Ernst Kossak
Schweizerfahrten
Ernst Kossak

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1.
Nach Süden.

»An einem Sommernachmittage trabte eine mit zwei tüchtigen Rossen bespannte Extrapostchaise von Baden aus gemächlich die herrliche Bergstraße entlang gen Süden. Ein auf seiner Hochzeitsreise befindliches junges Ehepaar plauderte behaglich mit dem ältern Freunde auf dem Rücksitze von allerlei anmuthigen Scenen des eben verlassenen herrlichen Badeortes, die Schnitter auf den Feldern blieben stehen und grüßten lächelnd die junge Frau, die Mädchen warfen ihr Blumen zu, der Postillon blies ein lustiges Lied.« . . . . . . .

So etwa hätte vor 20 Jahren ein Tourist ältern Stils beginnen können, aber in Wirklichkeit und Gegenwart gestaltete sich die Sache ganz anders. Mein Freund stand mit zwei zusammengebundenen Regenschirmen, einem gerollten Plaid und zwei verschwollenen Reisesäcken bewaffnet neben einem Hochgebirge von Koffer, zwei Holzschachteln und einem trotzigen Felleisen, und bezahlte seine Fracht theurer als den Platz für seine junge Frau. Diese klammerte sich zitternd an seinen Arm und parirte mit dem großen Stahlbügel ihrer sammetnen Reisetasche nur schwach die Stöße zahlreicher Vertreter der Westmächte. »Der Eilzug von Heidelberg kommt!« »Treten Sie 2 beiseite – hier darf Keiner stehen –« »Der Zug nach Baden geht ab!« »Mein Gott, wo sollen nur einsteigen?« »Aprikosen – frisches Wasser!« »Kommen Sie mit«, rief ich, »das ist dort der Eilzug ins badische Oberland – in diesem Waggon sind noch drei Plätze zweiter Classe frei.« Ueber Gepäckstücke, Französinnen und österreichische Militärmusiker aus Rastadt stürzte ich mich muthig in die Bresche – ein Sohn Albions warf sich mir entgegen und nonote fürchterlich – ein Stoß und er verstummte. Wir setzten über ihn und die Mistreß unsern Weg fort und uns auf die noch übrigen Plätze. »Oskar, ich kann es nicht mehr aushalten, ich werde ohnmächtig«, rief unsere reizende Malwine und lehnte sich an den Gatten ihrer Wahl, indem sie die Augen schloß und auf die Engländer einen sterbenden, aber verzeihenden Blick warf.

»Sie stirbt mir – Doctor, die Flasche mit Eau de Cologne – sie stirbt – nein sie steckt in der blaugestreiften Reisetasche mit der Papagaistickerei – Malwine, theure Malwine, fasse Muth . . . erhole dich!«

Unterdessen hatte ich die Blaugestreifte aufgeschlossen, eine obenaufliegende feingeflochtene Korbflasche geöffnet und dem verzweifelnden Gemahl gereicht. Malwine lag noch immer schwer athmend in seinen Armen und sah reizend aus; Oskar tröpfelte von dem belebenden Fluidum ein wenig auf ihre Schläfe, ich hielt ihr ein angefeuchtetes Taschentuch vor den Mund; Malwine öffnete entsetzt die Augen. »Aber mein Gott, Oskar, was fällt dir ein? Abscheulicher Mensch – willst du mich tödten? Das ist ja nicht Eau de Cologne!« Oskar führte die Korbflasche an seine Kennernase und warf mir einen ernsten misbilligenden Blick zu. Allerdings war ich der Schuldige; ich hatte statt der Kölnerin eine mit Cognac gefüllte, für künftige Bergpartien bestimmte Korbflasche ergriffen. Was 3 aber Liebe und Freundschaft nicht vermocht, hatte der Cognac bewirkt – Malwine lebte wieder, sie lebte für Oskar. Während sie Stirn und Lippen abtrocknete und Oskar ihr voller Bewunderung zusah, strafte ich die verrätherische Korbflasche durch einen strengen Schluck, steckte sie dann wieder unter den gestickten Papagai und ordnete meine wenigen Habseligkeiten und Reiseutensilien. – So fing eigentlich unsere Schweizerreise an.

Der Zug hatte sich nach einem heillosen Getümmel und Geschrei, Dampfpfeifen und Klingeln in Bewegung gesetzt; wir überließen uns nach der fieberhaften Aufregung, die gewöhnlich mit dem Uebergange von einer Eisenbahnlinie auf die andere verbunden ist, jener unsaglichen Abspannung aller Nerven, in welcher ein ganzes Stück moderner Reisewonne besteht; nur Malwine beschämte uns Männer jetzt durch eine in dem zarten Wesen nie geahnte Stärke, eine weise vielseitige Umsicht.

»Lieber Oskar, mir fällt eben etwas ein.«

»Liebe Malwine?«

»Wenn die Leute von der Eisenbahn nur nicht den großen schwarzen Koffer auf meine Schachtel mit dem rosengarnirten Hütchen gesetzt haben, der Koffer stand dicht neben der Schachtel, ich habe es wol gesehen.«

»Die Leute werden doch nicht toll sein.«

»Mit der Haubenschachtel sind sie eben nicht zu zärtlich umgegangen.«

»Ich habe sie aber doch selber ganz leise auf unsern Koffer gestellt.«

»Als ob diese Leute irgendwelche Rücksicht nähmen – als du dich umsahst, stieß ein fürchterlicher Mensch mit einer ganz braunrothen Nase die Haubenschachtel mit dem Knie in den Packwagen – denke dir meine Hauben!«

4 »Hoffentlich haben sie keinen Schaden genommen«, tröstete Oskar die Geliebte seiner Seele.

Während unsere Eisenfuhre weiterjagt, muß ich der Lesegesellschaft zuerst zum Verständniß so mancher spätern naiven oder erhabenen Begebenheiten das junge Ehepaar vorstellen. Oskar gehörte jenem Stande an, der sich in der Civilsphäre aller jener Vortheile erfreut, die im Militär der Lieutenant genießt; er war Assessor. Oskar besaß jedoch Vermögen, und Malwine, das wohlbelesene schöne Kind eines berliner Rentier, harmonirte mit ihm auch in dieser Hinsicht; ihre Ehe war also mit der vollständigen Einwilligung aller Parteien geschlossen worden, selbst der Arnheim'sche Geldschrank des Schwiegervaters hatte seine beiden Thürflügel freudig ausgebreitet und den scheidenden jungen Leuten seinen Segen gegeben. In Baden auf einer Reunion, die ich mir nach meinem alten Grundsatze von außen durch das Fenster ansah, hatte ich das Ehepaar getroffen; sein Zustand litt schon die Gegenwart eines Dritten, ja er foderte ihn zuweilen. Schnell war ein Bündniß für eine Schweizerreise geschlossen, indem es nur den geheimen Zusatzartikel von meiner Seite gab, daß vorkommendenfalls das ganze Bündniß nichts gelten solle und Jeder eigentlich thun und lassen könne was er wolle. Mit Ausnahme gewisser Commissariatsreisen, wie sie junge Juristen nach Posen, Insterburg und andern anmuthigen Orten pflichtschuldigst zu unternehmen pflegen, war Oskar noch wenig in der Welt umhergekommen; Malwine kannte von der Welt nur Teplitz und die berliner Sommerwohnungen. Es war nicht möglich, zwei empfänglichere, aber zugleich unerfahrenere Wesen zu finden, doch waren sie bisjetzt noch wenig auf die Probe gestellt worden.

Wenn ich demnächst von mir selber reden darf, so empfand ich schon auf dem Bahnhofe von Oos bei Baden eine Art von 5 Reue über meine Bereitwilligkeit, mich dem zärtlichen Paare anzuschließen. Nicht sein Charakter flößte mir Bedenklichkeiten ein, aber sein Gepäck; es stand mit allen Begriffen einer aufgeklärten modernen Reisephilosophie in vollkommenem Widerspruche. Organisirt nach der Theorie der alten Post- und Haudererschule, eignete es sich vortrefflich dazu, hinten auf eine Kalesche oder auf das Verdeck einer Kutsche gebunden, auf den Rücksitz oder zum Kutscher gestellt zu werden – ein abgehärtetes ausdauerndes Gepäck war es nicht. Hätte ich seine Geschichte, die mir Malwine in diesem Augenblick mit einer allerliebsten Munterkeit erzählte, als ob alle Leiden überstanden wären, vorher gekannt, ich hätte nie in die gemeinschaftliche Reise gewilligt. Schon in Heidelberg hatte sie der Hauptkoffer, eine berliner Spottgeburt aus steifem Papier, schwarzem Handschuhleder und zarten Stiftchen, im Stiche gelassen. Das Schloß war abgerissen und er selber in Frankfurt a. M. bis zum nächsten Zuge zurückgeblieben. In feste Bande geschlagen, hatte ihn die Eisenbahnbehörde Abends im Hôtel abliefern lassen, und erfüllt von Mitleid über dieses unsagliche Kofferelend dem noch nichts ahnenden Ehepaare den neuen Strick geschenkt. Nur mit schweren Kosten war der Kranke durch einen heidelberger Künstler in Eisen und Leder mit einem neuen Gebiß versehen worden. Die Ruhetage in Baden hatten seine Gebrechen in Vergessenheit gebracht; nur ich, ein Mensch, der in seinem Leben viel durch Gepäck erduldet, hatte dem Koffer seine Tücke und unsere künftigen Leiden angemerkt. Wennmöglich noch zärtlicher waren die beiden Holzschachteln. Ihre Constitution vermochte weder Nässe noch Dürre zu ertragen, nur das alte Felleisen schien mir ein erfahrener Odysseus; doch enthielt es leider nur den Stiefelvorrath des jungen Gemahls und wurde stets mit unverdienter Zurücksetzung behandelt. Von den beiden Reisetaschen will ich 6 vorläufig schweigen, aber sie warfen wie zwei kränklich geborene Kinder auf unser ganzes Reisefamilienleben einen finstern Schlagschatten. Ich erlaubte mir einige Bedenklichkeiten über diese touristische Mitgift zu äußern.

»Was denken Sie«, rief die junge Dame erstaunt und empört, »glauben Sie, daß ich den ganzen Tag mit diesem braunen Congreßhut umherstolziren werde?«

»Aber gnädige Frau«, bemerkte ich schüchtern, »Sie scheinen einen erheblichen Theil ihrer Aussteuer mitgenommen zu haben.«

»Gewiß, wozu hätte ich sie denn?«

»Ich spreche nur in Ihrem eigenen Interesse und würde Ihnen rathen, nach Ausscheidung des Nothwendigsten, das in die beiden Reisetaschen gepackt werden mag, alle ihre Frachtstücke von Basel nach dem Bodensee zu senden und sie dort bei der Heimkehr poste restante in Empfang zu nehmen.«

Die junge Frau erröthete vor Zorn und sagte: »Glauben Sie, daß die Garderobe einer Dame sich wie die eines Herrn in eine Reisetasche stecken läßt?«

»Erwarten Sie denn, gnädige Frau, eine ›Garderobe‹ zu brauchen?« fragte ich etwas boshaft.

Ich mochte zu weit gegangen sein, die junge Frau blickte ihren Mann hülfeflehend an, und Oskar legte sich ins Mittel.

»Meine Frau gedenkt einige Zeit in Interlaken zu verweilen, lieber Freund, und es wäre doch nicht schicklich, wenn sie in der Toilette hinter den andern Damen zurückstände«, sagte Oskar in zurechtweisendem Tone zu mir.

»Interlaken – meinetwegen – so nehmen Sie den Ballast bis Interlaken mit.«

»Ballast«, seufzte Malwine, »meine gestickten Sachen, mein pariser Hut – Ballast.«

»Entschuldigen Sie, meine Verehrte, den Ausdruck in dem 7 Munde eines geborenen Seestädters, aber es kann auf Gebirgspartien so gut Ballast wie auf dem Meere geben, und Sie dürften zu spät für Ihre Behaglichkeit entdecken, daß man im Hochgebirge wie auf dem Meere viel zu schwer geladen haben kann.«

»Wir werden schon durchkommen«, begütigte mich Oskar.

»Erlauben Sie nur noch, daß ich Ihnen mit wenigen Worten die Geschichte von dem Manne erzähle, der auf einer Reise mit seiner Frau nach Italien, infolge einer ihm octroyirten Fracht von drittehalb Centnern, auf der Gotthardstraße in eine Packetomelancholie mit Anfällen von Raserei versank. Bald wollte er das Gepäck, bald seine Frau in die Reuß stürzen, und es blieb der Frau nichts übrig, als vom Hospiz aus mit dem Gepäck allein umzukehren, worauf der Mann plötzlich wiederhergestellt die Reise vergnügt fortsetzte.«

»Sie sind mit Ihrer Geschichte ein Ungeheuer«, schmollte die kleine Frau, »nicht wahr, Oskar, du wirst mich nie in die Reuß werfen wollen?«

»Malwine, welche Reden?« rief Oskar, »ich und eine solche abscheuliche Krankheit, wie die Packetomelancholie – kennst du deinen Oskar nicht besser?«

»Sie ist ein Leiden«, fügte ich im versöhnlichen Sinne hinzu, »das noch Niemanden während der Flitterwochen überfallen hat.« Ich schien leider schon zu viel gesagt zu haben; das Ehepaar that mich momentan in den Bann und flüsterte heimlich jenen zärtlichen Unsinn, den man in dem glücklichen Traume dieser schönen Zeit der lebhaftesten Unterhaltung mit Andern vorzieht. Alte Städte und malerische Landschaften flogen vorüber, sie sahen nicht die mit Reben bewachsenen Südabhänge des Schwarzwaldes, nicht den herrlichen Münster von Freiburg, sie hörten nicht das englische Ehepaar schnarchen; sie hatten nur Augen und Ohren füreinander. Endlich, als zur 8 Rechten westlich der Rhein erschien und die untergehende Sonne sein weites trockenes Geröllbette sanft röthete, sagte ich so sanft als möglich: »Lieber Assessor, ich glaube, wir werden in einer Viertelstunde auf dem Grund und Boden der Schweiz stehen. Sie haben ja seit Jahren den Wunsch im Stillen genährt, sie zu sehen – dort erblicken Sie schon einige Seitenarme des Rhein – bald werden Sie Republikaner von Angesicht zu Angesicht kennenlernen.«

Bei dem Worte »Republikaner« fuhr Malwine erschrocken auf; als der ehelichen Tochter eines berliner Rentier mußte ihr dieser Ausdruck der widerwärtigste im Lexikon sein.

»Oskar«, sagte sie, »hast du auch schon daran gedacht?«

Der Assessor lächelte mit Ueberlegenheit: »Liebes Kind, du machst dir eine falsche Vorstellung von Republikanern –« Ein gellender Locomotivenpfiff unterbrach sein muthmaßlich sehr schön gedachtes Plaidoyer zu Gunsten der Helvetier; der Zug fuhr in den Bahnhof von Basel ein. Mich für mein Theil machten weniger die Republikaner als die Bewohner der monarchischen Staaten, unsere Reisegefährten, zittern. Sie stürzten sich aus den Waggons über die Schweiz her wie hungerige Jäger über ein Lamm; das kosmopolitische Adieu beim babylonischen Thurmbau kann unmöglich stürmischer gewesen sein als der Anlauf gegen den Tisch der Packetvertheilung. Wäre ich allein gewesen, ich hätte mich mit meiner Reisetasche, Regenschirm und Plaid sofort entfernen können; als Alliirter mußte ich bei dem Ehepaare aushalten. Schon war ich förmlich zum Vormund der Papagaientasche, zum Träger der Regenschirme ernannt; ich konnte Ansprüche auf Bezahlung persönlicher Ueberfracht erheben. Oskar führte Malwine nach dem Postomnibus, denn die jungen Leute hatten sich im ersten Reisefeuer in den Kopf gesetzt, mit dem um 9 Uhr abgehenden Wagen noch in dieser Nacht bis Bern zu fahren. 9 »Sorgt nur für die hohe Schachtel mit dem Hut!« rief uns noch ihre im Innern des Wagens verhallende Stimme nach; wir hatten erst für uns selber zu sorgen. Der Kampf war fürchterlich – England schlug sich wie bei Inkerman – Frankreich stürmte wie gegen den Malakow – wir sprangen verzweifelt mit dem Gepäckzettel hin und her – ich vergesse diesen Abend zeitlebens nicht mehr. Die scharfe Messingecke eines nordamerikanischen Koffergiganten zerquetschte meinen Filz, ein englischer Ballen meine Rippen; endlich erbeuteten wir die Sachen und einen Menschen, der sie nach dem Wagen trug. Das Ehepaar überließ sich jetzt der neuen Sorge, zu spät zur Post zu kommen. Was kümmerte die Leutchen der im Sternen- und Flammenschimmer dunkelflutende breite Rhein, was die alterthümliche Häuserfronte an seinem südlichen Ufer? Malwine vergaß selbst ihre Furcht vor den Republikanern – doch der Omnibus rollte in gewohntem Tempo vondannen und brachte uns rechtzeitig an Ort und Stelle.


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