Artur Landsberger
Liebe und Bananen
Artur Landsberger

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Siebentes Kapitel.

Zur gleichen Zeit, zu der Djojo in Penang auf das Schiff stieg und der schöne Harry sich in Hamburg für die Reise nach Sumatra bei seinem Schneider den weißen Smoking anpassen ließ, saß im Norden Berlins Frau Frida Pika, verwitwete Jeff, in dem kleinen Wohnzimmer, das unmittelbar an den Obstladen ihres Mannes stieß.

Es war ihre zweite Ehe – die so ganz anders als die erste war. Der Artist Pino Jeff war ihr erster Mann gewesen. In dem Zirkus Amstrong, der die halbe Welt bereiste, hatte sie Abend für Abend, zehn Jahre lang, in der ersten Reihe des Zirkus gesessen und mit bebendem Herzen die halsbrecherische Nummer ihres Mannes mit erlebt. Und nachdem sie so allabendlich eine Viertelstunde lang Todesqualen ausgestanden hatte, war sie allmählich daran gewöhnt, des Abends Angstzustände zu bekommen. Auch dann noch, als Pino Jeff eines Tages tödlich gestürzt und sie mit der sechsjährigen Pina, das Einzige, was er ihr hinterließ, allein zurückgeblieben war. Wie sie dann zu ihrem zweiten Manne, dem Obsthändler Hermann Pika, gekommen war, wußte sie selbst nicht recht. Der hatte ein gutgehendes Obstgeschäft im eigenen Hause. In dessen Quergebäude wohnte sie, die damals noch eine stattliche Frau war. Und eines Tages sagte Herr Pika, der alles andere als ein schöner Mann und so recht das Gegenteil des toten Pino Jeff war, zu Frau Frida:

»Sie sind mir seit drei Monaten die Miete, und ihre Tochter Pina ist mir für fünf Monate täglich drei Bananen schuldig. Das macht zusammen einhundertfünfundvierzig Mark und fünfzig Pfennige. Sie haben die Wahl, mich zu heiraten oder innerhalb acht Tagen exmittiert zu werden.«

Frau Frida Jeff, geborene Richard, stand vor einem schweren Entschluß. Der Mann gefiel ihr gar nicht. Aber ihre Nachbarin, mit der sie sich besprach, hatte schon recht, wenn sie sagte:

»Dafür, daß er nicht schön ist, riecht er umso besser; nach Aepfeln, Pfirsichen und Bananen. Wenn Sie, wie ich, einen Käsehändler zum Manne hätten, wüßten Sie, was das heißt.«

Sie hielt ihr das jüngste Kind unter die Nase:

»Da riechen Sie! Nach Steinbuscher und Harzer! Das wird sie ihr Lebtag nicht mehr los. Aber, wenn Sie den Pika heiraten, wird Ihre Tochter nach Pfirsichen und Bananen duften, und die Männer werden sich um sie reißen.«

Das mochte der Grund gewesen sein, aus dem sie sich entschlossen hatte und vom Quergebäude mit ihrer Tochter Pina nach vorn in den Laden gezogen war. – Und Pina hatte sich in dieser Atmosphäre wirklich zu einem Prachtexemplar entwickelt. Sie strahlte Frische aus und war zum Anbeißen. Aber auch ihr Kern war gut. Das Künstlerblut vom Vater her steckte zwar in ihr, und sie wäre für ihr Leben gern zum Theater oder zum Film gegangen. Aber da ihr Protektion fehlte, wurde sie Mannequin – immer mit dem Blick zu Höherem und in der Hoffnung, hier entdeckt und einer künstlerischen Laufbahn zugeführt zu werden.

So saß Frau Frida Pika, verwitwete Jeff, vor dem Tagebuch ihrer Tochter, und aus dem Laden nebenan zog der Duft frischen Obstes, obschon die Behälter zum größten Teile leer und das Lager beinahe geräumt war, ins Zimmer.

»Was die jungen Mädchen träumen,« dachte sie und erinnerte sich, wie sie selbst noch vor nicht langer Zeit sich aus diesem engen Raum und dem kleinen Laden herausgesehnt und sich in einen großen Obstpalast im Westen geträumt hatte. Auto nach Auto fuhr vor und ein elegantes Publikum füllte die weiten Räume. Ein Fahrstuhl führte in die oberen Etagen und der große Obstgarten, zu dem man über eine Terrasse vom Geschäft aus gelangte, glich einem modernen Paradies. Jazzorchester spielten und elegante Menschen tanzten unter den über und über mit Bananen behangenen Bäumen. Um den freien Platz in der Mitte saßen an gedeckten Tischen, von weißgekleideten Mädchen bedient, Damen und Herren, aßen Obstkuchen und tranken Tee. Plötzlich mitten im Spiel hörte das Orchester auf, die Tänzer traten zur Seite, die Gäste an den Tischen erhoben sich und klatschten: Pina Jeff erschien in einem kostbaren Mantel, den ihr der Begleiter, der mindestens ein Prinz war, abnahm. In einem Pariser Modell stand sie da und verbeugte sich. Das Publikum klatschte. Der Prinz gab der Musik ein Zeichen. Sie setzte ein – und Pina Jeff tanzte mit ihrem Partner. Man jubelte ihr zu. –

Die von Pinas Tagebuch und dem Duft des Obstes angeregte Phantasie der Alten täuschte ihr dies Bild so deutlich vor, daß sie aufgestanden war, mit weit geöffneten Augen ins Leere starrte und lebhaft in die Hände klatschte.

In diese Stimmung hinein platzte der Ruf ihres Mannes:

»Pleite!«

Er hatte die Ladentür, durch die er getreten war, offen gelassen und stand wie ein Stückchen Unglück neben seiner vor Glück strahlenden Frau, die nur allmählich aus ihrem Paradiesgarten in die Wirklichkeit zurückfand. Sie sah zu ihm auf und sagte:

»Warum grad jetzt?«

Pika war nahe an sie herangetreten. Er reichte ihr einen Brief. Sie nahm ihn und las Wort für Wort, ohne den Sinn zu verstehen:

»Herrn Max Pika,
              Berlin N.

Wir bedauern, Ihnen keine weiteren Kredite mehr bewilligen und nur noch gegen Kasse liefern zu können. Auch müssen wir Sie ersuchen, Ihr bei uns auf 870 Mark angewachsenes Konto innerhalb vierzehn Tagen abzudecken, da wir an unseren Exporteur Paul G. Olem auf Sumatra größere Zahlungen zu leisten haben.

Hochachtungsvoll          
Max Sülstorff Söhne    
Hamburg–Berlin.«

Sie nickte und reichte ihm das Blatt zurück. Sie sah wohl das verzweifelte Gesicht ihres Mannes und entnahm seinen Worten, die er mit großen Gesten begleitete, daß irgend etwas nicht in Ordnung war. Und halb noch in ihren Gedanken befangen, erwiderte sie:

»Laß nur! Pina bringt schon alles in Ordnung.«

An etwas Bestimmtes dachte sie dabei nicht. Umso mehr ihr Mann, dessen Gesicht sich glättete und der, eben noch völlig verzweifelt, den Mund zu einem pfiffigen Lächeln verzog, ganz dicht an seine Frau herantrat, den Arm um ihre Schulter legte und sagte:

»Ich verstehe! Pina wird zu dem schönen Harry gehen und für uns bitten.«

Das gab Frau Frida die Klarheit des Denkens wieder. Sie trat von ihrem Mann weg und erklärte:

»Auf die Art, nein! Da wollen wir lieber hungern.«

»Aber ich nicht und deine Tochter, wie ich sie kenne, auch nicht,« erwiderte der Alte wütend.

»Wenn du so sprichst, kennst du sie eben nicht.«

»Ein Mädchen, das so hübsch ist und sich so kleidet und pflegt.«

»Das bringt ihr Beruf als Mannequin mit sich.«

»Ein Mannequin ist kein Engel.«

»Aber ein anständiges Mädchen – wenigstens in diesem Fall.«

»Man kann auch mal eine Ausnahme machen – den Eltern zuliebe.«

»Das ist niederträchtig, was du da sagst.«

»Es wird nicht das erste Mal sein.«

»Dafür verbürg' ich mich.«

»Einer Mutter erzählt man es zuletzt.«

»Oder gar nicht – denn die sieht es von selbst.«

»Frag' sie doch!«

»Ich werde mein Kind nicht kränken.«

»Du machst es ihr leicht.«

»Weißt du etwas? Oder hat sie dir etwas erzählt?«

»Man spricht im ganzen Haus davon, wie sie sich anzieht und wo das wohl herkommt.«

»Aus dem Salon kommt's, in dem sie angestellt ist – da passen die rachitischen Gänse freilich nicht hinein, die in unsrer Gegend hier herumlaufen. Pina ist das Kind eines Künstlers. Man braucht sich nur ihren Gang anzusehen, um das zu wissen.«

»Was hat sie davon, wenn sie damit nichts anzufangen weiß? Wenn sie eine gute Tochter wäre, würde sie uns das Leben erleichtern.«

»Du willst, daß sie sich verkauft – und von dem Sündengeld möchtest du leben?«

»Einen Freund zu haben, der Geld hat, schändet nicht.«

In diesem Augenblick stürzte Pina ins Zimmer – in einer Stimmung, in der sie gar nicht wahrnahm, daß ihre Eltern im Streite lagen.«

»Denk dir, Mutti!« begann sie und erzählte erhitzt und leidenschaftlich in allen Einzelheiten, was sich am Abend im Salon Garis Sons zugetragen hatte. Von der Gräfin Tschochenska und ihrem Rieseneinkauf, an dem sie mit einem Prozent beteiligt sei. Da die Gräfin aber nur auf ihr Zureden hin in den Salon gekommen sei, so habe ihr der Chef die Provision um hundert Mark erhöht.

»Und was wirst du mit dem Gelde anfangen?« fragte Pika, der mit weit größerem Interesse der Erzählung gefolgt war.

Pina strahlte über das ganze Gesicht und sagte:

»Dafür kaufe ich mir den Fehmantel, den Garis aus Paris mitgebracht hat.«

»Da hast du's!« sagte der Alte, zu seiner Frau gewandt. Die trat an Pina heran und fragte, beinahe ängstlich und offenbar mehr ihres Mannes wegen:

»Auch dann, wenn du hörst, daß Vater geschäftliche Sorgen hat?«

Pina's Fröhlichkeit bestand eine harte Probe. Mit einem ernsten Gesicht sagte sie:

»Dann natürlich nicht.«

Aber das genügte dem Alten nicht.

»Sondern, was wirst du mit dem Gelde tun?« fragte er.

Pina sah die Mutter an. Die nickte – und so blieb ihr nichts anderes übrig, als zu erwidern:

»Ich werde es dir geben – falls . . .« – sie unterbrach sich.

»Falls?« fragte der Alte.

»Du es haben willst – und von mir annimmst.«

»Gern gibst du es nicht – das sehe ich dir an.«

»Wenn dir damit geholfen ist.«

»Und wenn nicht?«

»Dann – ja, dann bliebe es eben bei dem Fehpelz.«

»Ich verzichte auf deine Hilfe!« sagte der Alte grob.

»Sie hat ganz recht,« nahm die Mutter sie in Schutz. »Ob du bei Sülstorffs achthundert Mark schuldig bist oder siebenhundert, das bleibt sich völlig gleich. Ob sie aber den Fehpelz hat oder nicht, das ist – schon ihren Kolleginnen gegenüber – für sie eine große Sache.«

»Gute Mama!« flüsterte Pina und streichelte der Mutter die Wange.

»Den Freunden gegenüber am Ende auch,« reizte sie der Alte. Die Mutter erschrak, aber Pina gab die freimütige Antwort:

»Ich verbitte mir das! Ich habe nur einen!«

»Nur einen!« rief triumphierend der Alte. »Ja, siehst du nun endlich, was du für eine tugendhafte Tochter hast.«

»Ja, wer ist denn das?« fragte die Mutter entgeistert.

»Bis gestern war er Kellner in einem Hotel Unter den Linden . . .«

»Kellner!« wiederholte der Alte und lachte laut auf.

»Seit heute abend ist er Modeanwalt bei Garis Sons – und, was er mir verschwiegen hatte, ein Baron, der durch die russische Inflation um sein Vermögen gekommen ist.«

»Und wie bist du mit diesem – vermögenslosen Baron bekannt geworden?« fragte der Vater.

»Ich war von einer Kundin in das Hotel bestellt und mußte im Office warten, in dem er beschäftigt war. Er machte gar nicht den Eindruck eines Kellners, – und so kamen wir ins Gespräch – und dann haben wir ein paar Male miteinander Tee getrunken und getanzt.«

»Und was habt ihr sonst getan?«

»Nichts.«

»Und was werdet ihr tun?«

»Quäl sie doch nicht!« suchte die Mutter zu vermitteln.

»Uns verloben,« erwiderte Pina.

»Und das glaubst du, daß der Baron dich heiraten wird?«

»Sie spricht ja nur von verloben.«

»Heiraten natürlich auch.«

Der Alte lachte laut auf.

»Frag' ihn doch!« drängte Pina. »Er steht draußen. Ich wollte nämlich fragen, ob ich noch eine Stunde mit ihm fortgehen kann.«

Die Alte sah ihren Mann strahlend an. Der machte ein betroffenes Gesicht, trat an Pina heran, nahm ihre Hand und sagte:

»Ich habe dir unrecht getan. Aber so ist's im Leben. Wenn es anfängt, einem schlecht zu gehen, wird man ungerecht.«

Pina fuhr dem Alten durch's Haar und erwiderte:

»Vergeben, Vater! Und was deine Schulden betrifft, da muß Curt helfen.«

»Curt?«

»Ja, so heißt er, der Kellner, der Modeanwalt, der Baron! Ich spreche mit ihm! Siebenhundert Mark sind zwar viel Geld.«

»Achthundert,« berichtigte der Alte.

»Nein, siebenhundert!« erwiderte Pina. »Denn auf den Mantel habe ich längst verzichtet.«

Sie küßte die Mutter, drückte dem Vater die Hand und lief zur Tür hinaus.

Die beiden sahen ihr nach, und der Alte sagte:

»Was für ein gutes Kind!«

Die Mutter lächelte und nickte mit dem Kopf.


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