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Dreizehntes Kapitel.

Fortsetzung des Vorhergehenden.

Am andern Morgen, bei Tagesanbruch, erlangte Heinrich die Erlaubniß der Marquisin, sich nach Hause zu begeben. Nachdem er auf's Zärtlichste Abschied genommen, öffnete er leise die Thüre des Kabinets und ging die Treppe hinab; kaum hatte er einige Schritte gemacht, als Julie dicht vor ihm stand. »Wie! Sie sind's, mein Herr? – Ja, Julie, ich selbst. – Und wie sind Sie aus Ihrem Schranke herausgekommen? – Ich that, so gut ich konnte; aber in Wahrheit, liebe Julie, ich bin jetzt zu müde, um Dir's erzählen zu können ... – Wenn Sie jetzt, wo die Frau Marquisin schläft, in mein Zimmer heraufkommen möchten ... – Nein, Theuerste, es ist Zeit, nach meinem Gasthofe zurückzukehren; diesen Abend will ich Dir sagen, was Du wissen willst.« Mit diesen Worten ging Heinrich die Treppe hinab und verließ eilends das Hôtel der Marquisin.

»Wahrhaftig, ich begreife gar nicht,« sprach Julie bei sich selbst; und voll Ungeduld erwartete sie den Augenblick, wo sie sich zu ihrer Gebieterin begeben mußte. Gegen die Mittagsstunde klingelte die Marquisin. Julie ging in größter Eile hinab, nicht wissend, ob sie fürchten oder hoffen sollte; aber wie angenehm ward sie überrascht, als sie ihre Gebieterin in der herrlichsten Laune sah, und diese sie nur ihre liebe, gute Julie nannte. Da Julie nicht wußte, was sie aus einem so schmeichelhaften Empfang abnehmen sollte, glaubte sie am Ende, die Marquisin sei mit Allem unbekannt, und letztere blieb bei ihren Liebkosungen und ihrer Freundlichkeit, ohne ihr ein Mehreres über das sagen zu wollen, was sie von Julien schon errathen wähnte.

In Hause schrieb Heinrich an den Oberst, ihn um Geld zu bitten, und schickte Frank mit dem Brief nach der Post. Nachdem Frank die Adresse gelesen, blickte er seinen Herrn lächelnd und mit einer Miene an, welche sagen wollte: »Da sind ja meine Vorhersagungen schon in Erfüllung gegangen.« Aber Heinrich warf sich auf sein Bett, ohne ein Wort zu sprechen, und Frank sagte bei sich selbst: »Wenn sein Verhängnis will, daß er sein Geld verlieren soll, so ist's nicht möglich, ihn davon abzubringen.«

Mehrere Monate verflossen auf gleiche Weise. Heinrich theilte seine Zeit zwischen der Marquisin, Julien und dem Spiel. Der Oberst hatte ihm das erbetene Geld geschickt, und Heinrich sah sich im Stande, diese Lebensweise fortzusetzen; überdies war ihm das Spielglück, das ihn anfangs mißhandelte, günstig geworden, und er ergab sich mit Eifer einer Leidenschaft, welche ihn zuweilen die Marquisin und Julien vernachlässigen ließ.

So standen die Sachen, als eine junge neapolitanische Gräfin in den Cirkeln der Marquisin erschien. Heinrich konnte sie nicht sehen, ohne jene Liebe für sie zu fühlen, die er schon für die letztere empfunden hatte. Die junge Gräfin ihrerseits sah unsern Helden nicht mit Gleichgültigkeit; aber die Marquisin, bis zum Uebermaß eifersüchtig, las in Heinrichs Augen dessen neue Leidenschaft und beschloß, sich an dem Treulosen zu rächen.

Die Gelegenheit dazu blieb nicht lange aus. Heinrich empfing ein Billet, worin man ihn einlud, sich vor das Haus der Gräfin zu begeben, und ihm sagte, er werde zu seiner Geliebten geführt werden. Nicht zweifelnd, dieses Billet komme von der Gräfin selbst, rüstete sich Heinrich, im Hochgefühl erhörter Wünsche, zu seinem Rendezvous und ließ der Marquisin, welche ihn diesen Abend erwartete, sagen, er sei unwohl und könne sich nicht bei ihr einfinden.

Als die Stunde des Stelldicheins herankam und sich Heinrich zum Gehen anschickte, klopfte man mehrmals an seiner Thüre. »Vielleicht die Marquisin,« sagte Heinrich zu Frank; »man muß ihr nicht öffnen.« Doch die Worte: »Oeffnen Sie, öffnen Sie unbesorgt,« mit ängstlicher Stimme ausgesprochen, bestimmten ihn, zu sehen, wer es sein könne; er schloß auf und sah Julien in sein Gemach treten.

»Sie sind verwundert über meinen Besuch, gnädiger Herr,« redete Julie ihn an, »wenn Sie aber den Beweggrund desselben kennen, werden Sie mir, hoffe ich, Dank dafür wissen. – Was soll das heißen, Julie? – Das soll heißen, mein Herr, daß die Frau Marquisin Ihre neue Leidenschaft für die junge neapolitanische Gräfin, welche seit Kurzem in ihr Haus kommt, kennt ... – Wie, Julie! ... Du kannst denken? ... – Ach! ... mein Herr, mich können Sie nicht täuschen, ich weiß in Ihrem Herzen zu lesen; aber ich liebe Sie zu sehr, als daß ich mich rächen möchte, selbst wenn ich es könnte! ... Ich will Sie im Gegentheil aus der Schlinge retten, in die Sie zu fallen im Begriff stehen. – Was willst Du damit sagen, Julie? – Sie haben diesen Morgen ein Billet erhalten. – Es ist wahr. – Man gibt Ihnen darin ein Rendezvous für die heutige Mitternachtsstunde vor dem Hause, das die Gräfin bewohnt. – Wer hat Dich aber von dem Allem unterrichtet? – Ei! wie sollte ich's nicht wissen, da die Frau Marquisin Ihnen dieses Billet schreiben ließ? – Die Marquisin? – Sie selbst. – Und in welcher Absicht? – Zu sehen, ob Sie treulos an ihr werden, indem Sie an den Ort des Stelldicheins gehen. – Und wenn ich hingehe? Sie ist eine Italienerin; damit basta! – Wie? Du hältst sie für fähig, zu ...? – Die Eifersucht macht sie wüthend gegen Sie, und wenn Sie mir glauben, so gehen Sie nicht zu diesem Rendezvous. – Sei ruhig, liebe Julie, wenn ich hingehe, werde ich meine Vorsichtsmaßregeln ergreifen. – Uebrigens habe ich Sie gewarnt, jetzt lasse ich Sie allein: Ihr Schicksal liegt in Ihren eigenen Händen. – Leb wohl, theure Julie, glaube mir, ich werde mein Lebenlang nicht vergessen, was Du für mich gethan.«

Mit diesen Worten drückte sie Heinrich zärtlich an sein Herz, und sie entfernte sich schnell.

»Ein gutes Mädchen, diese Julie,« sagte Frank zu seinem Herrn, als sie fort war; »ich habe nicht gehört, was sie Ihnen sagte, und doch bin ich sicher, daß es zu Ihrem Besten ist ... – Frank! – Gnädiger Herr!– Halte zwei Pferde bereit und packe unsere Mantelsäcke ... – Wie? gnädiger Herr! ... reisen wir ab ? – Thu, was ich Dir sage und erwarte mich; in einem Augenblicke bin ich zurück. – Ganz recht, gnädiger Herr!«

Damit hüllte sich Heinrich in seinen Mantel und eilte an den zum Stelldichein bezeichneten Ort. Er wollte sich selbst überzeugen, wie weit die Marquisin ihre Rache treibe; doch gebrauchte er die Vorsicht, einen Degen und ein Paar Pistolen unter den Mantel zu nehmen.

Mitternacht hatte so eben geschlagen, als Heinrich vor dem Haus der Gräfin anlangte. »Ich komme vielleicht zu spät,« sagte er bei sich selbst, »und der ausgesonnene Streich wird unterbleiben.« Er ging inzwischen vor dem Hause auf und ab, welches die Ecke einer kleinen dunkeln Straße bildete und durch seine vereinzelte Lage sich für die Absichten der Marquisin eignete.

Er wartete seit einigen Minuten, als ein Mann, in einen Mantel gehüllt, mit einer Blendlaterne in der Hand, aus der kleinen Straße hervorkam und gerade auf Heinrich zuging. »Ihr seid pünktlich,« sagte er zu dem letztern, »so ist's gut: folgt mir, ich führe Euch zur Gräfin. – Und warum treten wir nicht durch diese Thüre ein?« fragte Heinrich den Unbekannten. – »Weil Ihr von Jedermann gesehen würdet, und da eine geheime Pforte auf die Straße hier führt, hat mir die Frau Gräfin aufgetragen. Euch durch diese einzuführen. – Voran also, ich folge Euch.«

Heinrich stellte sich, als folge er seinem Führer ohne Mißtrauen! aber er zog sachte seine Pistole unter seinem Mantel hervor und hielt sich auf Alles gefaßt. Kaum waren sie um die Straßenecke herum, als zwei andere Männer aus einem Hinterhalt hervorbrachen und unversehens auf Heinrich losstürzten. Unser Held empfing sie mit der Pistole in der Hand, und unverweilt auf sie abfeuernd, streckte er beide leblos zu Boden.

Wie der Mann mit der Laterne seine Kameraden fallen sah, dachte er nur noch an seine Flucht. Heinrich lief hinter ihm her, aber sein Meuchelmörder kannte die Schleichwege der Stadt besser und entschwand seinen Blicken schnell. Sich besinnend, daß, wenn er diesen verfolgen wolle, er auf eine noch größere Zahl stoßen könne, hielt es Heinrich für klüger, in seinen Gasthof zurückzukehren, und nach vielen Umwegen fand er ihn endlich wieder.

»Oh! oh! es scheint, der Abend war hitzig,« sagte Frank, als er Heinrich die entladenen Pistolen auf einen Tisch legen sah.

– »Ja, lieber Frank: da lade sie wieder. – Will der gnädige Herr wieder von vorne anfangen? – Nein, aber wir reisen. – Ah! es scheint, Sie haben genug ... Und wohin gehen wir, gnädiger Herr? nach Neapel? – Nein, ich habe Italien satt. – Desto besser, wahrlich, dies Land langweilte mich auch, ich ... – Wir gehen nach Frankreich, nach Paris, vielleicht bin ich dort glücklicher als bisher ... und finde Diejenige wieder, für welche ich mein Leben hingäbe! – Wie? Herr, Sie denken ihrer noch? – Ob ich an sie denke! ... ach! ... Frank, glaubst Du, diese rauschenden Vergnügungen, diese Leidenschaften eines Augenblicks, welche seit meiner Abreise meinen Geist in Anspruch nahmen, hätten das Andenken an meine theure Pauline aus meiner Seele verwischen können? ... Nein; diese so verführerischen Frauen haben meinen Kopf eingenommen, meine Sinne verwirrt, aber keine ist bis zu meinem Herzen gedrungen. – Das sehe ich wohl, daß Ihr Gefühl für Ihre Unbekannte die wahre Liebe ist ... – O ja! ... die zärtlichste, aufrichtigste Liebe! – Aber die Pferde stehen bereit, gnädiger Herr! – Warum sagtest Du denn nichts? ...«

»Sonderbar,« sprach Frank, als er Rom mit seinem Herrn verließ, »daß wir uns immer mitten in der Nacht auf die Reise begeben: das ist das Verhängniß! ...«


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