Ernst Kossak
Schweizerfahrten
Ernst Kossak

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15.
Rigi.

Der Weg von Wäggis auf den Rigi ist der verhältnißmäßig steilste von den zahlreichen Pfaden auf diesen beliebtesten aller Schweizerberge, doch ist er gut im Stande gehalten und legt leidlichen Fußgängern nicht die geringsten Schwierigkeiten in den Weg. Wer landschaftliche Ueberraschungen liebt, und um des Effects willen nach langem Marsche zwischen Fels und Busch plötzlich auf dem Gipfel des Rigi die weite Rundschau zu genießen, die bezaubernden Landschaftsbilder der Umgebung des Berges opfern mag, der wird wohlthun, den Rigi auf einem der Pfade, die den Rücken und die östliche Seite des Berges kreuzen, zu besteigen. Nach meiner Theorie ist es aber weiser, jede Stunde in diesen herrlichen Gegenden auszubeuten, und ich bereue nicht, die von Nebel und Wolken abhängige, sehr zweifelhafte Ueberraschung für die Wandelbilder meines Nachmittagsritts hingegeben zu haben.

Lange führt der Felspfad durch schönes Buschwerk und Laubholz, das rings die lieblichen und fruchtbaren Gärten der Ortschaften am Seeufer gegen die kahlen Terrassen der höhern Gegenden des Rigi abgrenzt. Zahlreiche Oeffnungen in dem Ast- und Blätterwerk gestatten aber die anziehendsten Durchblicke auf die ganze Gegend und den lieblichgrünen Vierwaldstättersee. Trotz der außerordentlichen Wärme des Tages 100 vermochte ich mich an diesen großen magischen Augen des Gewässers, die durch den schattigen Waldrahmen träumerisch emporblickten, nicht satt zu sehen und widmete nur zuweilen meinem Rozinante einige Augenblicke, um ihm mit einem Zweige die lästigen Stechfliegen abzuwehren, obwol ausdrücklich oben in der St. Michaelskapelle auf einer Tafel bemerkt ist, »daß dieser königliche Berg von Gott dem Allmächtigen mit der Freyheit begabt sei, daß darauf kein Ungezyffer noch vergifftig Thier zu finden«. Der arme Gaul fühlte sich vollständig pensionsberechtigt, trug aber seine Last so gelassen wie ein vielduldender Kanzleirath. Der alte Schweizer trottete ruhig neben uns bergan und wußte trotz der Anstrengungen des Marsches noch allerlei Lehrreiches und Unterhaltendes zu erzählen, das ich leider in Abwesenheit eines Dolmetschers nicht zu genießen vermochte.

Wir waren noch nicht sonderlich weit gekommen, als wir schon heimkehrende Reisende trafen, und die ganze Strecke bis zum sogenannten Kaltbad trug den Charakter einer vielbesuchten, beliebten Promenade an sich, deren oberes Ende irgendein mächtiger Zauberer aus Muthwillen um 4000 Fuß erhöht hat. Der merkwürdigste Gegenstand auf dieser Laufbahn war eine kleine vermagerte Dame, die, rückwärts in einem Tragsessel lehnend, von vier herculischen Kerlen »mühsam« bergab getragen wurde. Das beklagenswerthe Persönchen mochte mit ihrem ausgedörrten Knicker und einem winzigen Pompadour höchstens 70–80 Pfund wiegen, nichtsdestoweniger waren vier Athleten für nothwendig erachtet worden, diese zarte Perle Altenglands nach Wäggis zu schaffen. Den Gipfel der Lächerlichkeit erreichte die Scene aber durch die sichtliche Einbildung der guten alten Jungfer, wirklich so überaus schwer zu sein. Auf der Ruhestation, wo wir zusammen verweilten, beklagte sie sich gegen ihren Begleiter, einen riesenartigen, braunen 101 Engländer, daß sie die Träger von ganzem Herzen bedaure, ihnen so lästig zu fallen. Die republikanischen Enackssöhne aber lagen eine Strecke weiter hinter einem Felsstück, thaten als ob sie den Schweiß von den Stirnen wischten, und lachten. Es spricht unstreitig für die gänzliche Unfähigkeit der biedern Helvetier, sich auf hinterlistige Weise zu verstellen, wenn man mit hoher Befriedigung entdeckt, daß sie dem von ihnen geprellten Fremden offen in das Gesicht lachen.

In gemüthlicher Erhebung über dieses abermalige glänzende Beispiel der Rechtlichkeit, das mich an die bescheidenen und unermüdlichen Träger im schlesischen Riesengebirge erinnerte, wo zwei Männer für einen geringern Tagelohn, als die Rigiträger für zwei bis drei Stunden erhalten, schwere Personen vom frühen Morgen bis an den späten Abend umherschleppen, zogen wir weiter, passirten die Kapelle, das seltsame Felsenthor, und gelangten endlich aus der Waldregion auf die Alp und an das oftgenannte Rigi-Kaltbad. Da es etwa 6½ Uhr Abends, also gerade die geeignete Promenadezeit war, und mir von verschiedenen Seiten schon in Interlaken gesagt worden war, daß Rigi-Kaltbad an Eleganz seiner Besucher den ersten Rang in der Schweiz einnehme, näherte ich mich diesem Centrum der republikanischen Eleganz nicht ohne Herzklopfen, und mein offenbar sehr demüthiger Aufzug flößte mir schon vorher einen geheimen Schrecken vor den Notabilitäten des Kaltbades ein. Sobald ich mich jedoch der berühmten Kaltwasserheilanstalt näherte, wuchs wieder mein Muth, und bald fühlte ich mich ebenso heroisch gestimmt als mein Vorfahr zu Roß im Angesicht der berühmten Windmühlen. Das gefürchtete Kaltbad löste sich in ein ziemlich unbedeutendes Gebäude auf, das durch allerlei Hecken, Zäune und Nebenbaulichkeiten von weitem ein gewisses Ansehen erhielt. Auf der Promenade, welche sich am schattenlosen Bergabhang die Höhe 102 hinan erstreckte, spazierten nur einige längst aus der Mode gerathene Frauenzimmer mit seltsam großen Füßen, und ein paar Jungen, die auf einem Zaune ritten, beschauten mich durch ein zerbrochenes Taschenperspectiv. Diese elegante Welt verletzte weiter nicht die Reste meines Eigendünkels, vielmehr wuchs mein Selbstvertrauen, und mein stolpernder Rozinante erschien meinen Augen wie der stattliche Babieça des Cid. Zwei Herren, die ich an den offenen Fenstern ihrer Wohnstuben erblickte, erregten sogar meine herzliche Theilnahme. Der Jüngere von Beiden hielt nämlich ein Paar schwarze Beinkleider prüfend in die röthliche Abendsonne und ließ die freundlichen Strahlen durch einen Riß fallen, den zu heilen in dieser Alpenhöhe keine Schneidernadel kühn und gewandt genug war. Auf dem Antlitz des Unglücklichen lag die hoffnungsloseste Schwermuth in einen dichten Knäuel zusammengeballt; er schien zu überlegen, ob er, gleich dem Könige von Thule, sein Kleinod in den See werfen und dann sterben, oder ohne Beinkleider die Last des Lebens noch länger ertragen solle. Der ältere Herr stimmte mich vielleicht noch mehr zum Mitleid: er rasirte sich nämlich. Ein Mensch, der sich Abends kurz vor Schlafengehen ohne erklärlichen Grund den Bart abnimmt, erschüttert meine Seele ebenso sehr wie ein gesundes Subject, das sich bei klarem Wetter Vormittags zu Bette legt. Abendliches Rasiren setzt eine schreckenerregende Zerfallenheit mit den gutmüthigen und regelrechten Gebräuchen der Menschen voraus, ein bedrohliches Hinneigen zum Dämonismus, es erinnert, als ein muthwilliges Spiel mit Bartstoppeln, Seifenschaum und scharfem Stahl, so auffallend an den Act des Halsabschneidens, verhöhnt so spöttisch die liebliche Ordnung des Tages und verdächtigt den Ort, wo es geschieht, durch so viele diabolische Vermuthungen auf wochenlangen Mismuth, elenden Kaffee, Wanzen, nasse Wände, schlecht 103 geputzte Stiefeln, Mangel an Büchern, und Suppe mit Zwiebelstreifen, daß meine Kraft, den Anblick des sich zu Nacht rasirenden Herrn zu ertragen, nicht ausreichte, und ich schaudernd ohne anzuhalten weiterritt.

Kaum hatte ich 100 Schritte hinter dem Kaltbade zurückgelegt, als mir der Nachmittags ausgesandte Junge entgegenkam und mir anzeigte, daß auf dem Rigikulm nicht mehr der geringste Raum vorhanden sei, daß er aber auf der etwa eine halbe Stunde unter dem Gipfel gelegenen Rigistaffel das letzte kleine Zimmer für mich belegt habe. Er erhielt hierauf seinen Franc und verschwand nach Landessitte, diesmal in einer tiefen Bodenfurche, da sich kein beachtenswerther und geeigneter Abgrund in der Nähe befand.

Etwa noch ein Stündchen stolperten wir über ein leidlich steiles Terrain und erreichten dann um 7½ Uhr Rigistaffel, wo mein Ohr, noch ehe ich den Sattel verlassen hatte, durch den weichen ionischen Dialekt der Spandauerstraße erquickt wurde. Eine ansehnliche Gesellschaft von Engroisten und ihren Reisecommis hatte von Basel aus die Geschäftsreise unterbrochen, und einen Vergnügungsabstecher nach Luzern und dem Rigi gemacht; sie erwartete jetzt den Sonnenuntergang mit der Ruhe von Philosophen, welche wissen, daß in wenigen Augenblicken der Laden zugemacht werden muß. Leider ließ sich die Natur heute auf nichts ein; so schön der Tag gewesen war, so trübe endete der Abend. Ein rothgrauer Nebel stieg im Westen auf und verschleierte die Hälfte des Horizonts; um den Sonnenuntergang waren wir gekommen, und die Engroisten rächten sich durch höchst anzügliche Witze an der Natur. In Ermangelung poetischerer Dinge betrachtete ich daher den Ort und die menschliche Staffage desselben mit desto gewissenhafterer Genauigkeit und prägte das Ergebniß meinem Gedächtniß fest ein. Das Wirthshaus von Rigistaffel war bis unter das Dach mit Reisenden angefüllt, und noch fortwährend kamen ganze Züge an, die ohne weiteres zuerst im Pferdestall, dann im Kuhstall untergebracht wurden; die Letztangekommenen waren daher sichtlich erfreut, daß auf Rigistaffel die Schweinezucht noch nicht festen Fuß gefaßt hat. Da viele Touristen ihre Pferde nur zum Hinaufreiten gemiethet hatten, so eilten die Knechte in der Dämmerung wieder nach Hause, und die langen Züge der im Dunkel rasch verschwindenden Pferde machten auf mich den unheimlichen Eindruck geschlagener und fliehender Schwadronen. Schätzte man die Anzahl der vor der Thür stehenden Touristen, Kuriere, Führer, Diener und Jungen ab, so begriff man schlechterdings nicht, wo diese Menschenmenge die Nacht zubringen wollte. In dem weiten und niedrigen Speisesaal wurde eine ungeheure Tafel gedeckt und die Couverts alle 10 Minuten enger aneinandergerückt, zuletzt noch gar hart an der Thür ein Trompeter- oder Katzentisch arrangirt, an dem später acht junge, sehr lebhafte Herren Platz nahmen. Nachdem sich das Charivari von Koffern, Absätzen und Stimmen einigermaßen gelegt hatte, wurde das Zeichen zum Souper gegeben. Meine geistigen Fähigkeiten waren aber in diesem Augenblick schon soweit niedergetrampelt worden, daß ich nicht mehr mit Bestimmtheit anzugeben vermag, ob geläutet, gebrüllt oder einfach vom Wirth ein Reisender beim Kragen ergriffen und mit seinem Leichnam zum Signal gegen die Holzwand geschlagen wurde. Als ich wieder zu mir kam, saß ich neben einem medicinischen wiener Professor, der mit seiner viel zu jungen Frau diese Nacht im Kuhstall wohnen sollte und sich bei mir erkundigte, welche Weinsorte man auf der Karte wol auswählen sollte? Ich unterdrückte meine bittern Thränen über diese Frage eines kindlich reinen Gemüths und wies ihn an das uns gegenübersitzende Reisephänomen, das mit seinem Nachkommen 105 wirklich angelangt war. Der Engländer verstand aber schlechterdings nicht den wiener Dialekt und sagte nur mit tröstendem Tone: »O, ein sehr gutes Haus, Rigistaffel, yes, ich bin schon oft hier gewesen, ein sehr gutes Haus, yes, sehr gut!«

Der Wiener fügte sich also in sein Schicksal und wählte auf das Gerathewohl unter den sämmtlich ungenießbaren Rebensäften einen Fünffrancskrätzer aus. Die Rigitour schien des guten alten Jungen erste größere Reise vorzustellen, und er mochte bis dahin höchstens nach dem Kahlenberg und Baden gekommen sein. Nie sah ich ein anziehenderes jungfräuliches Entsetzen wie das meines Professors, als die nach Landessitte zubereitete, eine Suppe vorstellende, salzige Schnittlauchjauche auf dem Tisch erschien, als er das grobe dürre Brot, das derbe ungestoßene Steinsalz erblickte. Mehlspeise, gebackene Hähndl, Rehrücken – wo waret ihr? – Gehen wir aber zu allgemeinen Betrachtungen über. Eine mehrwöchentliche Erfahrung hatte mich belehrt, daß bei jeder Schweizermahlzeit das zweite Gericht durch eine große Schüssel ungeschälter Kartoffeln mit Butter und Salz gebildet wird. Nun war es außerordentlich interessant, unter den Gästen die eben in die Schweiz kommenden und die über den Rigi abreisenden mittels dieser Kartoffelschüsseln zu unterscheiden. Die Ankömmlinge verschmähten theils mit einem vornehmen Lächeln die Bauernkost, theils naschten sie ein wenig davon, mehr um der frischen Butter als der leidigen harten Erdäpfel willen; die Abreisenden dagegen arbeiteten große Stollen in das Kartoffelgebirge und fristeten auf eine rechtschaffene, aber freilich sehr mühsame Weise ihr armes Leben, weil sie zu gut wußten, wie wenig der Schweizer für 3 Francs verabreicht. Ich wäre auch nach dieser Kartoffelschwelgerei gleich von Tisch aufgebrochen, wenn mich nicht die auffallende Heiterkeit der jungen 106 Leute hinter uns an dem Trompetertisch, und dann eine seltsam vulkanisch angebrannte Versteinerung, die für »Ziegenbraten« ausgegeben wurde, noch ein Stündchen gefesselt hätte. Die Jünglinge hatten sich in der Freude ihres Herzens Champagner geben lassen und fanden ihn so urschlecht und grunderbärmlich, daß sie sich gar nicht beruhigen konnten, sondern noch mehre andere Sorten Sect bringen ließen und damit ihre Führer tractirten. Der Umstand, daß die Champagner immer nichtsnutziger und die Führer dessenungeachtet immer vergnügter wurden, reizte die reichen hübschen Bursche zu einem so anhaltenden frischen Gelächter, daß ich es noch oft in meinen Träumen hören werde.

Plötzlich entstand eine sonderbare Unruhe in der zahlreichen Gesellschaft, alte Herren führen sentimentale junge Damen rasch an das Fenster und öffnen die Flügel – Seekrankheit? – nein, nur der Vollmond! Er geht gluthroth im Osten auf und blickt kalt und verächtlich auf die verfallenen Kuppen Helvetiens. Man hat sich auch sehr bald an ihm satt gesehen und schließt die Fenster, während ich vondannen schleiche, meinem Pferdebändiger den Auftrag gebe vor Tagesanbruch zu satteln, und mich ruhig zu Bette lege.


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