Ernst Kossak
Schweizerfahrten
Ernst Kossak

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10.
Meyringen.

Gewiß werden viele unter unsern Lesern auf ihrer Schweizerreise zu Meyringen im Wilden Mann eingekehrt sein; diesen dürften die folgenden Zeilen noch einmal die Schrecknisse ihres Aufenthalts in das Gedächtniß zurückrufen; sie 62 sollen aber noch eine ernstere Pflicht erfüllen und jeden norddeutschen gutmüthigen Mann, jeden an leidliche Kost und ein erträgliches Bett gewöhnten Christen ermahnen, sich fern von den Klauen dieses Ungethüms zu halten. Der Wilde Mann, den man nur im Abbilde an einer Querstange unter dem Dache erblickt, muß den Führern, Trägern und Pferdeknechten erhebliche Procente von den Rechnungen gewähren, da sie jeden Touristen an ihn empfehlen. Er stellt das erste Gasthaus des Orts vor und scheint, nach der Sicherheit seines menschenschänderischen Betragens zu urtheilen, sich schon seit langen Jahren dieser Position bewußt zu sein. Die von der Bergeshöhe durch einen Schweizerbuben vorausgesandte Reisetasche hatte schon bei guter Zeit auf ein Zimmer Beschlag gelegt, und ich erhielt dieses sofort im zweiten Stockwerk. Sehr oft ist es mir auf meinen Wanderungen durch dieses glückliche Land aufgefallen, daß der Reisende draußen in der Natur meistentheils mehr Bequemlichkeiten findet als bei der Gastfreundschaft der Hotels. Der kurze graugrüne Rasen einer Hochalp hat mir, wenn ich mich neben einen frischen Quell hingestreckt, ein besseres Lager gewährt als die dunkeln engen Holzstuben selbst der ersten Wirthshäuser. Zunächst besaß mein Zimmer weder ein Sopha noch einen Lehnstuhl; ein Dreiblatt von Holzschemeln pflegt die Garnitur jedes Raumes im zweiten Stock zu sein, also überraschte mich auch hier diese Trias auf keine Weise. Kommt der Reisende höchst ermüdet noch bei guter Zeit in das Nachtquartier und gedenkt er ein Stündchen zu ruhen, so bleibt ihm nichts übrig, als entweder sofort zu Bette zu gehen oder jene drei Schemel zusammenzurücken und diese republikanische Hôtelpritsche als Sopha zu benutzen. Ebenso wenig findet er einen Klingelzug neben der Thür, und als ich mich meiner aufgeweichten und an den scharfen Felsecken zerrissenen Stiefeln entledigen wollte und 63 angestrengt umhersuchte, entdeckte ich wol bei einem Blick zum Fenster hinaus drei Wasserfälle, aber nicht einen Stiefelknecht. Mir blieb nichts übrig, als mich von den Stiefeln auf Schuljungenmanier zu befreien, die Inexpressibles zum Fenster hinauszuhängen, wo sie unter dem breiten Dach hinlänglich vor dem Regen geschützt waren, dem Geschlecht von Meyringen aber eine ebenso lebhafte Unruhe verursachten, wie das Banner einer feindlichen Truppenabtheilung, und gelassen Pantoffeln und einen langen Ueberrock anzuziehen, welcher vom Regen verschont geblieben war.

Das einzige Unterhaltungsmittel blieb bei dem sich in kurzen Zwischenräumen wiederholenden Gewitterregen die Aussicht zum Fenster hinaus. Ich setzte mich auf das breite Bret vor demselben, öffnete beide Flügel, und sog die edle, in Bergkühle und Elektricität gebadete Luft ein. Die drei erwähnten Bäche, welche in gewaltigen Stürzen von den gegenüberliegenden Felswänden herabrauschten, beschäftigten lebhaft die Einbildungskraft. Sie bildeten Wasserfälle von sehr verschiedener Höhe, die aber sämmtlich ihre Fluten an der Basis vereinigten, und in einem künstlich von der Gemeinde geschaffenen Bett in die Aar strömten. Der unterste war heftig von dem Gewitterregen angeschwollen und schleuderte sein mit kleinen Felsstücken vermischtes Wasser in einem Bogen herab. Der mittlere war zwar auch reichhaltiger als gewöhnlich, nur zeigte sich die Farbe nicht so getrübt und glich mehr dem Gletscherwasser. Der obere dagegen hatte mit den düstern und vorübergehenden Einflüssen der Atmosphäre nichts mehr gemein; sein Wasser glich flüssigem Silber und kam augenscheinlich aus den über dem Zuge der Wolken gelegenen Berggegenden her. Bei diesem Anblick wurde man sofort an die Werke verschiedener menschlicher Naturen erinnert, die höher und niedriger gestimmt, der Menge ein ungleiches Schauspiel ihrer 64 Lebensthätigkeit gewähren. Der Ernst der Beschaulichkeit konnte jedoch vor dem Wechsel der Staffage in der Straße des Dorfes nicht lange Stand halten. Nach und nach langten die Reisenden von der Hasli-Scheideck an und hielten vor der Thür des Wilden Mannes. Es ist schon in einer Stadt lächerlich, eine vom Regen durchgepeitschte Gesellschaft heimkehren zu sehen; diese unglücklichen Wasservögel hätten auch den finstersten Philosophen um seine melancholische gemessene Haltung gebracht.

Da gab es Engländer, denen das Wasser aus den Stiefeln wie aus einer Brunnenröhre lief, Damen, denen die Hüte aufgeweicht und plattgedrückt waren, und deren Gewänder tricotartig knapp saßen, endlich einen französischen Greis, dessen scurriles, witzig auf ein Ohr gerücktes Sommermützchen die Perücke nur höchst mangelhaft geschützt und dem Regen nicht verwehrt hatte, das zarte Meisterwerk des pariser Adonisateur in lange schwarze Strehnen aufzulösen. Alle diese Verunglückten wurden theils im Wilden Mann einquartiert, theils in die gegenübergelegene sogenannte »Dépendance« hinübergeführt. Die gastfreien Schweizer bezeichnen nämlich mit diesem hochtrabenden Ausdruck das Supplement oder die Beilage zu einem Hôtel, wohin die überschüssigen Gäste abgelagert werden. Im Deutschen könnte man dafür vielleicht nur das bekannte und bescheidene Wort »Schlafstelle« gebrauchen, denn wegen Bedienung und Kost müssen sich die Dépendenten nach dem Haupthotel bemühen, widrigenfalls sie Niemand aufsucht als der Ueberbringer der Rechnung am andern Morgen.

Nach einer guten Stunde hatten die Berge ihren Vorrath an Touristen, und die Wolken ihren Ueberfluß an Regentropfen erschöpft, die Luft wurde klar, goldene Pfeile der purpurn versinkenden Sonne schossen durch die blaue Atmosphäre, und ein Abend, wie ihn in dieser Erhabenheit nur die Schweiz und 65 Italien den menschlichen Sinnen erschließen können, stieg schweigend in das schöne Haslithal. Noch verhallte in den fernen Schluchten der wilde Donner, aber mit seinem ewigen reinen Schimmer trat der Schnee der Höhen wieder aus den fliehenden rosigen Nebelstreifen hervor, und die kahlen Felszacken der reizenden Ferne tauchten sich in ein tiefes Violet, die zauberische Farbe einer rührenden Schwermuth, welche nur das Rauschen der Wasser und der Klang einzelner Heerdeglocken unterbrach. Außer der Phantasie und dem Gemüth hatte aber auch der Magen noch Rechte geltend zu machen; mit einem Worte, das Souper war um 7½ Uhr versprochen worden, und diese wichtige Stunde näherte sich mit starken Schritten. Nach nothdürftig gemachter Toilette stieg ich in den Speisesaal und in den zu ebener Erde gelegenen freien Raum hinab, der eine malerische Aussicht auf das Bergpanorama gewährte.

Hier saß Altengland bereits auf den besten Plätzen und braute mit der höchsten Bedächtigkeit das heilige Getränk Thee. Die ganze Estrade war mit ziemlich gewöhnlich und charakterlos aussehenden Ladies und Gentlemen gefüllt, die dem göttlichen Abend nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkten, sondern nur alle Fähigkeiten ihrer Geister auf die Beschaffenheit ihres Souper richteten. Ueberall blinkten schlechtgeputzte Theekessel; Cotelettes und warme Eier waren die Losung, Käse und Rahm das Feldgeschrei. Wir armen Deutschen, d. h. eine schlesische adelige Familie, mehre Livländer und meine Wenigkeit, mußten uns auf einigen Stühlchen an den Balkon klammern, obgleich unsere Napoleonsdor gleich vollwichtig waren wie ihre Vettern in den englischen Börsen, und die Schweiz nicht daran dachte, uns die bescheidenere Benutzung des Platzes von der Rechnung abzuziehen.

Im Saale wurde gedeckt und jede um den Tisch irrende Person mit großer Wichtigkeit gefragt, welche Weinsorte sie 66 wählen würde. Die Namen dieser Rebensäfte besaßen viel Verlockendes, allein ihre Beschaffenheit war, wie später alle Gäste einstimmig versicherten, von einer Erbärmlichkeit, wie sie selbst das Höllengebräu irgendeines großstädtischen Weinfälschers nicht an sich trägt. Die halbe Flasche Burgunder, für die ich 2½ Francs zahlen mußte, war nach meinem Geschmack höchstens gut genug, um eine durch Hitze allzu sehr verdickte Stiefelwichse wieder in Fluß zu bringen. Reden wir aber nicht von den Weinen des Wilden Mannes, sondern beschreiben wir der strengsten Wahrheit gemäß dieses Souper zu 3 Francs, als ein würdiges Denkmal schweizerischer Oekonomie an einem höchst bequem gelegenen Orte, in den eine bequeme Poststraße mündet, und wo die Anschaffung der Nahrungsmittel nicht die mindeste Schwierigkeit bietet. Der Reisende ist namentlich in Gebirgsgegenden zur äußersten Langmuth gestimmt; er ist gern bereit, mit schwerem Gelde die nöthigsten einfachen Nahrungsmittel zu bezahlen; wenn man ihn aber wie einen Sklaven behandelt und ihn nach einem mühseligen Tage hungerig vom Tische aufstehen läßt, so verdient ein solches Verfahren die allerhärteste Züchtigung. Ich trage umsoweniger Bedenken, dem Wilden Manne diese Streiche zu versetzen, als in Meyringen noch drei andere sehr gute Hôtels vorhanden sind, und ich selbst am andern Morgen in eines derselben, Die Krone, flüchtete, wo ich mich von den Schrecken des Kannibalen vollständig erholte.

Wir waren unser etwa 20 Personen aus allen Gegenden der Welt, die sich den Schicksalen dieser grausamen Tafel unterwarfen. Eine Suppe, matt und fade und nicht sonderlich warm, bereitete uns ahnungsvoll vor; dann kamen zwei Fische, die ganz auf die Tafel gesetzt, aber nicht herumgereicht wurden; vielmehr verschwand der höchst spitzbübisch aussehende Kellner damit an den Nebentisch und theilte auf jeden Teller 67 ein winziges Portiönchen ab, welches wie eine feige Schutzwache ein Schälchen geschmolzener alter Butter als Runde um den Tisch begleitete. Nur große harte Kartoffeln, der einzige Gegenstand, mit dem ein schweizer Gasthaus freigebig ist, waren in hinlänglicher Anzahl vorhanden. Aber, o Jammer, die Gesellschaft wandte sich mit gleichem Entsetzen, wie der Gastfreund des Polykrates, von dem Fische ab! Zwar nicht auf Grund eines in seinem Magen gefundenen goldenen Siegelringes, sondern statt dessen wegen der Fortschritte, welche dieser Fisch auf dem Wege aus dem Organischen in das Unorganische gemacht hatte. Ungekocht schon muß das Geschöpf, dessen Fragmente uns zugetheilt wurden, wie ein Fixstern geleuchtet haben. Jetzt kam die Pastete. Sie sah schön aus, man konnte sie verlockend nennen; aber sie war doch nur eine falsche Pastete, wie es einen falschen Hasen in der Kochkunst gibt. Ihre Füllung bestand in nichts als zähen, klebrigen Mehlklößen, bedeckt mit einem häßlichen, ungesalzenen Kleister. Was soll ich noch mehr von dem Hammel, oder wie man hier sagte, dem »Schafbraten« erzählen? Ich würde schweigen, wenn die Frechheit nicht bei dieser Gelegenheit culminirt hätte. Obwol 20 Personen bei Tische saßen, schnitten die gaunerischen Kellner doch, genau erzählt, nur 11 dünne Scheiben ab, flogen mit dem Fleischstück zur Thür hinaus, und Schaf und Kellner sahen wir niemals wieder. Der verrathenen Gesellschaft war anheimgestellt, sich an einigen vertrockneten Makronen als Dessert zu halten, und die Haselnüsse zu knacken, welche ringsumher auf den Felsabhängen zu wachsen schienen und so häufig wie die Kartoffeln auf dem Tische vorhanden waren. Da die Meisten von uns nach dem anstrengenden Tagemarsch zu so später Stunde und bei der kühlen Abendluft großen Appetit hatten, standen wir äußerst kleinlaut von Tische auf, brannten die geknickten triefenden Talglichter mit 68 Kienspänen an und schlichen gedemüthigt in unsere Zimmer. Ich will indessen lieber noch einmal an dem Souper des Herrn E. B . . zu Meyringen theilnehmen, als eine ähnliche Nacht zum zweiten mal verleben. Kaum hatte ich mich niedergelegt und das bleiern schwere Kissen, das wie ein Alp auf meinem leider leeren Magen lag, über mich gewälzt, als aus allen Cantonen des Bettes wüthende Freischaren über mich herfielen und mich peinigten, als ob ich ein royalistischer Neufchâteler wäre. Zuerst sprang ich entsetzt auf, zündete Licht an und setzte mich auf einen meiner Schemel, um nach meiner alten Gewohnheit mir die Beschaffenheit des Uebels hinlänglich klar zu machen. Ich vermuthete, daß ich unter eine Abtheilung Gems- oder Steinbockflöhe gerathen sei, so gewaltig waren die Sprünge und so hart die Hufen dieser bergbewohnenden Insekten; dann aber sagte ich mir: »Seid geboren, wo ihr wollt, bewohnt meinetwegen das Fell des hyrkanischen Bären, Insektenpulver wird euch als Sterblichgeborene fällen.«

Meine Hoffnung war vollkommen irrig gewesen; der geringe Vorrath wurde vergebens verstreut als ein Weihrauch auf den Altären des süßen Schlummers; es half nichts. Ihr Souper war besser und reichlicher, als unser beiderseitiger Hausherr es mir gereicht hatte. Wie Gespenster zogen sie sich erst bei Tagesanbruch zurück, und das klagende Geräusch in allen benachbarten Zimmern belehrte mich, wie einig diese Bundesversammlung in ihren Maßregeln gegen verwegene und unbesonnene Fremdlinge gewesen war. 69


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