Mann die Augen nur auf, um in einen noch beunruhigenderen Zustand zu verfallen: ein hitziges Fieber hatte sich seiner Sinne bemächtigt; grauenvoller Wahnsinn war an die Stelle der Vernunft getreten, er sah und erkannte Niemand mehr. Ueber Heinrichs Zustand erschreckt, zerschlug sich Müller den Kopf, raufte sich die Haare aus und schien nur sich allein die Schuld von seines Zöglings Leiden beizumessen. Fünf Tage lang blieb unser Held in solchem Zustande, und Müller brachte diese ganze Zeit an seinem Bette zu. Endlich rief ihn die Natur, welche stärker war als die Krankheit, wieder ins Leben zurück, und am sechsten Tage erlangte er seine Vernunft und mit ihr etwas Ruhe wieder.

»Ach! ... nun ist die Krisis vorbei! ...« sprach Müller, als er Heinrich etwas ruhiger sah. »Meiner Treu! sie war hart, und wären Sie unterlegen, so wäre mir nichts übrig geblieben, als den Fröschen im Schloßgraben Gesellschaft zu leisten! Aber Sie genesen wieder, und ich fühle mich um einen Sechsunddreißigpfünder leichter, den ich da auf der Brust liegen hatte. – Armer Müller,« sprach Heinrich lächelnd, »wie vielen Kummer verursache ich Dir! ... – Erlangen Sie Gesundheit und Muth wieder, und ich bin für meine Sorgen hinlänglich belohnt.« Heinrich versprach Alles und Müller küßte ihn, vor Freude weinend.

Erst nach vierzehn Tagen konnte Heinrich das Bett verlassen. Müller verlor seinen Zögling nicht aus den Augen; allein dieser fragte zuweilen, wo Frank sei und warum er ihn nicht bei sich sehe. Ich habe Frank aufgetragen, uns einen guten Wagen anzuschaffen, damit wir reisen können, sobald Sie so weit hergestellt sind: darum sehen Sie ihn nicht hier. Sind Sie etwa mit meiner Pflege nicht zufrieden, daß Sie nach Ihrem Diener fragen? – Wie ungerecht Du bist, lieber Müller! Wenn ich nach Frank frage, geschieht es nur, damit Du ebenfalls der Dir so sehr nöthigen Ruhe pflegen könnest. – Seien Sie unbesorgt, meine Ruhe ist Ihre Gesundheit, und wenn Sie sich wohl befinden, bin ich nicht mehr krank. – Guter Müller! ...«

Wie Heinrich im Stande war, ein wenig auszugehen, führte ihn Müller durch eine kleine Pforte, nur einige Schritte vom Gärtnerhause entfernt, ins Freie. »Warum verlassen wir den Umfang des Schlosses?« fragte Heinrich. – »Weil ein Blick ins Freie Sie mehr zerstreuen wird, als ein Park, den Sie hundertmal nach allen Richtungen durchstreift haben. – Aber, Müller, ich hätte ihn so gerne wieder gesehen! ... – Nein, mein Herr, das würde Sie angreifen und Sie werden nicht gehen!« Heinrich wagte keinen Widerspruch; doch fühlte er im tiefsten Herzensgrunde ein sehnliches Verlangen, die Orte wiederzusehen, die er aufs Neue und vielleicht für lange Zeit verlassen sollte.

Als Müller glaubte, Heinrich sei stark genug zur Reise, zeigte er ihm an, daß sie in zwei Tagen sich auf den Weg begeben würden. »Frank ist also zurück? – Ja, und der Reisewagen wird uns vor der kleinen Pforte hier neben, welche auf die Hauptstraße führt, erwarten. – Wie? wir nehmen den Weg nicht durch das Schloß? – Sie sehen, es ist unnöthig.« Heinrich wagte keine weiteren Einwendungen: aber er nahm sich vor, gewiß nicht abzureisen, ohne das Asyl seiner Kindheit ein letztes Mal gesehen zu haben.

Am Abend vor dem zur Abreise bestimmten Tage forderte Müller, der vor Müdigkeit niedergedrückt war, Heinrich auf, sich bald niederzulegen, damit er am andern Morgen früher auf den Beinen sei. Heinrich, mit seinem Plane bereits fertig, stellte sich, als komme er Müllers Begehren nach. Unser Husar ging zu Bette und lag bald im tiefsten Schlafe. Als Heinrich gewiß war, daß er nicht mehr an ihn denke, stand er vorsichtig auf, trat leise aus der Hütte und schlug den Weg nach dem Schlosse ein.

Der Abend war prächtig, herrlicher Mondschein verbreitete über die ganze Natur einen bläulichen Schimmer, und wenn das Auge auf einem Busche oder Strauche ruhte, glaubte es einen unbeweglichen Schatten, eine seltsame Gestalt zu erkennen. Tausend Gegenstände bieten sich dann unserem Blicke dar, verwirren unsere Einbildungskraft und doch danken sie ihr Entstehen nur dem Widerschein des Nachtgestirns. Unsicheren Trittes wandelte Heinrich weiter; in seinem durch die Krankheit geschwächten Gehirn spukten tausend Gestalten, es erschuf sich tausend Visionen; bei jedem Gegenstand, der ihm aufstieß, pochte sein Herz gewaltig; eine geheime Ahnung schien ihm anzudeuten, daß etwas Außerordentliches sich ihm zeigen werde.

Endlich gelangte er in den dem Schlosse naher liegenden Theil der Gartenanlagen. Seiner Bewegung nicht mehr Herr, tritt er in eine Laube, sich einen Augenblick zu setzen ... aber hier fällt ihm etwas in die Augen; auf der Bank, die er sich auserkor, bemerkt er eine weiße Schattengestalt, welche regungslos ist und seine Gegenwart nicht zu gewahren scheint. Heinrich fühlt sich einer Ohnmacht nahe und ist genöthigt, sich an einen Baum zu lehnen; er sucht seine Schwäche zu überwinden ... aber der Schatten erhebt sich und kommt langsam auf ihn zu; ein Strahl des Mondes beleuchtet sein Gesicht; er erkennt es. »Schatten meiner Pauline! ...« rief er, auf die Kniee sinkend, »hast Du den himmlischen Aufenthalt verlassen, um Denjenigen heimzusuchen, der nicht mehr glücklich sein kann auf einer Erde, die Du nicht mehr mit ihm bewohnst? ...«

»Heinrich,« sprach eine schwache Stimme, und Pauline (denn sie war es) fiel bewußtlos vor ihrem Geliebten nieder. »Großer Gott! ...« rief Heinrich, »ist's keine Täuschung? ... Doch nein, sie ist es wirklich ... meine Pauline! ... Gerührt von meiner Verzweiflung hat der Himmel mir sie zurückgegeben, um mich nicht mehr von ihr zu trennen.«

Schnell springt er seiner Geliebten bei; Pauline schlägt die Augen wieder auf, erkennt Heinrich, lächelt ihm zärtlich zu und liegt Demjenigen in den Armen, von dem sie sich für immer getrennt wähnte; Heinrich drückt sie in höchster Freude an sein Herz, bedeckt sie mit Küssen, und sie, weit entfernt, ihn zurückzustoßen, gibt sich seiner Zärtlichkeit gänzlich hin, und beide vergessen die Bande, die sie umschlingen, um nur noch an die Liebe zu denken, welche sie von der rechten Bahn ablenkt und in den Abgrund zieht, den zu vermeiden sie nicht stark genug waren.

Die Reue folgte dem Vergehen auf dem Fuße nach; aber dieses Vergehen war keines von denen, welche ein Liebhaber durch neue Liebkosungen vergessen macht! ... Entsetzt über die Größe seines Verbrechens, wagt Heinrich nicht mehr, die Augen zu seinem Opfer aufzuschlagen. Pauline weint, schluchzt und bleibt bewußtlos auf dem Rasen, dem Zeugen ihrer Schuld, liegen. Und er, der sie in diesen Zustand gebracht, denkt nicht daran, ihr Hülfe zu leisten; eilfertig flieht er die unheilvolle Laube, vertieft sich in den Park, gewinnt das Weite und verschwindet, ehe die Sonne seine Frevelthat bescheint.

Arme Pauline! wer aber wird jetzt Deine Thränen trocknen ... Deiner Verzweiflung Einhalt thun?... Der verläßt Dich, der allein Deine Leiden lindern konnte! er verläßt Dich mit dem Schwure, nie Dich wiederzusehen!... Doch der Himmel wird sich Deiner erbarmen, ... wird Dir einen Freund, einen Tröster schicken, in dem Augenblicke, wo Du gegen die Vorsehung und die Härte Deines Geschickes murrst.

Vor Allem möchte es gut sein, dem Leser zu erklären, wie Pauline, die für todt galt, mit Heinrich in der Laube zusammentraf.

Wir haben gesehen, wie ärgerlich Müller war, daß sich Heinrich während der Krankheit seiner Schwester nicht vom Schloß entfernen wollte. Der gute Husar sah wohl ein, daß der junge Mann im Innersten seines Herzens stets eine Liebe bewahren werde, welche das Unglück seines übrigen Lebens ausmachen müßte, darum beschloß er, sie durch irgend ein gewaltsames Mittel zu ersticken. Wie er von Paulinens Krankheit hörte, stieg sogleich der Gedanke in ihm auf, sie für todt auszugeben. Deßhalb begab er sich zu der jungen Kranken, sich von ihrem Befinden selbst zu überzeugen; er fand sie sehr übel auf, und meinte, was er als eine Lüge ersonnen, könne Wohl zur Wahrheit werden. Nichts desto weniger wollte er den Lauf der Begebenheiten nicht abwarten, und noch denselben Abend kam er wieder zu Heinrich. Wir wissen, wie er sein Vorhaben ausführte. Obgleich er sich aber auf Ausbrüche des Schmerzes gefaßt machte, glaubte er doch nicht, daß seine List eine so heftige Wirkung hervorbringen werde, und als er seinen geliebten Heinrich am Rande des Grabes sah, da gereute ihn das Mittel, das er angewendet, ihn von seiner Liebe zu heilen. Endlich erlangte Heinrich die Gesundheit wieder und Müller athmete neu auf. Während dessen Krankheit hatte er durch Frank erfahren, daß Pauline beinahe völlig hergestellt sei: da aber die Krisis vorüber war, wollte er Heinrich nichts davon mittheilen, sondern ihn in einem Irrthum belassen, der ihm die Ruhe wieder geben sollte. Darum trug er Sorge, Frank von seinem Herrn entfernt zu halten und diesen am Spazierengehen im Schlosse zu verhindern.

Müllers Plan war gut ausgedacht, aber das Verhängniß ließ dessen Vollführung nicht zu. Pauline, welche seit einigen Tagen in dem Garten die frische Luft genoß, hatte sich, durch die Schönheit des Abends angezogen, unter eine schattige Laube gesetzt und über ihrem Sinnen vergessen, daß die Stunde des Schlafengehens längst vorüber sei. Wir haben gesehen, wie der Teufel es anfing, daß er die beiden Liebenden zusammenbrachte und so in einem Nu alle Plane unseres Husaren über den Haufen warf.

Aber Müller konnte nicht immerwährend schlafen; der Gedanke an die vorgehabte Reise weckt ihn mit Anbruch des Tages auf; er springt aus dem Bette, kleidet sich an und eilt zu Heinrichs Schlafstätte, um zu hören, ob er eine gute Nacht gehabt. Wie groß ist sein Erstaunen, seine Unruhe... als er denselben nicht mehr in der Hütte sieht!... »Ho, ho!« sprach er, »mein junger Mensch hat abermals seine Streiche gemacht! Wir wollen keine Zeit verlieren und schnell hinter ihm her sein!...« Und damit ist Müller bereits im Park, den er nach allen Richtungen durchstreift; endlich führt ihn der Zufall in das unheilvolle Bosket; er glaubt von Ferne etwas zu unterscheiden, näher getreten sieht er Pauline leblos am Boden liegen.

Unser Husar gibt sich nicht lange Vermuthungen hin. »Der Teufel mischt sich ins Spiel,« sagte er, »sie haben einander gesehen, gesprochen und es ging hitzig her, wie es scheint. Wo ist denn aber mein Zögling?« Müller lud Pauline auf seine Schultern und schlug den Weg nach dem Schlosse ein. Dort lag man noch in tiefem Schlafe; aber auf sein Gepolter und Geschrei ist bald Alles auf den Beinen; die Diener springen im Hemde herbei, um zu erfahren, was es gibt: »Vorwärts, meine Freunde, Bomben und Granaten! Ihr müßt Alle die Umgegend durchstreifen, und zwar auf der Stelle. Euer junger Herr hat den Teufel im Leib; ich sehe wohl, es ist unnöthig, daß ich's Euch länger verhehle; macht Euch hinter ihm her, Jeder setze sich in Marsch, und man muß ihn zurückbringen, wäre er auch am Ende der Welt. Ich selbst werde Euch bald folgen.« Bei diesen Worten schiebt sie Müller fort ins Freie. Einige wollten sich widerspenstig zeigen und machten die Bemerkung, daß sie doch nicht im Hemde fortgehen können; Müller aber wirft sie zur Thüre hinaus, indem er ihnen einen Tritt vor den St... gibt, welchem Argumente Keiner widersteht.

Nachdem Müller seine Gesandten ausgeschickt hatte, kehrte er eiligst zu Pauline zurück und leistete ihr alle Hülfe, welche ihre Lage erheischte. Nach vielen Bemühungen von seiner Seite schlug sie endlich die Augen wieder auf. Der Name Heinrich war ihr erstes Wort; alsdann erblickte sie zu ihrer Verwunderung unsern Husaren an ihrer Seite. »Ja, ich sehe wohl. Sie sind erstaunt über meine Gegenwart,« sprach dieser, »und ich kann Sie ebenfalls versichern, ich wäre lieber hundert Meilen von Ihnen weg! ... Ja, wahrhaftig! ... Frank hatte wohl recht, als er von einem Verhängniß sprach! ...«

Pauline begriff nicht viel von dieser Rede: doch Müller erklärte ihr, was das heißen wolle und auf welche Art er sie im Bosket gefunden habe. – »Und was ist aus Heinrich geworden?« fragte Pauline. – »Er wird meine Vorwürfe gefürchtet haben und hat sich daher aus dem Staube gemacht!... doch sollte er wissen, daß ich trotz meiner strengen Miene kein Felsenherz habe! ...« Aber Müller machte sich noch keine Vorstellung von der Größe des Vergehens.

Er versuchte noch, Pauline zu trösten, und verließ ihr Gemach, um dem Flüchtigen nachzuspüren. Als Pauline allein war, ließ sie ihren Thränen freien Lauf; sie fürchtete und wünschte zu gleicher Zeit, es möchte Müller gelingen, Heinrich wieder zurückzuführen; zuweilen machten Vernunft und Pflicht sie vor seiner Wiederkunft erbeben; allein die Liebe, stärker als alle Vernunftgründe, gewann stets wieder die Oberhand und trug am Ende den Sieg davon.

Indeß waren Müller und sämmtliche Diener im Schlosse zurück, ohne irgend eine Spur von Heinrich aufgefunden zu haben. Den folgenden Tag dieselben Nachforschungen, ohne bessern Erfolg. Tage und Wochen vergingen, aber Heinrich erschien nicht wieder. Müller ließ den Muth nicht sinken und war öfters acht Tage abwesend, in der Hoffnung, glücklicher zu sein: nach zwei Monaten ging ihm die Geduld aus und er wünschte Denjenigen laut zum Teufel, welchen wiederzufinden er im Grunde seines Herzens so sehnliches Verlangen trug.

»Warum aber eigentlich diese Flucht?« sagte Müller, als er sich einst mit Pauline allein befand; »ich hatte ihm zwar verboten, Sie zu sehen, nicht aber ein Narr zu werden.«

Pauline schlug die Augen nieder und antwortete nichts. Wie Müller sah, daß seine Fragen ihren Kummer nur vermehrten, sprach er von etwas Anderem und bemühte sich, sie zu zerstreuen. Das arme Kind schien in der That der Zerstreuung sehr zu bedürfen. Es war nicht mehr dieselbe Pauline, wie ein Jahr früher, so frisch und lieblich, aus deren Augen Freude und Gesundheit leuchtete. Ihre Thränen hatten deren Glanz gebrochen, ihr bleiches welkes Gesicht verrieth die Leiden ihrer Seele, und Alles in ihr verkündigte ein Opfer der Liebe.

Je mehr die Zeit verfloß, um so größer schien Paulinens Kummer zu werden. Ganze Tage schloß sie sich in ihr Gemach ein, oder weinte sie in einer einsamen Laube. Müller dachte, es sei der Gram über Heinrichs Flucht. Unser guter Husar war nicht viel heiterer als sie und sehr wenig geeignet, sie zu trösten.

Eines Abends war er aus dem Schlosse gegangen, um die frische Landluft zu genießen, als er von Ferne ein Frauenzimmer gewahrte, deren eilfertiger Gang irgend ein besonderes Vorhaben verkündete. »Ho! ho!« dachte Müller, »wer ist diese Frau?« Die Dunkelheit hinderte ihn, sie zu erkennen; doch beschloß er, zu Befriedigung seiner Neugierde, ihr zu folgen. Flüchtigen Fußes schritt die Unbekannte durch ein kleines Gehölz, welches zu einem in geringer Entfernung vom Dorfe befindlichen Teiche führte; sie nahm die ungangbarsten Pfade, schien sich zu fürchten, daß man sie sähe, und stand von Zeit zu Zeit still, wie um zu lauschen, ob man ihr nicht nachschleiche. Dann versteckte sich Müller hinter einen Baum, hielt den Athem an und machte nicht die geringste Bewegung. So gelangten beide zum Ufer. Auf einer kleinen Anhöhe, welche den Teich beherrschte, hielt die Unbekannte inne und ließ sich auf die Kniee nieder. Müller seinerseits blieb gleichfalls stehen; ein unbestimmtes Grausen hatte sich seiner Sinne bemächtigt. Bald ließ eine jammervolle Stimme folgende Worte erschallen: »O, mein Gott! vergib mir die Handlung, die ich zu vollführen im Begriffe stehe! Hab' Erbarmen mit meiner Verzweiflung, drücke Den nicht mit Deinem ganzen Zorne nieder, der mein Verbrechen theilte, und für den ich ein Dasein zum Opfer bringe, das ich nicht mehr zu ertragen vermag!«

Weiter hörte Müller nicht. Da er die Stimme kannte, lief er auf Die zu, die er retten wollte, aber es war nicht mehr Zeit. Pauline, denn diese war's, hatte sich ins Wasser gestürzt.

Unser Husar wirft, ohne einen Augenblick zu verlieren, Mütze, Wamms und was ihm hätte hinderlich sein können, bei Seite, springt der Unglücklichen nach, erreicht sie schwimmend, faßt sie mit kräftiger Faust, bringt sie ans Ufer und dankt dem Himmel für seinen Beistand in diesem Unternehmen.

Er hatte Pauline auf den Boden niedergelegt, aber sie war leblos und ihr Zustand erheischte schleunige Hülfe. Wie sollte er's indeß machen? Es war spät, alle Dorfbewohner lagen in der Ruhe. Nur ein Ausweg blieb übrig, nämlich ins Schloß zurückzukehren; sie waren weit von demselben entfernt, und der gute Husar fühlte sich durch alle auf ihn eingedrungenen Stöße erschöpft; aber der Wunsch, eine gute Handlung zu vollbringen, gab ihm seine Kräfte wieder: er lud Pauline auf die Schultern und schlug mit dieser kostbaren Last muthvoll den Weg nach dem Schlosse ein.

Nach einer Stunde mühseligen Marsches sah Müller endlich das Ziel seiner Wanderungen vor sich. Jedermann war schon zu Bette; allein er hatte immer den Schlüssel zur kleinen Pforte des Parkes; hier legte er Pauline auf die Erde und schloß das Pförtchen auf. Wie er das Mädchen wieder aufnahm, fühlte er, daß ihr Herz schlug und sie leicht athmete. »Gottlob,« sprach er, »sie ist nicht todt und ich bin für meine Mühe belohnt.« Die Erschütterung des Marsches hatte ihre Sinne wirklich auf's Neue belebt, und als Müller sie auf ihr Bett niederlegte, schlug sie die Augen wieder auf, ohne daß er fremder Hülfe bedurfte.

»Wo bin ich?« sagte sie, ihre Blicke, worin sich Verwunderung und Schmerz malten, umherwerfend. – »An einem Orte, den sie künftig nicht mehr ohne meine Erlaubniß verlassen werden,« entgegnete Müller mit strengem Tone. – »Wie! Ihr seid's, Müller? wie kommt es? – Wie es kommt ... ich ging Ihnen nach, Fräulein, und der Himmel gab zu, daß ich noch zeitlich anlangte, um Ihre Missethat zu verhindern! Wollen Sie mir aber gleichfalls sagen, wie es kommt, daß Sie in solch übermäßigen Wahnsinn verfallen? Welche Trostlosigkeit wirkte denn auf Sie ein? Was verwirrte Ihren Verstand? ... Sie schweigen? ... Sprechen Sie, mein Fräulein, nicht durch Schweigen wascht man sich von solch einem Verbrechen rein: ja von einem Verbrechen, ich wiederhole es; und was auch der Beweggrund sein möge, es ist immer ein Verbrechen, wenn man sich das Leben nimmt; ich achte die Unglücklichen, welche ihre Leiden muthvoll ertragen, aber ich verachte die, welche sich durch eine Feigheit von denselben befreien.«

Aufmerksam hörte Pauline Müllern zu, seine energische Rede brachte die erwartete Wirkung auf sie hervor: dieselbe erweichte ihr Gemüth, und die Unglückliche vergoß einen Strom von Thränen. Sobald Müller sie weinen sah, wich seine Strenge und er näherte sich ihr, um sie zu trösten.

»Nun, ich verzeihe Ihnen,« sprach er, sie bei der Hand fassend; »aber unter einer Bedingung. – Unter welcher? – Daß Sie mir die Ursache Ihrer Verzweiflung sagen; denn eine solche muß doch da sein. – Ach, zwingt mich nicht, durch Erzählung meiner Schande vor Euch zu erröthen. – Es muß sein, sage ich Ihnen! nun, Donnerwetter! Muth gefaßt! – Ihr befehlt es? ... O, mein Gott! wie schwer wird mir's ... Wohlan denn! ... – Vorwärts! – Ich bin ... – Sie sind? ... – Ich bin schwanger!«

Müller ist vernichtet. Pauline birgt das Gesicht in ihren Händen. »Sie sind schwanger! ...« sagte Müller, endlich aus seiner Betäubung zurückkommend, »und Sie wollen sich den Tod geben! Unglückselige! Sie wollen also auch das unschuldige Opfer, das Sie unter Ihrem Herzen tragen, ermorden? Ha! Sie sind strafbarer als ich ahnte! – Ich fühle mein Verbrechen nur zu sehr! aber ach! ist nicht das unglückliche Geschöpf, das ich des Lichts beraubt hätte, schon vor seiner Geburt der Schande und Verachtung geweiht? Ein Kind des Verbrechens und des Unglücks, wird es je wagen, die Urheber seiner Tage zu nennen? ... – Was wollen Sie damit sagen? – Muß ich Euch noch belehren, wer sein Vater ist? – Wie! Heinrich? mein Zögling? Ha! dreifaches Donnerwetter! das bringt mich unter den Boden! Jetzt bleibt mir nichts mehr übrig, als mir von einem Achtundvierzigpfünder den Kopf wegnehmen zu lassen.«

Paulinens Geständniß hatte den Rest ihrer Kräfte vollends aufgerieben, und bewußtlos fiel sie auf ihr Bett zurück. Müllers ganzes Geistesvermögen war durch das eben Gehörte zu sehr betroffen, als daß er im Stande gewesen wäre, das um ihn her Vorgehende wahrzunehmen. Regungslos vor dem Kamin, starrte er, ohne zu sehen, träumte, ohne zu denken, litt, ohne zu fühlen, und die Nacht ging ihm vorüber, ohne daß er von seiner Regungslosigkeit sich erholt hatte.

Mehrfache Schläge an das Thor des Schlosses riefen ihn wieder zu sich; er rieb sich die Augen wie Einer, der aus einem schweren Traume erwacht, schaute verwundert umher und sah Pauline noch in dem gleichen Zustande. Dieser Anblick ruft ihm alles Vorgefallene ins Gedächtniß zurück; zwei große Thränen rollen aus seinen Augen; seufzend wischt er sie ab, schüttelt den Kopf, streicht seinen Schnurrbart und stürzt die Treppe hinab.

Man fuhr fort, gewaltig zu klopfen; der Pförtner kleidete sich gemächlich an; Müller, ungeduldig, öffnet selbst. Ein Eilbote händigt ihm ein Schreiben ein und entfernt sich schnell wieder mit dem Bemerken, daß es keiner Antwort bedürfe. Müller hielt den Brief in der Hand, dachte an andere Dinge, als ihn zu lesen, bis er, zufällig auf die Adresse sehend, die Handschrift seines Obersten erkannte. »Ho! ho!« sprach er, sich die Augen reibend, um sich zu überzeugen, daß er nicht träume; »es ist wirklich von meinem Oberst und an mich gerichtet! Durch welchen Zufall weiß er, daß ich im Schlosse bin? ... Und das Thier von einem Boten flog wieder davon wie eine Bombe! Ich hätte ihn ausfragen sollen: nun laß uns lesen ... Ich glaube, ich zittere zum ersten Mal in meinem Leben! Weiß mein Oberst alles Vorgefallene, so ist dieser Brief meine Verdammung! Gleichviel, ich habe Strafe verdient und hätte den Muth, mich selbst abzuthun, wenn mein Oberst es beföhle!«

Mit diesen Worten reißt Müller den Brief ungestüm auf und durchfliegt dessen Inhalt; bald geht eine merkliche Aenderung auf seinem Gesichte vor, je weiter er liest; Thränen entströmen den Augen des wackern Husaren, aber es sind Thränen der Freude, der Lust, der Rührung. Kaum hat er ausgelesen, als er wie wahnsinnig nach der Treppe stürzt, die zu Paulinens Gemächern hinaufführt. »Vivat! Sieg!« schrie Müller unter mächtigen Sätzen die Treppe hinauf. Endlich gelangt er in das Zimmer Paulinens, welche ihre Kammerfrau wieder zu sich gebracht hatte. Erstaunt blickt sie Müller'n an; sie faßt nichts von dieser außerordentlichen Freude. »Da lesen Sie, lesen Sie selbst,« sagte Müller, ihr den eben erhaltenen Brief darreichend, »und Sie mögen sehen, ob ich Unrecht habe, vor Jubel außer mir zu sein.« Ehe wir jedoch dem Leser den Grund von Müllers plötzlicher Freude erklären, müssen wir wieder den Oberst Framberg aufsuchen, den wir, im Begriff nach Paris abzureisen, verlassen haben.


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